Ok, ich probiere es mal....
Die Story ist unveröffentlicht und soll den Anfang eines rudimentär geplanten Kinderromanes werden bzw. einer Sammlung von zusammenhängenden Kurzgeschichten. Die Fortsetzung ist bereits erschienen (zusätzlich mit neuen Protaginisten) und an der dritten Story arbeite ich derzeit.
Ich würde mich freuen, wenn ihr Verbesserungsvorschläge hättet :-)
(ich hoffe, ich habe keine Zeichenbegrenzung überschritten, oder? Habe dazu nix gefunden)
Das Knirschen des Eises
»Oh, verflucht ist das kalt!« Maximiliane von Eichenlohe, genannt Maxi, hauchte in ihre Hände. Sie fröstelte, obwohl sie so nahe wie möglich am Feuer hockte und unter ihrer dicken Daunenjacke zwei Pullover trug. Zusätzlich zu einem langen Schal, den sie sich mehrfach um den Hals geschlungen hatte. Eine Mütze mit grellpinkfarbener Bommel vervollständigte ihr Outfit. »Meinst du, es wird noch kälter?«
»Die Nacht ist jung, die richtige Kälte kommt erst in den frühen Morgenstunden, be-sonders dann, wenn der Himmel weiter so sternenklar bleibt.«
Maxi verzog das Gesicht und seufzte kaum wahrnehmbar.
Opa Jo zeigte nach oben. »Der Mond hat keinen Hof, da gibt es keinen Wetterwech-sel.«
»Häh? Wieso Hof?« Maxi schaute ihren Großvater Josef, den alle Welt nur als »Opa Jo« kannte, irritiert und neugierig an, während sie weiter ihre Hände am Feuer wärmte.
»Ach ihr jungen Leute, ihr wisst ja gar nichts mehr über die Zeichen der Natur. Schau dir den Mond an, er steht klar und deutlich am Himmel. Das ist ein Zeichen da-für, dass die Luft kalt und trocken ist. Und wenn die Luft kalt und trocken ist und es so windstill wie jetzt ist, was meinst du, heißt das wohl?«
Maxi zuckte mit der Schulter. »Ich weis es nicht, ich kenne mich mit diesen Wetter-sachen nicht aus.«
»Das bedeutet, dass sich das Wetter in den nächsten Stunden wahrscheinlich nicht ändern wird. Wenn mehr Luftfeuchtigkeit in der Luft ist, bricht sich das Licht des Mon-des und er sieht am Rand etwas verschwommen aus und das nennt man Hof.«
Opa Jo schürte das Feuer und fuhr fort. »Hier nahe am See wird es schneller kälter werden, im Wald hinter uns wird es am Ende der Nacht etwas wärmer sein.«
Maxi kramte in ihrem Rucksack nach einer Packung Beef Jerky und riss sie kra-chend auf. »Ich glaube dir ja, aber es klingt trotzdem komisch. Hof, das hört sich so altmodisch an. Und was bedeutet es, wenn da so ein Hof ist?«
»Dann wird sich das Wetter ändern, weil ein Tiefdruckgebiet herankommt.«
»Ach Opa, wenn ich dich nicht hätte, würde ich diese Sachen nicht lernen.« Maxi grinste und reichte ihrem Großvater die Tüte mit dem Trockenfleisch.
Opa Jo nahm sich etwas Fleisch aus der Tüte und betrachtete es skeptisch. »Früher haben wir das selbst gemacht und jetzt gibt es das zu kaufen?«
»Ja, warum auch nicht?«
Opa Jo schüttelte den Kopf. »Ich werde dir beibringen, wie man das mit eigenen Händen herstellt. Ein weiterer Punkt auf der Liste der Dinge, die du noch zu lernen hast.«
Maxi verdrehte die Augen. »Als ob da nicht schon genug draufsteht.«
Opa Jo kicherte. »Die nächsten Monate werden dir bestimmt Spaß machen, keine Sorge. Aber für heute Nacht haben wir etwas anderes vor. Es wird langsam Zeit. Hast du alles beisammen?«
Maxi nickte und kramte in ihrem Rucksack. Sie zog eine kleine Metallschüssel, eine Zitrone und eine kleine Glasflasche heraus. Fasziniert betrachtete sie ihr eigenes Blut, das im Licht der Flammen dunkelrot schimmerte.
»Schütte das Blut in die Schüssel, schneide die Zitrone auf und tropfe etwas Zitro-nensaft in das Blut. Der wird das Blut am Gerinnen hindern. Und wenn du fertig bist, stell die Schüssel dort drüben auf den Baumstumpf.«
Maxi folgte den Anweisungen.
