21 November 2024, 13:27:56

Autor Thema: Annabelle  (Gelesen 1741 mal)

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Cecilie H

  • Federgewicht
  • **
  • Beiträge: 35
  • Keine Gabe wirkt mächtiger als die Phantasie.
Annabelle
« am: 12 December 2022, 01:06:15 »
Hallo,
bin gespannt auf Euer Urteil. Fragen habe ich unten positioniert.

Annabelle

Ihre Bewegungen waren ruckartig, fahrig, dabei fuhr sie nicht mehr Auto, sondern entstieg eben ihrer lilafarbenen Quetschkartoffel, wie sie den Smart zärtlich nannte. Die Farbe ihres Kleinwagens entsprach der ihres Rockes und des Lippenstiftes, welche gemeinsam mit den pechschwarzen Haaren eine wunderschöne Augenweide schufen.
Heute kommt sie aber zeitig, hat sie nicht einen Frisörtermin?
Als Annabelle eintraf, hatte ich gerade Wäsche aufgehangen, die Spätsommersonne hatte uns einen weiteren warmen Tag geschenkt. An ihrer Seite ihre Tochter, unsere Mädchen waren gleichaltrig, beide gingen in die 4 c.
Warum holte Annabelle denn Cheyenne mit dem Auto ab? Die Mädchen fuhren doch jeden Tag gemeinsam mit dem Rad zur Schule! Und … wo war meine Lena?   

La Bella verzauberte jeden Elternabend, jedes Grill- und Gemeindefest durch ihren Charme und Chic, während ich Pummelchen einen Gegensatz zu ihr bildete. Wie Tag und Nacht. Mit Windelwechseln und der Zubereitung von Pausenbroten in der Früh stand ich für den grauen Alltag, während meine schöne Nachbarin Annabelle den glanzvollen Abendstern bildete. Die Pfunde der letzten Schwangerschaft fühlten sich bei mir wohl wie das Unkraut in unserem Gemüsebeet. Und blieben genauso hartnäckig. Annabell hatte eine sexy Figur und kleidete sich auch so, das man sie wahrnehmen musste.

Hatte sich Cheyenne den Fuß verstaucht? Oder ihr Rad einen Platten?
In der Ferne hörte ich das Heulen eines Krankenwagens, selbst die Bienen schienen durch den markerschütternden Ton kurz im Fluge zu verharren, als raubte das akustische Grauen ihnen ein Vorwärtskommen. Ich blickte über meine kleine grüne Oase, bei dem Wetter trocknete die Wäsche sicherlich schnell. 

Erst jetzt bemerkte ich an ihrem Auto die Beule am Kotflügel und den kaputten Scheinwerfer. Nanu, hatte ihr Smart Bekanntschaft mit den Brandenburger Alleen gemacht? Ich winkte hinüber, auch ohne Aufforderung nahte sie. Nervös, so kannte ich das selbst-bewusste, ruhige, leicht phlegmatische Schneewittchen gar nicht. Ihre Augen, umrandet von malvenfarbenen Lidschatten mit fliederfarbenen Ausläufern und schwarzer Wimperntusche erinnerten mich an ein angefahrenes Reh.
Annabelle?
Scheiß Freistunde!
Ohne auf den unebenen Gartenweg zu achten, stolperte sie in High heels zu mir. Ich fragte mich jedes Mal, wie sie in den spitzen Dingern laufen konnte. Ihr Garten wies akkurate Wege auf, unser Maulwurfhügel und Giersch. Vor unserem Schuppen standen die Räder, mein Sohn Leon war vor 10 Minuten mit dem Bus gekommen, sonst fuhr er mit dem Rad zum Gymnasium. Heute früh aber hatte er den Bus genommen, er wollte noch zur Bibliothek, die Ausleihfrist hatte bereits vor 5 Tagen geendet.

Wir sind gemeinsam zum Busbahnhof gegangen, hatte er mir erzählt, Selma und ich. Selma musste zur Musikschule, ihr Bus fuhr später. Linie 123, Gegenrichtung.
Ein feines Lächeln überlagerte meine Mundwinkel. Selma Lara Brzeckowsky war neu in seiner Klasse, dass wusste ich von der anderen Elternvertreterin, und mein Sohn schwer verschossen in sie. Die erste Liebe, ein unbekanntes Gefühl. Sein Zimmer ähnelte nicht mehr einer Müllhalde. Er leerte sogar seinen Papierkorb und saugte unaufgefordert den Teppich! Wie ist diese Zeit der Teenager noch schön. Unbeschwert und doch eine klebrig-süße Qual. Ein Ausnahmezustand der Gefühle, eine Dauereuphorie, eine Explosion von Endorphinen. Rosarote Brille.
Leon hatte zurückgelächelte, als ich die Wäsche aus der Waschmaschine zerrte.
Mein Großer!
Kann Selma morgen zu mir kommen? Wir wollen Deutsch lernen und außerdem will ich ihr noch eine CD brennen. Wieder rutschte ein Lächeln von links nach rechts. Meins. Sonst fragte er nie, wenn er seine Kumpel anschleppte. Allerdings bezweifelte ich auch, dass sie je zusammen gelernt hätten.
Gerne!
Danke Mom! Leon hatte sich die Schüssel mit dem Müsli geschnappt und war auf sein Zimmer verschwunden.
Sei bitte leise, dein kleiner Bruder schläft noch, mahnte ich.
Alles klar, hörte ich es noch von der Treppe, bevor die Tür zuging. Das war vor einer
Viertelstunde gewesen, inzwischen kämpfte ich mit 8,5 kg nasser Wäsche und versuchte nun, ein verschrecktes Modepüppchen aufzumuntern. Statt Annabelle hatte ich eigentlich meinen Mann erwartet, Rüdigers Frühdienst musste gleich vorbei sein.
Annabelles Augen gingen unruhig hin und her, als jagten sie ein Tier. Ein angeschossenes, unberechenbares Getier.
Was war nur geschehen? Wo blieb Lena?
An Annabelles Hals baumelte eine rosafarbene Muschelkette, ich hatte sie letzte Woche in Monas Modewelt gesehen und gezögert. Von Billigschmuck halte ich nicht viel, ab 40 sollte man echten tragen. Leider verstieß ich selbst dagegen - aus finanziellen Gründen. Drei Kinder, zwei Kredite für Haus und Auto und nur einer, der jobbte. Das erforderte ein tägliches Jonglieren mit Zahlen und Frustrationsgrenzen.

Rüdiger hatte mir zu Weihnachten Ohrringe geschenkt, teure Opale, die mich an Omas Hustenpastillen erinnerten. Ich konnte mich am 2. Weihnachtsfeiertag nach Leons Videomarathon und Simons Speiattacke nicht beherrschen und monierte den Farbton. Wir hatten einen hässlichen Streit, Besuch, einen maulenden Siebzehnjährigen und zwei heulende Kinder.
In dieser Preiskategorie muss man sich den Schmuck selbst aussuchen.
Dann wäre es ja keine Überraschung mehr.
Fehleinkäufe können wir uns aber nicht leisten.
Scheiß Weihnachten!
Ich fragte mich, wie Annabelle es handhabte. Vielleicht verschenkte ihr Schatz Gutscheine. Oder entführte sie nach dem Frühstück zu Tiffany. Lutz war Handwerker, äußerst geschickt und arbeitete noch schwarz.

Annabelles Auto stand schief und merkwürdigerweise vor unserem Haus, dabei hatte Lutz ein Doppelcarport angelegt. Ich hängte die letzte Boxershorts auf und bot Annabelle Kaffee an, die Terrasse lud sonnendurchflutet dazu ein.
Cheyenne, du kannst in Lenas Zimmer warten. Warum seid ihr denn nicht gemeinsam zurückgeradelt?
Cheyenne senkte ihren Kopf beim Sprechen. Mami hat mich doch abgeholt! Mit
einem kaputten Auto, voll peinlich! Vielleicht schaute Cheyenne auch nur auf ihre
Sandalen, aus denen sie schlüpfte, bevor sie leise durchs Wohnzimmer hinauf in Lenas Zimmer schlich.

