Inhaltlich passiert in diesem Kapitel herzlich wenig, wenn man nur oberflächlich auf Handlung sieht.
Ins Amt gewählt wurde Josef ja schon im Kapitel davor. Jetzt sehen wir Josef Knecht dabei zu, wie er sich in die Rolle hineinfindet. Und da gibt es dann doch ein paar Stellen, die ich sehr interessant gefunden habe.
Interessant als erstes, so als allgemeiner Eindruck des Kapitels: Er fügt sich mal wieder bestens in die Rolle, die ihm zugedacht wurde. ABER zum ersten Mal tut er das nicht blind und allein auf seinen Instinkt vertrauend, sondern wohlüberlegt und sich seiner Situation bewusst. Das finde ich nach all dem Gary Stu, das mich beim Glasperlenspiel so nervt, echt erfrischend.
Als zweites liest sich "Im Amte" zum Teil wie eine Liebeserklärung an das Glasperlenspiel, das aber seinen Zenit bereits überschritten hat, wie wir hier erfahren. Die Welt - und selbst die Kastalier, wie es scheint - ist nicht mehr so fasziniert und beeindruckt, wie sie das einmal war. Trotzdem hält Knecht eine flammende Rede für das Spiel
Auch die Elite, die hier schon oft zur Diskussion gestanden ist (
), verteidigt er voller Leidenschaft. Beides scheint (nur noch?) rein zum Selbstzweck zu existieren, woran sich Knecht aber nicht stört. Im Gegenteil, er findet es gut. - Für ihn scheinen diese beiden Dinge - Glasperlenspiel und geistige/intellektuelle Elite - der Kern Kastaliens zu sein, das, was Kastalien ausmacht.
Und das finde ich tatsächlich gut. Endlich einmal bekennt sich Knecht zu etwas, offen und direkt, statt ewig herumzueiern und sich herumschieben zu lassen. - Wobei letzteres schon im Kapitel davor besser geworden ist.
Mir gefällt auch, dass hier eine Rede
für den Selbstzweck gehalten wird. Ich finde es ermüdend, in der heutigen Zeit, dass alles einem bestimmten Zweck dienlich sein soll. Wie das damals war, als Hesse das geschrieben hat ... keine Ahnung, ob es damals auch schon so war. Da wissen andere vermutlich besser Bescheid. Ich finde diese Rede und das Befürworten des Selbstzwecks sehr befreiend.
Bedenklich finde ich dann allerdings wieder den Teil, wo sich Knecht immer jüngeren Schülern zuwendet, und sich Schüler wünscht mit
... noch offeneren, bildsameren, erziehbareren Schülern
Warum das? Weil er seine eigenen Leute, die Kastalier, unbewusst leid ist? Oder will er sie möglichst früh "einfangen", um sie zum gleichen Leben heranzuziehen, das er führt? Wobei ich zu ersterer Interpretation tendiere, denn es heißt ja später, dass er von Gelehrten und Studierten umgeben und vom "einfachen Volk" ferngehalten wird.
Interessant auch, dass der alte Musikmeister offenbar den gleichen Wunsch hegte und - im Rahmen seiner Möglichkeiten - auslebte.
Und das ist natürlich der zweite, große Punkt, der dieses Kapitel ausmacht: Der alte Musikmeister. Der wird hier vom Großherzigen Gönner und Förderer noch einmal gesteigert, zum Verklärten, gar Heiligen. Da diese Entwicklung so lange und ausführlich vorbereitet wird, gehe ich davon aus, dass sie sehr wichtig ist, weiß aber (noch) nicht, wofür. Da lass ich mich mal von den weiteren Kapiteln überraschen.
Und Tegularius rückt auch wieder in den Fokus, und zum ersten Mal bekommt er für mich auch ein Gesicht, eine Persönlichkeit. Und er tut mir leid. Weil er Knecht all diese guten Dinge zuschreibt, die lediglich Zufall waren. Und er lässt sich auch mit Freuden von Knecht einspannen, das Spiel für die jährliche Feier zu planen ... und für viele folgende ebenfalls. Und er begnügt sich mit dem Wissen, dass er daran beteiligt war. Für mich bis jetzt der sympathischste Typ im ganzen Buch.