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VL1: Das Glasperlenspiel Kapitel 5 Die Mission
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Morwen:
Das Kapitel "Die Mission" setzt das fort, was in "Zwei Orden" begann. Im Zentrum des Kapitels steht die Beziehung zwischen Knecht und Bruder Jakobus. Mehr noch als im vorherigen Kapitel wird deutlich, wie sehr Jakobus an der Formung des Weltbildes beteiligt ist, das den jetzt nicht mehr jugendlichen Knecht prägt.
Das Kapitel beginnt aber zunächst damit, dass Knecht in die Heimat abberufen wird. Was ihm als Urlaub angekündigt wird, dient jedoch überwiegend anderen Zwecken. Er wird "mit der gesamten Ordensbehörde und mit der Mehrzahl der Magister bekannt" gemacht. Er erfährt, dass es bei seiner Entsendung darum ging, die Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und Kastalien zu vertiefen und schließlich vielleicht zu einer Ständigen Vertretung im Vatikan zu kommen. Hierfür soll Knecht die Unterstützung des Pater Jakobus erringen. Knecht nimmt den Auftrag an, erbittet sich aber eine Zusage, nicht nach Rom gehen zu müssen. Hiermit folgt er dem Rat seines Mentors, der ihn vorwarnte:"ich glaube man will dich einfangen. Wehre dich, du hast das Recht dazu." Somit stellen sowohl Knecht als auch der Musikmeister die in Kastalien vorherrschene These in Frage, dass die Oberen des Ordens besser entscheiden könnten, an welchem Platz jemand eingesetzt wird, als der Betreffende selbst.
Auf den ersten Blick spielt Jakobus die Rolle des Plinio: ein Vertreter der Außenwelt, gegen den Knecht die kastalische Lebensweise verteidigen muss. Und doch ist alles ganz anders. Anstelle öffentlicher Streitgespräche zwischen Schülern mit rein angelesenem Wissen haben wir hier jemanden, den Knecht - mit der Zeit mehr und mehr - bewundert. Hier geht es nicht darum, in einem Streit zu gewinnen, sondern dem Gegenüber die eigenen Überzeugungen und Lebensweisen näherzubringen, um dadurch ein besseres gegenseitiges Verständnis zu erreichen. Oft spricht Jakobus Dinge aus, die auch ich als Leser ähnlich empfunden habe,. z.B. : "ihr messet das Gewicht der Vokale in einem alten Gedicht und setzt seine Formel zu der Planetenbahn in Beziehung. Das ist entzückend, aber es ist ein Spiel" oder "Ihr kennt ihn nicht, den Menschen .. Ihr kennt bloß den Kastalier, ... einen aparten Züchtungsversuch". Widerlegt wird keine dieser Äußerungen. Aber da die wachsende Sympathie Jakobus' für die "kastalische Lebensart" so weit geht, dass er schließlich sogar als Freund des Glasperlenspiels bezeichnet wird, scheint ihn Knecht wohl irgendwie umgestimmt zu haben - wenn nicht mit Argumenten, dann vielleicht durch sein Charisma? Jedenfalls schmälert Jakobus' Begegnung mit Tegularius, der hier als Musterbeispiel jenes überzüchteten Kastaliers auftritt, nicht dessen Wohlwollen für Knecht und Kastalien. Knecht ist aber von Jakobus ähnlich beeindruckt wie umgekehrt. In einem Brief an Ferromonte schreibt er, die Zeit im Kloster habe seinen Horizont erweitert. Dazu trägt sicher auch bei, dass Jakobus eben nicht nur ein Gelehrter, sondern "ein Erlebender und Mitschaffender" ist: "er war am Geschehen seiner Zeit mittätig, mitschuldig und mitverantwortlich".
Wir haben hier nach wie vor eine Erzählweise, die alle Möglichkeiten eines auktorialen Erzählers voll ausschöpft. Mal wendet sich der fiktive Autor direkt an den Leser und reflektiert auf einer Meta-Ebene über das Unterfangen, diese Biografie zu schreiben, dann ist er wieder in Knechts Kopf, um uns seine Gedanken mitzuteilen. Oder er erläutert uns in einem Exkurs die Unterschiede zweier Spielmethoden im Glasperlenspiel.
Beispiele für die kuriosen Wissensgebiete, mit denen man sich in Kastalien zu beschäftigten pflegt, finden sich hier auch wieder. Mir gefiel "die alchemistische Bedeutung der Tierkreiszeichen" besonders, weil es so schön zwei gleichsam "unverzichtbare Wissenschaften" verknüpft. :biggrin:
Erwähnenswert ist vielleicht noch, dass hier ausgerechnet die Katholische Kirche neben den Kastaliern als Hort der Wissenschaften gefeiert wird. Ironie? Ein Hinweis darauf, dass die kastalische Wissenschaftsliebe sich ebenso andern Idealen unterordnen muss, wie dies in der Kirche der Fall ist?
edit: Kaputten Satz repariert
merin:
Schön hast Du das geschrieben. Ich finde mich darin sehr wider. Vor allem in dem Teil, in dem noch einmal deutlich wird, wie sehr Knecht sich unterordnet. Er wird hin und her geschoben udn als er wagt, sich zu wehren (er will kein Diplomat sein) bekommt er keine Zusage, sondern wird mit Vagheiten auf seine Rolle verwiesen und abgespeist.
