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VL1: Das Glasperlenspiel Kapitel 3 Studienjahre

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merin:
So und nun zu Euren interessanten Gedanken. Ich habe ja zum Eremiten noch eine weitere Interpretationsmöglichkeit angeboten. Worüber ich auch gestolpert bin ist, dass hier erstmal ein nichteuropäisches Land auftaucht und wie Hesse damit umgeht. Ich habe das Gefühl, dass die Gedankenwelt angenommen wird, dass sie aber nicht wirklich als dem europäischen Gedankengut gleichwertig gesehen wird. Die Chinesen bleiben "Pappchinesen" sie bringen nichts wirklich Eigenes ein und ordnen sich unter.

Spannend finde ich, wie sehr Parzifals und meine Sicht auf Knecht differiert: Parzifal schrieb:


--- Zitat ---Knecht ist ein starker Charakter. Er ordnet sich in Waldzell (als Schüler) und in Kastalien (als Student) natürlich weitestgehend unter. Macht aber doch nicht alles mit, prüft das Glasperlenspiel eingehender als üblich und ist in Waldzell nicht unbedingt immer einer Meinung mit den Leitern der Schule. Er denkt für sich selbst, überprüft und kommt zu eigenen Schlüssen.  Will sich sicher sein, dass er sein Leben nicht an ein Spiel verschwendet, das außer Amüsement nichts zu bieten hat. 
--- Ende Zitat ---

Ich empfinde Knecht als einen Opportunisten, als jemanden ohne Mut, als den perfekten Mitläufer. Er ist ein so perfekter Mitläufer, dass man erwägen kann, ihn zur Obermarionette zu machen - ohne dass er Ambitionen entwickelt, die sich nicht in die Hierarchie einordnen lassen. Ich glaube, dass er in der Eremitage seine Optionen prüft - und darauf kommt, dass er keine wirklichen Optionen hat. Er fügt sich in die Erwartungen und passt sich an - weil er für sich keinen anderen Weg sieht. Mich würde nicht wundern, wenn im Verlauf des Buches die Verzweiflung über den damit einhergehenden Selbstverlust unerträglich groß würde.


--- Zitat ---Interessant finde ich auch, dass der "Ältere Bruder" keinerlei Verbindung der chinesischen Philosophie mit der des Glasperlenspiels gelten lässt. Vermutlich will Hesse damit die Unvereinbarkeit von östlichem und westlichem Geistesdenken demonstrieren.
--- Ende Zitat ---

Ich nahm an, dass der große Bruder den Konflikt gescheut hat. Er hat sich zurückgezogen und den Orden für sich hinter sich gelassen - aber er weiß, das geht nur, wenn er den Orden nicht kritisiert. und ehe er lobhudelt schweigt er und lässt Knecht stehen. Parzifal, Du hast da eine Stelle zitiert, die auch mir zentral scheint:


--- Zitat ---Einmal gestand Knecht seinem Lehrer, er wünsche es dahin zu bringen, dass er imstande wäre, das System des I Ging dem Glasperlenspiel einzubauen. Der Ältere Bruder lachte: "Nur zu!", rief er, "du wirst ja sehen. Einen hübschen kleinen Bambusgarten in die Welt hinein setzen, das kann man schon. Aber ob es dem Gärtner gelingen würde, die Welt in sein Bambusgehölz einzubauen, schein mir doch fraglich."
--- Ende Zitat ---

Knecht glaubt noch. Er geht davon aus, dass das GPSpiel alles umfassen kann. Aber der Bruder widerspricht, indem er sagt, dass es eine Welt jenseits des GPSpiels gibt und diese eben nicht ins Spiel einzubauen ist. Insofern sehe ich den Chinesen im eigenen Land als Symbol für das Fremde, das nicht Integrierbare, das Individuelle. Und Knecht verzichtet auf die Welt - und wendet sich dem Spiel zu.