»Und was machen wir nun?«
»Warten.«
»Opa!«
»Was denn?«
»Geht es nicht genauer? Was passiert denn jetzt?«
Opa Jo schürte gelassen das Feuer und schmunzelte.
»Opa!!«
»Wir unterhalten uns weiter. Nicht zu laut und nicht zu leise. Und wir achten auf die Geräusche der Nacht. Das leise Rascheln der Mäuse im Laub, das Rufen der Eulen und vielleicht hören wir auch einen Fuchs oder einen Waschbären oder Wildschwei-ne. Aber auf eines achten wir ganz besonders: auf das Knirschen und Knacken des Eises.«
»Warum müssen wir denn darauf hören? Willst du jetzt auf das Eis? Das ist doch viel zu dünn und trägt uns noch gar nicht.«
»Es ist aber schon dick genug für sie.«
Maxi schaute ihren Großvater erstaunt an.
»Du meinst die Waldschrate ? Die Schrate laufen auf dem Eis?«
»Ja, das tun sie. Die Waldschrate bohren in solchen Nächten wie heute Löcher in die Eisdecke, um kleine Fische zu fangen. Sie lieben frischen Fisch und rohes Fleisch und sie sind ständig auf der Jagd nach kleinen Nagern und Eidechsen und Fröschen. Diese Gier machen wir uns zunutze. Sie riechen sehr gut und dein Blut hier ist eine Delikatesse, der sie nicht widerstehen werden.«
»Wird das Feuer sie nicht abschrecken? Das verstehe ich nicht. Feuer vertreibt wilde Tiere doch.«
»Schrate sind keine Tiere. Sie sind zwar nicht so intelligent wie Menschen, aber man darf sie auch nicht unterschätzen.«
Maxi kaute grübelnd an ihrem Trockenfleisch herum.
»Wie alt warst du, als du Egon bekommen hast?«
»Ein klein wenig jünger als du, glaube ich. So genau weiß ich das gar nicht mehr, ich kann mich aber daran erinnern, dass mein Vater mit dabei war.«
»Das ist wirklich lange her.«
»Ja, und seitdem waren wir keinen Tag getrennt.« Opa Jo zog den Reißverschluss seiner Jacke auf und sah sanft lächelnd auf seinen Schrat hinunter, der friedlich schnarchend in einer kleinen Umhängetasche lag. »Ich mag ihn nicht mehr missen und das Wissen, dass er bis zu meinem Tod bei mir bleiben wird, ist sehr tröstlich.«
»Ich bin mir gar nicht sicher, ob ich überhaupt einen Schrat will. Ich meine, was soll ich denn mit ihm anfangen? Und Mama und Papa hatten auch keinen.«
»Wer hat dir denn diesen Unsinn erzählt? Natürlich hatte auch dein Vater einen Waldschrat als Familiar!« Opa Jo hatte den Reißverschluss wieder geschlossen und eine gestopfte Pfeife aus einer der unzähligen Jackentaschen gefischt. Er zündete sie an und paffte Rauchkringel in die kalte Luft. Der süßliche und gleichzeitig würzige Geruch stieg Maxi in die Nase und sie nieste.
»Papa hatte auch einen? Das hat er mir nie erzählt.«
»Ja, er hatte auch einen. Klaus hieß er und dein Vater hat ihm die Freiheit wieder-gegeben, bevor von hier fortgegangen ist. Das war für beide nicht leicht, aber Klaus hätte in Frankfurt zu sehr gelitten. Und für deinen Vater war es schon schwer genug, unter normalen Menschen nicht zu sehr aufzufallen. Da konnte er sich nicht noch um einen Waldschrat kümmern.«
»Aber was ist denn dann mit Klaus passiert? War er nicht einsam?«
Opa Jo zuckte mit den Schultern. »Ich kann dir dazu gar nichts sagen. Ich weis nur, dass die Schrate sehr viel länger als wir Hexen leben. Mein Egon ist für einen Wald-schrat noch jung und im besten Alter, ganz im Gegensatz zu mir. Ich vermute, dass Klaus zu seiner Familie zurückgekehrt ist, so wie es auch Egon tun wird, wenn meine Zeit gekommen ist.«
Maxi schwieg. Ihr behagte es nicht, ein Wesen einzufangen und seiner Freiheit zu berauben. Aber sie wusste auch nicht, wie sie das ihrem Großvater begreiflich machen konnte. Er pochte auf den überlieferten Traditionen ihres Hexenclans und lebte nach den alten Regeln. Kaum zu glauben, dass sie sich im Jahr 2017 mitten in Deutschland befanden und Frankfurt in wenig mehr als zwei Stunden zu erreichen war.
