Achso. Ich dachte, da wir uns hier auf das Manifest zu progressiver Phantastik beziehen, dass es um das Subgenre geht.
Ich verstehe das Manifest nicht als Umriss eines neuen Subgenres. Dazu ist die Definition der Progressivität in dem Artikel viel zu umfassend formuliert. Es betrifft das gesamte Genre der SF und grenzt nicht einen eigenen Teil ab. Ich verstehe den Artikel als ein Plädoyer dafür einen allgemeinen, in allen Belangen (dies wird betont!) progressiven Schreibstil auch und gerade in der SF anzustreben.
Dass "Progressive SF" als Subgenre behandelt wird, halte ich für einen Fehler. Genau deshalb empfinde ich den Begriff, wie oben schon erwähnt, für ein Subgenre sehr unglücklich gewählt. Es würde auch niemand auf die Idee kommen "kreatives Schreiben" als Genrebegriff zu etablieren (hoffentlich).
Ein Beispiel aus der Musik. Dort gibt es das Genre "Elektronische Musik". Viele moderne Musiker fühlen sich berufen, sich diesem Genre alleine durch die Namensgebung zuzuordnen. Dabei bezeichnet dieses Genre eine Bewegung der
Musique Concrete, deren Hochzeit in den fünfziger Jahren war. Einer ihrer wichtigsten Vertreter war Karl-Heinz Stockhausen.
Das sorgt regelmäßig für Verwirrung und auch Streit unter den Vertretern der einzelnen Fraktionen und es wird jede Menge Energie sinnlos verbrannt. Aber hier ist der Begriff nun einmal historisch bedingt. Er war weit für der modernen elektronischen Musik schon etabliert.
Bei der Progressiven SF ist das anders. Das Subgenre (ich lasse mich der Einfachheit halber an dieser Stelle einmal darauf ein) ist neu, entwickelt sich noch. Ein neuer Begriff wird jetzt, in diesem Augenblick geprägt. Und ich sehe, dass hier ein alter Fehler erneut gemacht wird. Und wieder wird das zu endlosen Debatten und Irritationen führen. Das ist sehr bedauerlich.
Mit diesem Hintergrund habe ich dich gefragt, was deine Zielsetzung ist
Ich dachte, darauf hätte ich geantwortet: Beides ist für mich nicht trennbar.
So klar war das tatsächlich bei mir nicht angekommen.
Mit dem Hintergrund, dass du
Progressive SF als Genre auffasst, funktioniert das natürlich.
Mit der generalisierten Auffassung des Begriffes
Progressiv nicht. Da liegt wohl unser Missverständnis.
Den Begriff des konservativen Schreibens sehe ich als Gegenpart zum progressiven Schreiben.
Ich auch. Nur: Wenn progressiv bedeutet, sich aktuellen -ismen klar entgegen zu stellen, dann hieße der Gegenpart, sie zu befüttern. Und das finde ich das schwierig. Da würde ich dich als Autor auch nicht einsortieren.
Wo würdest du mich denn einsortieren? Das würde mich wirklich interessieren.
Wenn du es so gegenüberstellst, dann muss ich meine Sicht in ihrer obigen Formulierung revidieren. Dann sehe ich konservatives Schreiben nicht als direkten Gegenpart zum progressiven Schreiben. Weil dem konservativen Schreiben der Gedanke zur Veränderung fehlt. Ich möchte betonen: im Guten, wie im Schlechten. Wenn es um die Frage des Aktivismus geht, dann ist die rechte SF wohl eher der Gegenpart zum progressiven Schreiben, nach dieser Definition.
Die spannende Frage ist: Was heißt das für dich in Bezug auf vorhandene Diskriminierungen und deine eigene privilegierte Position?
Ich versuche einmal den Umgang mit Diskriminierungen im Rahmen eines konservativen Literaturumgangs aus meiner Sicht darzustellen. Das ist schwierig, weil eine reine Bauchgeschichte und ich erhebe nicht den Anspruch an dieser Stelle umfassend und erschöpfend antworten zu können:
Mögliche Darstellung von Diskriminierung, ohne zwingende zentrale Auflösung der Situation in eine bestimmte Richtung.
Keine zentrale Thematisierung von Diskriminierung.
Gemäßigter, nicht totalitärer Umgang mit Diskriminierung.
