Bitte nicht in's Höllenfenster!Meine Lieben,
anbei gebe ich meinen ersten Text frei zur Röstung
Es handelt sich um meine Einreichung zum Ralf Bender Preis, die Geschichte hat es jedoch nicht in die engere Auswahl geschafft.
Ich bitte in diesem Fall nicht um eine ausführliche Röstung, sonder eher um eure Einschätzung, aus welchem Grund bzw. welchen Gründen der Text abgelehnt worden ist (also Struktur, Story ...)
Ich danke euch im Voraus vielmals für eure Zeit und Rückmeldungen.
Liebe Grüße,
E.
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Loba Neuschönau, jetzt “Du hast doch nicht ernsthaft gemeint, damit durchzukommen?”
Der Tscheche, wenige Minuten zuvor noch ein Abbild von Stärke, schaut ihn nun aus angstgeweiteten Pupillen an.
“Sag schon!”, schreit er, und der Tscheche zuckt zusammen.
“Also gut, wenn du nicht reden willst”, knurrt er, “dann werden wir eben andere Saiten aufziehen müssen.” Er greift sich die Hacke, die neben dem Baum, an den der Tscheche gebunden ist, auf dem Boden liegt und lässt drohend deren Nacken in seine Hand fallen. “Du kannst ja nochmal darüber nachdenken”, schlägt er vor.
Göttingen, November 1998 “Mach mal Platz, Hackfresse”, schnauzte Jannik Schäfer, als er Kreidl zu Seite stieß und sich an ihm vorbeidrängte. Kreidl stieß die Luft scharf durch seine Zähne aus. Er hatte gehofft, die Hänseleien würden nach einiger Zeit aufhören, zumal es nicht Grundschulkinder waren, mit denen er zu tun hatte, sondern seine Kommilitonen. Doch nach inzwischen zwei Monaten an der Universität hatte er immer noch keinen Anschluss gefunden und die Sticheleien aufgrund seines Aussehens gingen unverblümt weiter.
Kreidl war sein Außenseiterdasein gewohnt. “Wenn man nicht ganz der Norm entspricht, sind halt die anderen schnell einmal eifersüchtig”, hatte seine Mutter ihn früher getröstet. Kreidl wusste, dass niemand eifersüchtig auf ihn war. Wer wollte schon ein kleiner Mann mit zierlicher Figur, dafür umso größerem, hängenden Riecher sein? Unbewusst langte er an seine Nase. Als er sich seiner Bewegung gewahr wurde, kratzte er sich verlegen an der Wange und fuhr sich dann mit der Hand durch die Haare.
Egal, das Studium war ja nicht da, um Freunde zu gewinnen, sprach er sich selbst Mut zu, es ging ihm nur darum, zu lernen.
Drei Monate später warf Kreidl sein Veterinärmedizin-Studium hin.
Neuschönau, jetzt Verzweifelt versucht der Tscheche, sich zu befreien, doch die Kanten der Kabelbinder schneiden bei jeder Bewegung scharf in die Haut seiner Handgelenke. Missbilligend schüttelt der Mann vor ihm den Kopf. “Kannst aufgeben, bringt dir nichts mehr”, murmelt er, als er sich vor dem Tschechen aufbaut und die Hacke hoch über seinen Kopf hebt.
Nationalpark Bayerischer Wald, August 2001 Seit gut einer halben Stunde stand Kreidl auf der Rückseite der Rachel Kapelle, den Blick starr und gedankenverloren auf dem ruhigen Gewässer unter sich. Sein Rücken war gebeugt, einzelne Holzsplitter des Geländes, das vor ihm zu einem Spitz zusammenlief, bohrten sich in seine Unterarme, auf denen er sich abstützte. Alle paar Tage suchte Kreidl diesen Ort auf. Er hatte ihn kurz nach seinem Dienstantritt als Nationalpark-Ranger entdeckt und war seither von der Magie dieses Ortes verzaubert. Wenn die Touristen und Schulgruppen den Nationalpark abends verließen, war das Gebiet am Fuße des Rachels der Teil des Waldes, in den Kreidl sich am liebsten zurückzog.
Ein Rascheln hinter ihm riss Kreidl aus seinen Gedanken und er drehte sich abrupt um. Erschrocken flog der Dompfaff, der das Geräusch verursacht hatte, auf und ließ sich auf einem nahen Ast wieder nieder. Kreidl lächelte in sich hinein – wer sollte um diese Zeit auch sonst noch hierherkommen als ein Tier - während der Dompfaff von oben auf ihn herab zu schimpfen begann. Sein roter Bauch leuchtete zornig, während er sich immer weiter in Rage zwitscherte.
