Hallo ihr Lieben,
zwei Dinge vorweg.
1. bitte nicht öffentlich stellen
2. der untenstehende Text handelt von einer Totgeburt, also nicht weiterlesen, wenn ihr euch damit nicht wohlfühlt.
Zum Hintergrund... schwer zu sagen was ihr da brauchen könntet. Untenstehende Szene spielt 392BC und im historischen Kontext; es ist der erste Band einer Romanreihe und historische Fantasy.
Artemisia ist die Tochter des Königs und hat bei ihrer politischen Ehe so ziemlich alles aufgegeben, das sie jemals erreichen wollte. Sie hatte sich schon fast damit abgefunden völlig unbedeutend zu sein, als ihr Mann (der nächste König) ihr verspricht ihr gewisse (politische und soziale) Privilegien einzuräumen, die Frauen damals nicht hatten. (Hab ich übrigens nicht erfunden, hat der historische Maussollos auch tatsächlich getan). Vor dieser Szene kam es zu einem Aufstand im Land und Artemisias Mann wäre fast gestorben, was ihr jede Aussicht auf Bedeutsamkeit geraubt hätte.
Ich hoffe im Roman habe ich ihre Motivationen besser darstellen könne als jetzt in der Zusammenfassung, aber Artemisia reitet im vorangehenden Kapitel zu einem Heiligtum und da der Priester auf Opfergaben besteht flutscht ihr in ihrer Verzweiflung ein Gedanke durch den Kopf, den sie bewusst eigentlich gar nicht haben wollte: die Götter sollen ihr das Kind nehmen, wenn nur ihr Mann lebt. Sie kann weitere Kinder haben wenn er lebt, aber wenn er stirbt wird sie alles verlieren was er ihr zugesichert hat.
Das Ungeheuer am Ende ist die Erfüllung der Vision aus dem ersten Kapitel. Und es ist mir sehr wichtig, dass dieses Bild noch mit drinnen ist in der Szene.
Der Textausschnitt ist die letzte Szene des ersten Bandes. Die Rohfassung ist also komplett. Ich weiß dass sprachlich noch zu feilen ist, grundsätzlich würde mich Folgendes interessieren:
- kann ich das so bringen?
- ist es nachvollziehbar, wie schrecklich die Situation ist?
- worauf sollte ich beim Überarbeiten besonders achten?
- ich weiß, dass es wahrscheinlich eher nicht möglich ist kurz nach einer Geburt herumzugehen, aber ich wollte ihren Mann mit einbauen, weil er definitiv der herzlichere Mensch von beiden ist und irgendwas Nettes sollte doch passieren, habe ich mir gedacht; Lösung für dieses Problem ist mir aber noch keine eingefallen.
Desma ist Artemisias Dienerin und Vertraute;
Maussollos ist Artemisias Mann;
Aba ist die Mutter von Artemisia und Maussollos und somit die Frau des Königs.
Lyxes ist der Priester, der auf Opfergaben bestanden hat anstatt ihr einfach zu helfen.
Labraunda ist eine Ortschaft in der heutigen Türkei, in der das Heiligtum stand.
Achja und ich bin kinderlos und habe mir leider alles zusammenreimen müssen, daher mag da recht viel falsch dargestellt sein. Wäre ebenfalls dankbar für dahingehende Hinweise.
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Mit zusammengekniffenen Augen sah Artemisia im strömenden Regen Aba auf sie zulaufen. Jeder Regentropfen fühlte sich an wie ein brennender Pfeil, der ihre Haut durchbohrte.
Sie brannte, wie die Platanen in Labraunda; wie das Feuer, von dem Maussollos gesprochen hatte.
Maussollos.
Er lebte. Sie wusste es. Sie hatte ihm das Leben des Kindes zurückgegeben.
Sie griff nach dem Hals des Pferdes, als Lyxes hinter ihr absprang. Ihre Hand schien sich langsamer zu bewegen als sie es wirklich tat, der Regen nässte sie nicht. Aber warum glänzte dann der Ring an ihrem Finger? Es musste eine fremde Hand sein.
Die Umgebung verschwamm vor Artemisias Augen.
Sie hob ihren Blick hinauf in den Himmel und der Regen verbrannte sie nicht mehr.
Das Kind war tot. Vielleicht war sie es auch. War das der Weg in die andere Welt?
