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Alternative Erzählstrukturen

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diffusSchall:

--- Zitat ---Und um den Bogen mal wieder zurück zum Thema Erzählstrukturen zu schlagen: Du hast ja in deinen "Frauen von Berberath" klassische Erzählstrukturen gemieden. Genau darum ist das für mich auch keine konservative SF: Du hast keine klassische Heldenreise, keine 3-Akt-Struktur, keine einsamen Held*innen, die sich durchschlagen.
--- Ende Zitat ---

Wo würdest du das denn einsortieren?
Ich habe mich konkret an einem Jungklassiker (VÖ 2005) der deutschen SF orientiert:
Andreas Eschbachs "Die Haarteppichknüpfer".
Eschbach ist jetzt nicht gerade dafür bekannt, progressiv zu schreiben.   ;)


--- Zitat von: merin am 17 June 2023, 14:33:02 ---Deine Gedanken zu Erzählen und Träumen leuchten mir ein: an beidem ist das Unbewusste beteiligt. Allerdings habe ich es so verstanden, dass wir hier über Erzählstrukturen sprechen. Und rein strukturell finde ich beide Arten des Erzählens doch sehr verschieden.
--- Ende Zitat ---

Eine sehr konkrete Aussage.
Inwiefern bist du dir denn überhaupt über die Erzählstruktur deiner Träume bewusst?
Ich könnte dazu keine valide Aussage machen. Ich bin kein Mensch der ausgeprägt luzide träumt. Insofern bin ich mir auch nicht der Struktur meiner Träume im Klaren.

Cheers - Frank

merin:
Mein Gefühl ist, wir reden immer noch aneinander vorbei.


--- Zitat ---Ich verstehe das Manifest nicht als Umriss eines neuen Subgenres. Dazu ist die Definition der Progressivität in dem Artikel viel zu umfassend formuliert. Es betrifft das gesamte Genre der SF und grenzt nicht einen eigenen Teil ab. Ich verstehe den Artikel als ein Plädoyer dafür einen allgemeinen, in allen Belangen (dies wird betont!) progressiven Schreibstil auch und gerade in der SF anzustreben.
--- Ende Zitat ---

Ich auch. :biggrin: Nur: So lange, wie dieser Aufruf nicht befolgt wird, bildet sich eine Subgruppe von Autor*innen heraus, die versuchen, ihn zu befolgen. Und dann entsteht ein Subgenre. Das das natürlich schwierig ist, da stimme ich dir zu, allerdings halte ich es für illusorisch, dass Progressivität das gesamte Genre SF durchdringt.
Und: Allerdings verstehe ich dann tatsächlich nicht, wie du meine Aussage verstehst. :gruebel:

Dich einsortieren? Ich weigere mich! :cheer:


--- Zitat ---Wenn du es so gegenüberstellst, dann muss ich meine Sicht in ihrer obigen Formulierung revidieren. Dann sehe ich konservatives Schreiben nicht als direkten Gegenpart zum progressiven Schreiben. Weil dem konservativen Schreiben der Gedanke zur Veränderung fehlt. Ich möchte betonen: im Guten, wie im Schlechten.
--- Ende Zitat ---

Hmm. Konservativ heißt doch erstmal, dass man den Status Quo beibehalten möchte. Man möchte eben alles so lassen, wie es ist. Das hieße also für SF: Ich mache mir über die Zukunft Gedanken, aber so, dass es keine kritische Sichtweise auf die Jetztzeit impliziert. Sind wir uns da einig? Wenn ja, verstehe ich tatsächlich nicht, wie du dich darin wiederfindest.


--- Zitat ---Mögliche Darstellung von Diskriminierung, ohne zwingende zentrale Auflösung der Situation in eine bestimmte Richtung.
Keine zentrale Thematisierung von Diskriminierung.
Gemäßigter, nicht totalitärer Umgang mit Diskriminierung.
Keine zentrale Wertung der Diskrimierung. (Ich beziehe dies auf den Tenor der Erzählung. Im Rahmen einzelner Charakterschilderungen kann extremer Umgang mit, für und wider Diskrimierung durchaus stattfinden. Dann muss aber klar sein, dass dies im Rahmen der Charakterdarstellung stattfindet und nicht das Motiv des Textes und die gemeine Aussage des Autors darstellt.)
--- Ende Zitat ---

Damit kann ich tatsächlich wenig anfangen. Einfach weil das meinem Erleben so sehr widerspricht, dass ich nicht recht nachvollziehen kann, wie du darauf kommst. Möglicherweise hängt das damit zusammen:


--- Zitat ---Definiere bitte meine privilegierte Position.
Da verstehe ich nicht, was damit konkret gemeint ist. Daher kann ich dazu auch nicht Stellung beziehen.
--- Ende Zitat ---