Kreidl wandte sich von dem Vogel ab, griff in das strohige Gras vor sich und brach einen Halm ab, den er zwischen die Zähne steckte. Als er begann, darauf zu kauen, musste er unvermittelt an Lucky Luke denken, der auch auf Halmen kaute, seit sein Schöpfer ihm das Rauchen verboten hatte. Kreidl rauchte hier draußen nicht. Er hatte hier seine Heimat gefunden, und wollte nicht riskieren, sie durch eine nicht richtig ausgetretene Kippe zu zerstören. Er tat einen tiefen Atemzug, ließ ein letztes Mal den Blick über den Rachelsee schweifen und wandte sich dann von dem Gewässer ab, um den Heimweg anzutreten. Das wütende Schimpfen des Dompfaffs hallte noch eine Weile in seinen Ohren.
Grafenau, April 2012 “Du, Kreidl, übernimm amoi de Neie!” Franz, wenig charmant wie meistens, wies seiner Begleitung mittels Handzeichen den Weg zu Kreidl. Als der aufsah, wusste er erst nicht, wen sein Kollege mit “der Neuen” gemeint hatte. Erst ein zweiter Blick offenbarte ihm, dass das, was vor ihm stand, tatsächlich eine Frau war. Als ihm bewusst wurde, dass er die neue Rangerin anstarrte, verscheuchte er mit einem leichten Kopfschütteln seinen ungläubigen Gesichtsausdruck und streckte ihr die Hand entgegen.
“Kreidl”, sagte er.
“Pixie”, sagte sie.
Seine zierliche Hand verschwand vollkommen in der ihren. Er zog fragend die Augenbrauen hoch. “Pixie?”
“Siehst nicht, dass ich ausschaue wie eine Elfe?”, grinste sie und drückte herzlich seine Hand. Kreidl schnaufte aus, erleichtert, dass die seltsame Stimmung der ersten Augenblicke gebrochen war, und ein herzliches Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.
“Hm... aber schon etwas exotisch, dein Spitzname”, stellte er fest, als sie ihren Händedruck beendet hatten und Kreidl einen der Wegweiser, die er später aufstellen wollte, auf sein Quad zu binden begann. “Kann ich dich bei deinem richtigen Namen...?”
“Henriette-Luisa Willenborg”, fiel sie ihm ins Wort.
“Pixie also”, zwinkerte er, “du kannst mir gleich mit den Schildern helfen.”
Später an diesem Tag lagen Pixie und Kreidl dösend auf einer Lichtung. Ihre Jacken hatten sie unter sich ausgebreitet, während sie die warmen Strahlen der Frühlingssonne genossen und als Pixie mit der Hand über das zarte Frühlingsgras strich, stieß sie an ihre Thermoskanne für den Kaffee, die neben der Lunchbox unbeachtet umgefallen war. Sie seufzte.
“Herrlich ist es hier”, sagte sie, “machst du deine Mittagspause immer hier draußen?”
“Na ja, nicht, wenn es regnet”, antwortete Kreidl, “meistens arbeite ich dann mittags durch. Obwohl, ab und zu suche ich mir auch ein trockenes Plätzchen im Dickicht und mache es mir da mit meinem Kaffee gemütlich.”
“Mhm”, machte sie. “Wie ein Reh, wenn der Kaffee nicht wäre.” Er hörte an ihrer Stimme, dass sie bei diesen Worten lächelte. “Was machen wir am Nachmittag?”, wollte sie wissen.
Kreidl warf sich vom Rücken auf den Bauch und stützte sich auf seinen Unterarmen ab. “Sollen wir nach den Luchsen sehen?”, schlug er vor. Pixie war mit einem Mal wieder hellwach. Ruckartig setzte sie sich auf. “Können wir das?”, ihre flehende Stimme erinnerte ihn an ein kleines Kind an Weihnachten.
“Natürlich können wir das”, nun rappelte auch er sich auf und kam träge in einen Schneidersitz. “Ich glaube Amy, unser vier Jahre altes Weibchen, ist zum ersten Mal trächtig, deswegen werden wir in den nächsten Tagen und Wochen sowieso vermehrt nach ihr Ausschau halten müssen.”
Pixie war schon dabei, ihre Sachen zurück in ihren Rucksack zu stecken. “Worauf wartest du noch?”, drängelte sie mit leuchtenden Augen.