Steh mir bei, Hekate.
Dann griffen Hände nach ihr. Der Mund ihrer Mutter bewegte sich und sie konnte nicht stehen, als die Sklaven sie vom Pferd hoben.
Hatte sie noch Beine?
Brauchte man nicht Beine um in die andere Welt zu kommen?
Sie sah an sich hinunter. Ihre Beine waren noch da. Ihre Füße auch. Eingewickelt in Stiefel.
Dann erzitterte die Welt.
Etwas hatte sie getroffen.
Ein Schlag?
Ein Blitz?
Sie fiel auf die Knie.
Kalte Tropfen prasselten auf sie nieder. Das Gewicht des durchnässten Himation zog sie nach unten.
Es war kalt. So kalt.
„Sag ihr was du getan hast!“, schrie der Priester. Seine Finger gruben sich in ihre Oberarme und er zerrte sie hoch.
„Maussollos lebt“, sagte sie zu Aba.
„Woher-“
„Sag es ihr!“
Ein schwerer, drückender Schmerz zog durch ihr Becken.
Aber Maussollos lebte. War das nicht alles, was zählte?
„Bist du gefallen?“, fragte Aba. „Was ist geschehen? Was ist los mit dir?“
„Aba, bete wie du nie zuvor gebetet hast“, sagte Lyxes.
Aber wozu sollte ihre Mutter noch beten?
Irgendjemand beugte sich an Artemisias Ohr und murmelte Worte, die sie nicht verstand.
Es war tot und Maussollos lebte.
Die Umrisse des Innenhofs schienen sich zu bewegen, fortzuspringen vor ihr, näherzukommen, als starrten sie sie an, als verurteilten sie sie.
Sie würgte, würgte an der Schuld die sie auf sich geladen hatte, am Schmerz und der Erleichterung.
Aba schrie und Lyxes betete. Desma half ihr in ihr Zimmer und die Hebammen versammelten sich um sie.
Sie sah es wie die Mosaike auf den Fußböden des Palasts und den Malereien an den Wänden.
Da war ein sehr dünnes Mädchen, das die Künstler nicht gut getroffen hatten. Es wanderte im Raum auf und ab, gestützt von zwei alten Frauen.
Auf und ab. Auf und ab.
Manchmal blieben die Drei stehen und das Mädchen krümmte und wand sich ganz unwürdig.
Sie war die Tochter des Königs.
Die Tochter des Königs.
Es war kein Mosaik, das sie da sah. Kein Wandbild. Die Bilder bewegten sich.
Es war unmöglich.
Warum bewegten sich die Bilder?
Warum sagte niemand dem dünnen Mädchen, das es sich umsonst quälte?
Das Kind war tot.
Sie umklammerte die Unterarme der Hebammen.
Die Bilder waren fort.
Sie spürte die Knochen der Frauen. Ihre warme Haut.
Das Kind war tot.
Sie hatte es getötet.
Artemisia schnappte nach Luft.
Es war still im Raum. Die Luft drückend. Es roch nach Traurigkeit.
„Wir müssen noch gehen“, sagte eine der alten Frauen und zog sie leicht.
Und so gingen sie.
Auf und Ab. Auf und ab.
Und wenn sie nicht mehr wusste wie sie den Druck in ihrem Rücken aushalten sollte blieb sie stehen und dachte daran, wofür sie es getan hatte.
Ein Leben für ein Leben.
„Wie geht es Maussollos?“ Sie suchte mit ihren AUgen nach Desma.
„Gut. Es geht ihm… gut.“
Sie hatte gezögert.
Der Druck in ihrem Rücken wich einem scharfen, schneidenden Schmerz.
„Warum zögerst du?“, keuchte sie. „Es kann doch nicht umsonst gewesen sein!“
Sie versuchte sich aus den Griffen der alten Frauen zu befreien, doch es gelang ihr nicht.
„Kümmer dich nicht um Maussollos. Um ihn kümmern sich andere. Dein Kind-“
„Es ist tot!“, schrie sie. „Glaubst du ich bin dumm? Glaubst du ich weiß es nicht?“
Sie wollte dieses tote Kind nicht in sich haben. Noch einmal zerrte sie an den Griffen der Hebammen und dieses Mal ließen sie sie in die Hocke gehen.