Mein Warum blieb in der Luft hängen wie der schwache Duft  der Wildrosen. Aus dem Kinderzimmer hörte ich kurze Zeit später Monrose kreischen, während Annabelle die ganze Zeit schwieg.
Nur die Kaffeemaschine gab glucksend ihrer Verärgerung zum Ausdruck, dass sie bereits vor 14.00 Uhr arbeiten musste.
Auch von Annabelle erhielt ich keine Auskunft, ihr Blick traf mich wie ein Steinschlag in der Windschutzscheibe. Von unserer Abmachung des gemeinsamen Radelns unserer Töchter  erhoffte ich mir eine gegenseitige Verkehrserziehung, einen positiven Einfluss, die Kinder müssen zwar eine Haupt- und mehrere Nebenstraße überqueren, aber überall waren Radwege angelegt. Da hatte es Leon besser, das Gymnasium lag am Markt in der Innenstadt. Dort, von wo jetzt wieder ein Martinshorn erklang und uns an seine unheilvolle Berufung erinnerte.

Hast du noch was anderes zu trinken? Ihre Schuhe hatte Annabelle angelassen, als sie zu mir in die Küche kam.
Ich riss den Kühlschrank auf.
Täglich wischte ich den Fußboden, Simon befand sich im Krabbelalter, kein Krümel war vor ihm sicher. 
Wasser, Apfelschorle?
Annabelle war so latent ruhig, aber in ihr brodelte es wie in einem Vulkan, dass konnte ich ihr ansehen. Kurz vor dem Ausbruch. Sie konnte unglaublich aufdrehen, ein Quirl sein, aber ihre typischste Eigenschaft war Faulheit gepaart mit Egoismus. Bei ihren letzten Elternabenden und Einsätzen glänzte sie durch Abwesenheit. Als Elternvertreterin nahm ich überall teil, selbst an unserer Klassenzimmerrenovierung. Simon wurde gerade ein halbes Jahr alt, aber ein Fehlen erschien mir unmöglich, zumal ich die Aktion ins Leben gerufen hatte. Für mehr Farbe! Rüdiger hatte seinen ganzen Dienstplan komplett umstellen müssen.
Hast du auch Cognac? Cola mit Rum oder Batida de coco?
Ich schaute kurz nach Simon, er schlief noch friedlich in seinem Bettchen. Aus dem Wohnzimmer holte ich eine Flasche, schenkte uns auf der Terrasse Kaffee und Annabella noch Whisky ein. Der Lärm ist der Ferne klang immer noch zornig, schwoll aber ab. Es befand sich nichts anderes im Hause, Alkohol killen wir nur langsam, außerdem schmeckte mir das edle Gesöff mit seiner 3jährigen eichenfassgereiften Lagerung nicht. Wie flüssige Salami.
Lutz schon da?

Neee!
Ich wollte ihr Zeit lassen, ihr Pony wies einen akkuraten Schnitt auf, vielleicht eine Idee zu lang. Die Haare wirkten wie mit dem Glätteisen malträtiert, sie sah wirklich nicht wie 34 Jahre aus. Neidisch blickte ich verstohlen in die Scheiben der Terrassentür. Mir sah man das überarbeitetet Muttertier, mein Übergewicht und das Fehlen von ausreichendem Schlaf, Kosmetikterminen und Lottogewinnen an. Der Frisör an der Wensickendorfer Chaussee war Annabells zweites Zuhause, alle 14 Tage kehrte sie dort ein. Theoretisch auch heute.

Warum kam Lena nicht? Sie hätte schon längst da sein müssen!
Mein Blick schweifte über den kleinen Garten und blieb an der lilafarbenen Knautschzone hängen. Sogar die Fahrertür hatte etwas abbekommen.
Na, wie hast Du denn die Beule reingezaubert?
Annabelle umfasste vorsichtig mit ihren künstlichen Fingernägeln den Kaffeepott. Ich blickte in den Garten, der Sonnenhut blühte immer noch wunderschön und die Cosmeen schienen sich im warmen Sonnenlicht wohlzufühlen. Ich hörte aus ihrer Richtung ein hartes Schlucken.

Zu schnell in der Kurve. Beethovenstraße. murmelte sie. Die Beethovenstraße lag auf dem Weg zur Grundschule bzw. von der Schule. Dort? Die kleinen Poller auf dem Markt, DAS hätte ich verstanden. Ich hatte mal einen beim Ausparken übersehen, die Parkflächen befanden sich neben dem Bushaltebereich. Annabelle schenkte sich nach und kippte den Whisky runter. Markierungssteine, hauchte sie. Es war ein raues Flüstern, wie das leichte Wiegen der Blütenköpfe in einer lauen Brise. Oder wie das blanke Entsetzen der Fliege im Spinnennetz. Ich fuhr mir durch meine kurzen, aschblonden Haare. Beethovenstraße! Der Fleck auf Rüdigers Hemd war nicht rausgegangen, stellte ich beim Blick auf die Wäscheleine fest. Das war doch eine Tempo-30-Zone! Dabei hatte ich den Fleck extra vorbehandelt! Ich glaube es einfach nicht! Ich ärgerte mich und leerte den letzten Schluck Milchkaffee. Meine Nachbarin brütete ihre Gedanken aus wie das Rotkehlchen einst seine Eier in der Hecke.
Ach Verdammt!

Mitfühlend hob ich die Kaffeeglaskanne und bot ihr Nachschub an. Aber das kann man doch reparieren.
Verständnislos blickte sie mich an. Reparieren? Im Krankenhaus?
Na, den Kotflügel in der Werkstatt.
Ach so, dass! Ich hatte eh einen Kratzer drin. Kein Problem.
Du hast Cheyenne von der Schule mit dem Auto abgeholt, warum? Beide Kinder waren heute Morgen mit dem Fahrrad losgefahren. Wo Lena nur blieb? Und warum verspätet sich Rüdiger? Hat er einen Einsatz? Mir war unwohl bei dem Gedanken, dass Lena allein zurückfuhr. Leon hatte heute eine Freistunde im Gymnasium gehabt und war trotz Bibliotheksbesuch eher gekommen.
Hoffentlich ist sie vorsichtig im Straßenverkehr! Es passiert so viel heutzutage.
Schweigen.
Stand Annabelle noch unter Schock? Es musste doch etwas vorgefallen sein! War sie benebelt?
Musst Du noch mal los?, fragte ich vorsichtig.
Nein. Wieso?    
Dein Auto steht bei uns.
Was? Ihr Ton und Blick war zerbrechlich wie Porzellan, ein Äderchen war in ihrem linken Auge geplatzt und grüßte mich arrogant oberhalb des Unterlides. Annabelle sah mich kalt an, als wäre sie über jedes weitere Wort erhaben. Ich stotterte wieder, ab und zu passiert es mir noch, ein Andenken aus der Kindheit. Lutz würde ein schief geparktes Auto, zumal das seiner Frau und obendrein platziert beim Nachbarn, nicht tolerieren. Er war ein Ordnungsfanatiker, bügelte sogar daheim die Wäsche.
Annabelles Handy klingelte, sie stützte den Kopf in die Hand und sah blöde aus. Germanys lädiertes Topmodel, fiel mir spontan ein. Sei nicht gemein! Aber es tat gut, so zu denken. Ihr Mund stand halb offen, sie hatte auch ohne Lippenstift sinnliche Lippen. Jetzt zog sich ein Spuckefaden von der Ober- zur Unterlippe. Sie ließ es klingeln, das Telefon schrie erbarmungslos um Erlösung. Herzerweichend. Grauenvoll. Vergeblich. Es verstummte, stellte seinen Ton ein wie ein resignierter Hilferufender. Ein Sterbender. 

Wie kann man an der Kurve Beethovenstraße in die Markierungssteine fahren? Man muss schon sehr blöd sein oder absichtlich reinfahren. In der Kurve befanden sich außen eine Aufprallschiene, erst dahinter eine Mauer. Die Markierungssteine befanden sich davor auf der rechten Seite. Ich kannte die Stelle gut, habe ich doch Lena und oft auch Cheyenne in den ersten Schuljahren zum Unterricht gebracht und abgeholt. Taxi Mama. Annabelle bedankte sich immerhin jedes Mal und verschwand mit ihrem Smart am Markt in die Gegenrichtung zur Arbeit.

Annabelle saß immer noch, malerisch mit übereinander geschlagenen Beinen, auf der Hollywoodschaukel und zog sich eine Zigarette aus der Schachtel. Ich missbilligte ihre Qualmerei. Unser nachbarschaftliches Verhältnis hatte sich nach der letzten Gartenparty weiter abgekühlt. Von ihrem exotischen Spleen, zu dem Zen-Figuren und Bambus gehörten, ließ sie sich nicht abbringen, wir gruben einen 7 Meter langen Graben von einem halben Meter Tiefe entlang unseres Zaunes für eine Wurzelsperre aus. Lutz hatte nur mit den Schultern gezuckt und den Rasenmäher angeworfen. Jeden Samstag um 7.00 Uhr hatte er bisher den Rasen mit den Bambus-Ausläufern abrasiert.

