Teufelszeug > Theorie

Was macht eine richtig gute Geschichte aus?

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Oflinitrium:
Das mit den abgenutzten Phrasen z.B. empfinde ich jetzt meist als nicht ganz so schlimm. Es gibt ja einen Grund, dass sie so abgenutzt sind und der ist nicht nur Faulheit sondern eben auch, dass sie gut beschreiben was man ausdrücken will. Da ich eher zu Romanen tendiere fällt sowas denke ich sowieso weniger ins Gewicht als bei Kurzgeschichten und sich da jedes einzelne Mal Gedanken zu machen nicht "lauer Wind" zu schreiben obwohl genau das gerade in der Szene passiert/stimmig ist würde ich keinem Autor zum Vorwurf machen. Klar fallen die kreativeren Geister etwas eher auf aber einzelne Sätze überlese ich eher und das Gesamtbild prägt sich ein.
Wichtiger sind mir da Wortwiederholungen... weil die können wirklich immer nerven egal wie groß der Text ist.
Und auf Subtilität lege ich auch sehr viel Wert. Es gibt nichts was mich mehr zum Augenrollen bringt als wenn ich bereits nach 10 Seiten die weiteren 100 Seiten erahnen kann. Klar bei Herr der Ringe, Harry Potter und jedem Krimi weiß man von Anfang an, dass es zum showdown zwischen Gut und Böse kommt. Das "wie" und "warum" sollte allerdings gut verborgen bleiben. Am meisten ärgert mich das bei zwischenmenschlichen Beziehungen. Wenn Charakter A auf Charackter B trifft und die beiden so gar nix miteinander zu tun haben oder sich nur oberflächlich kennen man aber an der Schreibweise merkt, dass hier ne Love Interest steht und nicht am Verhalten der Charaktere finde ich das grausig. Dann lieber direkt zeigen, dass Gefühle am Werk sind und nicht versuchen subtil zu sein obwohl mans nicht ist.
Selbiges wenn es um die Einführung des Antagonisten geht. Letztens habe ich eine Geschichte gelesen wo es in einem übernatürlichen Setting um Ritualmorde in einem Variete ging. Serienmörder und Pimp wurden sehr schnell ausgeschlossen aber eine ältere besorgte Tänzerin die sich um die Küken kümmerte hatte immer wieder spotlight und natürlich war sie am Ende die Schudige die sich durch die verschiedenen Ritualmorde ewige Schönheit holen wollte. Bei sowas lese ich hauptsächlich weiter um meine Theorie bestätigt zu sehen. Das Problem war, dass sie als Einzige ein gutes Motiv hatte und die besten Gelegenheiten, da die Opfer ihr vertrauten. Es gab keinen anderen Charakter auf den auch nur eines von Beidem zutraf. Davon abgesehen war die Geschichte unterhaltsam und gut geschrieben. Es hätte nur etwas Ablenkung von der einen Dame gebraucht oder ein besseres Motiv als "ewige Jugend/Schönheit"

Paul:
Ich komme etwas spät in die Diskussion, möchte aber noch meinen Senf dazu abgeben:

Von einem Roman erwarte ich tiefgründige Charaktere, eine verzwickte Story, die nicht gleich im ersten Kapitel wieder endet und eine überzeugende Hintergrundwelt, die ich entdecken kann.

Von einer Kurzgeschichte erwarte ich dagegen Charaktere, die mich in irgendeiner Art und Weise ansprechen, eine Story, die eine Pointe hat und eine Welt, die ich - trotz der Kürze der Geschichte - verstehe.

Damit mich eine Kurzgeschichte fasziniert, muss sie "gut geschrieben" sein. Dazu gehört neben einer Sprache, der ich gern folge, vor allem ein Plot, der mich mit in die Geschichte hineinnimmt. Richtig gut sind für mich die Geschichten, die am Ende eine überraschende Wendung haben. Und dies nicht, weil es ein Schreibratgeber so fordert, sondern weil es die Geschichte aus sich heraus hergibt. Erzwungene Pointen sind peinlich.

Manche Kurzgeschichten berühren mich, weil sie "archetypische" Erfahrungen aufnehmen. Diese Erfahrungen gespiegelt zu bekommen, mit Gefühlen vermengt, die ich nachvollziehen kann, machen für mich auch eine Kurzgeschichte spannend. Es ist ein kurzes Eintauchen in eine Szene, die jeder kennt, und die doch immer wieder anders ausgehen kann.

Spannend ist es, wenn mit bekannten Bildern gespielt wird und diese dann gebrochen werden. Ich erinnere mich an eine Kurzgeschichte von Terry Pratchett, in der Cohen der Barbar auf einen Brückentroll trifft, der die Brücke bewacht. Doch anstatt dass es zu einem Kampf kommt, endet die Geschichte völlig anders. Dieses Spiel mit den Klischees machte für mich (neben der Sprache und dem Humor) die Kurzgeschichte so wertvoll - die, da sie eine "archetyptische" Szene ausmalte (jemand will weiter, wird aber daran gehindert), mich zugleich auch auf einer emotionalen Ebene ansprach (In meiner Geschichte von Enguin dem Elf und seiner Schatzhöhle habe ich versucht, etwas Ähnliches zu erschaffen).