Spannend finde ich die Stelle, an der der Erzähler über das Glück fabuliert. Er behauptet, dass Knecht scheinbar alles in den Schoß falle - und setzt damit eine Aussage, die in eklatantem Widerspruch steht zu dem, was ich lese. Ich lese von jemandem, der sich durch Gehorchen hochdient. Und dann kommt die spannende Stelle: dass es kein Glück sei, das Knechts Lebenlauf prägte könnten
--- Zitat ---wir (wir) vernunftgemäß nur durch eine biographische Methode erklären, welche nicht die unsre und nicht die in Kastalien erwünschte und erlaubte ist, mit einem beinahe grenzenlosen Eingehen nämlich auf das Persönlichste, Privateste (...) die Schwankungen und Kurven im Lebens- und Selbstgefühl.
--- Ende Zitat ---
Hier nämlich wird uns erklärt, warum dieses Buch so unpersönlich ist: Weil Persönlichkeit, Intimität in Kastalien ein Makel ist. Kastalien ist die Welt der Abstraktion und vielleicht auch deshalb bleibt das GPSpiel ein Spiel: Weil es versucht, vom Menschenlichen zu abstrahieren. Und das ist, so meine persönliche Meinung, absurd. Hesse probiert hier aus, was geschähe, wenn man versuchte, ganz sachlich zu sein und dabei heraus kommt eine Art Pappcharakter. Knecht erscheint uns nicht als Mensch, sondern als Ideal oder auch Abziehbild. Er wird nicht Akteur seines Lebens, sondern hin und her geworfen und wir glauben das ihm zugeschriebene Charisma, seine Genialität nicht, weil wir sie nicht spüren können. Die Verehrung des Erzählers für Knecht beruht nicht auf persönlicher Beziehung - es ist die Verehrung einer Legende. Und als solche bleibt sie fleischlos und irgendwie beliebig, fade. Die Kastalier kümmern sich nicht um die Menschen, sie betreiben Wissenschaft für die Wissenschaft - auf mich wirkt das reichlich unsozial und egoistisch.
Morwen, du fragtest:
--- Zitat ---Erwähnenswert ist vielleicht noch, dass hier ausgerechnet die Katholische Kirche neben den Kastaliern als Hort der Wissenschaften gefeiert wird. Ironie? Ein Hinweis darauf, dass die kastalische Wissenschaftsliebe sich ebenso andern Idealen unterordnen muss, wie dies in der Kirche der Fall ist?
--- Ende Zitat ---
Ich habe mich das auch gefragt. Es wird in einem Nebensatz erwähnt, dass die wissenschaftlichen Institutionen neben diesen beiden verloren gegangen sind und mir graust es vor dieser Spaltung: eine dumme Welt und daneben Elfenbeintürme, sorgfältig abgeschottet. Und niemand kann vom Wissen des Anderen profitieren: Die Welt weiß nichts von Kastalien, außer komischer Spiele, Kastalien nichts von der Welt. Wozu braucht es denn dann noch Wissenschaft? Macht Wissenschaft als Selbstzweck irgend einen Sinn?
Morwen:
--- Zitat von: merin am 12 March 2014, 17:44:53 ---Schön hast Du das geschrieben
--- Ende Zitat ---
Danke :)
--- Zitat ---Die Welt weiß nichts von Kastalien, außer komischer Spiele, Kastalien nichts von der Welt. Wozu braucht es denn dann noch Wissenschaft? Macht Wissenschaft als Selbstzweck irgend einen Sinn?
--- Ende Zitat ---
Den Gedanken, dass das Glasperlenspiel die Idee der l'art pour l'art von der Kunst auf die Wissenschaften überträgt, hatte ich auch immer mal wieder. Was die da treiben geht über "Unabhängigkeit der Wissenschaften" oder Förderung von Grundlagenforschung ja weit hinaus.
Allerdings gilt dies wohl nur für diese mysteriöse Kerndisziplin. In Kastalien werden ja auch Lehrer für die Außenwelt ausgebildet (wird mindestens mal in einem Nebensatz erwähnt).
merin:
Ja das stimmt. Aber die Besten werden keine Lehrer, oder?
Morwen:
Den Eindruck habe ich auch. Dass das Höchste überhaupt das Glasperlenspiel ist, wird eigentlich immer wieder mehr oder weniger direkt gesagt.
Aber diese Lehrer werden in späteren Kapiteln nochmal erwähnt. Ich denke, da kann man später dann besser darüber diskutieren, wie sie ins Bild passen.
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