Ich weiß wenig über dich. Auf deiner Webseite verrätst du nicht viel, auch dein Buch verrät nicht so viel und die Fotos, die ich im Netz von dir finde, scheinen alt und möglicherweise hast du Namensvettern. Aber mir scheint, du bist weiß, cis-männlich, heterosexuell, nicht behindert und in Deutschland geboren. Somit gehörst du also zu den Menschen auf dieser Welt, die am wenigsten von Diskriminierung betroffen sind. Ehrlich gesagt fiele es mir schwer, die Stelle zu benennen, an der du nicht privilegiert, sondern von Diskriminierung betroffen bist. Aber da ich dich nicht gut kenne, ist es leichter, die Frage für mich zu beantworten: Ich profitiere von Privilegien des Geburtsortes und Nationalität, des Standes/der Klasse (Mittelschicht), der Hautfarbe (weiß), der Gesundheit (nur eine chronische Krankheit, die mich an vielen Stellen nicht einschränkt), bin weitgehend neurotypisch und cis-passing. Von Diskriminierung betroffen bin ich aufgrund meiner sexuellen Identität und Orientierung, aufgrund der Zuschreibung, eine Frau zu sein, aufgrund meines Ostdeutschseins (was global gesehen lächerlich ist) und als Elternteil eines Kindes mit Behinderung.


--- Zitat ---Schreiben bedeutet Konflikte zu bearbeiten. Geschichten spielen immer in irgendeiner Form von Gefüge. Es wird immer eine starke und eine schwache Position geben, immer ein Gefälle in irgendeiner Form. Diskriminierung ist mit diesem Hintergrund unausweichlich.
--- Ende Zitat ---

Ich sehe Gefälle und starke und schwache Positionen nicht als Notwendigkeit. Aber Konflikt schon. Allerdings finde ich es befremdlich, Diskriminierungen daraus abzuleiten. Denn dass Diskriminierungen sich in meine Texte einschleichen, hat doch eher damit zu tun, dass ich in einer Gesellschaft sozialisiert wurde, die von systematischen Diskriminierungen durchzogen ist. Ich stimme dir daher in deiner Ableitung zu: Es geht nicht die Frage, ob Diskriminierungen in meinen Texten vorkommen, sondern in welcher Form. Habe ich meine eigenen Privilegien reflektiert? Oder schreibe ich konservativ, das heißt, das fort, was ich erlebe oder wovon ich qua Privileg verschont bleibe? Genau das ist meines Erachtens der Kernpunkt progressiver Fantastik: Die Forderung nach der Reflexionsarbeit bezogen auf die eigenen Privilegien. Darum wundert es mich so, dass es oben scheint, als wüsstest du nicht, was ich damit meine. Oder reden wir da wieder aneinander vorbei?
Dein Beispiel für deine autistische Protagonistin beschreibt ja genau das: Du hast dir ein Sensitivity Reading gesucht, um keine Stereotype zu reproduzieren. Warum du das nicht als progressiv siehst, leuchtet mir nicht recht ein.
Wenn du anfängst, darüber nachzudenken, wer in deinen Texten vorkommt und wer nicht, dann beginnt dieser Prozess der Reflexion. Ich glaube ja, dass es nicht möglich ist, unpolitische Texte zu schreiben. Wenn wir also für uns entscheiden, nicht zu reflektieren, dann werden wir Diskriminierungen und -ismen reproduzieren. Und damit positionieren wir uns gegen die, die wir diskriminieren.


--- Zitat ---Inwiefern bist du dir denn überhaupt über die Erzählstruktur deiner Träume bewusst?
Ich könnte dazu keine valide Aussage machen. Ich bin kein Mensch der ausgeprägt luzide träumt. Insofern bin ich mir auch nicht der Struktur meiner Träume im Klaren.
--- Ende Zitat ---

Was hat denn die Luzidität mit der Möglichkeit der Analyse der Träume zu tun? Die allermeisten Menschen träumen und vergessen es. Keine Möglichkeit der Analyse. Dann gibt es Träume, die werden erinnert. Und die kann man dann analysieren. Die Analyse geschieht doch nicht während des Träumens (und bei mir auch nicht während des Schreibens), sondern danach. Anders als beim Träumen gäbe es beim Schreiben noch die Möglichkeit, die Struktur zu planen. Ich gebe zu: Ich kann das gar nicht. Ich kann ganz grob planen, wo mein Text hingeht, aber die Struktur ergibt sich im Schreiben. Insofern fände ich das spannend, wie du es geschafft hast, einen Text in der Struktur des Haarteppichknöpfers (den ich nicht kenne) zu schreiben. Und warum du genau diese Struktur für das, worum es dir ging, gewählt hast.

diffusSchall:

--- Zitat von: merin am 18 June 2023, 19:13:41 ---Was hat denn die Luzidität mit der Möglichkeit der Analyse der Träume zu tun?
--- Ende Zitat ---

Wenn ich Träume erinnere, sie also analysieren kann, dann sind das Motive und Themen, manchmal eine Art Handlungsstrang. Aber doch nie die Erzählstruktur. So weit geht die Erinnerung ja nicht. Sie ist ja selten griffig und konkret, und wenn, dann in Details.
Einen Traum, dessen Erzählstruktur ich aber memorieren kann, müsste ich doch bewusst als solchen wahrnehmen, demnach luzide Träumen.


