Federleichtes > virtuelle Lesegruppen
Das Glasperlenspiel Kapitel 4 Zwei Orden
merin:
Ich lese mal noch nicht Eures, ich habe das Kapitel gerade erst begonnen und will nicht spoilern. Aber ich bin auf etwas gestoßen, was mich sehr bewegt und das willl ich hier gleich einbringen. Es geht um die Schulung, die Knecht durchmacht und sein Ankommen im Kloster. Hesse schreibt:
--- Zitat ---Er hatte bei seinem Vorstand Dubois gelernt, sich namentlich in der ersten Zeit seiner Gastrolle nicht als Person, nur als Vertreter Kastaliens anzusehen und Artrigkeiten sowohl wie etwaige Distanzierung nur als Abgesandter zur Kenntnis zu nehmen;...
--- Ende Zitat ---
Bin ich die einzige, die der Name des Vorstands an das Wort "dubios" erinnert? Denn ich finde es in der Tat dubios, wie Knecht hier zur perfekten Marionette wird, zur Maske, die keine Individualität mehr hat. Mich erinnert das an totalitäre Regime, die versuchen, in ihren Organisationen jede Individualität abzutöten. Es geht um das Außen, um "Artigkeit" und Gehorsam.
Immer wieder wird deutlich, dass es zwar offiziellerweile so ist, dass die Neigungen der Schüler über ihren Lebenslauf entscheiden, dass aber real Andere entscheiden: Knecht darf eben nicht tun, was er möchte. Er darf sich nicht nur mit Musik beschäftigen und er darf sich auch nicht einreihen. Er wird zum Führertum gezwungen, obwohl es ihm zuwider ist. Ich denke gleich daran, wie gut so ein Füher zu manipulieren wäre...
Was mich vorher in ähnlich unangenehmer Weise berührt hat, war das Urteil über den Freund Tegularius: Knecht hält ihn fern, es scheint, er hat Angst vor dessen Empfindsamkeit. Und die Freundschaft ist auch wieder keine auf gleicher Ebene, sondern Tegularius himmelt Knecht an. Und Knecht versucht nicht etwa, ihn zu stärken und ihn in Psychotherapie zu vermitteln ;) (ist doch spannend, dass es das nicht zu geben scheint in der Zukunft), sondern er sorgt dafür, dass der Freund auch nach seinem Tode kleingehalten wird, dass er nicht wirklich Verantwortung übernehmen darf. Und da zeigt sich ein mir ganz unsympathischer Wesenszug Knechts: Sich über andere stellen, die eigene Meinung für Gewissheit zu halten, das ihm angezüchtete Elitedenken ganz zu übernehmen. Und ganz unemotional und abgebrüht über die suizidalen Krisen des angeblichen Freundes zu berichten, als sei dieser Studienobjekt und kein fühlendes Wesen.
Ich glaube, Hesse hat Kastalien als Dystopie konstruiert. Als Warnung. Und nun lese ich weiter...
merin:
Und bin mit dem Kapitel fertig. Ich beginne nun, Hesses Roman als philosophisch inspiriertes Gedankenexperiment zu sehen, mit folgenden zentralen Fragen:
- wie müsste jemand aussehen, der der perfekte Mönch wäre?
- wie würde ein Orden ohne Religion aussehen
- Wie wäre ein Herrscher, der nicht herrschen will?
- Wenn man versucht, alles Wissen zu katalogisieren und auf einen zentralen Punkt zu beziehen -welcher Puntk wäre dies?
- Wie sähe der ideale Herrschercharakter aus?
Was mich in dem Kapitel außerdem interessiert hat, war, dass es plötzlich Anspielungen darauf gab, dass Knecht doch ein sexuelles Leben hatte und zwar ein homosexuelles. Er bemerkt, dass sich ein Novize in ihn verliebt und weist ihn ab, weil die Mönche keusch sein müssen und er ihn nicht verüfhren will. Daraus schließe ich, dass er verführt worden ist und andere verführt hat. Aber ich finde es spannend, dass Hesse das so in der Schwebe lässt, wer wohl mit Knecht sexuell verbunden war. Mir ist auch nicht recht klar, wie die Ordensregeln dann strukturiert sind: Warum ist homosexuelle Liebe immer erlaubt, heterosexuelle aber offenbar nur in einer bestimmten Zeit? Und warum gibt es eigentlich nirgends in diesem Universum eine bedeutungsvolle oder irgendwie mächtige Frau?
merin:
So, nun zu Eurer Diskussion.
