Hey ihr,
ich möchte Euch ne Kurzgeschichte vorstellen.
Sie gehört mit weiteren zum Thema REGIONAL, also Kurzgeschichten, locker, flockig, einige seicht, dafür hoffentlich gut lesbar. Ziel ist Kurzweiligkeit, Ironie, auch Tiefgründigkeit über meine Heimat.
Jaaaaaa, klingt jetzt öde, soll es aber nicht sein. Heimat kann auch sexy
(hoffentlich!!)
Heimatbonus ist etwas, wofür die Leute sich erwärmen können.
WARUM? Ich gewann auf der hiesigen Fläming ART, das waren Kurzgeschichten, die in Stadt & im Dorf spielten. Sicherlich könnten die überall spielen. Ich finde das aber ganz reizvoll, also habe ich sie hier angesiedelt.
Meine Fragen zum Schluss.
LG Cecilie
VERGISS ES! DAS BRAUCHST DU GAR NICHT ERST VERSUCHEN
„VERGISS es!“, hatte Christian mir zugeraunt, als ich mit halberhobenem Finger Richtung Tür auf eine Erscheinung deutete. Meine Entdeckung schwebte stilsicher in Stilettos durch jene Tür hinein. Mein Arm sank Dank der ungemein liebenswürdigen Bemerkungen von Christian nieder wie ein blutleerer Krake, um auf dem Meeresboden zu verenden.
„Das brauchst Du gar nicht erst versuchen!“ Während er weitersprach, beobachteten wir beide fasziniert meine äußerst attraktive Entdeckung, welche Clara ansteuerte.
Wir waren zu Claras Geburtstagsfeier eingeladen worden. Christian, ihr ehemaliger langjähriger Kollege und ich, Claras kurzzeitiger Chef, wir drei hatten uns nie aus den Augen verloren, wenngleich mir doch Claras Geburtstage alljährlich entfielen. Zwei Tage vor ihrem 50. Jubiläum flatterte dann diese Karte, extrem bunt, genau wie Clara, in meinen Briefkasten: Jüterbog, Biergarten ZUM EICHELHÄHER. Ein zu schöner Name für ein verlebtes Anwesen. Immerhin war der Garten reichlich chlorophyllhaltig, das viele Grün und die Blumen kaschierten so einiges und ließen es zu, dass ich es immerhin bis 23.00 Uhr aushielt.
Christian hatte schon im Biergarten gesessen und gewartet – noch bevor das Geburtstagskind überhaupt erschienen war. Zuverlässig, treu - eine Eigenschaft von ihm, die ich noch aus unserer gemeinsamen Zeit kannte, immer korrekt, immer gewissenhaft. Mittlerweile war er Redakteur beim Jüterboger Wochenspiegel, dem kostenlosen Anzeigeblatt. Mich hatte es, als unser Kleeblatt zur Wendezeit auseinanderging, in die Welt hinaus- und umher gewirbelt, wie Rosenblätter im Wind. Ich hatte einen kurzzeitigen Job in Hamburg, bevor ich drei Jahre in London sesshaft wurde, später der Liebe wegen nach Würzburg ging. Als die Liebe erlosch, mochte ich auch die Würzburger Residenz im schönsten süddeutschen Barock nicht mehr ablichten und ging zurück nach Brandenburg, dorthin, wo alles seinen Ursprungs hatte – ich hatte als Fotograf meine Ausbildung in Jüterbog begonnen.
Clara hat zahlreich Leute eingeladen, erzählte mir Christan beim Bier, sie ist Stunden eher gekommen, in Jeans und Neckholder, um Tische aufzustellen und das Büfett zu arrangieren. Ihr Ex sei diesmal nicht eingeladen worden. Mich beunruhigte eher die Vorstellung, wie Clara in Jeans aussah, als die Anwesenheit eines Ex-Alkoholikers. In den letzten 15 Jahren hatte ich sie genau dreimal gesehen, stets trug sie Rock und Bluse, ein schrill-buntes Sommerkleid oder, wie zum Anfang ihrer Schwangerschaft, ein Umstandskleid, das für Drillinge maßgeschneidert zu sein schien. Clara war einen halben Kopf größer als ich und von kräftiger Statur. Ich war neugierig und fantasievoll, typisch Fotograf, hätte Clara gesagt. Ihr ausladendes Hinterteil konnte ich mir jedoch nicht in Jeans vorstellen.