Mama? Lena schob ihr Kinderfahrrad durch den Garten zum Schuppen.
Endlich! Ihr erhitztes Gesicht schaute wütend aus, ich erhielt ein flüchtiges Küsschen. Sie klang vorwurfsvoll und blickte auf die Nachbarin. Ich musste alleine fahren! Annabelle schwieg.
Cheyenne ist oben in Deinem Zimmer, mein Schatz.
Ich hörte die Treppe im Haus mehrfach poltern, dann verdächtigte Geräusche durstiger Kids aus der Küche.

Lena steckte den Kopf durch die Terrassentür. Dürfen wir Muffin essen? So nannte sie die selbstgebackenen Teigbatzen, die ich heute Morgen hergestellt hatte. Sie sahen unförmig aus, beinhalteten aber einen guten Kern. Wie bei mir.
Bitte, bitte, Mama!
Wir trinken gleich Kaffee, mein Schatz, wenn Papa kommt. Er ist spät dran, entgegnete ich schwach.
Mama, Lena sprach mit vollem Mund, darf Cheyenne am Wochenende bei mir schlafen?

Sofort nickte Annabelle, wie in Trance. Ist okay, kam es brüchig aus ihrem Mund. Ich blickte überrascht auf, aber alle schienen mit Annabelles Antwort zufrieden zu sein und mein Schweigen wurde aufgesaugt von den Wolken des Spätsommers. Ich sah berechnend zur Wäsche. Gedanklich stellte ich mir den Bügelberg vor, am Wochenende wollten meine Eltern zu Besuch kommen, das Bügelbrett befand sich allerdings im Gästezimmer und lauerte auf meinen Einsatz.   
Mama, ich glaube, Simon ist wach.

Ich komme! Annabelle machte keine Anstalten nach Hause zu gehen, ich ließ sie allein auf der Terrasse zurück und trat ins Haus, in der Küche berichtete Lena mir entrüstet, dass Annabelle Cheyenne aus der Hortzeit genommen hatte. Noch während der Hausaufgabenzeit! Ich nickte, diese Zeitspanne war quasi tabu. 
Dabei waren wir noch gar nicht fertig. Cheyenne musste sich fürchterlich beeilen,
ihre Mama hat ihre Buntstifte und Hefte einfach in die Mappe gekippt! Und ich musste allein zurückfahren. Sie biss in die Apfelstücke, die ich ihr zurechtgestellt hatte.

Zwei Polizeiautos fuhren an mir vorbei, aber ich bin ordentlich gefahren!
Brav, meine Kleine!
Endlich kam Rüdiger. Ich hörte den Diesel brummen, holte Simon aus seinem Bettchen, ging mit ihm hinaus und meinem Ehemann entgegen. Er trug noch seine Dienstuniform.
Stau. Riesenauflauf in der Innenstadt. Die haben alles dichtgemacht um den Markt herum. Ich musste ewig warten und einen Umweg fahren.

Einen Kuss für Simon und mich, dann steuerte er auf Annabelle zu. Ich schwenkte Klein-Simon über den Rasen und überprüfte die Wäsche. Hatte Cheyenne nicht gesagt, dass das Auto bereits demoliert war, als sie abgeholt wurde? Die dünnen Leinen-Gardinen waren bereits schon trocken. Simon lachte und griff nach meiner Nase. Seine Windel stank entsetzlich, ganz anders als die Wildrosen, ich begab mich ins Haus, von dort vernahm ich lautstarke Worte.

Rüdiger redete auf Annabelle ein. Die Wickelkommode stand nahe beim Fenster, ich legte Simon eine Baumwollwindel um den Po. Annabelle war wortkarg, untypisch für sie. Sonst ließ sie einen nicht zu Worte kommen und sich nicht die Butter vom Brot, geschweige den Kaviar vom Toast, nehmen.

Ein Schmetterling hatte sich in der Gardine verfangen, ich nahm Simon auf den Arm und befreite den Tagpfauenauge mit der anderen Hand. Die Sirene eines Polizeiautos erfüllte unsere kleine Straße.

Spielstraße! Das gilt auch für Beamte!, flüsterte ich und küßte Simons Nase, der mich lachend anstrahlte. Im Flur kam mir Leon entgegen. Mein großer Junge! Ich hatte seine neue Mitschülerin letzten Sonnabend gesehen, Selma Lara Brzeckowsky hatte ihre Mutter von der Chorprobe abgeholt, sie erschien mir groß und schmal in dem dunklen Kleid, ihre Mutter klein und zierlich. Ein schönes Bild mit der Kirche und den Linden im Hintergrund.
Simon patschte mir in den Ausschnitt, vorsichtig ging ich mit ihm auf dem Arm die Treppe hinunter in den Garten. Der Garten war verwaist. Wo waren denn alle geblieben?

Wir hatten uns immer drei Kinder gewünscht, erst mit meinem Wechsel zum Halbtagsjob wurde ich wieder schwanger. Mit 39. Leon war schon groß, fast 18 und Lena wurde im Sommer 10 Jahre. Selma Lara hatte auch im August Geburtstag, fiel mir ein.

Sie hatte so ruhig und gereift gewirkt, nicht so wie aufgezogenen Teenager, ihre dunklen Haare, schlicht zum Pferdeschwanz gebunden, umrahmten ein schönes Gesicht. 

Stand Annabelle unter Schock? Würde ihr Ehemann ausrasten wegen der Beule? Was war hier los? Warum hatte Rüdiger vorhin so auf Annabelle eingeredet?
Der Garten war leer, nur die Blütenfülle grüßte mich schweigend, als schwelgte sie selbst in Ruhe und Farbenpracht. Mein Sohn hat sich verliebt! Ich nahm das Lächeln der Blumen in mich auf und freute mich für Leon. Und auf Selma. Morgen würde ich sie kennenlernen.

Die Stimmen hörte ich wieder, sie kamen aus der Nähe der Autos. Annabelle hatte sich in eine Furie verwandelt, ihre schwarz getönten Haare schwangen bei jeder Bewegungen hin und her, mit den Händen gestikulierte sie. Ich steuerte langsam auf sie zu, sie diskutierte immer noch mit Rüdiger und deutete auf die demolierte Schnauze ihres Viertakters. Simon wollte krabbeln und greinte, ich ging zurück und setzte ihn ins Ställchen auf der Terrasse ab. Es wurde Zeit für Kaffee und Kuchen, ich rief die Kinder.
Warum hatte Annabelle Cheyenne mit dem Auto abgeholt, wenn die Mädels doch zusammen mit dem Rad zur Schule fuhren? Rüdiger und Annabelle näherten sich wieder der Terrasse und nahmen schweigend Platz, ich beschloss, für das Abendbrot keinen Reis zu kochen, wir hatten noch Aufschnitt da, aber einen frischen Salat wollte ich zubereiten. Die Schule anzusteuern bedeutete für Annabelle einen Umweg, kam sie doch aus einer anderen Richtung. Von der Arbeit fuhr sie über den Markt nach Hause, die Beethovenstraße lag gar nicht auf ihrer Strecke. Das Ruhige, Versteinerte war wieder in Annabelles Körper eingekehrt, ihre Gesichtszüge wirkten abweisend. Überheblich. Ich konnte sogar auf frische Kräuter aus dem Garten zurückgreifen, vor 3 Jahren hatte ich einen Kräutergarten
angelegt.
Was war passiert? Ausdruckslos, als fehlte jede Verbindung. Wortlos zog Annabelle ihr Handy wieder aus der Tasche und spielte damit.
Hast du dich verletzt beim … Rumsen? Krachen? Blöde Autofahren? … Verkehrsunfall? Soll ich einen Arzt rufen? Oder Lutz?

Sie schüttelte heftig den Kopf, immerhin hatte sie mich verstanden. Die Kinder tobten im Garten und trampelten über meine Kürbispflanzen. Gott sei Dank nur Blechschaden, der Airbag war nicht einmal zum Einsatz gekommen, wie ich gesehen hatte. Hast du Lutz informiert?
Nein.
Cheyenne rupft von einer Cosmeenblüte die Blütenblätter ab, die Mädels kicherten.
Alles in Ordnung mit Dir, Annabelle?
Vielleicht. Mit mir … schon. Aber die …

Ihre dunklen Augen sahen mich strafend an, als hätte ich ihrem Schmollmund zu viel der Worte entlockt. Sie hatte einen dreifachen Whisky intus, sie vertrug eine ganze Menge, das hatte ich an ihrem letzten Geburtstag feststellen müssen. Um Mitternacht und nach einer halben Flache Grappa machte sie Rüdiger an und posierte anschließend in ihrem Swimmingpool. Wir gingen und hörten hinter uns die Lacher.
Aus dem störrisch – verängstigten Blick in ihrem inneren Augenwinkel wurde ein seicht-undurchdringliches Grau. Als schien sie langsam zu begreifen, taute sie auf.
Haste den Werbeprospekt für nächste Woche schon gesehen? Da gibt diese Solar-Dinger, für Draußen. Mit Tiermotiven. Die Pinke gefällt mir.