Nationalpark Bayerischer Wald, Juni 2012 “Sollen wir weitermachen?”, fragte Kreidl und ließ sein Fernglas sinken. Die Wege auf den Almberg sollten bis zum Abend noch geschwendet und ausgebessert werden.
“Nur noch ein bisschen”, verlangte Pixie und starrte gebannt weiterhin durch ihren eigenen Feldstecher.
In den letzten neun Wochen waren sie und Kreidl zu einer Einheit geworden. So unterschiedlich die beiden äußerlich waren, so ähnlich waren sie, was ihre Gedanken und Gefühle anging. Kreidl hatte schnell gemerkt, dass auch bei Pixie nichts über die Liebe zu Tieren ging und so kümmerten sie sich seither als Team um das Wohlergehen “ihres” Waldes und “ihrer Kinder”, wie sie alle tierischen Bewohner des Nationalparks scherzhaft bezeichneten.
Kreidl nahm sein Fernglas wieder hoch und fokussierte auf Lilly, das kleinste von Amys Jungen. Zwar war noch nicht festgestellt worden, ob das Luchsbaby tatsächlich ein Mädchen war, aber Kreidl war fest davon überzeugt.
“Also gut”, stimmte er zu, “nur noch ein bisschen.”
Als die beiden Ranger kurz vor Feierabend in die Zentrale zurückkamen, stand Franz mit einem zweiten Mann bei den Quads und wies ihn offenbar gerade in deren Gebrauch ein. Pixie und Kreidl stellten ihre Fahrzeuge auf die Parkplätze und nahmen ihre Helme ab. Neugierig blickten sie zu den beiden Männern.
Als Franz die Blicke der zwei bemerkte, deutete er mit dem Kopf auf den anderen. “Jan”, sagte er, “ob moang im Team.”
Kreidl schwang sich von seinem Quad, befestigte den Helm daran und schlenderte dann auf seinen neuen Kollegen zu.
“Kreidl”, sagte er und streckte ihm die Hand hin.
“Freut mich sehr, Jan Černý”, sagte der und schüttelte Kreidls Hand.
Pixie, die inzwischen neben Kreidl erschienen war, hob grüßend die Hand. “Pixie”, sagte sie, “du kommst aus Tschechien?”
“Ich bin gleich auf der anderen Seite der Grenze aufgewachsen”, sagte Jan in fast akzentlosem Deutsch, “habe aber in Freiburg studiert”, fügte er hinzu.
Kreidl nickte. “Willkommen im Team”, sagte er an Jan gewandt, schaute dann Franz an und meinte: “Wir müssen morgen nochmal schwenden gehen. War doch mehr als geahnt, sind nicht ganz fertig geworden.”
Grafenau, September 2016 “Hast du sie irgendwo gesehen?”, rief Pixie ihm schon von weitem entgegen. Kreidl schüttelte den Kopf. “Auf den Foto- und Videofallen der letzten Tage ist sie auch nicht aufgetaucht”, berichtete Pixie. “Vielleicht ist sie woanders hingezogen?”
“Wieso sollte sie das denn machen?”, fragte Kreidl gereizt, “Lilly lebt seit ihrer Geburt hier und es gibt keinen Futtermangel und keine Konkurrenz, wegen der sie hätte abwandern müssen.
“Aber...”, setzte Pixie an, doch Kreidl schnitt ihr das Wort ab. “Pixie”, sagte er scharf, bemühte sich aber gleich wieder um einen ruhigen Ton, “es verschwinden in letzter Zeit zu viele von den großen Raubtieren, als dass es Zufall sein könnte, findest du nicht auch?”
Sie sah ihn unsicher an.
Grafenau, Mai 2017 “Grund zu feiern, wir haben Wolfsnachwuchs!”, jubelte Pixie als Kreidl die Zentrale betrat. Sie eilte ihm entgegen und wedelte mit einigen Papierstücken vor seiner Nase herum. “Letzte Nacht geschossen”, verkündete sie und überreichte ihm ein paar verschwommene Schwarz-Weiß-Aufnahmen, auf denen aber deutlich eine Wölfin mit ihrem Wurf zu sehen war. In aufgedrehten Sprüngen eilte sie zurück an den Computer, ihre mädchenhaften Bewegungen in groteskem Gegensatz zu ihrer unweiblichen Figur, und winkte ihren Kollegen heran. “Schau, wir haben hier noch mehr Bilder.”
“Das bedeutet ...?”
Pixie nickte. “Der erste Wolfsnachwuchs in Bayern”, strahlte sie.
