Teufelszeug > Theorie
Figurenentwicklung
Trippelschritt:
Ich dachte, wir hätten dieses Thema schon, aber wenn, dann habe ich es nicht gefunden.
In meiner Ruhewoche habe ich angefangen den Plot für ein neues Projekt zu erarbeiten. Dabei spielen auch die Figuren eine zentrale Rolle. Ich denke über diese Dinge bei der Konzeption schon gar nicht mehr nach. Das hat mittlerweile meine Intuition übernommen. Aber der lausche ich ständig hinterher, weil ich wissen will, wie mein Kopf arbeitet.
Meine Variante neben all den anderen möglichen varianten ist folgende:
Ich entwickle Figur und Plot immer parallel, und es ist nie klar, wer gerade führt.
Hinter der Idee des Grundplots (wo soll es hingehen?) wird die Handlung von den einzelnen
Figurenplots vorwärts getragen. Jede Figur hat also ihren eigenen Strang, der nichts taugt, wenn die Figur blass ist. Und die Figur ist immer dann blass, wenn sie nur vor sich hin eiert.
Ich habe immer schnell einen Figurentyp zur Hand. In meinem Fall ein Bauernmädchen, was eine Kriegerin werden will, ein Fischerbursche, der in eine Falle gelockt wird, ein Außenseiter, der alle anderen auf die Probe stellt usw. Das ist nicht viel mehr als ein Startpunkt.
Dann werden die Wünsche geklärt und dem Potential der Figuren gegenübergestellt. Sie müssen tüchtig sein, denn keine mag totale Deppen. Sie müssen Schwächen haben, denn Superhelden werden auf die Dauer langweilig. Und Schwächen gegen Ambitionen bringen immer Konflikte, und die braucht jeder Plot.
Im nächsten Schritt werden dann die Figuren immer schärfer gezeichnet und das läuft vorwiegend über deren Reaktionen und in Begegnungen mit anderen Figuren.
Ich arbeite also ganz bewusst nicht mit Listen. Bestenfalls bei der Überarbeitung. Und die Frage was zuerst da ist, Plot oder Figur? stellt sich mir nicht.
Vielleicht hilft das dem einen oder anderen.
Aber immer daran denken: Ich gehöre eher zum Typ Bauchschreiber und bin kein Planer.
Liebe Grüße
Trippelschritt
Viskey:
Ich arbeite ähnlich. Für mich stellt sich immer die Frage: Wie komme ich an das von mir angestrebte Ziel? Denn ich hab in der Regel ein ganz klares Ziel vor Augen, wie ein Buch enden soll.
Dann stellt sich mir eben die Frage: Welche Figuren habe ich, um dieses Ziel zu erreichen, und wie müssen die sein? Gerade aktuell: der Mann, der meiner Hauptfigur das Leben versaut, muss a) rücksichtsloser Egomane sein und b) total besessen von meiner Hauptfigur.
Zwischen diesen beiden Eckpunkten seiner Persönlichkeit muss dann alles andere Platz haben. Er wird also nicht der Typ sein, der kleine Kätzchen streichelt und Kinderspitälern einen Batzen Geld spendet - außer, er rechnet sich irgendeinen Vorteil dadurch aus (zB positive Publicity in einem Wahlkampf). Zugleich kann er aber durchaus als angenehmer Zeitgenosse durchgehen, solange ihm das nicht im Wege steht.
Das meiste davon ergibt sich bei mir während des Schreibens, durchaus auch dadurch, dass ich gelegentlich in einer Sackgasse lande. Planen kann ich das aber nicht. Irgendwelche Charaktereigenschaften zu planen finde ich zwar unterhaltsam, führt auch zu interessanten Figuren, aber eben nicht zu denen, die ich für meine Geschichte brauche. Von daher hab ich das aufgegeben.
Parzifal:
--- Zitat ---Meine Variante neben all den anderen möglichen varianten ist folgende:
Ich entwickle Figur und Plot immer parallel, und es ist nie klar, wer gerade führt.
Hinter der Idee des Grundplots (wo soll es hingehen?) wird die Handlung von den einzelnen
Figurenplots vorwärts getragen. Jede Figur hat also ihren eigenen Strang, der nichts taugt, wenn die Figur blass ist. Und die Figur ist immer dann blass, wenn sie nur vor sich hin eiert.
--- Ende Zitat ---
Hi Trippel,
dazu hätte ich mal eine Frage:
"Wenn ein Figur so vor sich hin eiert" Heißt das, dass sie nichts Bedeutendes im Sinne der Literatur macht oder sich sogar wie eine Alltagsfigur (ein Mensch aus der Realität) benimmt? Oder sind das Forderungen, die nur für Fantasy gelten?
