22 November 2024, 00:19:15

Autor Thema: Ich-Perspektive und personaler Erzähler im Wechsel  (Gelesen 6994 mal)

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vulture

  • Gast
Ich-Perspektive und personaler Erzähler im Wechsel
« am: 08 June 2014, 16:32:03 »
Hi zusammen.

Kurze Frage:
Wie steht ihr zu Romanen, in denen die Perspektive zwischen Ich-Erzähler und personalem Erzähler hin und her wechselt?
Soll heißen: Der Protagonist erzählt in der Ich-Form, über alle anderen Charaktere wird in eingeschobenen Kapiteln in der er/sie-Form berichtet.

Ich habe bisher zwei oder drei Romane gelesen, die so angelegt waren, und der Wechsel hat mich immer irgendwie irritiert.
Jetzt habe ich allerdings einen Plot im Kopf, der von diesem Konzept profitieren würde.

Also was meint ihr? Kann ich sowas machen, ohne meine Leser abzuschrecken, oder sollte ich (gerade als Anfänger) eher die altbewährten Methoden bevorzugen?

- v.

Uli

  • Gast
Re: Ich-Perspektive und personaler Erzähler im Wechsel
« Antwort #1 am: 08 June 2014, 16:41:18 »
... gerade als Anfänger ... ?!???

Zunächst mal: Natürlich ist es ein wenig anspruchsvoller, mit wechselnden Perspektiven zu arbeiten - klar. Aber das ist erstmal eine Marginale: Die einzige zuverlässige 'Universalperspektive', den außenstehenden, allwissenden Erzähler, den hat man sehr schnell über. Weshalb es ha überhaupt die sogenannten 'Perspektivträger' gibt - zwischen denen halt nach Bedarf gewechselt wird. OK. Das ist Anfängerkram, oder?

Du beabsichtigst nichts anderes, als eine der Perspektiven in eine Sonderstellung zu bringen - der Ich-Erzähler halt. Der naturgemäß erstmal nur erzählen kann, was er selber miterlebt.
Also benötigst du weitere 'Perspektivträger' - was sonst ja auch der Fall ist, weil kein Perspektivträger 'immer dabei' ist. Eine Lösung wäre, daß der Ich-Erzähler die 'fehlenden' Zwischenstücke halt erzählt, nach Hörensagen. Wie man das eben so macht, wenn man selber etwas erzählt, aber Teile dazu benötigt, die man nicht selber erlebt hat.

Und dann ist es doch nur eine Vereinfachung, wenn man die Floskel 'Derweil geschah da drüben ...' weglässt ...

Ich glaube im Übrigen nicht, daß du in schriftstellerischer Hinsicht unter 'Anfänger' firmieren solltest. Wirklich nicht.
Den dir persönlich passenden Kunstgriff für den Wechsel musst du vielleicht noch finden - aber zutrauen solltest du dir das auf jeden Fall!

vulture

  • Gast
Re: Ich-Perspektive und personaler Erzähler im Wechsel
« Antwort #2 am: 08 June 2014, 17:25:56 »
Wow, Uli, danke für die schnelle Antwort. Ich wünschte, ich könnte mich revanchieren, aber ich fürchte, die Sonne hat mein Gehirn gegrillt und meine Tippgeschwindigkeit erreicht gerade mal drei Buchstaben pro Minute - wenn ich mich anstrenge.

Zitat
Der naturgemäß erstmal nur erzählen kann, was er selber miterlebt.
Genau das ist mein Problem. Ich würde zu gerne mit einem einzigen Ich-Erzähler arbeiten, aber die Geschichte ließe sich so nicht erzählen.

Zitat
Eine Lösung wäre, daß der Ich-Erzähler die 'fehlenden' Zwischenstücke halt erzählt, nach Hörensagen
Womit ich allerdings wieder einen sehr distanzierten Ich-Erzähler hätte, der das Geschehen nicht aus der aktuellen Situation heraus beschreibt, sondern rückblickend.

Ich bin nach wie vor Präsens-Fan. (Noch so ein Ding, das nicht jedem Leser gefallen wird.)
Und ich habe mich bereits entschieden: Wenn ich auf ein Gimmick verzichten muss, dann eher auf den Perspektivwechsel als auf die Zeitform.