Heute war ich bewusst Stunden später gekommen, Festtagsstimmung mit Jubelrufen und Ansprachen ertrug ich genauso wenig wie verkommene Biergärten oder schrill-bunte Outfits. Clara musste sich umgezogen haben, stellte ich fest, sie trug Make - up und ein gemixtes Ensemble in Türkis, das ihr – bis auf den Schal – hervorragend stand. Dazu Absatzschuhe. Entgegen ihrem sonstigen Naturell burschikos zu sein, hatte sie sich heute bewusst mit Erscheinungsbild und Kleiderfragen auseinandergesetzt. Als ich ankam, hatte ich den Umweg über die Herrentoilette des Lokals genommen und die Szenerie vom Fenster aus beobachtet, ehe ich Christan entdeckte und ansteuerte. Nach einem Bier und 3 Liedern schaffte ich es endlich, Clara zu gratulieren.
„Na, Uli, wir sind alle älter geworden, was?“, schmeichelte sie mir. Für Clara kam mir kein Kompliment über die Lippen. Ich konnte es nicht.
„Hauptsache gesund, Clara!“ Ich beugte mich vor und flüsterte ihr ins Ohr:
„Alles Liebe und Gute zum Geburtstag!“ Sie hatte Tränen in den Augen. Ich war immer Claras heimlicher Schwarm gewesen, alle wussten das, auch ich. Aber mir war nie nach Jeans und Bunt und Türkis und Turnschuhen zu Mute, ich wollte frei sein. Dass Freiheit auch Einsamkeit bedeuten konnte, wusste ich damals noch nicht. Clara hatte sich nach der Wende umschulen lassen, war Köchin geworden und hatte später einen Partyservice gegründet. Auf der Bootstaufe von Herrn Kappenrad, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur hatte sie das Catering organisiert und dort Frau Dr. Kester kennengelernt. Frau Dr. Kester, Hautärztin, hatte den operativen Eingriff bei Claras Exmann vorgenommen. Hautkrebs Stadium II.
Wir saßen an schmalen, gut füllten Biertischen, tranken Pilsner, um die Musik besser zu ertragen. Zum Glück wurde ich nicht zum Tanzen aufgefordert. Im Gewühl bemerkte ich Claras Mutter, hochbetagt und rüstig, sowie ihre Schwester Manuela, eine kleinere Ausgabe von Clara, was die Körperhöhe betraf, im Umfang toppte sie sie. Claras Tochter dagegen konnte ich nicht entdecken, erst später machte mich Christan auf sie aufmerksam. Sie schien die Figur ihres Vaters geerbt zu haben, ein spindeldürrer Teenager mit gefärbten Haaren hing mit anderen Jugendlichen hinter einigen Rosenrabatten und mit einer Zigarette im Mund herum.
Dann, inmitten dieser lauten, tristen, bunten Veranstaltung kam SIE. Frau Dr. Kester.
„Vergiss es!“ hatte mich Christian angeraunzt. Er war immer der schönere von uns gewesen, selbst jetzt mit 45 Jahren, hochgewachsen und gutaussehend. Aber kontaktscheu. Ich hatte immer Frauenbekanntschaften gehabt, mehr als er, obwohl dies bei meinem Aussehen unvorstellbar war, bei ihm wahrscheinlicher. Es gab Jugendfotos von ihm, hollywoodreif. Dunkles, volles Haar, ein markantes Kinn, dunkle Augen. Aber sowie dieser statische Zustand der Fotografie in den dynamischen Zustand des Belebten überging und er sich bewegte, redete, sich krümmte beim Sprechen, zögerte, innehielt und die Augen senkte, hüstelte und sich am Kopf kratze, leicht vorübergebeugt schritt, war der Traum dahin. Auf mich sind die Frauen geflogen, obwohl klein von Statur und Kräuselhaar auf Kopf und Brust im Kupferton. Clara hatte Christian nie erhört.
„Das brauchtest Du gar nicht erst zu versuchen.“ Ich war neugierig, ein charakteristisches Kennzeichen eines jeden guten Fotografen. Meine besten Bilder sind aus Neugier entstanden. Sylvia, meine Exfrau, bei den umgestürzten Birken, der angeleinte Hund vor dem Tattoo Salon. Der alte Mann mit dem Rosinenbrot, preisgekrönt. Oder das Schneckenmotiv mit der Taube – es gewann den ersten Preis beim Toleranzwettbewerb der LINKEN und ging als Poster in Produktion. Das war damals meine Visitenkarte für die Bewerbung bei einer Londoner Werbeagentur gewesen.