Keine zentrale Wertung der Diskrimierung. (Ich beziehe dies auf den Tenor der Erzählung. Im Rahmen einzelner Charakterschilderungen kann extremer Umgang mit, für und wider Diskrimierung durchaus stattfinden. Dann muss aber klar sein, dass dies im Rahmen der Charakterdarstellung stattfindet und nicht das Motiv des Textes und die gemeine Aussage des Autors darstellt.)
Definiere bitte meine privilegierte Position.
Da verstehe ich nicht, was damit konkret gemeint ist. Daher kann ich dazu auch nicht Stellung beziehen.
"Finde ich es okay, Diskriminierungen dem unterzuordnen oder versuche ich mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln, sie zu vermeiden? Da würde mich interessieren, wie du das für dich siehst."
Schreiben bedeutet Konflikte zu bearbeiten. Geschichten spielen immer in irgendeiner Form von Gefüge. Es wird immer eine starke und eine schwache Position geben, immer ein Gefälle in irgendeiner Form. Diskriminierung ist mit diesem Hintergrund unausweichlich. Es sei denn, ich beschreibe eine perfekte Gesellschaft, aber das dürfte keine spannende Geschichte geben.
Schilderung von Diskriminierung ist eine Notwendigkeit keine Unterordnung. Wenn ich keine Diskriminierung beschreiben darf, dann möchte ich nicht mehr schreiben. Dann kann ich keine dynamischen, lebensechten Charaktere entwickeln und beschreiben.
Die Frage ist nicht
ob, sondern in
welcher Form.
Ich finde es nicht nur okay, sondern auch wichtig, Diskriminierung zu beschreiben. Sie ist Teil unserer Gesellschaft. Sie wird Teil einer zukünftigen Gesellschaft sein.
Wie ich schon sagte, schreibe ich in erster Linie zur Unterhaltung, nicht um Themen ins Licht zu bringen, die ich diskutiert sehen möchte. Ich bin kein betont (gesellschafts)-politischer Mensch, gehöre da gefühlt zum Mainstream. Trotzdem greife ich auch kontroverse und/oder schwierige Themen auf, wenn sie mich persönlich interessieren und nutze diese für meine Geschichten.
Weil ich der Meinung bin, dass sie zu uns Menschen gehören.
Aber natürlich auch, weil sie Spannung und Würze versprechen, das möchte ich gar nicht von der Hand weisen.
Auch hier: die Frage ist nicht
ob, sondern
in welcher Form.
Ein konkretes Beispiel:
Ich habe in meinem aktuellen Romanprojekt einen verhaltensauffälligen Charakter, geformt nach dem Asperger-Autismus-Spektrum. Ich halte es für völlig okay, dies im Rahmen eines Unterhaltungsromans zu tun und auch Diskriminierung in diesem Rahmen zu zeigen. Menschen, die zu diesem Spektrum gehören, sind Teil unserer Welt. Für mich stellt sich gar nicht die Frage,
ob ich das darf. Ich habe aber die Pflicht mir darüber klar zu werden
in welcher Form ich das tue.
Für mich hieß das im ersten Schritt mir überhaupt klar zu werden, ob ich der Darstellung eines solchen Charakters nach meinem Wertesystem gerecht werden kann. Ich bin Schreibanfänger, das birgt die Gefahr der Fahrlässigkeit. Ich habe aber auch Erfahrung im Umgang mit Autismus sammeln dürfen, habe vor Jahren einen Autisten für eine kurze Zeit mitbetreut. Es ist ein Stück weit also auch durchaus eines
meiner Themen.
Ich habe es als meine Pflicht gesehen, mich zu informieren, zu recherchieren. Ich habe Fachliteratur gelesen.
Ich habe mich bemüht und eine Testleserin gefunden, die selbst Autistin ist.
Ich weiß nicht, ob das ausreichend ist. Ich habe für mich selbst diesen Punkt fest machen müssen. Aber ich stehe zu meiner Vorgehensweise, ich stehe zum Ergebnis und ich stehe dazu, dass ich das tue. Im Rahmen von Unterhaltung! Und, ja, ich bin absolut der Meinung, dass das erlaubt sein sollte. Letzten Endes kommt es aber auf die Form an. Ob ich gut mit dem Charakter umgehe, werde ich dann hoffentlich noch in der Breite erfahren.
Liebe Grüße - Frank