Pinkfarben! Deutsch war schon immer mein Lieblingsfach gewesen. Bei Annabelle, vermutete ich, muss es sich auf Disco, Jungs und Schminken bezogen haben. Sie tippte Rüdiger mit der Schuhspitze gegen das Hosenbein.
   
Na, Herr Nachbar? Kommste am Wochenende mit? Lutz und Kumpel wollen zum Angeln raus zum Trötendorfer See. Mit Zelt.

Rüdiger trank schweigend seinen Kaffe und schüttelte nur seinen Kopf. Ich holte Simon aus dem Ställchen und fütterte ihn mit Brei, er war ein guter Esser, trotzdem verteilten sich dickgelbige Klumpen auf mein Kleid, als ob sich die Blumenwiese erbrochen hätte. Rüdiger schaute müde aus, seit 4.00 Uhr war er auf den Beinen. Er hatte die Ellenbogen aufstützt, im Schatten wirkte sein Gesicht grau. Annabelle kratze an ihren langen künstlichen Fingernägeln, die Spitze zierten kleine Strasssteine. Geschmückte Waffen. Sie bequemte sich nicht zu gehen, als hätte sie kein Zuhause. Ich beschloss, morgen für Leons Zimmer einen Blumenstrauß zu binden, der Optik wegen.

Für Selma Lara. Und heute Abend backe ich noch einen Marmorkuchen.
Schwerfällig erhob ich mich. Um halb 6 beginne ich aber mit der
Abendbrotvorbereitung! Wir könnten auf der Terrasse essen. Mit oder ohne Annabelle.

In dem Augenblick, als zwei Polizeiautos in unserer Straße parkten, kam Lutz außer Puste angelaufen. Sein Gesicht war hochrot, sein Brustkorb bewegte sich heftig. Trotz seines wöchentlichen Fitnesstrainings in der Mucki-Bude wirkte er geschafft. War er die ganze Strecke von seiner Arbeit bis hier her gelaufen? Das waren knappe 4 km! Die Polizisten stiegen aus. Warum kam er nicht mit dem Auto? War die Innenstadt immer noch abgesperrt, wie Rüdiger erzählt hatte? Von der Terrasse, ich räumte gerade die Tassen ab, sah ich sie Annabelles Haus ansteuern.


Zeitungsreport.
Zu Verhandlungsbeginn verlas der Rechtanwalt der Angeklagten eine Erklärung. Seine Mandantin gestand, am 17.September gegen 13.43 Uhr mit überhöhter Geschwindigkeit im Innenstadt-Bereich an der Bushaltestelle der Linie 123 die 17 jährige Selma Lara B. beim Straßenwechsel übersehen und erfasst zu haben. Annabelle R. beging Fahrerflucht, sie versuchte, die Tat durch weitere absichtliche Schäden an ihrem Kfz in der Beethovenstraße zu manipulieren und sich anschließend ein zeitnahes Alibi in der 4. Grundschule zu verschaffen.
Die Schülerin erlitt einen Schädelbasisbruch, multiple innere Verletzungen und verstarb noch am Unfallort.
Das Urteil wird für den 3. Verhandlungstag erwartet.


....

Kommt die Atmosphäre rüber?
Der warme Sommertag, träge und die Unruhe, die Ungewissheit?
Könnt ihr Euch die Personen vorstellen?
LG Cecilie

The_Reptilian

  • Federhalter
  • ***
  • Beiträge: 129
Re: Annabelle
« Antwort #1 am: 13 December 2022, 18:03:20 »
Hi, Cecilie,

ich habe nur den Anfang gelesen, aber um deine Frage zu beantworten: Annabelle kann ich mir gut vorstellen. Sie ist eine sehr auf ihr Äußeres bedachte Frau. Auch die Protagonistin, eine überarbeitete Mutter mit ihren drei Kindern. Ich habe beim lesen Bilder vor Augen. Nur die vielen Namen verwirren mich und mir ist der Konflikt nicht klar, den die Protagonistin hat. Ich denke mal: Neid. In diesem Fall ist deine Protagonistin nicht ruhig, sondern verärgert, angespannt vor Neid (was ich so interpretiere, weil sie zählt jedes Detail von Annabelle auf, also wie Annabelle ihre Haare hat und die Protagonistin erwähnt ihre eigenen Pfunde aus der Mutterschaft). Und wer ist überhaupt Bella. Annabelle? Ruhe spüre ich daher keine.
Nach der Erklärung von Annabelle, bin ich von vielen anderen Infos und Namen abgelenkt worden, ich war überfordert, so, dass ich das Interesse verloren hatte, weiterlesen. Außerdem wirkt deine Geschichte blass, weil ohne wörtliche Rede.
Ungewissheit kann ich mir nicht vorstellen. Zu was?

So weit, erst mal ....


Hissssssss!
« Letzte Änderung: 13 December 2022, 18:13:50 von The_Reptilian »
- sup -

Cecilie H

  • Federgewicht
  • **
  • Beiträge: 35
  • Keine Gabe wirkt mächtiger als die Phantasie.
Re: Annabelle
« Antwort #2 am: 13 December 2022, 21:47:04 »
Hallo Reptilian,

vielen Dank.
Ich werde das bedenken und berücksichtigen. An den Namen werde ich arbeiten.

Neid - nicht wirklich, dafür wiegen die anderen Sachen zu stark.
Sie möchte nicht in der Haut von Annabelle mit ihrer Schuld stecken.
LG Cecilie

Juni

  • Federhalter
  • ***
  • Beiträge: 188
Re: Annabelle
« Antwort #3 am: 14 December 2022, 22:41:52 »
Hallo liebe Cecilie!

Dann wollen wir ...

Zitat
Ihre Bewegungen waren ruckartig, fahrig, dabei fuhr sie nicht mehr Auto, sondern entstieg eben ihrer lilafarbenen Quetschkartoffel, wie sie den Smart zärtlich nannte.
Liebe Cecilie, hier fliege ich leider schon raus, weil ich „Ihre Bewegungen waren ruckartig, fahrig, dabei fuhr sie nicht mehr Auto,…“ nicht verstehe. Auch nicht den Zusammenhang mit dem folgenden Satz.

Zitat
Die Farbe ihres Kleinwagens entsprach der ihres Rockes und des Lippenstiftes, welche gemeinsam mit den pechschwarzen Haaren eine wunderschöne Augenweide schufen.
Mein erster Gedanke war, dass sich vermutlich eher Lippenstift und Rock an der Farbe des Autos orientieren; aber ich weiß ja nicht, was zuerst da war.

Zitat
Heute kommt sie aber zeitig, hat sie nicht einen Frisörtermin?
Auch hier bleibe ich ratlos. Ich rate mal: Sie wundert sich, dass Annabell trotz ihres Frisörtermins pünktlihc kommt?
Vielleicht: Heute kam sie aber zeitig, und dass, obwohl sie einen Frisörtermin gehabt hatte.
Aber so umformuliert holpert es. Vielleicht den Frisörtermin weglassen…?

Zitat
Als Annabelle eintraf, hatte ich gerade Wäsche aufgehangen, die Spätsommersonne hatte uns einen weiteren warmen Tag geschenkt.
Würde ich umstellen.
Die Spätsommersonne hatte uns einen weiteren warmen Tag geschenkt. Als Annabelle eintraf, hatte ich gerade Wäsche aufgehangen.

Zitat
An ihrer Seite ihre Tochter, unsere Mädchen waren gleichaltrig, beide gingen in die 4 c.
An ihrer Seite ihre Tochter. Unsere Mädchen waren gleichaltrig, beide gingen in die 4 c.