Christan und ich inspizierten gemeinsam das Büfett, es war bereits leicht geplündert und wir hatten uns ziemlich lange und ausdauernd angeschwiegen. Wir setzten uns, ich biss in das Käsesandwich, als er sich wiederholte: „VERGISS es!“
„Aber ich will doch gar nicht…“
„Trotzdem! Außerdem – die spricht mit keinem. Zu abgehoben, Chateau in Südfrankreich, 2012 Gast bei Thomas Gottschalk. Zu ihrem 40.Geburtstag hatte ihr Mann ein Ständchen organisiert. Gesungen hat Anna Netrebko!“
Hoffnung, wo fliegst Du hin?
„Aha. Und wer ist nun diese blonde südfranzösische Gottschalk-Netrebko-Ausgabe?“
Christian schaute mich mit Hundeblick an. Mitleidig und böse in einem.
„Frau Prof. Dr. Kester, Chefärztin der Dermatologischen Abteilung des Berliner Humboldt-Krankenhauses, Aufsichtsrätin bei der Krebshilfe. Und noch so ein paar andere Sachen, ich hab´s vergessen, frage Clara.“ Er stand auf, ergriff seinen Teller und visierte wieder zielstrebig das Büfett an. Erstaunlich bei seiner schlanken Figur, dachte ich, immerhin ist er gut informiert, im Gegensatz zu mir. Ich sah ihm nach, er hatte immer Kontakt zu Clara gehalten, ihre Scheidung durchgestanden, ihren Ex zur Entziehungskur, dann zu den Anonymen Alkoholikern geschleppt und ihr Kind vor einem Schulrausschmiss bewahrt. Jetzt amüsierte sich Clara prächtig, die dunklen Zeiten waren vorbei, sie legte den doofen Schal ab, der ihr schönes, üppiges Dekolleté verdeckt gehalten hatte. Ich wünschte, ich würde in 3 Jahren keine 50 werden und alle Biergärten dieser Welt hätten Musikverbot. Meine düsteren Gedanken vermehrten sich, wie Muschelschalen auf dem Meeresboden.
„Ist hier noch frei?“ Eine melodische Stimme beschallte mein Ohr, mir gegenüber war meine blonde Erscheinung wie eine Plötze an der Wasseroberfläche aufgetaucht. Sportlich, interessant, anziehend, eine leichte Bräunung ließ vergessen, dass sie Hautärztin war. Die schwarze Tunika, die sie trug, stand ihr hervorragend. Nicht overdressed, sondern absolut sexy und mit raffinierten Schlitzen. Die lange schwarze Haremshose hatte sie mit Stilettos kombiniert. Mir fiel Waffenschein ein, als ich sie ansah, wie sie so vor mir stand. Die Haare hatte sie hochtoupiert und seitlich streng nach hinten zusammengebunden, so dass die sportliche Note mit ihrer Erscheinung harmonierte, wie die großen schwarzsilbernen Ohrringe mit dem schwarzen ETWAS, das sie trug.
Sie setzte sich auf Christians Platz. Ich lächelte sie an und schwieg.
„Kennen wir uns?“ Zu anderen Zeiten hätte ICH das vielleicht gesagt haben können. Ich war zu irritiert, um zu antworten und die etwas plumpe Anmache als eine ernstgemeinte Frage zu deuten. Sie wiederholte ihre Frage und stellte sich vor.
„Dr. Sandra Kester“. Ich lachte verschämt auf, zeigte auf meine Stirnnarbe und betonte, dass ich leider keiner ihrer Patienten gewesen war, sondern ich dies Ungemach in einem Londoner Hospital – ein Zusammenstoß mit einem Betrunkenen, nähen lassen musste.