 8) Paul





merin:
Du beschreibst Gedanken, in denen ich mich gut wiederfinde. Ich mag es auch besonders, wenn mir Geschichten im Hirn bleiben. Wenn ich darüber noch einmal nachdenke. In "Der Tod kommt auf Zahnrädern" gab es zwei solche Geschichten, wobei die eine für mich ein enorm unbefriedigendes Ende hatte. Aber der Anfang war so gut, dass er mir trotzdem haften geblieben ist.

diffusSchall:
Hallo ihr Lieben,

soooo ein spannendes Thema und ich bin ausgerechnet in urlaubaler Auszeit. *gnarf*

Aber vielleicht ist das gar nicht so schlecht, denn ein paar Punkte sind ja schon herausgearbeitet oder abgehakt worden.

DAS Rezept für DIE perfekte Geschichte gibt es nicht.
Der Weg und das Bild einer Top-Story sind so mannigfaltig, die die Geschmäcker.
Dazu kommt noch, dass ein und dasselbe von uns unterschiedlich wahrgenommen wird, wenn wir den Text aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten.

@Merin , ich habe das gerade gestern im Geflecht gehabt, als ich eine Stelle gelesen habe, wo der Federteufel in mir wach wurde. Und ich habe exakt einen kritischen Satz im Kopf formuliert, denn du in der Rezi zu meinem Debüt geschrieben hast (ich werde PN-mäßig da noch konkreter). Ich wusste nicht, ob ich amüsierte oder sauer sein sollte.    ;)
Was ich sagen will: Was uns an dem einen Text stört, lassen wir bei einem anderen Text problemlos durchgehen.
Schon das macht es schwer konkrete Kriterien festzulegen.

Ich habe hier auch viele genannte Punkte gelesen, die ich spontan abgenickt habe.
Nur um dann festzustellen, dass ich tolle Storys und Bücher kenne, wie genau das nicht zu finden ist.

@Paul , du schreibst, dir sind tiefgründige Charaktere bei einem Roman enorm wichtig. Da bin ich sofort bei dir. Dann kommst du auf eine KG von Terry Pratchett zu sprechen und ich stelle fest, dass Pratchett ganz grossartige Romane geschrieben hat, aber tiefgründige Charaktere war nie wirklich seine Domäne.

Und da muss ich auch an das erste Buch denken, dass ich in einem Rutsch, an einem Tag durchgelesen habe. Ein SF-Action-Thriller mit platten Charakteren, aber massig Tempo, Knalleffekten und gigantischen Bildern: K.H. Scheers ZBV-Roman, "Zonta - Norm regelwidrig". Das ist vielleicht 40 Jahre her. Den Titel kann ich bennen, alskäme er aus der Pistole geschossen. Sollte ich die 10 besten, unterhaltsamsten Bücher benennen, DER wäre zweifellos dabei. In meiner Liste der beeindruckensten literarischen weke, da käme der nicht vor.
Es ist die Quadratur des Kreise, hier auf einen Punkt und Nenner zu kommen.

So geht mir das mit so ziemlich allen Kommentaren und Argumenten hier:
Ich denke, ja, genau!
Und dann, ja, aber...


--- Zitat von: merin am 30 October 2022, 11:11:22 ---Dagegen ist mir ein guter Plot nicht so wichtig und auch Spannung ist zwar für den Unterhaltungswert gut und wird genossen, aber zum perfekten Text trägt sie für mich relativ wenig bei.
--- Ende Zitat ---

Da möchte ich tatsächlich klar widersprechen:
Ein Roman, eine KG, deren Plot mäßig ist, wird mich immer unbefriedigt zurück lassen. Auch, wenn der Text toll zu lesen ist, wird immer eine fader Beigeschmack bleiben. Niemals wäre er perfekt, stets mit diesem einen Makel.
Insofern finde ich, ein gelungener Plot und Spannung gehören immer essentiel zu einem perfekten Text dazu.

Ich möchte sogar sagen: ohne Spannung keine Unterhaltung.
Denn ich setze Spannung keineswegs mit Action gleich.
Eine gute, wie eine perfekte Story braucht einen Konflikt. In jedweder Form. Habe ich einen Konflikt, dann habe ich zwangsläufig einen Spannungsbogen im Text.
Über die Gewichtung kann man dann natürlich trefflich streiten, Aber das ist, wie eingangs schon erwähnt, so mannigfaltig, wie die Geschmäcker.

Ein spannendes Thema, das sich zu diskutieren lohnt.
Das immer auch für eine gewisse Frustration sorgt, weil der Diskurs zu keinem echten Konsenz führen wird.

Liebe Grüße - Frank

Paul:
Hi Frank

Du hast Recht. Terry Pratchett - dessen Romane ich liebe - hat nicht sehr tiefgründige Charaktere. Wobei? Hauptmann Mumm? Der Tod? Auch Oma Wetterwachs ist sofort als Person greifbar. Das heißt, er hat Charaktere, die leben. Auf ihre ganz eigene Art. Ansonsten schreibt er gute Unterhaltung. Da muss es nicht immer so tief gehen. Wobei er manchmal durchaus "tiefe" Gedanken mit großer Humanität in seinen Romanen unterbekommt.

  ::) Paul

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