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VL1: Einleitung. Das Glasperlenspiel

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Morwen:
Hallo merin,

ich bin wirklich sehr beeindruckt, was du da alles herausgearbeitet hast.

Was kann man dem noch hinzufügen? Vielleicht noch ein oder zwei Sätze zur Sprache? Durch das "wir" denke ich ständig, ich würde einen ziemlich alten Text lesen. Neben dem Grund, dass die Vermeidung des "Ichs" einfacht passt, weil Individualität verpönt ist, könnte ich mir vorstellen, dass auch dieser Effekt vielleicht gewollt ist. Es passt zu einer Welt, die die letzten Jahrhunderte am liebsten ignorieren will und in der weiter zurückliegenden Vergangenheit schwelgt.  Ansonsten wirkt die Sprache auf mich ziemlich modern. Es sind ein paar Begriffe dabei, die wir heute im Alltag so nicht mehr gebrauchen (z.B. "namentlich" im Sinne von insbesondere, vor allem), ich vermute aber, dass die zum Erscheinungszeitpunkt des Buches noch im normalen Gebrauch waren, da die restliche Wortwahl durchgängig modern ist.

Die Einleitung hat mich auch im besten Sinne des Wortes neugierig gemacht. Einerseits sind ( wie du ja auch schreibst) etliche philosophische Gedankengänge enthalten. Da erwarte/erhoffe ich bezüglich gewisser angerissener Themen auch im folgenden Text philosophischen Tiefgang. Daneben ist diese Spiegelung "unserer" Zeit natürlich oft schön ironisch auf den Punkt gebracht. Scharfsinnig beobachtet und scharfzüngig formuliert:

--- Zitat ---Zeitweise besonders beliebt waren die Befragungen .., bei welchen man zum Beispiel ... beliebte Schauspieler, Tänzer, Turner, Flieger oder auch Dichter sich ...  über die mutmaßlichen Ursachen von Finanzkrisen und so weiter äußern ließ. Es kam dabei einzig darauf an, einen bekannten Namen mit einem gerade aktuellen Thema zusammenzubringen
--- Ende Zitat ---
War das schon vor 70 Jahren so?  :deveek: Also kann das Privatfernsehen zumindest in diesem Punkt doch nicht Schuld sein ...

Ich würde sagen, dass einiges in der Einleitung wahrscheinlich auch dazu dient, den Ich-Erzähler einzuführen. Hesse hat hier ja einen Erzähler, der ganz anders "sozialisiert" ist als wir, in den wir uns intuitiv nicht hineinversetzen können. Und statt nun den Erzähler aus "unserer" Sicht zu beschreiben, dreht Hesse den Spieß einfach um, und zeigt uns das Bild, das der Erzähler von uns hat.

@Parzifal: Deinem "edit" schließe ich mich voll an. Die Sätze sind zwar lang, aber sind nie zu verschachtelt und haben einen flüssigen Rhythmus, wodurch man sie auch angenehm laut lesen kann. Gefällt mir außerordentlich gut - insbesondere als Kontrast zur heutigen Mediensprache.

edit: Tippfehler

merin:
Da bin ich ja selbst beeindruckt davon, dass ihr findet, dass das so gut klingt. Und wäre gespannt, ob die "offiziellen" Textanalysen das ähnlich oder anders interpretieren. Nachher klingt das alles toll, ist aber völlig missverstanden. :diablo: :hehe:

felis:
Nachdem ich jetzt auch durch die Einleitung durch bin:

Sehr dichte Sprache - mir gings wie vielen hier. Ich musste gerade anfangs manche Sätze mehrfach lesen, kam aber immer besser rein.

Beim Lesen der Kritik der feuilletonistischen Gesellschaft, die die Einleitung ja enthält, hab ich mich gefragt, was Hesse wohl zu RTL und co. gesagt hätte.  :biggrin: Bedenkt man, dass in der Entstehungszeit des Glasperlenspiels noch Schreiber bis hin zum Range eines Tucholsky das Feuilleton dominiert haben, sind wir da in noch deutlich extremere Abgründe abgesunken. Insofern ist Hesses Kriitik an der Belanglosigkeit der Nachrichten geradezu prophetisch zu lesen.

Der Hook, den die Einleitung für mich enthält, ist natürlich die Frage, wie dieses alternative un-personalisierte Gesellschaftssystem funktionieren soll und natürlich auch, wie dieses Glasperlenspiel funktionieren soll.

Der Grundentwurf des Glasperlenspiels mutet mich allerdings als seltsam antiquiert und naiv an. Da wird behauptet, es sie eine universale mathematsich-logische Sprache, die es auch erlaubt, die Geisteswissenschaften und sogar die Künste abschließend formelmäßig zu beschreiben.

Antiquiert deswegen, weil Hesse das just in der Zeit schreibt, in der die Naturwissenschaften zu der Erkenntnis kommen, dass es keine abschließende Beschreibung aller naturwissenschaftlichen Vorgänge gibt und geben kann. (Die Heisenbergsche Unschärferelation ist 1927 entdeckt worden). Auf der Höhe der Erkenntnislage seiner Zeit war er also nicht.  ;)

Damit ist Hesses Grundannahme natürlich als unsinnig entlarvt,. Bin aber trotzdem neugierig, was er so daraus machen wird.

Parzifal:

--- Zitat ---Antiquiert deswegen, weil Hesse das just in der Zeit schreibt, in der die Naturwissenschaften zu der Erkenntnis kommen, dass es keine abschließende Beschreibung aller naturwissenschaftlichen Vorgänge gibt und geben kann. (Die Heisenbergsche Unschärferelation ist 1927 entdeckt worden). Auf der Höhe der Erkenntnislage seiner Zeit war er also nicht. Damit ist Hesses Grundannahme natürlich als unsinnig entlarvt,. Bin aber trotzdem neugierig, was er so daraus machen wird.
--- Ende Zitat ---

Wobei man dazu sagen muss, dass Hesse aus einem philosophischen Blickwinkel argumentiert - er ist kein Wissenschaftler und will es vermutlich auch nicht sein. Sein Roman ist auch keine wissenschaftliche Dissertation, sondern eine fiktionale Geschichte - was ja Romane immer sind. Sein Grundthema ist auch nicht das Glasperlenspiel, das er auf irgendeine Art dann nach und nach erklären wird. Das hilft nur, Knechts geistige Welt zu beschreiben und (in etwa - ist ja eine Ansprache ans Volk) zu verstehen. Unterm Strich geht es um etwas anderes - aber ich will nicht vorgreifen, sonst hab ich in meinem Teil nichts mehr zu erzählen.  ;)

LG, Parzifal

merin:
Ich finde diese Grundannahme auch hanebüchen, habe sie aber so verstanden, dass auch Hesse sie hanebüchen findet. Ich verstehe ihn so, dass das zu seinem philosophischen Experiment gehört: Wie würde sich eine Gesellschaft verhalten, die davon überzeugt ist, die Wahrheit zu kennen und ein System entwickelt zu haben, in dem sie vollumfänglich enthalten ist?

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