Zitat
Warum holte Annabelle denn Cheyenne mit dem Auto ab? Die Mädchen fuhren doch jeden Tag gemeinsam mit dem Rad zur Schule! Und … wo war meine Lena?   
Bei mir kommt sofort Sorge auf! Wo ist das Kind?  :deveek:
Und dann wird der Verbleib von Lena im nächsten Absatz nicht aufgeklärt…

Zitat
La Bella verzauberte jeden Elternabend, jedes Grill- und Gemeindefest durch ihren Charme und Chic, während ich Pummelchen einen Gegensatz zu ihr bildete. Wie Tag und Nacht. Mit Windelwechseln und der Zubereitung von Pausenbroten in der Früh stand ich für den grauen Alltag, während meine schöne Nachbarin Annabelle den glanzvollen Abendstern bildete. Die Pfunde der letzten Schwangerschaft fühlten sich bei mir wohl wie das Unkraut in unserem Gemüsebeet. Und blieben genauso hartnäckig. Annabell hatte eine sexy Figur und kleidete sich auch so, das man sie wahrnehmen musste.
Dieser Absatz reißt den Verlauf in Zwei – aber, ich sehe gerade auch nicht, wo er sonst hinkönnte, außer hinter den Absatz mit dem Friseurtermin.

Zitat
Hatte sich Cheyenne den Fuß verstaucht? Oder ihr Rad einen Platten?
In der Ferne hörte ich das Heulen eines Krankenwagens,
Sofort sind meine Sorgen um Lena wieder da!  :nägelkau:

Zitat
selbst die Bienen schienen durch den markerschütternden Ton kurz im Fluge zu verharren, als raubte das akustische Grauen ihnen ein Vorwärtskommen.
Was ist das akustische Grauen?

Zitat
Mein Warum blieb in der Luft hängen wie der schwache Duft  der Wildrosen. Aus dem Kinderzimmer hörte ich kurze Zeit später Monrose kreischen,
Wen?

Im allgemeinen lese ich aufmerksam – bis hier hin hast du mich gut mitgenommen gehabt.

Zitat
während Annabelle die ganze Zeit schwieg.
Und ich habe diese krasse Sorge im Nacken…! 

Zitat
Warum kam Lena nicht? Sie hätte schon längst da sein müssen!
:-[ :'(

Zitat
Annabelle saß immer noch, malerisch mit übereinander geschlagenen Beinen, auf der Hollywoodschaukel und
Hollywoodschaukel? Die reißt mich gerade raus.

Zitat
Von ihrem exotischen Spleen, zu dem Zen-Figuren und Bambus gehörten, ließ sie sich nicht abbringen, wir gruben einen 7 Meter langen Graben von einem halben Meter Tiefe entlang unseres Zaunes für eine Wurzelsperre aus.
… ließ sie sich nicht abbringen. Wir …

Zitat
Mama? Lena schob ihr Kinderfahrrad durch den Garten zum Schuppen.
Endlich!
Eeeendlich!!!
Ich war schon fertig mir den Nerven… Puh! War das schlimm …  :schluchz:

Zitat
Wir hatten uns immer drei Kinder gewünscht,
Hier verlierst du mich wieder; zuvor war ich voll drin.

Zitat
erst mit meinem Wechsel zum Halbtagsjob wurde ich wieder schwanger. Mit 39. Leon war schon groß, fast 18 und Lena wurde im Sommer 10 Jahre. Selma Lara hatte auch im August Geburtstag, fiel mir ein.

Sie hatte so ruhig und gereift gewirkt, nicht so wie aufgezogenen Teenager, ihre dunklen Haare, schlicht zum Pferdeschwanz gebunden, umrahmten ein schönes Gesicht.
Würde ich streichen oder wo anders unterbringen.

Zitat
Was war passiert?
Liebe Cecilie, ab hier wird/ ist es langatmig, und meine Aufmerksamkeit schweift hin und wieder ab … 

Durch den letzten Teil habe ich mich etwas durchkämpfen müssen …
Und bin nach dem Zeitungsartikel unfassbar traurig.
Richtig krass unfassbar traurig, und ungläubig irritiert.

Zitat
Kommt die Atmosphäre rüber?
Weiß ich nicht … etwas kam rüber.
Vielleicht wird der Sommer hinter deinen Zeilen durch mein Wissen um die aktuellen Temperaturen getrübt. Bei uns sind es aktuell -5 Grad draußen.

Zitat
Der warme Sommertag, träge und die Unruhe, die Ungewissheit?
Träge fand ich nichts.
Ich mag diese ‚überarbeitete Muttertier‘ Innenleben. Persönlich bezeichne ich mich auch hin und wieder als Muttertier, weil ich mich oft so fühle. :)
Unruhe, die Ungewissheit – japp! Aber sobald Lena auftauchte, war der größte Haken an dem ich hing erstmal weg.

Zitat
Könnt ihr Euch die Personen vorstellen?
Jupp, ausreichend für meine Bedürfnisse. :)

Worauf ich gehofft habe – Lutz ist Drogendealer und hat 1. Eine Hanfplantage im Garten oder 2. Ein Cracklabor im Keller, das nun aufgeflogen ist, oder, war in eine Gang-Schießerei von Hells Angels Vs. Omeirats verwickelt – solche Ereignisse gibt’s bei uns im ‚Dorf‘.
Annabell weiß, dass sie zukünftig Haus und ALLES verliert und ist kurz vor dem Nervenzusammenbruch – das war meine Vermutung.
Annabell tat mir die ganze Zeit über Leid. Abgesehen vom Auto, Lebenspartner und Alkoholkonsum konnte ich mich mit ihr identifizieren … schlank trotz Kinder, jünger aussehend als man ist, gestylt, immer gut drauf und auf dieser Maske on Top noch ne Ladung Make-Up. Dann noch am Studieren und Arbeiten, und alle fragen einen, wie man das nur macht. Mein Ich vor 5 Jahren vor dem Burnout. Und unter dieser Happy-Maske – … sehr traurig. Tot traurig. Mit dem übermäßigen + in der Optik versucht man das massive – im Verhalten/ der Persönlichkeit aus zu gleichen. Und desto schlechter es einem geht, umso mehr ‚motzt‘ man sich auf. So kenne ich das zumindest…
Und dann Fahrerflucht…?
Darauf war ich nicht vorbereitet. Es überrollte mich.
Dafür hätte es vllt einer anderen Vorbereitung bedurft … weil, was für ein Mensch muss man dafür sein … ? 1. Was für ein Mensch lässt ein angefahrenes Mädchen lieben, 2. Welche Mutter tut so etwas …?
Ich bin keine Psychologin, aber ich würde behaupten, da gehört eine Menge Empathielosigkeit dazu, ein oberflächlich anmutendes Äußeres reicht mir da nicht aus.
Wie äußert sich eine Empathielosigkeit, die dafür notwendig wäre…?
Annabell wirkte die ganze Zeit über wie eine hohle Puppe. Ob innerlich ausgebrannt oder blöd, kann ich nicht einschätzen. Ich hätte es ihr dennoch nicht zugetraut.


Liebe Cecilie, ich hoffe, meine Anmerkungen helfen dir etwas.
Hauptsächlich kam ich gut durch den Text! Ich war sogar selbst erstaunt. Keine Lesezeichen! - aber es hat mich nicht gestört.
Die Stellen, an denen ich rausflog habe ich angemerkt.

Liebe Grüße

Cecilie H

  • Federgewicht
  • **
  • Beiträge: 35
  • Keine Gabe wirkt mächtiger als die Phantasie.
Re: Annabelle
« Antwort #4 am: 15 December 2022, 15:19:17 »
Liebe Juni,
vielen, vielen Dank. All die Dinge, die ich so überlese und gut finde, die aber mächtig hinken ... So ist das mit Lesestoff  :stirn:

Es hat mir wieder mal die Äuglein geöffnet. Von ungünstiger Satzstellung, Textaufbau bis hin, wie Du Annabelle siehst.
Ja, ich wollte sie oberflächlich erscheinen lassen.

Also - dann ist mir das mit der Spannung mit Lena gelungen?  :biggrin: Ich überlege mir etwas, damit der Bogen bis zum Schluss geht und nicht zwischendurch einknickt.

