Das Kapitel beginnt mit dem großen Jahresspiel, dem ersten unter Knechts Leitung. Und spätestens jetzt gibt es für mich keinen Zweifel mehr: Das Glasperlenspiel ist eine Pseudo(?)-Religion, die sich unter dem Deckmäntelchen der Wissenschaft entwickelt hat und Blüten getrieben hat. Das Bestreben, jede Wissenschaft in einer einzigen Form zusammenzuführen, führt mich zu dem Schluß: Die Kastalier sind Pantheisten.
(Übrigens hier ein netter freudscher Vertipper meinerseits, den ich euch nicht vorenthalten will: Habe erst "Denkmäntelchen" geschrieben. Passt ja auch irgendwie.
)
Was schon angekündigt wird durch den Ornat, der Knecht bei seiner Amtseinführung über die Schultern gelegt wird (wie die Stola dem frischgewählten Papst), entfaltet sich hier noch weiter: Knecht hat Ministranten, er arbeitet mit rituellen Gebärden (Wer außer mir sieht da noch einen katholischen Priester bei der Wandlung vor sich?), Knecht "betet" vor (auch wenn er schreibt), die "Gemeinde" betet nach, sprich: liest seine Worte und Formeln im ehrfurchtsvollen Flüsterton. - Das ehrfurchtsvolle ist jetzt von mir dazugeschummelt, das schreibt Hesse selbst nicht. Aber die Ehrfurcht springt einem doch praktisch aus jeder Zeile dieser Spielbeschreibung entgegegen.
Dass Knecht selbst die Sache ganz anders wahrnimmt, voller Wehmut und vorauseilender Trauer um den Untergang des Glasperlenspiels, passt da meiner Meinung nach bestens dazu. Er distanziert sich von dem Spiel, das ihn sein ganzes erwachsenes Leben lang begleitet hat. Irgendwie, obwohl er der Meister des Glasperlenspiels ist, ist das Spiel selbst ein Teil seines früheren Lebens, von dem er sich als Magister distanziert. Er nimmt sich sogar noch weiter zurück und betrachtet das Spiel und Kastalien als historischen ... "Schluckauf" möchte ich es nennen. Kastalien kam, und es wird vergehen.
Und damit beschäftigt sich das Kapitel. Mit diesen zwei Polen, wie es eben auch im Kapiteltitel heißt. Dazu werden wir nochmals im Schnelldurchlauf durch Knechts Leben geführt.
Auf der einen Seite steht der pflichttreue Magister, der sein Leben lang Kastalien gelebt hat und gegenüber anderen verteidigt hat, es ihnen erklärt hat, und durch seine Lehrtätigkeit neue Mitglieder "rekrutiert".
Auf der anderen Seite steht der melancholische, fast möchte ich sagen an der Welt verzweifelnde, Knecht, der das, wofür er kämpft und worin sein Herzblut steckt, bereits schwinden sieht. Die Hochblüte des Spiels (und damit Kastaliens, denn irgendwie sind die zwei ja nicht voneinander zu trennen) ist ja bereits vorüber, das haben wir schon vor zwei (?) Kapiteln erfahren.
- Mit dieser emotionalen Grätsche hätte ich auch gewaltige Probleme.
Ich nehme an, dass Knecht unter anderem deswegen so anfällig ist für die ganze "Heiligkeit" des Alt-Musikmeisters. Überhaupt scheint das Wort "heilig" in diesem Kapitel etwas überstrapaziert. Fast bin ich froh, dass der alte Musikmeister jetzt tot und unter der Erde ist. Wenigstens ein Heiliger weniger.
Auf Fritz Tegularius, der irgendwie mein heimlicher Held der Geschichte ist, möchte ich auch noch mal näher eingehen. Eben weil er mein heimlicher Held ist.
Zwar wird er als mahnendes Negativbeispiel eingeführt, aber mir ist das wurscht.
Ein jeder, der sich nicht in diesen Zwangsjackenorden einfügen will wie ein Legosteinchen ins andere, muss mir einfach sympathisch sein.
Und deswegen finde ich es umso schlimmer, wie die Freundschaft zwischen ihm und Knecht beschrieben wird.
Statt Fritz mal endlich zu helfen, ein Selbstbewusstsein aufzubauen, bedenkt er ihn mit Almosen, die der dann auch noch dankbar annimmt. Aber es ist jetzt wenigstens klar, warum Knecht so handelt: Würde Tegularius Selbstbewusstsein aufbauen, könnte er sich vielleicht mal gegen die Obrigkeit durchsetzen. Und das wäre der Untergang des Kastaliens, das Knecht in so hohen Ehren hält. Also zumindest der Anfang davon.
Und leider,
leider wird uns zwischendurch und gegen Ende hin auch mal wieder aufs Brot geschmiert, wie toll der Joschi nicht war, und wie sehr ihn alle verehrt und geliebt haben. *seufz* Und was der nicht alles konnte... *nochmalseufz*
Aber es zeichnen sich nun auch endlich die ersten Sprünge im perfekten Joschi ab. So sehr, wie hier auf seine Großartigkeit gepocht wird, bin ich guter Hoffnung, dass das bald, sehr bald, ein Ende damit hat. Hoffentlich stimmt diese Einschätzung meinerseits.