Hallo Golem,
für eine Kürzestgeschichte ist der Text ganz schön lang ... Auf mich wirkt der Text wie eine Erinnerung eines innerlich pubertär gebliebenen alten Mannes. Er sehnt sich nach einem Rausch, aber irgendwie auch nach Nähe, wobei er diese nicht wirklich benennen kann. Dadurch bekommt der Ich-Erzähler für mich etwas Naives, eben Pubertäres.
Inhaltlich verstehe ich den Text assoziativ. Ich verstehe nicht wirklich, was passiert, habe nur eine Idee davon, dass es um Rausch geht (nur Alk oder auch Drogen?), um Sex - und die Sehnsucht nach der perfekten Frau, wobei sie als Person keine Rolle spielt und auch nicht auftaucht. Sie ist ein Sehnsuchtsobjekt, wie der Wein, alle wollen sie und er hat sie. Der Text scheint mehrere Zeitebenen zu haben, aber was passiert, kann ich nicht zusammenpuzzeln. Interessanterweise stört mich das reichlich wenig, weil der Text einen assoziativen Sog hat. Trotzdem frage ich mich beim zweiten Lesen, ob es nicht doch besser wäre, da zumindest etwas mehr Klarheit reinzubringen. So dass ich eine Idee habe, wann wechseln die Zeitebenen. Ich denke mal, nach dem zweiten Absatz. Aber warum ist dann der erste Absatz da? Und wann erfolgt der Wechsel zurück?
Du sagst, der Text solle sich aufs Wesentliche beschränken. Die Frage ist, was für den Text wesentlich ist. Im Moment würde ich sagen: die Sehnsucht. Und die ist, so wie ich sie verstehe, mit Kitsch unauflösbar verbunden. Daher passen die etwas kitschigen Bilder für mich in den Text.
Nun geh ich mal auf die Wortebene:
Wochenende. Ich bestellte ein Bier. Lächelnd brachte die Kellnerin eines. Ich war mir sicher das tat sie nur für mich, zumindest wollte ich das glauben. Sie lachte schallend und hielt mir ihren Rechnungsblock hin: Lächle den Gast entgegen und er lächelt zurück. So viel also dazu. Mein Kumpel neben mir boxte mir in die Rippen und deutete zum Eingang ...
"Ich bin sicher das tat sie nur für mich" - natürlich tut sie es nur für ihn. Er hat ja das Bier bestellt. Erst mit ganz viel Nachdenken, fällt mir auf, dass du möglicherweise nicht das Bier, sondern das Lächeln meinst. So hab ich mich gefragt, was das soll. Und wieso hält sie ihm dann den Rechnungsblock hin? Das passiert in keiner Kneipe, die ich kenne. Für mich bekommt, der Text dadurch etwas Surreales. Es hakt, ja, aber es ist eben auch das, was den Text ausmacht.
Dann sprach sie...
"zu Dir?" und ohne auf eine Antwort zu warten nahm sie meine Hand und zog mich durch die Menge nach draussen. Es war voll von Menschen, Geräuschen und Gerüchen, doch sie... sie merkte nichts davon. Aber die Menge bemerkte uns und schien Platz zu machen.
Da fehlt immer das Leerzeichen vor den drei Punkten. Und an anderen Stellen hast du Leerzeichen zu viel. Unnnötig unklar ist für mich das "zu Dir?" Ist das das Ende eines Satzes? Dann drei Punkte davor tun. Ist das ein eigener Halbsatz? Dann groß schreiben. Und "dir" in jedem Fall klein. Und draußen mit ß.
"Es war voll" finde ich unschön formuliert - was ist das für ein "es"? Vielleicht besser "die Straße war voll ..." Oder sowas. Also konkreter.
In der Wohnung konnte ich mich nicht mehr beherrschen, schon zu lange her war er. Der letzte Rausch.
Sie gab sich hin, nur um mich danach endgültig zu versenken. Im finalen Akt hatten wir längst das Schlafzimmer erreicht und die flackernden Kerzen verloschen kurz danach. Doch sie wollte immer mehr.
Der Schlaf kam wie eine Offenbarung über mich, Sex als spirituelles Ereignis. War das möglich?
