21 November 2024, 19:07:49

Autor Thema: Schreib-"Regeln"  (Gelesen 13451 mal)

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Uli

  • Gast
Schreib-"Regeln"
« am: 11 February 2014, 21:04:42 »
ay Teufels,

Mal ganz allgemein: Ich lese immer wieder von irgendwelchen 'Regeln', die es angeblich für das Schreibhandwerk gibt. Oft und gern von Koniferen des Fachs formuliert, und ebenso oft und gern als Argument verwendet, warum irgendetwas 'falsch' sein soll. Und manchmal werden sogar verbindliche Regeln gesucht ...

Mir wird dabei immer etwas kalt um die Nase.
Sicher gibt es Dinge, die sich als nützlich und daher verwendungsfähig herausgestellt haben - Methoden, die einfach funktionieren. Fein. Und andere Methoden funktionieren weniger gut oder eben gar nicht.
Nur: Wenn etwas funktioniert, dann heißt daß keineswegs, daß man es nicht anders machen darf - sondern nur exakt das: Es funktioniert.
Und zwar in dem definierten Rahmen, in dem man festgestellt hat, daß es eben funktioniert - meist also im 'Markt', genauer: Im amerikanischen Massenmarkt.
Was ja OK ist: Schreibe kurze Sätze, weil lange Sätze beeinträchtigen die Verkaufszahl. Vermeide mathematische Formeln, weil jede davon die Auflage halbiert. Lasse den Leser miterleben, das mögen die Leute.
Show, don't tell.
All das ist wahr.

Und es ist kein Gesetz, sondern nur eine Forderung derjenigen, die an Auflagenzahlen denken. Sonst nichts.
Und dazu kommt: Möglicherweise haben Dinge Erfolg, die diesen 'Regeln' nicht folgen - Vielleicht, weil etwas anderes noch besser ankommt, vielleicht, weil irgendwann 'der Markt', 'der Leser' die Nase gestrichen voll hat vom regelkonformen Einheitsbrei, oder vielleicht auch, weil diese Regeln auch nur eine Mode widerspiegeln ...

Es ist ganz OK, wenn jemand zunächst einmal den 'Stand der Kunst' lernt und anwendet - das erspart Umwege, erspart viele Stunden mühevolles Ausprobieren - aber:
Jenseits dieser 'Regeln' gibt es endlose Möglichkeiten. Und die zu verbauen, weil ... Sol Stein oder King oder sonstwer gesagt hat, 'das macht man so!' wäre ziemlich ... dumm.

Natürlich hat es sich bewährt, runde Baumstämme unter eine Last zu legen und einen Ochsen daran ziehen zu lassen. Das Rad ist also falsch, weil es kein runder Baumstamm ist und sich noch nicht bewährt hat. Oder was?

Ryek Darkener

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Re: Schreib-"Regeln"
« Antwort #1 am: 11 February 2014, 21:16:48 »
Ich habe irgendwo einmal gelesen, dass nur derjenige, der die Regeln kennt, auch weiß, wo er sie brechen kann.

Das wäre dann die Kurzfassung. :biggrin:
DSvU-4(5) "Wurzeln und Flügel (AT)": Plotten, Schreiben (demnächst;))

Parzifal

  • Gast
Re: Schreib-"Regeln"
« Antwort #2 am: 11 February 2014, 22:44:35 »
Hallo, werte Autorenschaft!

Zitat
Ich habe irgendwo einmal gelesen, dass nur derjenige, der die Regeln kennt, auch weiß, wo er sie brechen kann.

Guter Satz RD! (wo hast du den nur gelesen?)  :devgrin:

- Ich betrachte die Regeln eines Schreibratgebers nicht als Vorschriften: So, und nicht anders, musst du es machen!  :confused:

- Ich betrachte sie als Hilfen, lese mir das mal durch, probiere es evtl. aus und nehme mir das, was ich für meine Texte brauchen kann. Stephen King oder Sol Stein stehen ja nicht hinter mir und schreien: "Faux pas, so sollst du das aber nicht machen!"  :klug:

Warum soll man nicht von Erfahrungen der besten Leute, die es in dieser Kunstform gibt, profitieren? Ich würde vielleicht Jahrzehnte brauchen, um hinter manche Dinge zu kommen - vielleicht sogar gar nicht. Einer lernt vom anderen, das ist die uralteste Überlieferung von Wissen - die auch heute noch gilt.  ;)

LG, P

Edit:
Zitat
Und zwar in dem definierten Rahmen, in dem man festgestellt hat, daß es eben funktioniert - meist also im 'Markt', genauer: Im amerikanischen Massenmarkt.