“Wolfsnachwuchs?”, erklang eine Stimme hinter den beiden und sie drehten sich synchron um. Jan stand in der Tür, ein zusammengelegtes Seil lose über die Schulter, und spähte aufmerksam zum Computer.
“Loba hat ihre Jungen bekommen”, erklärte Kreidl.
“Mh... schön.” Jan machte Anstalten, schon wieder umzukehren, was dazu führte, dass Pixie und Kreidl verwunderte Blicke wechselten.
“Freust du dich gar nicht?”, rief Pixie ihm nach.
Jan blieb stehen. Ohne sich noch einmal zu den beiden umzudrehen, antwortete er: “Schon, sehr. Aber...”, er zögerte, räusperte sich. “Ich mache mir Sorgen, dass sich andere nicht so darüber freuen”, murmelte er und verließ die Zentrale.
Neuschönau, jetzt “Letzte Chance”, schreit er, während die Arme, die die Axt über seinem Kopf halten, zu zittern beginnen. Seine Statur ist nicht dazu geeignet, lange schwer zu tragen. “Wenn du jetzt nicht sprichst, wirst du es nie mehr machen!” Auf seinem rot angelaufenen Kopf beginnt eine Ader an der Schläfe zu pulsieren. Der Tscheche schüttelt den Kopf und starrt ihm in die Augen. “Du bist verrückt”, schleudert er seinem Entführer entgegen. Die Axt saust herunter und stößt nur knapp neben dem Fuß des Tschechen in den Boden. Dieser winselt auf und seine Jeans verfärbt sich dunkel, wo Urin sich an seinem linken Innenschenkel ausbreitet. “Also gut”, keucht er, “ich erzähle alles!”
Neuschönau, Juli 2017 “Warte, Kreidl, ich weiß wirklich nicht, ob das richtig ist”, setzte Pixie zum wiederholten Mal an, als sie den Wagen an Jans Einfahrt abstellten. “Du musst doch zugeben, dass wir keinerlei Beweise haben.”
“Beweise nicht, aber mir reicht der Verdacht, und dass der Tscheche mehr als verdächtig ist, das musst du zugeben.” Forschen Schrittes trat er auf das Haus zu. Der Kies knirschte unter ihren Füßen, als Pixie ihm nacheilte.
Es war schon wahr, ihr Kollege hatte sich merkwürdig verhalten, in den letzten Wochen immer mehr. Während die beiden sein Haus umrundeten, versuchte Pixie wieder einmal, für alles eine brauchbare Erklärung zu finden. Jan konnte doch nicht...
“Hier her!”, hörte sie Kreidl und folgte ihm zu einem Schuppen, der etwas abseits des Hauses direkt am Waldrand stand. “Ich glaub, da drin ist was.”
Pixie lehnte sich vor zu einem kleinen Fenster und versuchte, die Hände links und rechts ihres Gesichts als Lichtschutz einsetzend, etwas in dem düsteren Raum zu erkennen.
"Abgesperrt und kein Schlüssel”, fluchte er. Er begann, sich gegen die Tür zu werfen, wusste aber nach dem zweiten Versuch, dass es zwecklos war.
“Geh mal beiseite”, forderte Pixie ihn auf. Sie stellte sich ein paar Schritte von der Tür entfernt hin, sammelte sich kurz und preschte dann mit vollem Gewicht gegen den Eingang des Holzhauses. Nach kurzem Widerstand spürte sie, wie das Türschloss nachgab und sie in die Hütte hineinbrach.
Die Dielen ächzten träge unter dem Gewicht der beiden, als sie den Schuppen erkundeten. Als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, begannen sie, die zahlreichen Regale, Kästen und Schubladen zu durchsuchen.
“Hast schon was?”, fragte Kreidl nach einer Weile.
“Nur einen Haufen Werkzeuge, das meiste für die Waldarbeit”, antwortete Pixie. “Und du?”, wollte sie eben fragen, als Kreidl ihr zuvor kam.
“Was zum Teufel...”, spie er angewidert aus und machte einen schnellen Schritt nach hinten. In einer Kiste vor ihm lagen Köpfe, viele Köpfe.
“Lilly!”, quälte sich aus Pixies Hals ein Schrei ins Freie. Der Kopf der Luchsdame starrte ihr aus trüben Augen entgegen, gebettet auf weiteren Köpfen, von denen sie einen großen Teil den Nationalparkbewohnern zuordnen konnte. Von unkontrollierbaren Schluchzern geschüttelt wandte sie sich ab.
“Dieses Schwein”, Kreidl krallte seine Fingernägel in seine Handflächen. “Komm, Henrietta, wir informieren die Polizei.”
