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Alternative Erzählstrukturen

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Viskey:
OK, wohl missverständlich ausgedrückt. Nicht der Ursprung des Erzählens an sich, da bin ich bei dir, merin. Die Welt ein Stück weit erklären, sich selbst darin verorten und finden ... klar. Aber das hat (noch) nichts mit der Form zu tun. Das ist das Ziel, nicht der Weg.

Der Weg wäre dann eben das "wie erzähle ich"? Irgendwo hat mal wer eine Studie gemacht und festgestellt, dass Träume und Filme ähnliche Stilmittel "anwenden", wie zB Zeitsprünge. - Ob das wirklich haltbar ist, bzw. was da was beeinflusst hat, keine Ahnung, zu lange her. Und natürlich kommt über die x Generationen die Kultur mit ins Spiel. Welche Versatzstücke kennt mein Publikum, welche Klischees, welche Konventionen? Auf die wird dann aufgebaut, womit sie gleichzeitig verfestigt werden.
Und auch da wieder die Frage: erzählen wir, wie wir träumen, oder träumen wir, wie wir erzählen?

diffusSchall:
Um hier einmal einzufädeln: Was bringt euch die Beantwortung der Frage "Was ist wann wie progressiv?" als Autor*innen?
Ist das nicht eher eine Frage für Kritiker und Konsumenten/Leser?
Ich muss gestehen, dass mir persönlich das als Autor eher schnuppe ist. Wenn mir Struktur zu fade ist, dann breche ich sie auf. Wenn sich mir ein bewährtes Konzept als ausgelatschter Pfad darstellt, dann verlasse ich ihn. Ich denke dann nicht darüber nach, ob das progressiv ist oder nicht. Das können gerne andere beurteilen. Ich schreibe so, wie es für mich und die Geschichte am dienlichsten ist. Wenn das am Ende konservativ oder progressiv ist, so what?

Alternative Erzählstrukturen: Samuel R. Delany - Dhalgren
Der Roman ist bewusst so angelegt, dass die Geschichte im Kreis verläuft. Spannungsbögen sind zweitrangig und Erzählebenen beginnen und enden an mehr oder weniger beliebigen Stellen. Man kann irgendwo in dem Wälzer einsteigen und nach der letzte Buchseite mit der ersten "weiterlesen". Ausgefuchst konstruiert und strukturiert.
Progressiv würde ich das trotzdem nicht nennen, denn der Begriff impliziert Fortschritt und den habe ich nicht gesehen. Das Buch ist dadurch nach meinem Empfinden nicht besser geworden. Es gibt keine sich steigernde Dramaturgie und das Buch ist laaang. Es hat sein Faszinosum, aber es ist ne Challenge, das zu lesen. Dynamisch erzählen geht anders.
Progressiv im Sinne von "Die Literaturwelt erweiternd" lasse ich gelten. Meines Wissens ist Delany der erste SF-Autor, der ein Buch so angelegt hat.


--- Zitat von: Viskey am 15 June 2023, 12:22:49 ---Und auch da wieder die Frage: erzählen wir, wie wir träumen, oder träumen wir, wie wir erzählen?

--- Ende Zitat ---

Was war vorher da, das Huhn oder das Ei?    ;)
Ich bin davon überzeugt, dass sich beides bedingt und beeinflusst. Wir plotten und schreiben bewusst unsere Geschichten und gleichzeitig feilt das Unterbewusstsein, und damit unsere Träume, an beidem. Manchmal triggert uns eine Erfahrung, etwas, dass wir sehen und hören, unsere Initialidee, aus der wir die Geschichte entwickelt. Manchmal arbeitet das Unterbewusstsein daran und wir haben einen Geistesblitz und wissen nicht bewusst, wo der eigentlich herkommt. Wer wen final auslöst ist unterschiedlich.

Cheers - Frank

Wildfee:

--- Zitat von: diffusSchall am 15 June 2023, 15:20:50 ---Um hier einmal einzufädeln: Was bringt euch die Beantwortung der Frage "Was ist wann wie progressiv?" als Autor*innen?
Ist das nicht eher eine Frage für Kritiker und Konsumenten/Leser?
--- Ende Zitat ---
Jein ;-) Ich war zuerst Leserin, dann Kritikerin und bin jetzt  Autorin. Für mich ist es schon wichtig, zu wissen, was Leser und Kritiker als progressiv ansehen, um eben genau das schreiben zu können.
Zudem kann ich erst dann progressiv schreiben, wenn ich genau weiss, welche Regeln/Strukturen ich dafür brechen/aufbrechen muss, das erschließt sich ja nicht unbedingt auf den ersten Blick und es ist sicherlich auch immer abhängig vom Zeitgeist.
 