Drogendealer und Cracklabor wären natürlich auch ne Möglichkeit  :devgrin:

Ich sammle und werde die Geschichte überarbeiten. Ja, das mit dem Muttertier kommt mir auch bekannt vor ...  :tret:

LG Cecilie

merin

  • Oberfederteufel
  • Federteufel
  • *****
  • Beiträge: 8261
  • Wortsucher:in
    • www.jol-rosenberg.de
Re: Annabelle
« Antwort #5 am: 17 December 2022, 17:33:25 »
Liebe Cecilie,

ich schleiche schon ein paar Tage um den Thread herum, aber ich fliege immer schon im ersten Absatz raus und kann somit zum Rest gar nichts schreiben. Aber ich will dir wenigstens meine Gedanken zum ersten Absatz dalassen:

Zitat
Ihre Bewegungen waren ruckartig, fahrig, dabei fuhr sie nicht mehr Auto, sondern entstieg eben ihrer lilafarbenen Quetschkartoffel, wie sie den Smart zärtlich nannte. Die Farbe ihres Kleinwagens entsprach der ihres Rockes und des Lippenstiftes, welche gemeinsam mit den pechschwarzen Haaren eine wunderschöne Augenweide schufen.
Heute kommt sie aber zeitig, hat sie nicht einen Frisörtermin?
Als Annabelle eintraf, hatte ich gerade Wäsche aufgehangen, die Spätsommersonne hatte uns einen weiteren warmen Tag geschenkt. An ihrer Seite ihre Tochter, unsere Mädchen waren gleichaltrig, beide gingen in die 4 c.
Warum holte Annabelle denn Cheyenne mit dem Auto ab? Die Mädchen fuhren doch jeden Tag gemeinsam mit dem Rad zur Schule! Und … wo war meine Lena?   

Ich stolpere bereits über den ersten Satz, weil ich auch nach mehrfachem Lesen nicht verstehe, was sie da so ruckartig tut. Du steigst mit einer Bewegungsbeschreibung ein, aber dann beschreibst du ein Aussehen und verfolgst den Strang, den du mit dem ersten Satz aufmachst, nicht weiter. Und dann fliege ich wieder aus, weil die Perspektive wechselt. Die Frage habe ich mehrfach gelesen und gedacht: Wo kommt die her? Wer fragt sich das? Der folgende Satz beantwortet das, wirft mich aber wieder raus. In den ersten drei Sätzen denke ich, das ist eine Erzählung in der 3. Person, aber dann gibt es plötzlich ein Ich. Meines Erachtens müsste der Einstieg hier sein:

Zitat
Als Annabelle eintraf, hatte ich gerade Wäsche aufgehangen, die Spätsommersonne hatte uns einen weiteren warmen Tag geschenkt. An ihrer Seite ihre Tochter, unsere Mädchen waren gleichaltrig, beide gingen in die 4 c.
Warum holte Annabelle denn Cheyenne mit dem Auto ab? Die Mädchen fuhren doch jeden Tag gemeinsam mit dem Rad zur Schule! Und … wo war meine Lena?

Dann ist das Ich gleich eingeführt und es gibt auch gleich eine Verortung. Allerdings taugt das so als Einstieg auch nicht, weil Zeitformenfehler drin sind. Und auch die hauen mich raus. Du hast hier inhaltlich eine Gleichzeitigkeit von Wäsche-Aufhängen und Eintreffen, grammatikalisch tust du aber so, als passiere das Wäscheaufhängen vor dem Eintreffen. Und dann "unsere Mädchen waren gleichaltrig" das muss natürlich "unsere Mädchen sind gleichaltrig" heißen, denn sie sind es ja immer noch. Hier fliege ich also auch schon wieder zwei Mal raus.
Dann der Folgesatz: "Warum holte Annabelle denn Cheyenne mit dem Auto ab?" Da stimmt meines Erachtens auch wieder die Zeitform nicht, denn es ist Gedankenrede also Präsens. Genau wie der folgende Satz. Du endest mit der Frage nach Lena und nun bin ich völlig verwirrt, denn die Ich-Person hängt ja gerade Wäsche auf, scheint also zu Hause zu sein. Aber dann wirkt es, als beobachte sie eine Abholszene in der Schule und ich weiß gar nicht mehr, wer wo ist.

Du siehst also: Verwirrung pur bei mir.

Ich kann also deine Fragen nicht beantworten, weil ich eine von den Personen bin, die fehlerhafte Texte nicht wirklich lesen können. Was das angeht, bin ich zwanghaft. Aber vielleicht hilft dir meine kleine Fehleranalyse trotzdem, um den Text mal daraufhin durchzugehen: Was passiert in welcher Reihenfolge? Wo bin ich perspektivisch? Was ist mit den Zeitformen?

Liebe Grüße
merin
Ich röste zunächst immer, ohne andere Röstungen zur Kenntnis zu nehmen. Dabei ist mein Ansatz der, eine qualifizierte Lesermeinung abzugeben, Euch also zu verraten, wie der Text auf mich wirkt und wie es mir beim Lesen geht und was ich gern anders hätte.

Cecilie H

  • Federgewicht
  • **
  • Beiträge: 35
  • Keine Gabe wirkt mächtiger als die Phantasie.
Re: Annabelle
« Antwort #6 am: 18 December 2022, 12:57:44 »
Hallo merin, oh ja, das hilft mir sehr. Wirklich sehr, weil ich das überlese. So kann ich damit arbeiten. Mir wird mit Euch und euren Fehleranalysen auch immer bewußter, wie Texte und Textanfänge funktionieren müssen.

Und werde darauf auch meine anderen Texte checken. Ich habe vermutlich oft Anfänge, die wie eine Granate einschlagen sollen, aber wohl nix taugen und nicht wirklich eine Hilfe zum Weiterlesen sind.  :blarg:  :schnief:

Dein Anfang ist toll. Das ergibt genau das richtige Bild.

Ich werde den Text überarbeiten (und hoffe, dass Du dann bis zum Schluss durchhältst  :biggrin:)

Danke und liebe Grüße, Cecilie

 - Ich arbeite an mir -  :kunst:


merin

  • Oberfederteufel
  • Federteufel
  • *****
  • Beiträge: 8261
  • Wortsucher:in
    • www.jol-rosenberg.de
Re: Annabelle
« Antwort #7 am: 18 December 2022, 17:03:50 »
Na, da bin ich froh, dass es trotzdem nützt. Ich weiß, dass es eine Menge Personen gibt, die solche Fehler nicht raushauen, aber bei mir ist es wirklich extrem. Das führt immerhin dazu, dass ich die Fehler in anderen Texten gut aufzeigen kann (was leider auf meine eigenen Texte nicht immer zutrifft). Ich bin gespannt auf die Überarbeitung.
Ich röste zunächst immer, ohne andere Röstungen zur Kenntnis zu nehmen. Dabei ist mein Ansatz der, eine qualifizierte Lesermeinung abzugeben, Euch also zu verraten, wie der Text auf mich wirkt und wie es mir beim Lesen geht und was ich gern anders hätte.

Cecilie H

  • Federgewicht
  • **
  • Beiträge: 35
  • Keine Gabe wirkt mächtiger als die Phantasie.
Re: Annabelle
« Antwort #8 am: 20 December 2022, 00:37:05 »
Ja, Danke Dir, es ist extrem hilfreich. Ich werde mit der Überarbeitung aber erst nach Weihnachten dazu kommen  :biggrin:
Liebe Grüße und Danke für Deine Hilfe

Paradieseule

  • Schreibteufel
  • ****
  • Beiträge: 342
  • Geschlecht: Weiblich
Re: Annabelle
« Antwort #9 am: 12 January 2023, 17:05:19 »
Hallo Celine,

ich habe in den Text reingelesen ... nur kurz ...
Ich will ein Beispiel rausfischen, das sich in ähnlicher Form sich fortsetzt ...

Zitat
La Bella verzauberte jeden Elternabend, jedes Grill- und Gemeindefest durch ihren Charme und Chic, während ich Pummelchen einen Gegensatz zu ihr bildete. Wie Tag und Nacht. Mit Windelwechseln und der Zubereitung von Pausenbroten in der Früh stand ich für den grauen Alltag, während meine schöne Nachbarin Annabelle den glanzvollen Abendstern bildete. Die Pfunde der letzten Schwangerschaft fühlten sich bei mir wohl wie das Unkraut in unserem Gemüsebeet. Und blieben genauso hartnäckig. Annabell hatte eine sexy Figur und kleidete sich auch so, das man sie wahrnehmen musste.

Du kannst den Text stärker machen, in dem du z.B. einige Sätze rumdrehst (und auch einige Eigenschaftswörter entfernst) und doppelte Erklärungen minimierst:

Wir waren wie Tag und Nacht. Während La Bella jeden Elternabend, jedes Grill- und Gemeindefest durch ihren Charme und ihr Aussehen verzauberte, war ich das Pummelchen. Meine schöne Nachbarin bildetet den Abendstern. Ich hingegen wechselte Windel und schmierte Pausenbrote. Die Pfunde der Schwangerschaft blieben hartnäckig, wie ....
(Der Vergleich mit dem Unkraut irrirtiert. Unkraut kann man ausreißen. ...  )
Annabell hatte eine sexy Figur und kleidete sich auch so, das man sie wahrnehmen musste. .. ist ja oben gesagt bzw. klar.


liebe Grüße
Paradieseule
"In jedem Buch begegne ich meiner Seele" Isabel Allende

Franziska

  • Federgewicht
  • **
  • Beiträge: 57
Re: Annabelle
« Antwort #10 am: 28 January 2023, 20:10:54 »
Hallo Cecile,

ich finde deine Geschichte sehr spannend und finde es lohnt sich hier die Details zu polieren.