Sehe ich nicht so: Bei Schreibregeln geht es ganz unspezifisch darum, allgemeine Mechanismen aufzuzeigen, um die Illusion Literatur herzustellen. 
« Letzte Änderung: 11 February 2014, 23:31:22 von Parzifal »

vulture

  • Gast
Re: Schreib-"Regeln"
« Antwort #3 am: 11 February 2014, 22:52:20 »
Im Grunde ist es doch immer das Gleiche. Egal, ob man Klavier spielt oder den Autoführerschein macht oder eine 747 fliegt.
Zuerst kriegt man von anderen bestimmte Regeln mit auf den Weg, man lernt Grundlagen, schaut sich von Vorbildern bestimme Dinge ab, holt sich Tipps. Bis man irgendwann ein sicherer Klavierspieler / Autofahrer / Pilot ist.

Zu diesem Zeitpunkt hat man die Regeln verstanden, man hat das Konzept dahinter verstanden, man begreift, worum es eigentlich geht und warum man Anfängern diese Regeln beibringt.
Und dann beginnt man, diese Regeln zu hinterfragen. Oder man sieht jemanden, der sie erfolgreich bricht.

Dann beginnt man, zu experimentieren, man macht Fehler, erleidet Rückschläge, entwickelt sich weiter. Man muss schmerzlich begreifen, dass manche Regeln Sinn ergeben, und gleichzeitig erlebt man Situationen, in denen ein Abweichen genau die richtige Entscheidung ist.

Man macht sich eigene Regeln, behält sich andere, die gut funktionieren und verstanden sind, und erreicht so irgendwann den Höhepunkt des Schaffens, der meistens (so Gott oder wer auch immer will) mit Erfolg verbunden ist. Man ist Star-Klavierspieler, Top-Rennfahrer, Flottenchef.

Und dann irgendwann fällt die Kurve wieder. Weil man sich selbst überschätzt, glaubt, absolute Freiheit zu besitzen, und leider zu wenig Leute um sich herum hat, die einem ins Gesicht sagen, dass manche Ideen nicht halb so revolutionär und genial sind, wie man sich das vorstellt.


Um das jetzt aufs Schreiben zu übertragen:

Ja, ich finde, als angehender Autor sollte man die Grundlagen kennen. Sie sind historisch gewachsen, in mehreren Jahrtausenden, in denen Menschen Geschichten erzählt und aufgeschrieben haben. Ich sollte Interesse an ihnen haben, ich sollte versuchen, sie zu verstehen, ich sollte mir Mühe geben, zu begreifen, welchen Effekt sie auf den Leser haben, wie sie meine Geschichten formen können, und warum sie so oft so gut funktionieren.
Und ja, dann kann ich sie brechen.


Auch Picasso musste erst das beherrschen

Bevor das hier kam

felis

  • Gast
Re: Schreib-"Regeln"
« Antwort #4 am: 12 February 2014, 10:38:32 »
*Vulture heftig applaudier*  :klatsch:
Das hast du meiner unmaßgeblichen Meinung nach sehr schön auf den Punkt gebracht.

tintenfalke

  • Gast
Re: Schreib-"Regeln"
« Antwort #5 am: 12 February 2014, 11:51:36 »
Hi vulture, wo kann ich unterschreiben?   :klatsch:

Aus meiner jetzigen Perspektive haben mir Leute wie Sol Stein unheimlich geholfen, mein eigenes Getippsel zu hinterfragen. Was funktioniert in einer Geschichte? Und vor allem, warum? Habe ich das begriffen, kann ich fragen: Aber funktioniert das auch anders? Es waren aber nie die Zehn Gebote für mich, die ein Schreibguru vom Papierberg zu seinem Volk hinabgetragen hat, sondern eher...um bei Ulis Bild zu bleiben...wie Baumstämme unterm Karren. Mittlerweile bastele ich am Rad. Das holpert noch. Denke darüber nach, es rund zu bauen.  ;)
« Letzte Änderung: 12 February 2014, 11:57:23 von tintenfalke »

