Teufelsrost > Höllenfenster
Erinnerung an eine böse Zeit
diffusSchall:
Sowas ist nicht mein Ding ... oder vielleicht gerade doch.
Eine Textart, die ich für mich nur selten lese, und doch manchmal zu Papier bringe.
Daher tue ich mich selbst mit einer Wertung schwer und freue mich über euren Blick und eure Meinung.
Erinnerung an eine böse Zeit
Ich sehe die Gestalt, als wäre sie mir erst gestern begegnet.
Das faltendurchzogene Gesicht unter einem geblümten Tuch halb versteckt.
Die Schultern gebeugt unter der Last schwerer Loden. Eine schmucklose lederne Tasche im Arm.
Der vorsichtige, suchende Gang. Der tastende Gehstock.
Wir waren Kinder.
Spielten mit hölzernen Stecken. Waffen, keine Pflugscharen.
Räuber, Gendarm, Cowboy oder Soldat - ich weiß es nicht mehr.
Als die alte Dame daher kam, legte ich an.
Im Spiel. Ohne einen Gedanke.
Peng.
Ich werde das zu Tode geängstigte Gesicht nie mehr vergessen.
Der offene lautlose Mund mit den zitternden Lippen.
Den Horror in den Augen der Frau. Ihre Tränen.
Der Schreck, der mir selbst in die Glieder fuhr.
Im Spiel war mir nichts Böses bewusst.
Und doch ahnte das Kind: Etwas Grausames war geschehen.
Heute weiß ich um die Erinnerungen.
Die Steinmetze unserer Seele.
Und jedes Stück, das sie herausschlagen, schmerzt.
Immer wieder aufs Neue.
merin:
Lieber Frank,
mein Kommentar dazu ist: hmm.
Ich finde, es ist dir gelungen, die Szene lebendig einzufangen. Es entsteht eine Atmosphäre und die kleine Begegnung ist dadurch gut beschrieben.
Aber: (jaja merin immer mit den Abers): Ich finde den Text noch nicht rund. Der Einstieg ist irgendwie schwer, es gibt eine unklare Perspektive und die Formulierungen sind oft ziemlich abgelatscht.
Schauen wir mal genauer hin:
--- Zitat ---Erinnerung an eine böse Zeit
--- Ende Zitat ---
Ich finde "böse" ein schwieriges Wort. Es ist ungenau und sehr archaisch. Ich glaube, es ist auch nicht ganz treffend. Warum nicht einfach nur "Erinnerung". Das würde auf zwei Ebenen passen.
--- Zitat ---Ich sehe die Gestalt, als wäre sie mir erst gestern begegnet.
Das faltendurchzogene Gesicht unter einem geblümten Tuch halb versteckt.
Die Schultern gebeugt unter der Last schwerer Loden. Eine schmucklose lederne Tasche im Arm.
Der vorsichtige, suchende Gang. Der tastende Gehstock.
--- Ende Zitat ---
Rein von der Formatierung her ist das ein Gedicht. Aber du hast nicht verdichtet und die Sätze sind reine Prosa. Ich würde dazu raten, entweder klar bei der Prosa zu bleiben. Oder zu verdichten:
--- Zitat --- Ich sehe dich:
Das faltendurchzogene Gesicht, das geblümte Tuch,
die gebeugten Schultern unter schwerem Loden,
die schlichte Tasche am Arm,
Der vorsichtige, suchende Gang,
Der tastende Gehstock.
--- Ende Zitat ---
Da wird dann klar: Du brauchst nun auch Rhythmik. Und dann wird es ein ganz anderer Text.
--- Zitat ---Wir waren Kinder.
spielten mit hölzernen Stecken. Waffen, keine Pflugscharen.
Räuber, Gendarm, Cowboy oder Soldat - ich weiß es nicht mehr.
Als die alte Dame daher kam, legte ich an.
Im Spiel. Ohne einen Gedanken.
Peng.
--- Ende Zitat ---
Erst hattest du ein Ich, nun gibt es ein Wir. Mein Verdacht ist: Du meinst eigentlich was anderes. Du meinst:
--- Zitat ---Ich war ein Kind.
Spielte mit Stecken. Waffen, keine Pflugscharen.
Räuber, Gendarm, Cowboy oder Soldat.
Als du kommst, lege ich an.
Im Spiel.
Peng.
--- Ende Zitat ---
Vorschlag:
--- Zitat ---Deine Augen weit.
Die zitternden Lippen.
Deine Tränen.
--- Ende Zitat ---
Du siehst, was ich meine, oder? Gedicht heißt: Du musst verdichten. Alles weglassen, was es nicht braucht. Der Assoziation Raum geben. Und im besten Falle eigene Wörter und Bilder suchen. Ich habe auch die Zeit wieder ins Jetzt geholt.