Wobei ich gestehe, dass ich bei meinen bisherigen Storys auch keinen Gedanken daran verschwendet habe, inwieweit meine Texte progressiv sind oder nicht. Ich schreibe das, was mir selbst gefällt und habe bisher eben das Glück gehabt, das mein ureigener Geschmack wohl mainstreamig ist.

diffusSchall:

--- Zitat von: Wildfee am 15 June 2023, 23:33:06 ---Für mich ist es schon wichtig, zu wissen, was Leser und Kritiker als progressiv ansehen, um eben genau das schreiben zu können.
...
Ich schreibe das, was mir selbst gefällt und habe bisher eben das Glück gehabt, das mein ureigener Geschmack wohl mainstreamig ist.
--- Ende Zitat ---

Die beiden Sätze stehen ja im Widerspruch zueinander.
Dann ist das eine Absichtserklärung, in Zukunft progressiv zu schreiben?

Die ganze Fragestellung von mir, gerade auch die von meinem Ursprungspost, rührt eben genau daher, dass ich so schreibe, wie du es in deinem zweiten Satz schilderst: Ich schreibe das, was mir gefällt. Auf eine Art und Weise, wie es sich für mich richtig anfühlt.
Ich werde das auch so beibehalten und nicht bewusst in eine Richtung rudern, nach dem Motto: Ich habe da eine Plotidee. Was muss ich tun, damit daraus progressive SF wird?
Deshalb stehe ich solchen Diskussionen, Ansätzen und Argumenten immer etwas ratlos gegenüber.

Ich schätze mich so ein, dass ich ein SciFi-Autor bin, der im Ursprung konservative Themen bevorzugt und einen konservativen Schreibstil pflegt. Das ist insofern spannend, dass konservativ nun wirklich nicht das Attribut ist, dass Leuten zu mir als erstes einfällt.    ;)
Ich führe meine Selbsteinschätzung auf mein Alter zurück (Baujahr 1968 und mit den großen SF-Klassikern sozialisiert) und bin zu einem nicht geringen Teil aus Eskapismus SF-begeistert. Daher teile ich die zeitgemäße Meinung nicht, dass gute Science Fiction immer progressiv sein muss. in dem Sinne, dass immer eine tragende Zukunftsvision darin stecken muss, die aktuelle Themen aufgreift und Lösungen anbietet, oder zumindest in Gedankenexperimenten Alternativen auslotet.
Aber weil ich mich eigentlich nicht als konservativen Menschen wahrnehmen, habe ich ich eine gewisse Übung darin und Freude dabei, abseits der Wege und über den Tellerrand zu schauen.
Das pflege ich auch beim Schreiben, weil es mich zufrieden stellt.
Aber ich würde mir niemals bewusst Gedanken darüber machen, wie ich meine Texte gestalten muss, um der Erwartung einer Leserschaft nach Progressivität zu entsprechen oder gar deren Innovationsgeilheit zu befriedigen.

LieGrü - Frank

Wildfee:
 :)

Es ist nicht nur eine Absichtserklärung, progressiv zu schreiben, sondern ich habe es automatisch gemacht ;-)

Ich finde es sehr spannend, wie "progressiv" aktuell definiert wird. Ich zitiere mal von Tor Online: "Progressive Phantastik beruht demnach auf einer Haltung, die Traditionen auf allen Ebenen hinterfragt, die obsoleten oder unpassenden fallen lässt, um dann mit den übrigen weiterzuarbeiten. "
Zur Progressivität gehören dem Artikel nach demnach aktuell auch Themen wie z.B. Feminismus, Gendern, Diversität.

Ich finde das auf einer gewissen Ebene amüsant, weil ich in den 80ern und 90ern recht viel Science Fiction und Fantasy gelesen habe, die nach heutigen Stand als progressiv gelten müsste. Ich denke da an Marion Zimmer Bradley, bei der es Männer gab, die Kinder geboren haben (in einer KG von ihr) oder an die ganze Bandbreite der feministischen SF (Suzette Hagen Elgin z.B. mit "Native Tongue" oder "Amerika der Männer")

Ich finde es traurig, dass es dann einen Abschwung gab und man derzeit an einem Punkt angelangt ist, bei dem schon sicher geglaubte Errungenschaften wieder erkämpft werden müssen und es soviel an Widerstand gibt.

Ich sehe progressive Phantastik als Chance zur Vielfalt, ohne Wertung ob irgendeine Richtung/Strömung der Phantastik besser oder schlechter ist :-)

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