Fox

  • Gast
Re: Schreib-"Regeln"
« Antwort #6 am: 12 February 2014, 12:10:53 »
Auch ich stimme vulture zu. Bis auf einen Punkt; die Kurve fällt in meinen Augen nicht zwangsweise ab. Beethovens 9te und letzte vollendete Symphonie ist wohl kaum ein Abglanz alten Ruhmes. Goethe vollendete seinen Faust nicht in der Mitte, sondern am Ende seines Schaffens. Die Liste der Beispiele ist sicher lang - allerdings will ich nicht ausschließen, dass man an der eigenen Hybris zugrunde geht. Ich behaupte aber, das ist nicht der Regelfall. Konstantes Auffrischen und Herausfordern der eigenen Fertigkeiten zeigt einem als Künstler oft genug die eigenen Grenzen.

Allerdings muss man sagen; Regeln, wie Uli sie zitiert, wohl mit Absicht auch plakativerweise ausgerechnet solche, sind Floskeln, die den Sinn der eigentlichen Regeln dahinter verstümmeln. Dramaturgische Regeln verfolgen einen Zweck, den man jeweils kennen sollte, und aus ihnen sind im Endeffekt viele Schreibregeln entlehnt. Man kann sie statt als Schreibregeln auch als Werkzeuge verstehen, die bestimmte Wirkungen hervorrufen und sich bewährt haben.

Cheers,
Fox

Trippelschritt

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Re: Schreib-"Regeln"
« Antwort #7 am: 12 February 2014, 12:50:16 »
Ich denke wir sind hier einer Meinung.

Erst wenn jemand aus aus allen Regeln Gesetze macht, dann begeht er einen Fehler.
Aber Gesetze gibt es auch. Sowohl in der Malerei als auch in der Schreiberei.
In der Malerei sind es beispielsweise Gesetze der Perspektive oder die der Farbauswahl (Chemie),
weil verschiedene Farbmischungen unterschiedlich altern und sich so verändern.
Und in der schreiberei ist es die Deusche Grammatik oder die Ortogra-vieh oder wie das Tier heißt.

Aber selbst dann kann man sich immer noch außerhalb des (der) Gesetze(s) stellem und Outlaw-Produkte herstellen.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Wer bin ich, wer war ich, wer werde ich sein?

vulture

  • Gast
Re: Schreib-"Regeln"
« Antwort #8 am: 12 February 2014, 13:40:20 »
@Fox:
Zitat
die Kurve fällt in meinen Augen nicht zwangsweise ab
Hängt wahrscheinlich davon ab, was zuerst kommt: Das Abfallen der Kurve oder der Tod.

Zitat
Goethe vollendete seinen Faust nicht in der Mitte, sondern am Ende seines Schaffens.
Obwohl ich hier ketzerisch anmerken muss, dass Faust Vollendung, also der Tragödie zweiter Teil, in meinen Augen ein erzählerischer Tumor ist, den man getrost hätte weglassen können.


Leon

  • Gast
Re: Schreib-"Regeln"
« Antwort #9 am: 13 February 2014, 14:37:43 »
Ja, ich finde, als angehender Autor sollte man die Grundlagen kennen. Sie sind historisch gewachsen, in mehreren Jahrtausenden, in denen Menschen Geschichten erzählt und aufgeschrieben haben. Ich sollte Interesse an ihnen haben, ich sollte versuchen, sie zu verstehen, ich sollte mir Mühe geben, zu begreifen, welchen Effekt sie auf den Leser haben, wie sie meine Geschichten formen können, und warum sie so oft so gut funktionieren.
 
Und ja, dann kann ich sie brechen.

