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Realitätsflucht?

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Haramis:
Einwurf zum Nachdenken:
Wenn ich wirklich etwas zu sagen habe als Autor, beschäftige ich mich dann nicht automatisch mit Missständen irgendeiner Art - global, persönlich, wie auch immer?  :gruebel:

Sonst ist es doch nur Blabla ...

Sirius:

--- Zitat ---
--- Zitat von: merin am 06 August 2014, 17:01:51 ---
Außerdem hat Kunst eine Funktion in der Gesellschaft. "Unterhalten" ist schön und gut, aber "verändern" ist nach meinen subjektiven Wertmaßstäben besser.

--- Ende Zitat ---

--- Ende Zitat ---

das klingt so ernsthaft und pflichtbewusst und ist eine Seite des Lebens.
Doch ich meine, dass Träumen und Harmonie, Sanftheit und Lächeln ebenfalls eine wichtige Lebensseite ist, die nicht vernachlässigt werden sollte.

Mooncat:
Nun ja, zu der Meinung von Fachexperten kann ich nichts sagen. Und zu Märchen sowieso nur bedingt etwas, da ich damit nur wenig Berührung habe.

Realitätsflucht ist aber allgemein ein gutes Stichwort in der Literatur. Oder besser gesagt bei Geschichten/Handlungen allgemein, denn derselbe Trend spiegelt sich leider, leider auf in der Filmwelt.
Egal was jetzt die Fachwelt sagt, der Trend geht meiner Meinung nach schon in die Richtung, wie Sirius sie beschrieben hat. Eine Geschichte mit wenig Drama drin hat per se schon mal einen schweren Start. Mir scheint, je länger wie mehr 'sollen' Geschichten wenn nicht schon viel Drama/Action, dann wenigstens möglichst viel Innenleben haben. Zum Nachdenken bringen, wie Bateman schon gesagt hat.

Schlussendlich ist es eine Geschmacksfrage, denn sorry, leider bleibt da der Unterhaltungsfaktor immer häufiger auf der Strecke. Gerade bei Komödien. Entweder sind sie nur noch völlig unten durch mit dem Humor, schlichtweg nicht lustig oder dann eher Tragikkomödien als was zum Lachen und Unterhalten. Wogegen ich nichts habe, Humor ist verschieden und Tragikkomödien gehören nicht selten mit zu den besten Filmen, aber ich hätte genauso gern zwischendurch die Möglichkeit, eine gute, neue, lustige Komödie zu sehen und nicht auf die Komödien aus den goldenen Hollywoodjahren zurückgreifen zu müssen. Welche man aber wenigstens immer wieder schauen kann und sich dabei immer noch göttlich amüsieren kann. Das bieten heutige Komödie kaum noch und nur wenige schaffen es bei mir noch auf die Wiedersehliste, geschweige denn Haben-wollen-Liste. Was jammerschade ist. Und bei Märchen ist es ähnlich. Für einmal sehen wunderbar, aber mehr ... Brauche ich nicht unbedingt.

Bei Kinderbüchern kann ich nur bedingt vergleichen, da ich die neuen weniger gut kenne als die alten, aber mir ist es gerade vor kurzem passiert, dass ich ein Kinderbuch für mein Patenkind besorgt habe (stand auf der Wunschliste der Eltern, weil es so viel gerühmt wurde) - und es war liebevoll gemacht und eigentlich ganz gut - bis der Schluss kam, mit dem Nachdenk-Hammer. Verdirbt die ganze Geschichte und ist, Wunder-oh-Wunder, jetzt auch eins der Bücher, das meistens im Schrank stehen bleibt.

Übrigens ist es aber auch eine Frage der Zeit. Als Kind habe ich eine Reihe geliebt, Pucki von Magda Trott. Ich glaube, das waren mit die ersten Bücher, die ich von meinem eigenen Taschengeld selbst bezahlt habe. Heute wird die Serie relativ verpöhnt, weil sie die Frauenrolle zu erzkonservativ darstellt. Was nüchtern betrachtet auch stimmt, schon zu meinen Kinderzeiten. Aber nichts daran ändert, dass die meisten Geschichten zauberhaft sind und hervorragend unterhalten. Übrigens umso mehr interessant, weil Magda Trott tatsächlich eine der Mitstreiterinnen für das Frauenrecht war, was sich in anderen Werken von ihr ganz gut zeigt.
Ein ähnlich gelagertes Beispiel ist Else Ury, die Autorin der Nesthäckchen-Reihe. Ihr wird heute auch Realitätsflucht nachgesagt. Was, wenn man ihre (tragische) Geschichte kennt, sicher auch ein berechtigter Vorwurf ist. Aber auch hier: na und? Trotzdem sind es wunderbare Geschichten, die bis heute überlebt haben und immer wieder Herzen erfreuen.
Also gut, ich habe Geschichten, die mich als Kind bezaubern und Autorinnen, die mich als Erwachsene faszinieren. Was daran soll also 'falsch' sein?

Sorry, aber das ist ein Punkt, der mich schon lange nervt. Ich bestreite nicht, dass es wie immer auch bei schönen, lustigen, Happy-End-Geschichten gewisse Konflikte, Abenteuer oder Action braucht. Aber nein, bitte nicht immer in die Tiefe der menschlichen Psyche abtauchen wollen! Ein wilder Ritt im Speedboat über die Wellen bleibt vielleicht an der Oberfläche, aber er ist kurzweilig und vor allem Dingen macht Spass! So wie andere die gemütliche Fahrt im Panoramaschiff geniessen.