Zitat
Ihre Bewegungen waren ruckartig, fahrig, dabei fuhr sie nicht mehr Auto, sondern entstieg eben ihrer lilafarbenen Quetschkartoffel, wie sie den Smart zärtlich nannte. Die Farbe ihres Kleinwagens entsprach der ihres Rockes und des Lippenstiftes, welche gemeinsam mit den pechschwarzen Haaren eine wunderschöne Augenweide schufen.
Heute kommt sie aber zeitig, hat sie nicht einen Frisörtermin?
Hier dachte ich Annabelle wäre die Protagonistin. Wahrscheinlich auch weil "Quetschkartoffel, wie sie den Smart zärtlich nannte" eine Innenperspektive andeutet. Erst danach wurde mir klar, dass es um ihre Nachbarin geht.

Zitat
Und … wo war meine Lena?
Ab diesem Satz dachte ich die ganze Zeit Annabelle hätte Lena angefahren. Erst als diese auftaucht, wurde das dann zu einem, was hat sie dann gemacht?

Zitat
Erst jetzt bemerkte ich an ihrem Auto die Beule am Kotflügel und den kaputten Scheinwerfer. Nanu, hatte ihr Smart Bekanntschaft mit den Brandenburger Alleen gemacht?
Spätestens hier empfinde ich die Protagonistin als entweder naiv oder in einer totalen Realitätsflucht. Weil alles ziemlich eindeutig scheint mit den Sirenen usw.

Zitat
Ihre Augen, umrandet von malvenfarbenen Lidschatten mit fliederfarbenen Ausläufern und schwarzer Wimperntusche erinnerten mich an ein angefahrenes Reh.
Annabelle?
Die Frage würde ich streichen.

Zitat
Scheiß Freistunde!
Worauf bezieht sich das? Ich bin verwirrt.

Zitat
Ohne auf den unebenen Gartenweg zu achten, stolperte sie in High heels zu mir. Ich fragte mich jedes Mal, wie sie in den spitzen Dingern laufen konnte. Ihr Garten wies akkurate Wege auf, unser Maulwurfhügel und Giersch. Vor unserem Schuppen standen die Räder, mein Sohn Leon war vor 10 Minuten mit dem Bus gekommen, sonst fuhr er mit dem Rad zum Gymnasium. Heute früh aber hatte er den Bus genommen, er wollte noch zur Bibliothek, die Ausleihfrist hatte bereits vor 5 Tagen geendet.
Ziemlich unvermittelter Themenwechsel und dann so viel Information. Spätestens bei der Leihfrist wird es mir zu viel.

Zitat
Sein Zimmer ähnelte nicht mehr einer Müllhalde. Er leerte sogar seinen Papierkorb und saugte unaufgefordert den Teppich! Wie ist diese Zeit der Teenager noch schön. Unbeschwert und doch eine klebrig-süße Qual. Ein Ausnahmezustand der Gefühle, eine Dauereuphorie, eine Explosion von Endorphinen. Rosarote Brille.
Leon hatte zurückgelächelte, als ich die Wäsche aus der Waschmaschine zerrte.
Mein Großer!
Meinem Gefühl nach so stärker.

Zitat
Das war vor einer
Viertelstunde gewesen, inzwischen kämpfte ich mit 8,5 kg nasser Wäsche und versuchte nun, ein verschrecktes Modepüppchen aufzumuntern.
Ist sie wirklich schon beim Aufmuntern? Annabelle kommt doch gerade erst an?

Zitat
Was war nur geschehen? Wo blieb Lena?
Hier habe ich wieder das Gefühl, dass sie merken müsste, dass etwas nicht stimmt und fordernd oder aggressiv werden müsste.

Zitat
Von Billigschmuck halte ich nicht viel, ab 40 sollte man echten tragen.
Puh, da wird mir die Protagonistin ein bisschen unsympathisch.

Zitat
Rüdiger hatte mir zu Weihnachten Ohrringe geschenkt, teure Opale, die mich an Omas Hustenpastillen erinnerten. Ich konnte mich am 2. Weihnachtsfeiertag nach Leons Videomarathon und Simons Speiattacke nicht beherrschen und monierte den Farbton. Wir hatten einen hässlichen Streit, Besuch, einen maulenden Siebzehnjährigen und zwei heulende Kinder.
Finde ich gut, weil es die Familie ein bisschen beleuchtet und damit auch zeigt, was die Protagonistin ihrer Nachbarin vielleicht neidet.

Zitat
Ich fragte mich, wie Annabelle es handhabte. Vielleicht verschenkte ihr Schatz Gutscheine. Oder entführte sie nach dem Frühstück zu Tiffany. Lutz war Handwerker, äußerst geschickt und arbeitete noch schwarz.
Brauchst du die Stelle oder kann das vielleicht ganz raus?

Zitat
Cheyenne senkte ihren Kopf beim Sprechen. Mami hat mich doch abgeholt! Mit
einem kaputten Auto, voll peinlich! Vielleicht schaute Cheyenne auch nur auf ihre
Sandalen, aus denen sie schlüpfte, bevor sie leise durchs Wohnzimmer hinauf in Lenas Zimmer schlich.
Ist Chayenne immer so oder weiß sie, was eigentlich los ist?

Zitat
Auch von Annabelle erhielt ich keine Auskunft, ihr Blick traf mich wie ein Steinschlag in der Windschutzscheibe.
Die Metapher überzeugt mich nicht so richtig. Vielleicht zu nah am ohnehin schon im Raum schwebenden Unfall.

Zitat
Täglich wischte ich den Fußboden, Simon befand sich im Krabbelalter, kein Krümel war vor ihm sicher. 
Was hat dieser Satz zwischen den Getränken zu suchen?

Zitat
Sie konnte unglaublich aufdrehen, ein Quirl sein, aber ihre typischste Eigenschaft war Faulheit gepaart mit Egoismus. Bei ihren letzten Elternabenden und Einsätzen glänzte sie durch Abwesenheit.
Würde ich rausnehmen.
Erstens ist es stärker, wenn du es nicht explizit schreibst.
Und zweitens macht diese Bewertung der Anderen deine Protagonistin unsympathischer. Oder ist das Absicht? Dann müsstest du das stärker herausarbeiten. (So ein: Ich bin vielleicht nicht so schön, aber besser und fleißiger.)

Zitat
Lutz schon da?

Neee!
Ist das wörtliche Rede? Verwirrt mich. Liefert es wichtige Information?

Zitat
Ich wollte ihr Zeit lassen, ihr Pony wies einen akkuraten Schnitt auf, vielleicht eine Idee zu lang.
Ich frage mich, warum diese verschiedenen Informationen in einem Satz sind.
Soll es die gestresste Muttertier-Kopfvoll-Welt wiederspiegeln?

Zitat
Mir sah man das überarbeitetet Muttertier, mein Übergewicht und das Fehlen von ausreichendem Schlaf, Kosmetikterminen und Lottogewinnen an. Der Frisör an der Wensickendorfer Chaussee war Annabells zweites Zuhause, alle 14 Tage kehrte sie dort ein. Theoretisch auch heute.
Der Neid ist alle paar Absätze spürbar. Vielleicht ein bisschen was rausnehmen (im Gesamttext), damit es subtiler wird?

Zitat
Oder wie das blanke Entsetzen der Fliege im Spinnennetz. Ich fuhr mir durch meine kurzen, aschblonden Haare. Beethovenstraße! Der Fleck auf Rüdigers Hemd war nicht rausgegangen, stellte ich beim Blick auf die Wäscheleine fest. Das war doch eine Tempo-30-Zone! Dabei hatte ich den Fleck extra vorbehandelt! Ich glaube es einfach nicht! Ich ärgerte mich und leerte den letzten Schluck Milchkaffee. Meine Nachbarin brütete ihre Gedanken aus wie das Rotkehlchen einst seine Eier in der Hecke.
Gibt es wirklich Menschen, die so viel Multitasking können?
Müsste die Prota nicht auch irgendwie aus ihren Handlungen gerissen werden, wenn sie merkt, dass etwas nicht stimmt?

Zitat
Ach Verdammt!
Wer sagt oder denkt das?

