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Alternative Erzählstrukturen

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diffusSchall:
Hi Wildfee,

ah, ich sehe gerade, dass der von dir benannte TOR-Artikel der von Judith Vogt ist.
Gerade dieser ist wirklich gut, denn er weist ausdrücklich darauf hin, dass sich das "Progressive" eben nicht auf Voke-Themen beschränkt, was dein Zitat impliziert:


--- Zitat ---Zur Progressivität gehören dem Artikel nach demnach aktuell auch Themen wie z.B. Feminismus, Gendern, Diversität.
--- Ende Zitat ---

Leider sehe ich immer wieder, dass der Begriff "Progressive Phantastik" genau auf diese Thematiken reduziert wird und das ist in meinen Augen ein großer Fehler.
Ich stelle daher deinem Zitat einmal zwei weitere aus dem gleichen Artikel zur Seite, um deutlich zu machen, was ich meine:


--- Zitat ---Das Progressive beschränkt sich aber nicht nur auf die Inhalte, sondern bezieht sich in Anlehnung an Progressive Rock und Progressive Metal in der Musik auch auf die Form. Statt unreflektierten Gewohnheiten oder präskriptiven Ratgebern zu folgen, sucht die Progressive Phantastik nach Formen, die den jeweiligen Stoff am besten zur Geltung bringen.
--- Ende Zitat ---


--- Zitat ---... nehmt gewohnte Elemente und verwendet, was ihr brauchen könnt. Brecht die Klischees, fügt Neues hinzu, aktualisiert überkommene Motive – oder findet welche, die euch aktuell oder ewig vorkommen. Nehmt aber auch Neues aus der Gegenwart, bildet sie ab. Progressivität fährt auf den beiden Gleisen von Altem und Neuem und lebt von ungeahnten Kombinationen. Unsere Ängste und Hoffnungen, unsere Träume, Ziele und Ideale können sich zu den alten Motiven dazugesellen und eine neue Form von Tradition bilden, die mit Sicherheit irgendwann auch wieder in Frage gestellt werden kann – und muss!
--- Ende Zitat ---

Progressiv immer generell und nicht spezifisch.

Ich frage mich aber auch, wer entscheidet, was progressiv ist?
Nach meinem Dafürhalten ist der Autor der Letzte, der das entscheidet, weil er am wenigsten objektiv ist. Er kann allenfalls die Absicht verfolgen. Ob er wirklich innovativ und progressiv ist, dass ist wohl eher eine Frage der allgemeinen Wahrnehmung. Wie eingangs schon von mir formuliert: eine Frage für Kritiker und Konsumenten/Leser.


Beste Grüße - Frank

merin:
Ich sehe mich ja auch als Teil der progressive-SF-Szene und für mich ist das ein ganz wichtiges Ding. Einfach weil ich gesellschaftskritisch sein will. Ich möchte nicht in meinen Texten gängige -ismen reproduzieren und damit mir das nicht passiert, muss ich reflektieren. Genau darum gehe ich soweit zu behaupten, dass das doch auf jeden Fall eine Frage für Autor*innen ist - zumindest wenn sie progressiv sein wollen. Wenn ihnen das egal ist, dann ist das natürlich eine legitime Haltung, aber ich glaube eher nicht, dass man versehentlich progressiv sein kann.  ;)

Allerdings glaube ich auch nicht, dass die Art des Erzählens dafür so zentral ist. Ich halte die Inhalte für mindestens ebenso wichtig wie die Form und wenn sowohl Form als auch Inhalt vom Gewohnten zu sehr abweichen, fürchte ich, dass der Text sperrig wird. Aber das ist vielleicht auch eine Geschmackssache.

Erstaunt bin ich über euren Austausch zur Frage des Erzählens und des Träumens. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass wir träumen, wie wir erzählen oder erzählen, wie wir träumen. Einfach weil das für mich ganz unterschiedliche Arten des Erzählens sind. Ich würde sogar soweit gehen zu sagen, dass traumhaftes Erzählen nur in ganz wenigen Ausnahmen funktioniert, einfach weil Traumlogiken so fremd, so verworren, so unzugänglich sind. Erlebt ihr das anders? Wo seht ihr die Gemeinsamkeiten zwischen Traum und Erzählung?