Hallo Vulture,

du sprichst mir aus der Seele. Besser hätte ich es auch nicht formulieren können. Genauso ist es! Und diejenigen, die am lautesten Schreien: ich pfeife auf die Regeln, ich schreibe experimentell, haben vom Handwerk - wenn überhaupt - nur flüchtig was gehört

L.G.
Leon

Parzifal

  • Gast
Re: Schreib-"Regeln"
« Antwort #10 am: 13 February 2014, 20:05:56 »
 :klug: ... Schwamm drüber ...
« Letzte Änderung: 14 February 2014, 16:56:58 von Parzifal »

Eluin

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Re: Schreib-"Regeln"
« Antwort #11 am: 16 February 2014, 10:43:47 »
Das erinnert mich an meine Anfänge des Schreibens... In zahlreichen Schreibratgebern stand immer "du musst es so und so machen", "du musst erst einen Plot schreiben und dann den Text verfassen". Bis ich begriffen habe, dass das "muss" eine Regel und kein Gesetz ist, hat es gedauert.

Ich habe durch die ganzen "du musst" viele Schreibblockaden bei mir aufgebaut. Vor allem die Regel "du musst erst plotten" war ein zentrales Problem. Ich bin Bauchschreiber. Wenn ich erst geplottet habe, hatte ich keine Lust mehr den Text zu schreiben und es ist Murx geworden. Irgendwann habe ich dann aber verstanden, warum plotten sinnvoll ist, es für mich aber erst nach der Rohfassung funktioniert. Ist zwar mehr Arbeit, aber so kann ich schreiben.

Auch bei anderen Schreibregeln denke ich ähnlich. Man sollte sie, wie schon häufig hier erwähnt, begreifen. Ich denke das ist ein wichtiger Teil, um zu verstehen, wie Texte wirken und wie sie bei anderen ankommen. Dann kann man experimentieren. Beim Experimentieren bin ich aber noch lange nicht angekommen. Ich merke immer noch, dass mir die eine oder andere Regel Probleme bereitet diese so umzusetzen, dass sie in meinem Text funktioniert - bspw. Show don't tell.

Und was Schreib-Gesetze angeht, da kann ich nur Trippelschritt zustimmen: Rechtschreibung, Grammatik und Zeichensetzung sollten da nicht als Schreib-Regeln diskutiert werden.  :biggrin:
[img width= height=]http://nanowrimo.org/widget/graph/eluin.png[/img]

Folge deinen Träumen, denn sie weisen den Weg in die Zukunft.

Dani

  • Gast
Re: Schreib-"Regeln"
« Antwort #12 am: 16 February 2014, 16:18:19 »
Hallo!

Ich beachte beim Schreiben keine Regeln, wo bleibt denn da der Spaß?  ;)
Ich mach einfach alles Falsch, und das mit einer solchen Zuversicht und Professionalität, das es so wirkt als gehörte es so.  :devgrin:
Und wenn meine Schreiberei dann doch jemandem gefällt dann freue ich mich um so mehr!  :biggrin:

Parzifal

  • Gast
Re: Schreib-"Regeln"
« Antwort #13 am: 16 February 2014, 17:59:31 »
Zitat
Ich beachte beim Schreiben keine Regeln, wo bleibt denn da der Spaß?  ;)

Fährst du auf die Art auch Auto?  :watchout:



Edit: Spaßig gemeint!  :biggrin:
« Letzte Änderung: 16 February 2014, 18:06:29 von Parzifal »

Sirius

  • Gast
Re: Schreib-"Regeln"
« Antwort #14 am: 16 February 2014, 18:04:08 »
Jeder Schriftsteller sollte sein "Handwerkszeug" genauso beherrschen wie ein Handwerker. Er sollte wissen, was er damit machen kann und dann entscheiden, ob er es machen will.
Wenn z. B. ein guter Schreiner mit seinem Material und den Werkzeugen gut und professionell umgehen kann, ist er ein guter Handwerker. Erst durch Experimentieren kann er herausfinden, ob er auch ein Künstler ist. Genauso sehe ich das bei einem Schriftsteller. Er kann durch professionellen Einsatz der Regeln gute Erzählungen schreiben oder sich darüber hinwegsetzen, auf seine Phantasie und sein Bauchgefühl hören und schreiben - oft entsteht dadurch etwas sehr Lesenswertes.
Nur meine Meinung - aus Erfahrung.