1. Nicht hinwerfen, bitte!
2. Bitte nicht nochmal Hesse. Ich hab noch einiges andere von ihm gelesen, aber erstmal hätt ich gern was anderes. Außer es soll der Steppenwolf sein... :hehe:
und 3. zum Buch:
--- Zitat von: Parzifal am 01 March 2014, 15:59:44 ---Ich kann bis jetzt nichts Seltsames oder Unpersönliches an dem Roman entdecken.
--- Ende Zitat ---
Nicht? Aber es ist unpersönlich. Un dich bin mittlerweile sogar an einer Stelle, an der der Erzähler das auch genau als sein Ziel benennt. Ich werde im nächsten Kapitel daraus zitieren und versuchen, mir einen Reim draus zu machen.
Mich verwirrt auch genau das, was Viskey gut beschreibt:
--- Zitat ---Trotzdem geht mir die Gary-Stue-igkeit des Josef Knecht langsam echt auf die Nerven. Stolpert in die höchsten Kreise dieses elitären Ordens und des Glasperlenspiels, ohne auch nur einen Hauch von Ahnung davon zu haben, wie begabt er wohl ist. Er stolpert einfach ein bisschen durch die WeltKastaliengeschichte und wird von allen Seiten mit Bewunderung beworfen.
--- Ende Zitat ---
Man glaubt es einfach nicht. Und ich glaube, das hat Hesse absichtlich gemacht. Er setzt uns einen Erzähler vor, dem wir misstrauen. Und das bringt zumindest mich dazu, mich auf jeder Seite zu fragen: was ist hier noch, was uns nicht erzählt wird? Und warum wird es weggelassen? In diesem Kapitel z.B. stoße ich auf die Gewissensbisse Knechts aufgrund des Auftrags von Dubois. Man ahnt schon anhand dessen, wie Kastalien funktioniert und wie der Auftrag gegeben wird, dass das der eigentlich Auftrag ist. Und Knecht ahnt es auch und ihm ist unwohl. Er will nicht spionieren, aber da er nicht unartig sein kann, kann er es nur etwas aufschieben und muss es dann doch tun.
Hier ist auch das erste Mal eine Freundschaft beschrieben, die man sich vorstellen kann. Man spürt die Warmherzigkeit der Männer zueinander - und die Art, wie sie über Sprache Distanz halten. Dabei stoßen wzei rigide Systeme aufeinander: Kastalien und Kloster und beide Männer wissen um die Rigidität ihrer Systeme, die sie zum Leben brauchen. Also sind sie vorsichtig miteinander, um die Gedankengebäude der anderen nicht zu gefährden. So jedenfalls meine These.
Was meint ihr?
Viskey:
--- Zitat von: merin am 12 March 2014, 17:01:01 ---Was mich in dem Kapitel außerdem interessiert hat, war, dass es plötzlich Anspielungen darauf gab, dass Knecht doch ein sexuelles Leben hatte und zwar ein homosexuelles. Er bemerkt, dass sich ein Novize in ihn verliebt und weist ihn ab, weil die Mönche keusch sein müssen und er ihn nicht verüfhren will. Daraus schließe ich, dass er verführt worden ist und andere verführt hat.
--- Ende Zitat ---
Also ich schließe daraus nicht, dass Knecht Sex gehabt hat. Er weiß, was es ist, hat es beobachtet ... Aber für mich kommt der so knochentrocken daher, dass er bisher noch nicht mal daran dachte, sich an so etwas zu beteiligen.
Aber ja, da Hesse das so unausgegoren stehen lässt, kann sich da jeder seinen eigenen Teil denken. ;)
Dani:
Hallo Merin
Wow! Spitze deine These.
Ja das mit der Homosexualität ist mir auch schon aufgefallen.
Ich glaube Hesse will mit seinem Werk in erster Linie auf die Homosexuelle Alltäglichkeit in Männerorden hinweisen.
Er will vielleicht andeuten wie Autoritär so ein Männerorden ist und wie man sich dort nach oben schläft.
In der Zeit in der Hesse lebte wäre so etwas offen zu behaupten ein Skandal gewesen.
Das autoritäre wird auch immer wieder klar wenn Knecht von seinem Fan spricht den er wie du schon festgestellt hast bewusst klein und von ihm abhängig hält das ganze tarnt er auch noch als Besorgtheit.
Vielleicht will Hesse uns mit diesem Werk vor einer Art Überhelden warnen, der zwar schon gute Absichten haben mag aber auch verführt und das nicht immer zum guten.
Und Frauen naja die würden Knechts Welt durcheinander bringen, nicht rein passen, und das möchte Hesse vielleicht auch irgendwie ausdrücken, er beschreibt hier klar ein von Männern geprägtes Regime.
Navigation
[0] Themen-Index
[#] Nächste Seite
[*] Vorherige Sete
Zur normalen Ansicht wechseln