Sie machte sich bereit aufzugeben, sich der Nacht und der Stille anzuvertrauen die sie umgab.
Aber die Götter erlaubten ihr nicht zu gehen.
Der Schmerz traf sie mit voller Härte. Der Ekel, die Verachtung, die Schuld.
Ah, die Schuld.
Sie schrie die Schuld hinaus, den Ekel und die Verachtung. Sie schrie bis sie keine Stimme mehr hatte und wandte sich ab als die Hebammen das Kind hochhoben.
Ihr Herz schlug laut in der Stille, das Tosen ihres Blutes dröhnte in ihren Ohren.
„Ein Mädchen“, sagte Desma.
Sie war weiß. Ihre Adern zogen sich als blaue und violette Zeichnungen über ihren winzigen schlaffen Körper.
Die Hebamme schüttelte das Kind. Schlug ihm auf den Rücken, ließ es kopfüber hängen und schlug es wieder.
Aber es war doch schon lange tot. Wozu tat sie das alles noch?
Artemisia sah das Mädchen an.
Ihr Herz brannte, kalt und langsam, wie das Feuer von dem Maussollos gesprochen hatte, in das man alles warf, damit es nur noch ein bisschen weiter brannte.
Sie wollte wegsehen, wollte es wirklich, aber sie konnte die Augen nicht von dem kleinen, schlaffen Körper wenden.
Du hast das getan.
Du wolltest es so.
Ihr Haar war schwarz und lockig und sie hatte die winzigste, kleine Stupsnase. Artemisia hob ihre Hand. Sie wollte die kleine Nase fühlen, ihre Finger durch die Löckchen gleiten lassen. Aber sie hielt inne.
Das Mädchen hätte leben können.
Sie hatte ihr Recht das Kind zu berühren verloren als sie sein Leben im Tausch für Maussollos‘ anbot.
Abas Schluchzen drang an ihre Ohren.
„Wärest du nur nicht nach Labraunda geritten. Jeder weiß, dass man nicht reiten soll. Du hast den Tod des Kindes leichtsinnig hervorgerufen.“
Leichtsinnig?
Nein. Wissentlich und willentlich.
„Säubert sie beide“, befahl Aba bevor sie den Raum verließ.
Desma half ihr auf.
Ihre Knie zitterten, ihr ganzer Körper zitterte.
Es war vorbei.
Maussollos lebte.
Das Mädchen war tot.
Sie konnte jeden Gedanken daran fortschieben, auslöschen. Für immer weit hinten in ihren Gedanken fortsperren.
Als Desma sie gewaschen und ihr ein frisches Kleid angezogen hatte stand sie auf.
„Folge mir“, sagte sie zur Hebamme, die das kleine Mädchen noch immer hielt. Und dann machten sie sich auf den langen Weg zu Maussollos‘ Zimmer.
Sein Gesicht war noch immer grau, aber seine Lippen hatten wieder eine normale Farbe.
Ihr Herz hüpfte nicht.
Der Preis für sein Leben war zu hoch gewesen.
Er richtete sich auf, als sie näher trat. Hielt ihr seine Hand entgegen und senkte dann seinen Blick, als er die Hebamme sah.
Ich habe dein Kind getötet, flüsterte sie stumm.
„Ein Mädchen, tot geboren“, sagte die Hebamme und hielt das Kind so, dass er es sehen konnte.
Artemisia folgte seinem Blick, presste ihre Lippen aufeinander um jeden Laut zu unterdrücken und riss ihre Augen auf um den Tränen Platz zu geben.
Maussollos ließ Artemisias Hand los und winkte die Hebamme näher.
Artemisias Herz brannte wieder, heiß dieses Mal, heiß und mit schwerem Druck, als er das Kind aus den Händen der Hebamme nahm. Er sah es an, als wäre es das Schönste, das er jemals gesehen hatte. Mit seinem Zeigefinger fuhr er ganz leicht über ihre Nase.
„Fast hättest du es geschafft, meine Kleine.“
Artemisia erstarrte. Der Druck in ihrem Herzen raubte ihr den Atem. Der Raum wankte vor ihren Augen und sie stolperte zum Fenster, riss die Balken auf und rang nach Luft.
Ihre Augen hoben sich verzweifelt hinauf in den Himmel.
Über den Bergen kreiste ein riesiges, echsenartiges Ungeheuer.