Ihr Großvater hatte kein Handy, keinen Internetanschluss und sein Fernseher war reine Deko, seitdem der Empfang auf DVB-T2 umgestellt worden war.
Radio genügt mir, pflegte er zu sagen. Er hatte dafür ein umfassendes Wissen über die Natur, die Pflanzen und Tiere. Und sein Geschick, alle möglichen Haushaltsgerä-te, Spielsachen und Geschirr in seiner Werkstatt zu reparieren, war in seinem Dorf und darüber hinaus bekannt und legendär.
Sie fasste sich ein Herz.
»Opa, muss ich denn unbedingt einen Schrat fangen? Ich meine, Papa hatte seinen nicht so lange und Mama hatte gar keinen. Ich fühle mich nicht gut dabei.«
Sie sah ihren Großvater bittend an.
Opa Jo schaute sie prüfend an und paffte nachdenklich seine Pfeife. Die Rauch-kringel schwebten in der Luft und Maxi fühlte sich ein wenig an Gandalf erinnert.
»Ich mache dir einen Vorschlag. Wir warten diese Nacht ab. Wenn es dein Schicksal ist, einen Schrat zu bekommen, wird er dich finden. Und wenn keiner auftaucht, bleibst du allein. Bist du damit einverstanden?«
Maxi überlegte nicht lange.
»Das Angebot ist fair. Also warten wir. Aber wenn der Morgen graut, gehen wir zum Auto zurück, ja?«
Opa Jo nickte.
Sie saßen schweigend am Feuer, nur das Knistern und Knacken der Holzscheite und das gelegentliche Rufen eines Uhus unterbrach die einträchtige Stille.
Die Nacht schritt voran und es wurde kälter und kälter. Maxi wickelte sich so in eine Decke ein, dass nur noch ihre Augen zu sehen waren. Opa Jo hatte einen Hut aufge-setzt und trotzte der Kälte in seinem altgedienten Lodenmantel. Er hatte schon ganz andere Winter erlebt und war abgehärteter als seine Enkelin.
Maxi wachte auf, als sie hörte, wie Eis unter kleinen Füßen knirschte und knackte. Das Feuer war mittlerweile heruntergebrannt, und es hatte begonnen zu dämmern. Sie schlug die Augen auf und sah im Zwielicht Opa Jo zwinkern und grinsen.
Maxi war augenblicklich hellwach. Ihr Herz klopfte und sie wagte sich kaum zu be-wegen. Immer noch bis über die Nase in ihre Decke eingemummelt, drehte sie sich ganz vorsichtig so, dass sie den Baumstumpf und die Schüssel mit ihrem Blut im Blick hatte. In der Zwischenzeit war das Blut an der Oberfläche gefroren und nun sah sie staunend zu, wie ein kleiner Kerl selig lächelnd in die Schüssel griff und eisige Blut-brocken herausfischte.
Der Schrat war ein wenig größer als ihre Hand, Kopf und Gesicht waren von dich-tem, zotteligen dunklem Haar bedeckt und er war in Fell gehüllt. Maxi traute ihren Au-gen nicht. Sie hatte sich keine Gedanken darüber gemacht, ob wilde Schrate nackt umherliefen oder nicht. Jetzt sah sie, wie sie ihre Blöße bedeckten.
Ganz langsam und vorsichtig wickelte sie sich aus der Decke. Der Schrat zuckte zu-sammen und blickte mit großen, dunklen Augen zu ihnen hinüber. Sein Blick wander-te zwischen der Schüssel mit Blut und den beiden Menschen hin und her.
»Was soll ich denn jetzt tun?« flüsterte Maxi.
»Was dir dein Herz sagt«, erwiderte Jo ruhig.
Maxi überlegte. Wenn sie den Schrat jetzt ansprechen würde, würde er vielleicht er-schrecken und davonlaufen. Dann hätte sie ihre Abmachung mit Opa Jo nicht gebro-chen aber auch keinen Schrat. Genau das, was sie wollte. Oder?
Sie stand langsam auf und der Schrat flitzte so schnell es seine Beinchen erlaub-ten, ins nahe Unterholz.
Erleichtert drehte sich Maxi zu Jo um.