--- Zitat ---Insofern fände ich das spannend, wie du es geschafft hast, einen Text in der Struktur des Haarteppichknöpfers (den ich nicht kenne) zu schreiben. Und warum du genau diese Struktur für das, worum es dir ging, gewählt hast.

--- Ende Zitat ---

Andreas Eschbach gibt auf seiner Webseite unumwunden zu, dass er die Struktur für sein Debüt aus der Not gewählt hat. Er wusste schlicht nicht, wie eine klassische Erzählstruktur aussieht. Also hat er Kurzgeschichten verfasst, die einen thematischen Zusammenhang haben und es geschafft, das als Roman zu verkaufen.
Ich hatte mit Sharlain meine erste Novelle geschrieben. Für einen Roman zu wenig. Für eine Anthologie zu lang. Was sollte ich tun? Die Novelle zum Roman erweitern? Das hatte sich nicht richtig angefühlt. Da habe ich mich an Eschbach und seinen Kunstgriff erinnert und darin für mich eine Möglichkeit gesehen.
Hat ja auch geklappt, irgendwie.  😉

merin:
Moment mal: Was verstehen wir eigentlich unter Erzählstruktur?

Für mich ist es das, was ich auf struktureller Ebene sehe, wenn ich rauszoome. Wenn ich meine Träume betrachte, dann gibt es welche, die haben eine lineare Struktur, etwas passiert, die Handlung baut aufeinander auf. Andere Träume haben eher eine Mosaikstruktur, es gibt verschiedene scheinbar unverbundene Szenen, die sich abwechseln. Ich würde behaupten, ich könnte, wenn ich es unmittelbar täte, die Erzählstruktur aller meiner Träume analysieren.

Zu deinem Roman finde ich spannend, dass das für mich ja nicht geklappt hat. Ebenso wie ich mit der Struktur von  Lisa J. Kriegs Schildkröten meine Schwierigkeiten habe. Nun weiß ich von beiden Geschichten, dass das von der Struktur her eigentlich Kurzgeschichten waren. Es sind also aus der Not entstandene alternative Erzählstrukturen, die für viele Rezipient*innen passen. Mir sind sie zu mosaikhaft.

diffusSchall:
Ich habe nicht genug Vertrauen darin, meine memorierten Träume so eingehend in ihrer Struktur zu analysieren. Meine Vermutung ist, dass einfach zu viel im Unbewussten bleibt.

Mosaik ist ein schönes Bild für diese oder ähnliche Erzählstrukturen.
Kleine Teile, die bei erhöhter Betrachtung ein größeres Bild zeigen oder andeuten.
Ich finde sowas sehr spannend.

Bei Andreas Eschbachs Debüt war es in der Tat eine Notlösung, das hat er ja so dokumentiert. Ich weiß nicht was Lisa J. Krieg bewogen hat diese Form zu wählen.
Bei Berbarath habe ich es als beste Lösung empfunden. Sharlain folgt ja schon sehr genau der klassischen Struktur. Ich empfinde die Geschichte als rund. Eine weitere Ebene im nachhinein einzuziehen, um auf Romanlänge zu kommen, fühlte sich falsch an. Ich hätte es auch bei der Novelle belassen können, Sharlain war sowieso als Spinoff eines wesentlich größeren Projektes entstanden. Insofern sehe und spüre ich da keine Not.

Eschbach kehrt immer mal wieder zu dieser oder einer ähnlichen mosaikhaften Struktur zurück. Wenn es bei ihm auch nicht die Regel ist. Die meisten Bücher die ich von ihm kenne sind im Aufbau konventionell.
Exponentialdrift ist fragmentiert, weil aus einem Schreibexperiment entstanden. Er hat jede Woche ein neues Kapitel geschrieben und immer eine aktuelle Schlagzeile vorne angestellt, auf die er reagiert hat. Auch hier ergibt sich aus den Kapiteln ein Gesamtbild, wenn sie auch keinen Kurzgeschichtencharakter haben.
In "Ausgebrannt" springt er wild in den Zeitebenen der Protas und zeigt schlaglichtartig vergangene Begebenheiten, deren Auswirkungen für die Gegenwartsschilderungen erst einmal gar nicht klar ist und sich erst mit dem Fortschreiten der Geschichte ergeben. Das ist für den Leser eine Herausforderung, weil erst gerade zu Beginn wahllos erscheint. Ist es aber nicht und sorgt für erstaunliche Aha-Momente.
Der generelle Handlungsbogen, die Art, wie sich die Hauptgeschichte entwickelt, bleibt dabei klassisch. Das ist dann schon hohe Kunst und zeichnet ein unglaublich dichtes Bild.

Cheers - Frank

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