Zitat
Verständnislos blickte sie mich an. Reparieren? Im Krankenhaus?
Spätestens hier müsste deine Protagonistin doch mal merken, das etwas so garnicht stimmt.

Zitat
Du hast Cheyenne von der Schule mit dem Auto abgeholt, warum? Beide Kinder waren heute Morgen mit dem Fahrrad losgefahren. Wo Lena nur blieb? Und warum verspätet sich Rüdiger? Hat er einen Einsatz?
Zu viele aneinandergereite Fragen. Zumal einige davon nicht das erste Mal auftauchen.
Vielleicht wäre es gut die Protagonistin irgendwie auf die fehlenden Antworten reagieren zu lassen?

Zitat
Ihr Ton und Blick war zerbrechlich wie Porzellan, ein Äderchen war in ihrem linken Auge geplatzt und grüßte mich arrogant oberhalb des Unterlides. Annabelle sah mich kalt an, als wäre sie über jedes weitere Wort erhaben.
Was ist denn arrogant an einem geplatzten Äderchen?
Und wie passt kalt zu zerbrechlich?

Zitat
Lutz würde ein schief geparktes Auto, zumal das seiner Frau und obendrein platziert beim Nachbarn, nicht tolerieren. Er war ein Ordnungsfanatiker, bügelte sogar daheim die Wäsche.
Krass, das gibt der ganzen Geschichte nochmal eine ganz andere Dimension. Ich wüsste gerne mehr darüber. Es klingt so als wäre er ein ziemlich bestimmender Ehemann. Vielleicht erzählt das auch mehr über Annabelle?
Und woher weiß die Protagonistin, was er bügelt? Hatte sie z.B. mal was mit ihm?

Zitat
Sie ließ es klingeln, das Telefon schrie erbarmungslos um Erlösung. Herzerweichend. Grauenvoll. Vergeblich. Es verstummte, stellte seinen Ton ein wie ein resignierter Hilferufender. Ein Sterbender. 
Too much, hier würde ich massiv kürzen. Vor allem die tödlichen Metaphern.

Zitat
Unser nachbarschaftliches Verhältnis hatte sich nach der letzten Gartenparty weiter abgekühlt. Von ihrem exotischen Spleen, zu dem Zen-Figuren und Bambus gehörten, ließ sie sich nicht abbringen, wir gruben einen 7 Meter langen Graben von einem halben Meter Tiefe entlang unseres Zaunes für eine Wurzelsperre aus.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Gartenparty und der Gartengestaltung?

Zitat
Lutz hatte nur mit den Schultern gezuckt und den Rasenmäher angeworfen. Jeden Samstag um 7.00 Uhr hatte er bisher den Rasen mit den Bambus-Ausläufern abrasiert.
Lutz mäht den Bambus seiner eigenen Frau ab???

Zitat
Mama? Lena schob ihr Kinderfahrrad durch den Garten zum Schuppen.
Hier wurde es spannend, weil ich erst da merkte, dass ich auf der falschen Fährte war.

Zitat
Endlich kam Rüdiger. Ich hörte den Diesel brummen, holte Simon aus seinem Bettchen, ging mit ihm hinaus und meinem Ehemann entgegen. Er trug noch seine Dienstuniform.
Stau. Riesenauflauf in der Innenstadt. Die haben alles dichtgemacht um den Markt herum. Ich musste ewig warten und einen Umweg fahren.
Hier merke ich, wie cool du die Geschichte geplant hast. Das sich am Ende all die offenen Fragen erklären.

Zitat
Ich hatte seine neue Mitschülerin letzten Sonnabend gesehen, Selma Lara Brzeckowsky hatte ihre Mutter von der Chorprobe abgeholt, sie erschien mir groß und schmal in dem dunklen Kleid, ihre Mutter klein und zierlich.
Den Satz würde ich in zwei auftrennen.
Und ich finde es komisch, dass sie den vollen Namen denkt.

Zitat
Leon war schon groß, fast 18
Irgendwie dachte ich die ganze Zeit Leon wäre so 13, 14, 15. Weil seine Mutter sich so über seine erste Verliebtheit freut und so. (Aber ich kenne mich da nicht aus.)

Zitat
Selma Lara hatte auch im August Geburtstag, fiel mir ein.
Finde ich komisch, dass sie das weiß. Sie kennt sie ja nichtmal.

Zitat
Stand Annabelle unter Schock? Würde ihr Ehemann ausrasten wegen der Beule? Was war hier los? Warum hatte Rüdiger vorhin so auf Annabelle eingeredet?
Der Garten war leer, nur die Blütenfülle grüßte mich schweigend, als schwelgte sie selbst in Ruhe und Farbenpracht. Mein Sohn hat sich verliebt! Ich nahm das Lächeln der Blumen in mich auf und freute mich für Leon. Und auf Selma. Morgen würde ich sie kennenlernen.
Hier fange ich an, das Ende zu ahnen. Finde es aber ein bisschen dick aufgetragen, dass sie sich so sehr drauf freut, die Freundin ihres Sohnes kennenzulernen.

Zitat
Ich steuerte langsam auf sie zu, sie diskutierte immer noch mit Rüdiger und deutete auf die demolierte Schnauze ihres Viertakters.
Weiß Rüdiger, was los ist?

Zitat
ich beschloss, für das Abendbrot keinen Reis zu kochen, wir hatten noch Aufschnitt da, aber einen frischen Salat wollte ich zubereiten
Jetzt ernsthaft? Merkt sie gerade nicht, dass es im Moment voll egal ist, was sie kocht?
Und warum ist das kein eigener Satz?

Zitat
Die Schule anzusteuern bedeutete für Annabelle einen Umweg, kam sie doch aus einer anderen Richtung. Von der Arbeit fuhr sie über den Markt nach Hause, die Beethovenstraße lag gar nicht auf ihrer Strecke.
Die Gedanken der Prota spielen Detektiv aber sie zieht keine Schlüsse daraus und verändert auch nichts in ihrem Verhalten. Das ist irgendwie komisch.

Zitat
Um Mitternacht und nach einer halben Flache Grappa machte sie Rüdiger an und posierte anschließend in ihrem Swimmingpool.
Gute Stelle, erklärt ein bisschen auch die ganze Eifersucht.

Zitat
Pinkfarben! Deutsch war schon immer mein Lieblingsfach gewesen. Bei Annabelle, vermutete ich, muss es sich auf Disco, Jungs und Schminken bezogen haben.
Jetzt ist die Protagonistin überheblich.
Irgendwie verwirrt sie mich. Sie ist einerseits neidisch/eifersüchtig (auf Geld und Schönheit). Andererseits sieht sie auf Annabelle herab, weil diese nicht das selbe kulturelle Kapital hat. Sie macht sich Sorgen um Annabelle. Merkt auch, dass sonst einiges nicht stimmt. Gleichzeitig hält sie aber nichts von ihrer Routine ab. Diese wird nichtmal irritiert.
Die Dissonanzen könnten auch spannend sein, wenn diese unterschiedlichen Reaktionen (oder Nicht-Reaktionen) in ihr irgendwie verhandelt würden.

Zitat
Sie tippte Rüdiger mit der Schuhspitze gegen das Hosenbein.
   
Na, Herr Nachbar? Kommste am Wochenende mit? Lutz und Kumpel wollen zum Angeln raus zum Trötendorfer See. Mit Zelt.

Rüdiger trank schweigend seinen Kaffe und schüttelte nur seinen Kopf.
Versucht sie wieder Rüdiger anzubaggern? Oder versucht sie sich nur abzulenken?
Gute Stelle auf jeden Fall.
Vielleicht findet sie Rüdiger auch interessant, weil ihr eigener Mann so ein Kontrollfreak ist?

Zitat
als ob sich die Blumenwiese erbrochen hätte
Metapher streichen

Zitat
Ich beschloss, morgen für Leons Zimmer einen Blumenstrauß zu binden, der Optik wegen.

Für Selma Lara. Und heute Abend backe ich noch einen Marmorkuchen.
OMG. So eine Mama muss doch jedem 17-jährigen peinlich sein.
(Auch wenn ich verstehe, dass du dazu einen Bezug zu dem Tod des Mädchen aufbaust.)

Zitat
Kommt die Atmosphäre rüber?
Der warme Sommertag, träge und die Unruhe, die Ungewissheit?
Ja und nein, ich finde die Protagonistin könnte sich mit zunehmender Unruhe/Ungewissheit verändern.

Zitat
Könnt ihr Euch die Personen vorstellen?
Ja.

Entschuldige, falls ich zu ausführlich kritisiert habe!