Hi Cimglett
Ich bin nicht gerade der Profi, was das Fertigstellen von Romanen angeht, doch habe ich es immerhin nach gut zehn Jahren geschafft, mein Romanprojekt zum ersten Mal komplett abzuschließen (d.h. zu einem Ende zu bringen, ohne dass es deswegen schon fertig wäre).
Was ich bei dir heraushöre ist eine Ambivalenz zwischen "einfach losschreiben" und "ich muss doch meinen Roman irgendwie strukturieren, plotten,..."
Ich selbst schreibe nur zum Hobby, so habe ich mir (vor allem am Anfang) viele Umwege erlaubt. Doch mein Anfang lief ähnlich wie bei dir: da war eine Idee - und viele verschiedene Szenen.
Ich mochte dieses Schreiben. Es hatte einen "Flow", der mich jedes mal neu in meine Romanwelt entführte. Und es hatte eine große Freiheit. Doch irgendwann reichte das nicht mehr aus. Ich verzettelte mich. Mein Roman ging nicht mehr richtig weiter. Die Szenen hatten kein Flair.
Ich habe dann alles Mögliche probiert (Stichwort: Umwege). Ich habe die Perspektive gewechselt (von Ich zu Er), ich habe verschieden Erzählpersonen eingeführt, verschiedene Zeitebenen, ich habe mich an einzelnen Szenen verzettelt, die ich möglichst perfekt machen wollte, damit ich eine überzeugende "Erzählstimme" bekam, ...
Das alles war wichtig für mich. Ich lernte dadurch viel über das Schreiben. Meinem Roman hat es leider trotzdem nicht geholfen. So ließ ich ihn erst einmal liegen (nicht die schlechteste Idee) und schrieb eine Reihe von Kurzgeschichten. Ich lernte mehr über das Handwerk (auch immer gut) und setzte mich dann noch einmal an meinen Roman.
Ich entwarf einen Plot mit verschiedenen Höhepunkten und einer Storyline - (Material hatte ich nun ja genug). Dies ging mit dem nötigen Abstand nun viel einfacher. Ich sah die klareren Lininen, dort, wo ich mich zuvor verzettelt hatte.
Ich überarbeitete die ersten 300 Seiten, die ich schon recht weit geschrieben hatte - ich erzählte sie einfacher, ohne viel litarischen Tamtam, dafür aber näher an meinen Personen, die ich durch meine "Vorarbeiten" ja mittlerweile gut kennengelernt hatte - und die letzten 150 Seiten rutschten dann im Anschluss einfach so durch.
Dabei hat mir ein Tipp eines Schreibratgebers geholfen. Er sagt: erst ein Konzept erstellen, und dann schreiben. Aber beim Schreiben das Konzept auch wieder "vergessen".
Genau das habe ich gemacht. Auch wenn das hieß, alte "Stücke", die ich gut fand, wieder wegzuwerfen. Auch wenn das hieß, das Konzept zu verlassen, weil einem beim Schreiben eine andere Wendung eingefallen ist, die einen in diesem Moment mehr überzeugt hat, ...
Gerade diese Mischung zwischen "Planen" und "im Flow schreiben", machte es am Ende für mich aus. Beides ist nötig. Und beides hat seine Grenzen. Zuviel Planung macht das Schreiben langweilig und lässt die Story konstruiert erscheinen. Zuviel Freiheit und Flow, und die Story ufert aus und verliert sich irgendwo.
Von daher kommt es nach meiner Erfahrung auf die richtige Mischung dieser beiden Elemente an. Wie diese Mischung dabei für dich aussieht, musst du selbst herausfinden. Ich glaube, es gibt dafür kein Patentrezept. Jede und jeder schreibt anders. Die eine braucht mehr Planung, der andere mehr Freiheit. Und manchmal ist es nötig, etwas auch einmal ganz loszulassen, weil man sonst zu sehr verkrampft.
Von daher: finde die richtige Mischung für dich. Und wenn es beim ersten Mal noch nicht geklappt hat, sieh dies nicht als ein Versagen an, sondern als ein Lernschritt. Vielleicht braucht es ja auch erst noch ein anderes Projekt - bei dem du neu einsteigen kannst, mit dem Wissen, das nun mitbringst. Und vielleicht kannst du dann - mit dem nötigen Abstand - hinterher auf einmal auch deinen ersten Roman wieder mit Freude weiterschreiben.
Was mich dabei die ganze Zeit über an der Stange gehalten hat, waren neben der Freude am Schreiben vor allem die Personen in meinem Roman. Sie wurden mir immer wichtiger (auch die Nebenpersonen), auch und gerade dort, wo sie etwas völlig Dummes anstellten,...
Von daher mein Tipp: nimm dir Zeit für deine Personen. Sie tragen deine Geschichte. Je besser du sie kennst, umso lebendiger werden deine Szenen, umso mehr Freude macht es dir, diese Szenen zu schreiben, umso leichter fällt es dir, die Story weiterzuführen. Weil dich deine Personen durch deine Geschichte tragen und du sie dabei nur ein Stück auf ihrem Weg begleiten musst.
Dir alles Gute beim Schreiben
Paul