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Literatur - Christa Wolf - Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud
(1/1)
merin:
Schon beim Threadtitel muss ich die Regel brechen - ich habe beim besten Willen keine Ahnung, welches Genre dieses Buch hat. Es ist autobiographisch - aber keine Autobiographie. Es enthält Erinnerungen - aber Erinnerungsbuch ist kein Genre, oder? Also ist es wohl einfach Literatur, so richtig ernsthafte. ;)
Inhalt
Christa Wolf, mittlerweile 80 Jahre alt, erzählt von ihrem Stipendium im Getty Center in Los Angeles (also in der Stadt der Engel). Zum Stipendium gehört der Aufenthalt in einem hotelartigen Haus, zusammen mit anderen Stipendiaten, und ein Büro. Es ist Anfang der 1990er und sie ist die einzige Deutsche.
Ich habe für mich drei Handlungsstränge herausgefiltert:
1.) Wolfs Aufenthalt, ihre Erfahrungen in L.A., ihre Begegnungen (vor allem mit einem Philisophen)
2.) Wolfs Arbeitsauftrag: Sie sucht nach L., der Brieffreundin einer verstorbenen Freundin, einer jüdischen Psychoanalytikerin, die nach Amerika auswanderte
3.) Wolfs biografisches Nachdenken darüber, wie sie die DDR und die Wendezeit erlebt hat. Und wie es kommt, dass sie vergessen hatte, dass sie selbst als IM für die Stasi tätig war.
Gedanken dazu
Das Buch ist enorm dicht geschrieben und sehr nah am Erleben Wolfs, sie nimmt die Leserin sehr mit in ihre Gedanken und Gefühle. Mich hat das enorm berührt, auch wie viel Wolf versteht und durchschaut. Als DDR-Sozialisierte, die 1990 jugendlich war, gibt mir das einen anderen Blick auf diese Zeit. Vor allem aber finde ich ganz viel wieder vom damaligen Hoffen und Fühlen, was ich als enormes Geschenk empfinde.
Das Buch lebt nicht eigentlich von Spannung, es fließt eher dahin, regt an und ist alles andere als leichte Kost. Aber es gibt auch ein Spannungselement in der Suche nach L.s Identität, die sich tatsächlich enthüllt. Ich will nicht verraten, wie (das wäre wohl ein Spoiler), aber es verbinden sich verschiedene Fäden.
Was außerdem eine große Rolle spielt ist, dass es in L.A. eine große jüdisch-deutsche Community gibt, die Wolf immer wieder einlädt. Sie hat ja auch den zweiten Weltkrieg erlebt und ich finde es sehr berührend, wie sie beschreibt, wie die Überlebenden Juden der first und auch second generation auf sie zukommen und möchten, dass sie ihnen zuhört. Wolf sammelt (Über)Lebensgeschichten und schreibt sie auf. Die verschiedenen Zeiten deutscher Geschichte werden so in Zusammenhang gebracht. Man spürt Wolfs Ringen, ihre innere Not, den Versuch einen Umgang zu finden mit der eigenen und mit der deutschen Vergangenheit. In L.A. ist das alles sehr fern und sie wird wenig verstanden. Das macht sie sehr einsam, andererseits kommt sie immer wieder in Kontakt mit anderen einsamen Menschen. Und auch diese zarten, sanften Schilderungen von Begegnungen habe ich sehr gemocht.
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