»Siehst du, es funktioniert nicht, ich habe ihn verscheucht.«
Opa Jo schaute sie gelassen an. »Bist du dir sicher? Dreh dich mal um.«
Maxi sah zu der Stelle, an der der Schrat verschwunden war und schüttelte ungläu-big den Kopf. Ein halbes Dutzend von ihnen stand dort und blickte sie direkt an.
»Geh zur Schüssel und nimm ein Stückchen Blut in die Hand.« forderte Jo sie auf.
»Wenn dann keiner der Schrate zu dir kommt, werden wir wieder gehen.«
»Na gut.« murmelte Maxi und ging die paar Schritte zum Baumstumpf. Die Schrate blickten sie unverwandt an, rührten sich aber nicht.
Maxi bückte sich zur Schüssel hinunter und brach ein Stück gefrorenes Blut ab. Sie hockte sich hin und hielt das Stückchen in Richtung der kleinen Wesen.
»Na, wer will? Kommt her, ich tu euch nichts.«
Ihnen etwas Blut zu geben, konnte nicht schaden, sie musste ja keinen von ihnen fangen.
Zu Maxis Verwunderung kamen gleich mehrere Schrate vorsichtig näher. Jeder von ihnen sah ein wenig anders aus, der eine hatte die Haare lockig, ein anderer war blond und alle waren in Felle gehüllt. Ihre Blicke huschten zwischen ihr, dem Blutbro-cken und Opa Jo argwöhnisch hin- und her.
Das Blut schmolz in ihrer Hand und tropfte langsam auf den Boden.
Endlich war einer der Schrate nahe genug und riss ihr das Stück Eis aus der Hand. Erschrocken zuckte Maxi zurück und verlor das Gleichgewicht. Sie wollte sich grade wieder aufrappeln, als sie etwas Feuchtes und Warmes an ihren Fingern spürte.
Einer der Schrate leckte ihr tatsächlich das Blut von den Fingern!
Fasziniert betrachtete Maxi das kleine Wesen, dessen rosa Zunge immer wieder hervorschnellte und das Blut gewissenhaft aufschleckte. Dunkle Augen blickten sie an. Maxi fühlte plötzlich einen Kloß im Hals. Sie wagte es nicht, sich zu rühren. Als sämtliches Blut aufgeschleckt war, schnatterte der Schrat plötzlich etwas, das sich nach Sprache anhörte. Die anderen Schrate keckerten zurück und verschwanden so unvermittelt im Unterholz, wie sie aufgetaucht waren. Zurück blieb ein Schrat, der be-gann, Maxis Ärmel hochzuklettern.
»Opa, was macht er da!« rief Maxi verdutzt. So einfach runterschütteln wollte sie ihn nicht, womöglich würde er sich dabei verletzen.
Der Schrat erreichte Maxis Schal, wühlte sich zwischen die wollenen Schlaufen und rührte sich mit einem Mal nicht mehr.
Panisch schaute Maxi ihren Großvater an.
»Opa, was soll ich denn jetzt tun?«
Opa Jo begann herzhaft zu lachen und wischte sich schließlich die Lachtränen aus den Augen.
»Hast du wirklich geglaubt, das wir heute ohne Schrat nach Hause fahren?«
Maxi war empört. »Du hast gewusst, was passiert, oder?«
»Natürlich, aber wenn ich dir das gesagt hätte, wärst du sofort zurück zum Auto ge-stürmt. Schrate wählen sich ihre Hexe immer freiwillig. Wir fangen sie nicht, sie erwäh-len uns.«
Maxi stand langsam vom Boden auf und nestelte an ihrem Schal. Der Schrat lag eingerollt inmitten der dicken Wolle und schnarchte leise.
»Eigentlich ist er ja ganz süß.«
Opa Jo trat näher und betrachtete den Schrat. »Das ist eine Sie.« bemerkte er tro-cken.
Schockiert sah Maxi auf und schluckte.
»Das ist eine, wie nennt man sie eigentlich, Schrätin? Echt?«
»Jupp.«
»Und sie bleibt jetzt für immer bei mir?«
»Wenn du sie nicht vorher wieder zu ihrem Clan zurückschickst. Deinem Vater hat es fast das Herz gebrochen, seinen kleinen Seelengefährten zu verlassen und Klaus wird auch gelitten haben. Denn das sind die Schrate: Unsere Seelengefährten, die auch dann für uns da sind, wenn es sonst niemand ist.«
Maxi betrachtete die kleine Schrätin erneut. Sie hatte sich bereits in ihr Herz geschli-chen und würde dort bis an ihr Lebensende bleiben.