Viskey:
Also erst mal: Wow, merin, jetzt legst du aber los! :devgrin:


Und dann zum Großen Bruder: ich sehe den als einen Rebellen im Stillen. Er sieht Kastalien als nicht lebbar für sich selbst an. Er hat nach meinem Verständnis erkannt, dass Kastalien lediglich einen kleinen Ausschnitt des Lebens bietet, und einen eher uninteressanten, kaum nennenswerten noch dazu.

Man kann Kastalien ins Leben integrieren (was der Bruder tut, er lebt sein Leben als "europäischer Chinese" als Mitglied Kastaliens), aber Das Leben nicht in Kastalien. Sprich: Kastalien ist leblos. Es ist ein Konstrukt, das Leben geradezu ausschließt. Leben ist das, was "dort draußen" stattfindet. In Kastalien wird mit Glasperlen gespielt.

Warum der Große Bruder Kastalien dann nicht ganz verlassen hat und in die Welt gegangen ist ... Darüber bin ich mir noch nicht so ganz klar. Ich tendiere aber zu meiner Interpretation, dass er Kastalien damit eins auswischen möchte. Dafür, dass sie ihm das Leben versaut haben (denn zweifelsohne ist ja auch er als Kind in diese Maschinerie geraten und brauchte eine Weile, um sich daraus zu befreien), lässt er sich jetzt von ihnen aushalten und schei*t in Wahrheit auf das, wofür sie stehen.

merin:
Ja Viskey, das gefällt mir. Vielleicht ist er auch nicht zu den realen Chinesen gegangen, weil er Angst hatte. Aber etwas Rebellisches sehe ich in ihm auf. Und freue mich total, dass nun doch noch jemand auf meine Pots zum Buch reagiert. Ich hinke ja etwas hinterher, aber ich hole auf.

Morwen:

--- Zitat von: merin am 11 March 2014, 19:30:40 ---Spannenderweise kommt in dem Buch die Idee der Gleichheit nicht vor - Hierarchie erscheint als naturgegeben.
--- Ende Zitat ---
Ja, das ist mir auch immer wieder unangenehm aufgefallen, z.B. hier "Denn etwas wie Schicksal, etwas wie Vorbestimmung zur Führerschaft ... mochte er seit damals in sich spüren..."Ähnliches kommt häufiger vor und  beinhaltet den elitären Gedankengang, dass es Menschen gibt, die "zum Führer geboren sind". Das ist nicht weit entfernt von gewissen Vorstellungen, die sich bei Nietzsche finden.

Den "Großen Bruder" habe ich für mich noch nicht so recht entschlüsselt, finde eure Ansätze aber sehr interessant. Für mich ist er der Tom Bombadil Kastaliens.  :biggrin: Er steht einfach über dem, was die anderen so treiben, fängt mit dieser Position aber auch nichts an, was auf den ersten Blick sinnvoll aussieht.

Parzifal:
Vielleicht darf ich mal ganz schüchtern anmerken:
Der Orden ist kein Konzept, das für eine Allgemeinheit gültig sein könnte. Es ist ein Betätigungsfeld für Elite- und Ausnahmemenschen, die gewillt sind, das geistige Hochgebirge zu erklimmen. Wenn man das anerkennt, ist es mMn kein Problem, das Glasperlenspiel und die hierarchische Ordnung zu verstehen. Die Führer des Ordens sind ja keine Führer im Sinne einer weltlichen Auffassung: Dort kann jeder Führer sein, der es versteht, Macht an sich zu reißen (Ein Beispiel wäre Pol Pot, ein geistig eher minderbemittelter Bauer aus der vietnamesischen Provinz) Die Führer des Ordens bei Hesse sind hochentwickelte Menschen, die durch ihre Fähigkeiten, ihre Erfahrung und ihr Wissen zu Führern geworden sind. Autoritäten, denen es nicht um Macht, sondern um geistige Weiterentwicklung geht.  ;) 

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