Das ist für mich eine sehr kryptische Stelle. Was für ein Rausch ist gemeint? Sie als Droge? Und was ist "der finale Akt"? Für mich haben die sich schon vorher den Flur entlang gevögelt. Wie versenkt sie ihn und worin? Und was hat der Schlaf mit Sex und spirituellen Erfahrungen zu tun? Wenn es wirklich um Sex als Spiritualität geht, dann will ich das gern gezeigt bekommen. Nicht nur einfach behauptet. Aber vielleicht geht es ja nur um die Illusion?
Langsam kam die Realität zurück, so konnte das Zimmer nicht bleiben.
Ich sprang auf und hängte das Bild meiner Tochter gerade. Der Griff nach dem Ring ging ins Leere. Kurze Panik kam über mich, doch ich erinnerte mich: in der Kommode. Ich stolperte fast über die leere Moet Flasche, es war der selbe wie auf meiner Hochzeit. 15 Jahre. Und nun das. Es fühlte sich so fern und doch so nah an. Ich schüttelte meinen Kopf und ging in das Bad, wusch mein Gesicht, aber selbst jetzt hatte ich immer noch ihren Geruch in meiner Wahrnehmung. Die Moet Flasche verschwand kurzer Hand tief unten im Müll, die Gläser wusch ich von Hand und stellte sie an ihren angestammten Platz.
Hier habe ich nun die Idee: Er ist inzwischen verheiratet, hat seine alte Jugendliebe wieder getroffen und gevögelt und ihr die Ehe verschwiegen. Aber wann hatte er dann Zeit, den Ring zu verstecken? Ich wüsste ja gern, was sich nah und fern anfühlte. Dann würde ich "ins" schreiben statt "in das Bad". Ist flüssiger. Und den Geruch in der Wahrnehmung haben, finde ich komisch. Warum nicht "Aber selbst jetzt roch ich sie noch"? Die personifizierte Flasche finde ich auch nicht so passend, ich würde ihn da aktiv werden lassen.
In der Küche roch es immer noch nach Kaffee. Erst jetzt sah ich den Zettel neben meiner Tasse. Ich setzte mich, griff nach ihm und hielt ihn an meine Brust. Warum brauchen wir immer einen äußeren Kick? fragte ich mich. Es war doch so einfach, man musste nur nachdenken und versuchen das richtige zu tun. Tat man nichts, dann ging alles nur unter.
Das verstehe ich nicht. Was er mit äußerem Kick meint. Und was er daran bedauert? Erst jetzt fällt mir auf, dass der Erzähler auch weiblich sein könnte.
Langsam drehte ich meine Hand und began zu lesen, was ich las war in seiner Schlichtheit nicht zu überbieten und doch weckte es lange verschüttete Gefühle wieder auf.
Es klingelte an der Tür.
Sie.
Stand da. Ihr Kleid. Schlicht ...
Und das ist schön - aber auch kryptisch. Denn es passt gar nicht zu meiner Interpretation, dass er die Wohnung aufräumt, um alles vor der Frau zu verbergen.
Warum verschweigst du mir, was auf dem Zettel steht? Und welche Gefühle geweckt werden?
Und nun beim zweiten Lesen denke ich doch, dass es mich stört, dass es immer nur um ihr Kleid geht. Nicht wie sie lächelt. Nicht wie sie ist. Nur ihr Kleid. Einerseits ist das gut, es macht klar, wie wenig es hier um wirkliche Beziehung geht. Andererseits ist es unbefriedigend für mich, weil es noch nicht klar genug ausgearbeitet ist. Wenn er nun nach dem Kleid griffe und es wäre gar niemand darin - das fände ich einen gelungenen Twist. So bleibt mir der Twist und auch die Aussage des Textes unklar.
Bei allem Gemecker will ich aber diese assoziative, traumhafte Qualität des Textes nochmal hervorheben. Ich finde das durchaus eine Stärke und frage mich, wie du das erhalten kannst bei der Überarbeitung. Zu viel Klarheit ist wahrscheinlich auch nicht gut, dann ginge das verloren.
Ich hoffe, du kannst was damit anfangen!
Liebe Grüße
merin