Hallo, ich zeige euch eine neue Geschichte, sie besteht aus zwei Teilen, hier der erste Teil
(Ich habe an meiner ersten Geschichte gearbeitet und eure Kritik dankend aufgegriffen und würde euch gern später die Überarbeitun präsentieren. Danke, dass ihr so viel Geduld hattet. Ja, es war keine richtige Geschichte, nur ein Ausschnitt ohne Ziel und Ende).
LG Cecilie
Walk of Fläme
Eine von mehreren Kurzgeschichten zum Thema REGIONAL.
Der Fläming zieht sich unterhalb von Berlin bis kurz vor der Lutherstadt Wittenberg, welche nicht mehr in Brandenburg, sondern bereits in Sachsen-Anhalt liegt.
TEIL I
Er torkelte, fing sich, strauchelte abermals und fiel. Nun, nichts Ungewöhnliches im Landkreis Teltow Fläming, weder für Kneipengänger noch für amtierende Bürgermeister.
Ungewöhnlich war eher seine Erscheinung. Männlich, gutaussehend im fortgeschrittenen Alter, der Notarzt sollte sich am nächsten Tag gewaltig irren, als er sein Alter mit `ca. 65` notierte. Bleich, mit buschigen Augenbrauen und einem kecken Augenaufschlag in einem edlen, aber altmodischen Anzug war er nahezu attraktiv. Wäre da nicht obendrein die Tatsache, dass er sich kaum noch auf der Fläming Skate geradeaus halten konnte und wohl einen Radler zu viel intus hatte in dieser lauen Juninacht um 1.20 Uhr zwischen Neuheim und Grüna. Ohne Inliner, wohlgemerkt.
Manche von ihnen sah ich bisweilen in der Dämmerung, schnell waren sie, flink, zahlreich. Er wirkte dagegen wie ihre Materialisierung auf zwei Beinen. Pardon, auf allen vieren, nun war er hingefallen und kroch zum Wegesrand.
Er lallte, lachte und hob seine Hand deklamierend zu den jungen Obstbäumen, die die Straße säumten. Keine Linden, deren Baumkronen der Jüterboger Bauhof im letzten Herbst zum Leidwesen der Naturschützer radikal in der Stadt frisiert und deren Schnitt die Untere Naturschutzbehörde, voran Frau Hinrichs mit kurzem i, kritisiert hatte.
Eine weibliche Gestalt im langen Kleid kickte eine leere Wodkaflasche weg und näherte sich. Sie schien wie aus dem Nichts gekommen zu sein.
„Elender Säufer!“
„Helena, mein Liebling!“, säuselte er.
Wütend reichte sie ihm die Hand, eine holde Schönheit, dunkel hob sich Haar und Kleid, schwerer Samt, von ihrer hellen Haut ab.
„Was ist nur los mit euch, Papa?“
Verletzt in seiner Eitelkeit stieß er zornig ihre Hand weg und versuchte, allein aufzustehen. Es misslang.
Das flache Land im Fläming vermochte die Dunkelheit wesentlich besser zu speichern, wie ein endloser Teppich breitete sich die Schwärze aus. Stille, nur das Zirpen der Grillen war zu vernehmen. Ein Reh äugte aus dem Feld hervor, der Wind stand ungünstig, es bemerkte die beiden Nachtwandler nicht. Blitzschnell schossen ihre beiden Köpfe in Richtung des Tieres, verharrten lauernd.
„Wild schmeckt nicht, Helena, merk Dir das!“, winkte er lallend ab. In der Ferne wurden die langgezogenen Lichtkegel eines Autos sichtbar, aus der Bahnunterführung Grüna kommend. Das Fernlicht streifte das Feld zwischen den Kurven, verscheuchte mit seinem hellen Scheine das Reh und sauste mit überhöhter Geschwindigkeit an ihnen vorbei. Die Zikaden sirrten. Helena sah ihren Vater missbilligend an, sie wartete und schwieg. Wieder senkte sich Stille nieder und lauerte wie ein Tier. Beide lauschten, registrierten wie ein Radar jede Bewegung. Noch ehe der Fahrraddynamo zu hören war, bemerkten beide das Vibrieren eines Rennrades.
„Lasst den Radfahrer in Ruhe, Herr Papa!“, drohte sie ihm. Nicht einfach, wenn man mit seinem Körper halbsitzend die Breite der Skaterbahn einnahm.
Am nächsten Morgen zeugten nur das teure Rennrad, achtlos im Straßengraben, und eine Blutlache von dem nächtlichen Intermezzo. Im Regionalteil der MÄRKISCHEN ALLGEMEINEN las ich davon. Die Zeitung berichtete großformatig: Die Polizei hatte die Ermittlungen aufgenommen, gesucht wurde nach dem vermissten Radfahrer, Dirk B., 43 J, Schichtarbeiter aus Neuheim.