Sie sprach, jonglierte medizinisch geschickt mit verständlichen Begriffen, betonte die Bedeutung der Haut und den sanften Umgang mit ihr. Sie sprach vom Streicheln, dem Liebhaben, dem Umgang mit unserem Körper, von der Haut als unserem größten Organ. Sie säuselte und mir schien, als streichelten ihre Wörter meinen Körper, fuhren ihre Worte wie Finger über meinen Rücken, zeichneten Kreise und Figuren auf meiner Brust und stupsten mein Brusthaar an. Ihre schlanken Finger glitten an meinem Nacken empor, der sanfte Übergang zum Haar versetzte mir eine Gänsehaut, ich spürte ihre Worte wie eine Berührung an meinem Ellenbogen, durchs Gesicht über meine Oberlippe gleiten und auf dem Knie ruhen. Ihre Augen leuchteten, ich war eingesogen - wie ein hypnotisiertes Meerestier sank ich hinab in die Arme einer unvergleichlich schönen Nymphe.
Christian kam mit vollem Teller vom Büfett wieder, er erstarrte, machte einen Bogen um uns, um sich an den Tisch zu Clara und Manuela zu setzen. Damals hatte er sich auch auf den Chefposten beworben, den ich bekommen hatte.
„Ihre Narbe, da ließe sich was machen“, hauchte sie. Narbenbehandlung, Abschleifen der Kanten, auch Entfernung von Altersflecken, Krebsvorsorge, Pigmentuntersuchung unter Auflichtmikroskop.
„Leider keine Kassenleistung.“ Ich war hingerissen und hätte ihr stundenlang zuhören können.
Ihre zweite Hälfte erschien. Als wären sie irgendwann einmal abgespalten worden, ein Mann und eine Frau aus einem Material, ein siamesisches Zwillingspärchen, das man getrennt hatte, wunderschön und kraftvoll. Er groß, dunkles Haar, im schwarzen Anzug, beugte sich zu ihrem Mund, der ihn weich küsste.
„Schatz, wir müssen los.“
„ICH spreche gerade.“ Ein diktatorisches Wort einer Chefärztin, einer Frau, die fest mit beiden wohlgeformten Beinen im Leben stand. Er setzte sich zu ihr, nahm spielerisch ihre Hand. Wie gern hätte ich diese Finger berührt, wäre von den nudefarblackierten Nägeln über das weißgoldene Ringlein zu ihren kleinen Knöcheln gefahren, hätte ihre Linien nachgezeichnet. Nach einer Weile wiederholte er sanft seine Worte.
„Wir sollten los.“
Sie nickte, brach unser Intermezzo ab und überreichte mir ihre Visitenkarte.
„Sagen Sie meiner Assistentin, dass Sie gestern mit mir persönlich gesprochen haben, Sie bekommen dann den Termin.“ Sie lächelte. „Eher.“
Dieses Lächeln war schöner als alle Meerestiere in sämtlichen Aquarien der Welt.
„Für die nächsten 6 Monate sind schon alle Termine ausgebucht“, flüsterte sie. Ihre Schneidezähne wurden sichtbar, schön, regelmäßig. Sie erhob sich, nickte den Anwesenden zu. Ihre laute kräftige Stimme erscholl:
„Ich danke Ihnen, liebe Clara, für die Einladung, haben Sie vielen herzlichen Dank, ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend. Ich klopfe jetzt mal für alle auf den Tisch.“ Die Menge schaute ihr zu und antwortete mit Klopfen.
„Und von Ihnen“, sie wandte den Kopf mir zu und hauchte, „möchte ich mich persönlich verabschieden.“ Sie gab mir die Hand. Ich erhob mich, fühlte mich wie besoffen.
„Danke für das schönes Gespräch“, sie lächelte mich an und dieses Lächeln war Eisschmelze für mich. Kernfusion. Mein persönliches Fukushima. Ich blieb immer noch stehen, als sie schon mit ihrem schwarzen Galan im schwarzen Porsche verschwunden war.
Ich blickte ihr nach und entdeckte dann Christian, der mit offenem Mund zu mir herüber starrte.
1) Sind die Figuren klar gekennzeichnet, könnt ihr euch die Personen vorstellen (Äußerlichkeiten, Anliegen, Wünsche, Hoffnungen, ihre Gedanken)?
2) Sind die Sprünge nachvollziehbar? Es ist nicht chronologisch, ich halte Rücksprünge, um tiefgründig die Seelen darzustellen. Also, besteht ein Lesefluss?
3) Ist Christians Wut erkennbar, gut dargestellt? Ist erkennbar, dass Uli Schweineglück hat durch seine Art, wie er ist und lebt und das Leben genießt und die Frauen auf ihn fliegen und Christian ein Loser, wenn auch ein schöner?
Ich freue mich auf eure Rückmeldungen, LG Cecilie