Nur so aus Spaß mach ich mal draus, was mir spontan einfällt:
--- Zitat --- Ich sehe dich:
Das faltendurchzogene Gesicht, das geblümte Tuch,
die gebeugten Schultern unter schwerem Loden.
Ich sehe mich:
Ein Kind spielt mit Stecken.
Räuber, Gendarm, Cowboy oder Soldat.
Als du kommst, lege ich an.
Im Spiel.
Peng.
Deine Augen groß.
Die Lippen zittern.
Tränen.
--- Ende Zitat ---
Man könnte hier Schluss machen. Dann sind die Tränen aber besser unbestimmt - es könnten auch meine sein. Für mich muss dann die erste Strophe auch verdichtet werden. Und du musst jedes Wort feilen. Hach, ich sollte mal wieder ein Gedicht schreiben!
Wenn es weiterginge, würde ich "deine Tränen" lassen.
--- Zitat ---Dein Schreck wurde meiner.
Später lernte ich
was ich in dir belebt hatte.
--- Ende Zitat ---
Das ist jetzt gar nicht mehr dein Text, ich weiß. Aber ich hoffe, du siehst, was ich meine: Es tut dem Text gut, ihn klar zu machen. Sich zu entscheiden.
Die dir wahrscheinlich mehr liegende Variante wäre, bei der Prosaform zu bleiben. Auch dann würde ich nach Phrasen schauen, du hast einige:
- Schreck fuhr mir in die Glieder
- Horror in den Augen der Frau
- nichts Böses bewusst
- und auch die Schwerter zu Pflugscharen sind zu oft gebraucht.
Für so einen kurzen Text sind das zu viele. Also für meinen Geschmack. Ich würde dir raten, eher auf die Stimmung zu gehen. Und wenn du eine Rahmenhandlung hast, diese deutlicher zu machen: Was ist heute? Und was regt die Erinnerung an das Gestern an?
Keine Ahnung, ob das nun eher zu meiner Freude war, oder dir hilft. Wir haben jetzt auf jeden Fall zusammen ein Gedicht geschrieben. :devgrin: :hehe:
Viele Grüße
merin
diffusSchall:
Du hast recht, das ist unschlüssig.
Ich habe ja eingangs schon versucht klar zu machen, dass mich das Ergebnis ratlos zurück lässt. Ich schreibe das sehr spontan herunter, ohne wirklich viel nachzudenken. Formulierungen überarbeite ic nur direkt, wenn sie gleich hoplern. Ich kann dir echt nicht sagen, wo ich damit eigentlich hin will. Gefühlt eher Prosa als Gedicht.
Ja, über Phrasen denke ich auf jeden Fall nochmal nach.
Danke, für das Gedicht und dafür, dass du zumindest ein Licht angemacht hast. :)
merin:
Ja, ich denke auch, du solltest eher bei Prosa bleiben. Also zumindest passt das zu dem, was ich bislang von dir kenne. Und da ist dann eben die Überlegung: Braucht es die Rahmenhandlung?
Es gibt ja auch die Form des Prosagedichtes, mit der ich nicht sehr vertraut bin, die aber auch gut sein könnte. In jedem Fall würde ich bei so einem kurzen Text jedes Wort prüfen. Jede Redewendung. Und genau schauen: Wie ist der Aufbau? Wo ist der Höhepunkt? Was ist der Fokus? Aktuell scheint auch das mir etwas unklar, weil es einerseits die damalige Situation gibt und andererseits die heutige Regung des erzählenden Ichs und es ist noch nicht ganz klar, wie die zusammenhängen. Was ist das Hauptgefühl? Scham? Trauer? Eine Mischung daraus?
Paul:
Hi Frank
ich finde den Inhalt, den du in deinem Gedicht erzählst, richtig gut. Alles passt vom Anfang bis zum Ende. Es ist eine in sich gelungene Szene, die eine eigene Aussage und Moral hat. Von daher: Toll.
Die Form dagegen passt m.E. überhaupt nicht dazu. Ich könnte dir dazu das eine oder andere aufzählen, weiß aber nicht so recht, ob das etwas nützt, weil ich den Eindruck habe, dass Form und Inhalt insgesamt nicht übereinstimmen. Ich sehe deine "Geschichte" eher als eine Geschichte, die danach ruft, dass sie auch erzählt wird. Kurz, knapp, ja, gern, wenn du es so möchtest, aber doch als Erzählung mit direkter Rede,... und allem, was so dazu gehört. Darauf würde ich mich sehr freuen.
Paul ;)
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