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VL1: Das Glasperlenspiel Kapitel 6 Magister Ludi

(1/1)

merin:
Ich gebe zu, ich habe mich schwer getan mit diesem Kapitel. Der Einstieg war für mich okay, aber zwischendurch habe ich mich so gelangweilt, dass ich das Buch am liebsten meinem mit mir in der U-Bahn sitzenden Gegenüber vor die Füße geworfen hätte. Da ich mich aber um gesittetes Benehmen bemühe, auch wenn ich kein Elitemensch bin, habe ich weiter gelesen. Und kann euch daher verraten, was in Kapitel 6 steht.

Knecht kommt zurück nach Waldzell und ist dort zunächst Gast. Er kommt als Fremdkörper zurück und besucht die großen Spiele. Knecht bekommt mehrfach zu spüren, dass er Gast ist, er hat wenig zu tun und alle behandeln ihn wie einen Fremden. Nur sein alter Freund freut sich und nimmt ihn auf.
Knecht wird nicht vom Magister begrüßt, sondern von dessen Stellvertreter und das nicht mal herzlich. Er wundert sich und steigt dann aber durch die Gründe dieser Sache: Der Magister Ludi ist ernstlich erkrankt und sein Stellvertreter wird ordentlich gemobbt, wie man heute sagen würde. Der Stellvertreter ist also in einer Krise und legt diese Knecht auch offen. Er gerät kurzfristig in die Position, ohne die Unterstützung der Elite die Spiele leiten zu müssen - und kann nicht gewinnen. Obwohl er alles formal gut und richtig macht, sind die Spiele überschattet und ihm wird keine Anerkennung zuteil. Als dann der alte Magister stirbt (ohne, dass Knecht ihm noch einmal begegnen kann), ist sein Stellvertreter endgültig gestorben. Zunächst nur im übertragenen, dann auch im realen Sinne: Er muss Waldzell verlassen und taucht nie wieder auf.
Dann kommt Tegularius und steckt Knecht, dass er der neue Magister werden wird. Hier gibt es eine überraschende Wendung - die auch wieder gar nicht überrascht. Knecht verhält sich nicht etwa, wie ein heute normaler Mensch es tun würde, und führt mit dem Freund einen aufgeregten Freudentanz auf und freut sich über den neuen Job. Nein, er weist den Freudn von sich, kappt die Beziehung und beginnt, in seinem neuen Leben als König aufzugehen. Und das macht er offenbar ganz gut. Er wird gewählt und gerät in ein Netz vollkommener Kontrolle: Ein auch Einpauker genannter Mensch dirigiert ihn durch seinen Tagesablauf (so etwas wie Freizeit gibt es nicht) und ein Meditationslehrer hilft ihm dabei, das durchzustehen. Zum Schluss kommt er verwandelt hervor und ist der Magister.
Um wirklich Magister zu sein, muss er vor den Kollegen bestehen, die ihn permanent testen. Er besteht und sie erkennen ihn als Obersten an. Seinen Schatten nennt er, eingedenk des Schicksals des vorigen Stellvertreters, nicht selbst, sondern lässt die Gemeinschaft ihn wählen. (Ich frage mich, ob er hier nicht Tegularius schützt, damit er nicht den selben Weg gehen muss, wie Bertram.) Außerdem muss er, um Magister zu sein, in die totale soziale Isolation gehen. Das wird durch sein Weggehen aus Waldzell gut vorbereitet. Er hat nur noch eine wirkliche Bindung und die schneidet er ab. Dadurch wird er vom Individuum zur Figur.

Man sieht an meiner Zusammenfassnung schon, was mich hier so am Weiterlesen gehindert hat: Ich finde das, was hier passiert, enorm grausam. Knecht wird seines letzten Rests an Individualität und Privatheit beraubt. Ich will hier mal ein Zitat einfügen:


--- Zitat ---Wohl war das Härteste überstanden, es gab wieder Spaziergang und Musik (...). Allein, diese Annehmlichkeiten alle würden einem anders zugute kommen, nicht dem bisherigen josef, der sich für einen beflissenen Glasperlenspieler und einen leidlich guten Kastalier gehalten hatte und doch so ohne Ahnung vom Innersten der kastalischen Ordnung gewesen war, so harmlos eigensüchtig, so kindlich spielerisch, so unvorstellbar privat und verantwortungsfrei gelebt hatte.
--- Ende Zitat ---