In der darauffolgenden Nacht zürnte Helena wieder mit Herrn Papa: „Schon wieder betrunken?“ Sie stand in Nähe der Ferienwohnungen am Ortsausgang Neuheim und beugte sich zum ihm hinunter. „Grast Du die Fläming Skate regelrecht ab oder was wird das?“ Er wirkte verwirrt, wusste nicht, wo er war.
„Ihr seid in Neuheim“, sprach sie besänftigend und strich ihm über die Wange. An seinem Mundwinkel klebten noch Reste, sie zog ein Stofftaschentuch hervor, achtete, dass die Spitze nicht kratze und tupfte den Fleck weg. Er schaute irritiert zu ihr auf und schwieg. Ihre dunklen Locken umrahmten ihr Gesicht wie auf einem alten Ölgemälde von Tizian.
“Neuheim, ehemals Dorf Zinna, weißt Du nicht mehr?“, flüsterte sie, „der frühere Artillerieschießplatz.“
Er nickte flüchtig, blieb aber sitzen.
Ein Liebespärchen aus Hessen näherte sich dem. Helena seufzte, sie spürte das Herannahen von Gefahr. Menschen! Beide Aktivsportler steuerten auf Inlinern ihre Ferienwohnung an, vor deren weiteren Entwicklung dem jungen Mann innerlich graute. Lars, ursprünglich aus Hannover, war der Mann an Anitas Seite, ein linkischer Verwaltungsangestellter im Stadtarchiv im mittleren Dienst und Alter. Er hatte heute Abend die Skatertour vorgeschlagen, einen größeren Rundweg, um Anita auszupowern. Das behielt er aber für sich.
Helena versuchte, Papa hochzuziehen, vergeblich. Schwerfällig saß er immer noch auf dem Bürgersteig und kicherte angesichts der Skater über seinen eigenen Witz: „Ein Radler, bitte!“.
Gekonnt bremste Anita, die junge Frau in der roten Leggins, ab, stoppte vor der hilflosen Person am Wegesrand.
„Geht es Ihnen nicht gut?“ „
„Krankenschwestersyndrom!“, flüsterte Lars zu Helena, die verärgert schwieg. Anita hatte bereits ihr Handy gezückt und einen Notarztwagen alarmiert.
Helena erkannte die Gefahr einer ärztlichen Versorgung, konnte jedoch den Anruf nicht verhindern. `Sie gehört an den Pranger gestellt!` Laut versuchte sie abzuwiegeln: „Er ist voll“. Zu spät.
Wartend standen sie im Kreis um Herrn Papa rum. Lars blickte hoch zum Nachthimmel. Zwischen den beleuchteten Straßenlaternen schwirrten Fledermäuse.
„Hier zwischen Grüna und Neuheim hat man unlängst eine besondere Art von Fledermäusen entdeckt“, entgegnete er unsicher. Ursprünglich wollte Lars am letzten Urlaubstag seiner Anita einen Antrag machen. Er hat es sich überlegt und den Ring ganz tief zwischen den schmutzigen Socken versteckt.
„Stand im Reiseführer“, schickte er hinterher, um die Stille zu verscheuchen.
„Die Untere Naturschutzbehörde Luckenwalde gibt darüber Auskunft“, las Anita vor, während sie weiter mit ihrem Smartphone spielte, „Ich glaube, die stehen unter Naturschutz.“
`Naturschutz!`, verärgert strich Helena, aber fürsorglich, Herrn Papa über die Stirn. `Man sollte lieber dich unter Naturschutz stellen! Quatscht und quatscht und quatscht! Dieses Waschweib! Hoffentlich hält Papa wenigstens seinen Mund!`
Als der Rettungswagen mit Blaulicht eintraf, nötigt sie das junge Pärchen zur Nachtruhe. Lars hatte ein flaues Gefühl und bot schnell seine Hilfe an. Helena verneinte, schob die beiden Richtung Ferienwohnung und versicherte, sich weiter um Papa zu kümmern. Anita nahm Lars Hand und zog ihn mit.
Im heutigen Einsatz war Dr. Wolf Gerald mitgefahren, ich kannte den jungen Neurologen von unserer Station. Er wand sich Helena zu, sie lächelte zuckersüß zurück und versuchte, das ganze herunterzuspielen. Nein, sie wollte Papa nicht hergeben, ihn nicht mitnehmen lassen. Nur, der Notarztwagen war nicht extra heran gesaust, um dann über Sterne, Fledermäuse und Trunkenheit zu philosophieren und unverrichteter Dinge wieder loszufahren. Mechanisch nahm Wolf Gerald die Hand vom Senioren und versuchte, seinen Puls zu fühlen. Helena trat dazwischen und lächelte abermals. Er war irritiert. Ist das ein Puls? Ein Date? Schon Mitternacht? Gehirn und Kugelschreiber streikten. Er holte tief Luft und wurde wieder professionell:
„Ist Ihnen bei Ihrem Vater etwas in letzter Zeit aufgefallen? Veränderungen?“
„Papa ist so vergesslich geworden.“
„Schwindel? Stürze?“
„Er überlegt beim Schreiben, findet ... die Buchstaben nicht. Er kann ... keine Briefe mehr verfassen ... manchmal fehlen ihm die Worte.“ Anstatt dem Patienten den Puls zu fühlen, verspürte er plötzlich das Bedürfnis, über ihre dunklen Haare zu streichen. Blass war sie, stand sie unter Schock? Er kramte in der Brusttasche. Auf den dunkelgrünen Kuli vom Bestattungswesen IMMERGRÜN war Verlass! Auf den Tod ist immer Verlass. Er kritzelte weiter.