Zitat
Ich glaube im Übrigen nicht, daß du in schriftstellerischer Hinsicht unter 'Anfänger' firmieren solltest. Wirklich nicht.
Dein Eindruck ehrt mich. Allerdings habe ich bisher noch nie an einem Kurzgeschichten-Wettbewerb teilgenommen (geschweige denn einen Preis gewonnen), noch nie meine Texte einem Lektor vorgelegt. Und - was am Schlimmsten ist: Noch nie einen Roman fertiggestellt. (Und inzwischen Zweifel entwickelt, ob es mir jemals gelingen wird).
Momentan bin ich - und das ist ausnahmsweise mal keine maßlose Untertreibung, um aufbauende Worte zu erheischen - einer jener Hobbyautoren, die behaupten, dass das Schreiben ihnen alles bedeutet, und die danach keine nennenswerten Ergebnisse abliefern. Wenn ich so weitermache, werde ich auf meinem Sterbebett denken: Oh Mann, du hast fünfzig Romananfänge fabriziert. Tolle Lebensleistung.
Insofern: Anfänger. Denn auf diesem Level war ich schon vor zehn Jahren.

Aber bevor ich hier komplett off-topic werde:
Du hast meine Frage nicht beantwortet.
Würde dich ein solcher Perspektivwechsel stören oder nicht?
Ich brauche klare Ansagen. Denn, wie gesagt: es ist schweineheiß, ich bin vor Kurzem umgezogen und ich hab noch nicht mal Vorhänge, um die Temperatur in meiner Dachwohnung unter Kontrolle zu halten.


Uli

  • Gast
Re: Ich-Perspektive und personaler Erzähler im Wechsel
« Antwort #3 am: 08 June 2014, 18:13:55 »
grins ...
nun, ich habe bislang genau an einer Ausschreibung teilgenommen (und nicht 'gewonnen') - das ist kein Grund. Ich sehe, was du hier einstellst, und das ist nicht 'Anfänger', ganz einfach. Und ich sehe, was hier und da 'erfolgreich' ist - da müsste gelegentlich noch geübt werden, um 'Anfänger' zu werden ...

Aber zur Sache:
Nein, so ein Perspektivwechsel würde mich nicht stören. (Immer vorausgesetzt, die Sache ist gekonnt, logisch), und Echtzeiterzählung finde ich auch recht gut - nicht unbedingt das, was ich schreiben möchte, aber gut zu lesen. Wenn ... (wie immer).
Was du da beschreibst, wäre also eine Off-Erzählung mit Einblendungen in akutes Geschehen - das kann sehr gut werden. Stelle mir das ein wenig wie im Film vor: 'Jemand' erzählt eine Geschichte, und in die spannenden Szenen wir eingezoomt - und zwar in eine Ich-Perspektive, also sehr nah, sehr wertend.
Ich würde dabei offen lassen, ob die Off-Erzählstimme mit dem  Ich-Prota identisch ist (wobei das auch geht, wenn die Erzählstimme 'unpersönlich' bleibt - als metaler Hintergrund, sozusagen, erzählt ja immer 'jemand' - selbst bei einer Kamera. Siehe dazu vielleicht noch mal das Perspektiven-Workshop-Durcheinander)

Also: Mach mal. Grundsätzlich hat das echt Potentiale, und den Rest besorgt der Grill!

Mondstern

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Re: Ich-Perspektive und personaler Erzähler im Wechsel
« Antwort #4 am: 08 June 2014, 21:00:10 »
 
Zitat
Wie steht ihr zu Romanen, in denen die Perspektive zwischen Ich-Erzähler und personalem Erzähler hin und her wechselt?

Hi vulture

Also mir fällt momentan nur der Augensammler von Sebastian Fitzek ein. Das irritiert höchstens beim ersten Mal – wenn man es nicht weiß und sich kurz wundert. Fitzek tut das einzig richtige – er verwirrt seine Leser nicht.
Dazu wechselt er die Perspektive immer nur in einem neuen Kapitel. Dieses hat er dann noch mit Überschrift und wer erzählt gerade gekennzeichnet.

Wenn du das so aufziehst, sehe ich keine Probleme (außer eben im Können)  ;)

Zitat
Also was meint ihr? Kann ich sowas machen, ohne meine Leser abzuschrecken, oder sollte ich (gerade als Anfänger) eher die altbewährten Methoden bevorzugen?

Was wäre denn die „altbewährten Methoden“ 3. Person? Ich persönlich liebe den Ich-Erzähler. Aber machtes kann man halt so nicht schreiben.

Also los, mach mal. Aber sorge für klare Abgrenzung beim wechsel
LG Mondstern

vulture

  • Gast
Re: Ich-Perspektive und personaler Erzähler im Wechsel
« Antwort #5 am: 09 June 2014, 00:12:14 »
@Uli:
Zitat
Was du da beschreibst, wäre also eine Off-Erzählung mit Einblendungen in akutes Geschehen
Es wäre eher akutes Geschehen mit Off-Einblendungen. Den Hauptteil des Textes würde die Ich-Perspektive tragen.