Ich finde diesen Absatz einen einzigen Euphemismus. Denn Knecht war ja vorher schon sehr beschränkt, unterlag einem rigiden Verhaltenskodex. Nun wird das Korsett noch enger geschnürt, Knecht verwandelt sich noch einmal (wie durch eine Initiation): Der private Rest von ihm muss sterben und hervor kommt der ideale Herrscher. Knecht geht diesen Weg. Dabei scheut er nicht vor Grausamkeit zurück (seinen Freund fallen zu lassen - um ihn später wieder aus der Ecke zu holen, aber das kommt im nächsten Kapitel). Und er erlebt die Grausamkeit des Ordens: Bertram, der Stellvertreter seines Vorgängers, hat versagt aus Gründen, die ihm unbekannt sind. Er verliert die Anerkennung der Elite und somit jegliche Lebensberechtigung. Als einziger Ausweg bleibt ihm der Suizid. Ich nehme an, dass wir hier einen Ausblick auf Knechts Ende haben: Er muss entweder total funktionieren - oder er muss sterben.

Interessant ist, dass wir inhaltlich fast nichts erfahren: Was in den Sitzungen besprochen wird? Keine Ahnung. Wie das Spiel nun wirklich geht? Keine Ahnung. Was nun das neue ist, das Knecht über die Stellung des Ordens in der Welt erfährt? Keine Ahnung.
Warum ist das wohl so? (Keine Ahnung. :biggrin:)

Morwen:
Hallo merin,

die Art wie diese "geistigen Elite", den "Schatten" hat auflaufen lassen, hätte bei mir auch gereicht, ernsthafte Zweifel an der wunderbar gottgebenen Hierarchie im Orden zu sähen - wären sie nicht sowieso schon da gewesen. Zwar hat die Elite kein Amt, aber Macht und die missbrauchen sie - nicht anders als es eigensüchtige Politiker in der Welt da draußen auch täten.

Dein Zitat finde ich sehr interessant. Ich stelle mal eins aus "Die Mission" dagegen:

--- Zitat ---..was einst selbstverständlich und erlösend gewesen wäre, ein Jubelschrei .., ein schwebend rhythmisches Dahintanzen - es ging nicht mehr, .. es wäre dumm und kindisch gewesen. Er spürte, daß er ein Mann sei, jung im Gefühl und jung an Kraft, aber in der Hingabe an den Augenblick ...nicht mehr geübt, nicht mehr frei..
--- Ende Zitat ---

Ich habe jetzt auch mehrfach darüber nachgedacht, warum ich den "Entwicklungsroman" so schwer herauslese. Ich vermute, weil mir die Entwicklungsschritte so fremd sind. Das "Erwachsenwerden" ist ein harter Bruch. Alles Spielerische, Spontane muss an der Türschwelle abgegeben werden. Das passt einfach nicht mehr ins Zeitalter der "Work-Life-Balance", wo Manager in ihrer Freiziet an LAN-Parties teilnehmen oder in einer Rockband spielen können. Ich bin mir aber unsicher, wieviel davon  mit dem ganz "normalen" Männerbild jener Zeit übereinstimmt oder ob es im Orden tatsächlich nochmal deutlich verschärft ist.

Und dass sich Knecht (zumindest so wie es der Erzähler schildert) diesen Regeln ohne Murren unterwirft, macht ihn mir auch fremd, wenig nachvollziehbar. Natürlich ist er von klein auf in der Erziehung des Ordens gewesen. Wenn ich das weiter denke, bin ich ganz schnell bei Orwells Big Brother und wieder in einer Dystopie. Obwohl es in Kastalien durchaus auch positive Ansätze gibt. Aber was nützt es, wenn (fast) alle glücklich sind, wenn keiner ein Individuum ist?

merin:
Morwen ich habe ganz ähnliche Gedanken. Zumal mir kaum jemand glücklich zu sein scheint. Im nächsten Kapitel gibt es einen scheinbar glücklichen, aber der ist so entrückt, dass ich es auch nicht recht gelten lassen kann.

Viskey:
Was ich an diesem und dem folgenden Kapitel nicht verstehe, ist was Strukturelles: Warum sind das zwei Kapitel? Für mich hängen die zwei inhaltlich so zusammen, dass es fast unmöglich ist, sie getrennt voneinander zu betrachten. Dir ging es so, merin, und mir bei "Im Amte" ebenfalls.

Ich frage mich daher, warum Hesse da zwei Kapitel draus gemacht hat. :dontknow:

merin:
Das habe ich auch nicht recht verstanden.

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