„Warum ist er jetzt hier? Es ist immerhin 0.14 Uhr. Büxt er öfter aus? Pflegeheim?“
„Er ist nachtaktiv, wie ... ein Marder“, scherzte Helena, „kaum ist die Sonne weg, wird er munter. Aber er wird schon wieder. Er ist zäh, er wird noch lange unter uns sein.“ Ihr Lächeln war schief, sie zerrte an Herrn Papa.
Der junge Mann beendete das Protokoll, zückte sein Sprechfunk und gab routiniert Anweisungen durch.
„Hilflose Person, desorientiert. Ja. Ja, ja. Mach mal ne Einweisung fertig. Wir kommen gleich zurück. Was? Neee. Aufnahme zur Alzheimer-Abklärung.“
Er lauschte und schaute auf die junge Frau. `Ganz bleich, die Gute. Und ziemlich scharf in ihrem Kelly-Family-Look!`
Sie stand beschwörend vor ihm in seiner rot-orangen Notarzt-Uniform.
„Ja, sag ich doch! Gedächtnis- und Merkfähigkeitsstörungen, Dysgraphie. Ausführliche Diagnostik. Ja, mach mal ein cerebrales Computertomogramm, gegebenfalls auch ein MRT. Okay! Ja, ja. Bis dann.“
„Nein, nein! Das geht nicht!“ bricht es angstvoll aus Helena heraus.“ Sie sind fast gleichgroß, er sieht Angst in ihren mandelförmigen Augen, vorsichtig ergreift er ihren Arm und holt eine Blutdruckmanschette hervor und will sie ihr anlegen.
„Nein, nein!“
„Sie stehen unter Schock! Keine Sorge! Wir kümmern uns.“
„Nein!“ Sie reißt sich los und tritt einen Schritt zurück in den Schatten der Straßenlaterne. „Sie … können ihn nicht mitnehmen. Ich ..., ich selbst kümmere mich um ihn. Er … darf nicht …“
Er nickt dem Rettungssanitäter zu, sie verladen routiniert den gebrechlichen Mann ins Auto.
„Suchen Sie morgen Ihren Hausarzt auf, er kann Ihnen ein Mittel gegen Unruhe geben. Und etwas gegen Eisenmangel!“
Das Auto fährt an.
„Kein Fenster! Kein Fenster!“ Er verspricht ihr alles, den abgedunkelten Raum aufgrund der penicillinallergischen Überempfindlichkeitsreaktion ihres Vaters auf Licht. Sie bekommt er jedoch nicht, weder ins Auto noch einige Zentimeter näher. Der magische Moment ist dahin, sie bleibt in gebührenden Abstand stehen.
Der Krankenwagen fährt davon, Wolf Gerald zückt wieder den Sprechfunk. „Hey, wir sind jetzt auf dem Rückweg. Ja, die Innere zur Aufnahme. Ja, ja. Er hat eine Tochter. Die Familie ist ein bisschen komisch, alle ganz blass, wirkt ziemlich vornehm. Vermutlich genetisch bedingte Anämie. Sie kommt ihn morgen besuchen, muss aber bis in die Abendstunden arbeiten. Nein. Auch nicht. Kläre das mal mit den Krankenschwestern, dass sie ihren Vater abends besuchen kann. Äh, ... nach ... nach Möglichkeit ab 22.00 Uhr, da ... beginnt meine Nachtschicht, dann ... kommeichaufstationvorbei!“
Das einzige Fenster von Herrn Papas Zimmers lag im Norden. Ich lernte ihn zwei Tage später, am 21. Juni, am Tag der Sommersonnenwende, im Jüterboger Krankenhaus vor 17 Jahren kennen. Ich bin ausgebildete Legasthenietrainerin und behandele neben Kindern seit kurzem auch Demenzkranke und damit `Herrn Papa`.
Mein Anliegen:
- Ich habe Probleme, eine Verbingung zwischen Teil I und Teil II herzustellen. Passen beide zusammen?
- Kommen Euch `Herr Papa` und Helena komisch vor und wenn, warum? Gibt es eine Vermutung?
- sind die Figuren klar dargestellt, vorstellbar? Oder noch zu farblos?
Liebe Grüße, Cecilie