Warum also nicht Prinz trifft Prinzessin, verliebt sich in die ärmere oder jüngere, wird von böser Schwester an noch böseren Oberlord verkauft, Rettung, Heirat, Happy End.
Vor 50 Jahren befreit der strahlende Held sie, heute eilt er zu ihrer Rettung aber sie hat sich schon selbst gerettet und in 50 Jahren rettet vielleicht sie ihn oder der Oberlord lässt sie nach harten Verhandlungen von sich auch gehen - solange die Geschichte gut erzählt ist, man sich in das Prinzenpaar verlieben kann und he, vielleicht sogar ab und zu lachen oder schwelgen kann, ist das genau so gut wie wenn die Prinzessin von Terroristen erschossen wird, der Prinz zum Freiheitskämpfer wird und später dann seine Taten bereut und ins Kloster geht um über Sinn von Leben und Tod und das ganze Weltengefüge nachzudenken.
Beides unterhält, die einen mehr das eine, die anderen mehr das andere, aber unter dem Strich braucht es beide, denn beide Richtungen haben ihre Fans und Anhänger. Die Lager tendieren einander abschätzig abzutun, gehört anscheinend mit dazu, was mich noch mehr stört als der Trend an sich. Die einen schimpfen die anderen realitätsfremd, blauäugig oder naiv, die anderen dürfen sich snobistisch, elitär und arrogant anhören.

Müsste nicht sein. Da es nun mal aber so ist hoffe ich einfach, dass das Pendel jetzt dann bald so weit auf die eine Seite geschwungen ist wie es kann und dann bald wieder anfängt, zurückzuschwingen.

Parzifal:

--- Zitat ---@ Parzifal,
diese überlieferten Märchen wurden bei der Diskussion nicht genannt. Denn diese alten Märchen sind ja mündliche und später schriftlich festgehaltene Erzählungen, die seinerzeit vor einem bestimmten sozialen und kulturellen Hintergrund entstanden sind - das, was sie aussagen, kann auch heute noch Gültigkeit haben.
--- Ende Zitat ---

Okay!


--- Zitat ---Es wurden die Schriftsteller genannt, die es in der näheren Vergangenheit und Gegenwart "wagen", märchenhafte Erzählungen zu schreiben. Wie z. B. seinerzeit Michael Ende von Kritikern als Schreiberling für Kinderkram bezeichnet wurde. Er hatte eine wundervolle Phantasie, hatte etwas zu sagen und mit der Risikobereitschaft eines Verlages wurden seine Bücher zu großen Erfolgen.
--- Ende Zitat ---

Also ich habe Momo gelesen, von Michael Ende. Und ich muss sagen, der Hintergrund dieser Geschichte ist mehr als ernst. Die "grauen Herren" sind die Börsenspekulanten, die mit den Wertschöpfungen der Menschen Schindluder treiben. In Endes Geschichte tun sie etwas dagegen; wir machen nichts. Mir kommt diese Geschichte so vor, als wollte uns M. Ende damals vor den Zuständen warnen, die wir heute haben. Graue Herren, die in ihrer Gier und Skrupellosigkeit die ganze Welt lahm legen können (die nächste Finanzkrise wird es zeigen) Reicht das als ernsthafter Hintergrund, oder ist das für dich nur eine erbauliche Kinder und Große-Kinder-Geschichte?  ;)

Fazit: Gute Literatur, egal welches Genre, hat mMn immer einen ernsten Hintergrund und ein Anliegen. Selbst die Komödie ist die humorvolle Verarbeitung einer ernsthaften Angelegenheit. Aber Literatur ist keine Institution, die die Pflicht hat, Missstände abzuschaffen - das ist die Baustelle von anderen Institutionen.  :klug:

Eluin:

--- Zitat von: Parzifal am 06 August 2014, 18:09:30 ---Also ich habe Momo gelesen, von Michael Ende. Und ich muss sagen, der Hintergrund dieser Geschichte ist mehr als ernst. Die "grauen Herren" sind die Börsenspekulanten, die mit den Wertschöpfungen der Menschen Schindluder treiben. In Endes Geschichte tun sie etwas dagegen; wir machen nichts. Mir kommt diese Geschichte so vor, als wollte uns M. Ende damals vor den Zuständen warnen, die wir heute haben. Graue Herren, die in ihrer Gier und Skrupellosigkeit die ganze Welt lahm legen können (die nächste Finanzkrise wird es zeigen) Reicht das als ernsthafter Hintergrund, oder ist das für dich nur eine erbauliche Kinder und Große-Kinder-Geschichte?  ;)
--- Ende Zitat ---

Für mich persönlich spiegeln diese Grauen Herren auch ihren eigentlichen Sinn wieder. Sprich Zeitdiebe. Schau dir doch mal die heutige Zeit an. Wie hektisch alles wird. Muss das sein?
Wo bleibt denn da die Zeit, um einfach mal etwas nettes zu lesen. Ständig muss es "Sinn" haben. Am besten auch noch in der Freizeit beim Lesen. Kein Wunder, dass dann so etwas wie Burn Out und Co zum Alltag gehören. Man bekommt ja nirgendwo Ruhe oder einen Rückzugsort.

Ich denke manchmal muss dieser ernste Hintergrund gar nicht so extrem im Vordergrund stehen. Vieles wirkt doch sowieso über das Unterbewusstsein. Und andersherum finde ich es auch nicht schlimm, wenn ich diesen Hintergrund mal nicht finde.

Aber bei den meisten Geschichten und Büchern die ich in den letzten Jahren gelesen habe, ist irgendwo ein Funken drin, der zum Nachdenken anregt, auch wenn ich die Bücher noch zu unterhaltsam finde. Es muss nicht alles mit dem Holzhammer funktionieren...

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