--- Zitat ---Im nächsten Schritt werden dann die Figuren immer schärfer gezeichnet und das läuft vorwiegend über deren Reaktionen und in Begegnungen mit anderen Figuren.
--- Ende Zitat ---
Heißt: Du entwickelst die Figuren in den folgenden Dialogen weiter?
Edit: Kannst du mal kurz skizzieren, was für dich Figurenentwicklung genau bedeutet?
- das Aussehen beschreiben
- mittels Dialogen die Weltanschauung verdeutlichen
- die Handlungen beschreiben
Gibt es da gewisse Richtwerte?
So und so muss eine Figur aussehen, handeln und sprechen - sonst ist sie blass und eiert nur rum. :watchout:
Trippelschritt:
Oh ja, zwei gute Fragen, wo man sich missverstehen kann.
Eine Figur, die in einem Roman so vor sich hineiert, ist für mich eine Figur, die zwar eine ganze Menge macht, bei der ich als Leser aber nicht verstehe, warum sie es macht oder in welche Richtung es gehen soll.
"Wenn beipsielsweise ein Autor schreibt, dass Hans-Peter die Kuchengabel mit der linken Hand hebt, argwöhnisch die spitzen Zinken betrachtet, sie dann wieder ablegt und lieber mit der rechten den kleinen Löffel nimmt, dann ist das zwar eine Allerweltshandlung, entscheidend ist aber, ob sie eine Bedeutung oder eine Funktion hat. Und die muss zu erkennen oder oder zu erahnen sein.
Der Wechsel von links auf rechts oder von der Gabel zum Löffel muss eine Bedeutung tragen. Wenn nicht, ja warum hat der Autor uns denn dann davon erzählt.
es überrascht mich immer wieder, wie oft Anfänger bedeutungslose Dinge beschreiben. Das ist nicht nur langweilig, bestenfalls irreführend, es vernebelt auch den Blick auf die wirklich wichtigen Dinge.
Alles, was im Text steht sollte eine Bedeutung haben und sei es nur Atmosphäre erzeugend.
Frage 2
Figuren entwickeln bedeutet aus der Perspektive des Autors, eine Figur zu erfinden, die aus einer diffusen Idee zu einem reichhaltigen mehrdimensionalen Charakter wird.
Bitte das nicht mit der Entwicklung einer Figur (sich verändern) im Verlauf der Geschichte verwechseln.
Die Figurenentwicklung ist ein schwieriger Weg für jeden Autor. Selbst der von mir so geschätzte Neil Gaiman, erschafft meistens nur grandiose Antagonisten. Seine Protagonisten bleiben oft vergleichsweise schwach.
Beispiel: Ich will einen Industriemagnaten in einem Wirtschaftskrimi. Mittelalt (damit er noch Weiber aufreißen kann, aber nicht mehr ganz jung, denn er muss sich seinen Erfolg ja bereits erarbeitet haben), Yacht, Rennpferde, Luxusautos mit und ohne Chauffeur, damit jeder sieht, wieviel Geld er hat).
Wenn ich so weiter mache, bleibe ich schnell im Klischee eines mittelmäßigen Filmdrehbuchs stecken.
Was ist an dieser Figur denn interessant? Das ist ein Kotzbrocken, reich und mächtig. Punkt.
Anders sieht es aus, wenn er sein geld nur macht, weil er auf der Suche nach der großen Liebe keinen schritt vorwärts kommt. Auch keine grandiose Idee, aber immerhin knapp am Klischee vorbei. Wenn er jetzt aber mit dem Blumenmädchen was anfängt (noch in der Erwartung), mit ihr aber scheitert, weil seine Geschäfstführerin besser zu ihm passt, dreht sich wieder alles. Und wenn die für ihren gelähmten Bruder sorgen muss und daher keine kalte Hundeschnautze ist, sondern eine Frau mir Herz, dann sind wir aus allen Klischees raus.
Und das geht in Fantasy, Alltag, Wirtschaftswelt, Krimi, Halbwelt etc. pp.
Alles klar?
Trippelschritt
Parzifal:
--- Zitat ---Alles klar?
--- Ende Zitat ---
Klar, wie dicke Tinte. :glotz:
Im Ernst: Verständlich erklärt. :klug:
Navigation
[0] Themen-Index
[#] Nächste Seite
Zur normalen Ansicht wechseln