Zitat
Also: Mach mal.
kk.  :)

***

@Mondstern:

Zitat
Dazu wechselt er die Perspektive immer nur in einem neuen Kapitel
Das würde ich ähnlich halten, allerdings ohne Erzählerkennzeichnung in der Überschrift.

Zitat
Wenn du das so aufziehst, sehe ich keine Probleme (außer eben im Können)
Was für Probleme siehst du 'im Können'? Irgendwelche Stolperfallen, in die ich tappen könnte?

Zitat
Was wäre denn die „altbewährten Methoden“ 3. Person?
Genau. Ich könnte theoretisch den gesamten Text so schreiben, konventionell, mit verschiedenen Viewpoints. Allerdings würden dann ein paar nette Effekte verlorengehen.

Zitat
Also los, mach mal.
Das sagt sich so leicht.  ;)

Mondstern

  • Federteufel
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Re: Ich-Perspektive und personaler Erzähler im Wechsel
« Antwort #6 am: 09 June 2014, 00:27:10 »
Hi vulture

Zitat
Wenn du das so aufziehst, sehe ich keine Probleme (außer eben im Können)

Was für Probleme siehst du 'im Können'? Irgendwelche Stolperfallen, in die ich tappen könnte?

Das mit dem „Können“ ist das A und O – wie bei allem. Dreifacher Saltoüberschlag ist für manche eher leicht … Nein, ich denke, wenn man so ein Projekt durchziehen will, dann sollte man wissen worauf man sich einlässt
Ich möchte dir aber Mut machen, Herausforderungen und selbst auferlegte Hürden sind das Salz in der Suppe … (oder halt beim Schreiben)
Das wichtigste ist das klare Trennen. Auch wichtig finde ich, dass du innerhalb der 3. Person in der gleichen Perspektive bleibst. (Also nicht zwischen dem „Kameramann“ und dem „Allwissenden“ switschen)

LG Mondstern

Parzifal

  • Gast
Re: Ich-Perspektive und personaler Erzähler im Wechsel
« Antwort #7 am: 09 June 2014, 00:50:46 »
Zitat
Kurze Frage:
Wie steht ihr zu Romanen, in denen die Perspektive zwischen Ich-Erzähler und personalem Erzähler hin und her wechselt?
Soll heißen: Der Protagonist erzählt in der Ich-Form, über alle anderen Charaktere wird in eingeschobenen Kapiteln in der er/sie-Form berichtet.

Die Jerry Cotton-Krimis sind auf die Art verfasst. Immer wenn aus der Perspektive von Jerry erzählt wird, dann in der Ich-Form - ansonsten Personaler Erzähler (er, sie). Aus meiner Sicht sehr stimmig geschrieben. Die Ich-Perspektive unterstreicht außerdem die Wichtigkeit des Protagonisten. 
« Letzte Änderung: 09 June 2014, 01:36:28 von Parzifal »

Pandora

  • Gast
Re: Ich-Perspektive und personaler Erzähler im Wechsel
« Antwort #8 am: 09 June 2014, 19:24:18 »
...
« Letzte Änderung: 11 November 2014, 09:42:37 von Pandora »

merin

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Re: Ich-Perspektive und personaler Erzähler im Wechsel
« Antwort #9 am: 11 June 2014, 19:02:42 »
Ich denke auch, dass es funktionieren kann. Mein Zwischenblicke-Roman ist ja so angelegt, wobei da der personale Erzähler teilweise sogar Dinge erzählt, die sie wissen könnte... und ob das funktioniert, da sind sich meine Betas so gar nicht einig. Einige finden es klasse, andere misslungen.
Ich denke, es wird also Geschmackssache sein und von einem klaren Konzept abhängen. Wenn Du konsequent den personalen Erzähler eine andere Perspektive einnehmen lässt (was, so glaube ich, in meinem Text ein Mangel ist), dann kann es, so denke ich, gut funktionieren.

Und was das Fertigstellen angeht: Tja, da habe ich auch nur einen Roman vorzuweisen. Aber Anfänge - da hab ich viel mehr zu bieten. Vielleicht sollte wir mal einen Anfängetauschworkshop machen, in dem wir gegenseitig unsere Anfänge beenden. :biggrin:
Ich röste zunächst immer, ohne andere Röstungen zur Kenntnis zu nehmen. Dabei ist mein Ansatz der, eine qualifizierte Lesermeinung abzugeben, Euch also zu verraten, wie der Text auf mich wirkt und wie es mir beim Lesen geht und was ich gern anders hätte.