Im Urlaub haben wir ein Buch mit SF-DDR-Geschichten von 1981 aus dem Bücherschrank eines Campingplatzes gezogen. Ich habe die erste Geschichte bereits gelesen und es stimmt: Sie ist progressiv und sowohl von vielschichtig. Ich bin ehrlich begeistert! Dass es zwischendrin so einen Backlash gibt und so eine große Auswahl an konservativer und gar rechter SF, finde ich auch schwer auszuhalten.

diffusSchall:

--- Zitat von: merin am 17 June 2023, 12:28:35 ---Genau darum gehe ich soweit zu behaupten, dass das doch auf jeden Fall eine Frage für Autor*innen ist - zumindest wenn sie progressiv sein wollen.
--- Ende Zitat ---

Ist das so? Ist dein zentraler Gedanke progessive Texte zu schreiben? Oder ist dein zentraler Gedanke gesellschaftskritisch zu schrieben? Was ist die Folge von wem?
Wenn dir jemand sagt, deine Themen und deine Art zu Schreiben ist nicht progressiv, aber gesellschaftskritisch. Fühlt sich das besser für dich an, als wenn es umgekehrt wäre?

Erzählen und Träume:
Wir erzählen ja Geschichten aus unserer Vorstellung heraus. Und viele unserer Bilder und Motive haben ihre Wurzeln im Unbewussten. Wie oft fragen wir uns als Autoren, wo das alles herkommt, was wir da zu Papier bringen? Zumindest mir geht es oft so, dass ich mich da selbst überrasche.
Das Unterbewusstsein ist ein ganz großer Teil unserers inneren Erzählers. Und wenn wir Träumen macht genau dieses Unterbewusstsein Überstunden. Ich sehe da eine klar, direkte Verbindung.

Cheers - Frank

diffusSchall:
Du findest konservative SF schwer auszuhalten? Wow. Da wundert mich die ablehnende Haltung doch sehr. Dabei ist althergebrachte, traditionelle und nur unterhaltende SF so leicht zu ignorieren, wie ich finde. Doch zumindest zu tolerieren.
Ich halte daran gerne fest, weil ich das Klassische, dass heute oft schon als Retro-SF bezeichnet wird, liebgewonnen habe. Ich bin damit gross geworden.

merin:
Frank, du drehst mir die Worte im Munde um und das an so vielen Stellen. Was ist los?


--- Zitat ---Ist das so? Ist dein zentraler Gedanke progessive Texte zu schreiben? Oder ist dein zentraler Gedanke gesellschaftskritisch zu schrieben? Was ist die Folge von wem?
Wenn dir jemand sagt, deine Themen und deine Art zu Schreiben ist nicht progressiv, aber gesellschaftskritisch. Fühlt sich das besser für dich an, als wenn es umgekehrt wäre?
--- Ende Zitat ---

Ich habe doch nirgendwo behauptet, dass das mein zentraler Gedanke sei. Oder mein zentrales Anliegen (ich nehme an, das war es, was du meinst?). Ansonsten würde ich sagen: Gesellschaftskritik funktioniert in progressive und in traditionalistische oder gar reaktionäre Richtung. Neonazis sind auch gesellschaftskritisch. Aber das ist gar nicht die Richtung, die mir vorschwebt. Insofern: ja bitte, gesellschaftskritisch und progressiv. Natürlich gibt es aber Leute, die meine Texte ganz anders lesen und das ist natürlich auch legitim.

Deine Gedanken zu Erzählen und Träumen leuchten mir ein: an beidem ist das Unbewusste beteiligt. Allerdings habe ich es so verstanden, dass wir hier über Erzählstrukturen sprechen. Und rein strukturell finde ich beide Arten des Erzählens doch sehr verschieden. Oder ich stehe einfach nur auf dem Schlauch und sehe die Ähnlichkeiten nicht. Oder wir haben aneinander vorbeigeredet, weil du den Inhalt meintest und ich die Struktur. Wobei: Wenn es um die Hypothese geht, dass die Struktur unserer Texte zu einem großen Teil ebenso unbewusst entsteht, wie die Struktur von Träumen, dann kann ich da sogar mitgehen. Interessanter Gedanke ... nur in der Überarbeitung wird im besten Falle dann einiges bewusst. Oder nicht? Die interessante Frage ist, inwiefern wir überhaupt Verfügungsgewalt über die Struktur unserer Texte haben.


--- Zitat ---Du findest konservative SF schwer auszuhalten?
--- Ende Zitat ---

Du-u, Fra-ank ... das habe ich weder gemeint noch geschrieben. Ich schrieb, dass ich den Backlash schwer auszuhalten finde. Das ist schon ein sehr wesentlicher Unterschied.

Ansonsten müssten wir mal schauen, was für Retro-SF du meinst. Ursula K Le Guin? James Tiptree Jr? Douglas Adams? Stanislaw Lem? Alles alt und alles von mir sehr geschätzt, zumindest zum Teil. Aber retro meint eigentlich, dass es jetzt geschrieben wurde, sich aber beim Damals bedient. Und da verstehe ich gar nicht, auf wen du dich beziehst. Und was das mit der Erzählstruktur zu tun hat.  :dontknow: Magst du mich aufklären?

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