Als er sich zur Tür drehte, fiel von dort ein Schatten über ihn.
“Das tut ihr nicht”, entschied Jan und trat einen Schritt in seinen Schuppen hinein, “ihr werdet hier bleiben und wir besprechen das Ganze.”
Kreidls Blick wanderte vom Gesicht des Mannes über seine Brust hinunter zu seinen Händen, in denen er eine große, mit einer Jacke verdeckte, Schachtel hielt. Trotz des Dämmerlichts war ihm sofort bewusst, dass es eine Wolfspfote war, die unter der Jacke hervorlugte.
“Du abartiges Schwein!”, schrie er, als er die Jacke wegriss und Loba leblos in der Schachtel erblickte. Er stürzte auf Jan zu, der reflexartig die Schachtel fallen ließ und sich über sie hinweg Kreidl an dessen Hals warf. Kreidl, einen Kopf kürzer und zwanzig Kilo leichter als sein Kollege hatte keine Chance. Er spürte, wie sein Kontrahent ihn gegen die Wand warf, von der sich schmerzhaft Nägel in seinen Rücken bohrten. Sekundenbruchteile später drückte der Unterarm von Jan sich gegen seine Kehle. Als sein Blickwinkel sich langsam von den Seiten her schwärzte, vernahm Kreidl aus dem Augenwinkel etwas Silbernes auf Jans Kopf niedersausen.
“Kreidl, bleib bei mir!”, kreischte Pixie, als sich der Druck des Tschechen von Kreidls Hals löste und die beiden Männer zu Boden gingen.
Neuschönau, jetzt “Ich höre”, brummt Kreidl und wirft die Hacke wieder zu Boden. Pixie sitzt wenige Meter entfernt auf einem Baumstamm und reibt sich mit ihren Fingern nervös die Unterlippe.
Als der Tscheche wieder in sein Schweigen verfällt, macht Kreidl Anstalten sich um die Axt zu bücken, was endlich die Zunge des Gefangenen löst.
“Es war nicht meine Schuld”, sagt er und schaut zu Boden.
Aus Kreidls Mund ertönt ein spöttisches Lachen. “Dann hat dir die Lilly wohl freiwillig ihren Kopf vorbeigebracht?”
“Nein”, sagt der Tscheche und sieht Kreidl in die Augen. “Ich meine, ich wollte es nicht.”
Kreidls Fuß beginnt ungeduldig auf und ab zu wippen.
“Ich bin gezwungen worden”, erklärt der Tscheche so leise, dass nur Kreidl es hören kann. Pixie hebt den Kopf.
“Ach was, komm”, Kreidl spuckt ihm vor die Füße. “Red’ keinen Scheiß.”
“Ich hatte aufgrund meines Studiums noch Schulden in meiner Heimatgemeinde”, fährt der Tscheche fort.
“Und?” Kreidl ist ungerührt.
“Und als die mitbekommen haben, dass ich einen Job im Nationalpark Bayerischer Wald habe, haben sie mich erpresst.” Der Tscheche starrt stur auf einen Punkt am Waldboden neben ihm.
“Wer? Und wieso?” Kreidl bleibt einsilbig.
“Die Bauern bei uns im Dorf, die hatten es satt, dass die Füchse, Luchse und Wölfe immer wieder über die Grenze nach Tschechien gekommen sind und Schafe und Kälber gerissen haben.”
Nun schweigt Kreidl. Lange.
“Du willst mir erzählen, dass du wegen ein bisschen Geld bedrohte Tiere getötet hast?“ fragt er mit eiskalter Stimme, „Tiere, für die DU die Verantwortung hattest, die DU schützen hättest müssen!”
Kreidl wendet sich ab, geht ein paar Schritte, kehrt dann wieder um und geht zurück.
“Und was sollen dann die Köpfe in deinem Schuppen?”
“Teil der Abmachung, damit ich sie nicht verpfeife”, murmelt der Tscheche, “die Körper der Tiere musste ich abliefern, die Köpfe blieben als Druckmittel bei mir.”
Der Tscheche bewegt kurz seine Füße und rückt mit dem Hintern näher an den Baumstamm. Die Nadeln unter seinem nassen Hintern knistern.
Pixie rutscht von ihrem Baumstamm und geht zielstrebig auf den Mann am Boden zu. Zwischen dem Stamm, an den gelehnt er sitzt, und der Axt zu seinen Füßen geht sie in die Knie. Mit dem Gesicht ist sie so nahe an dem des Tschechen, dass er ihren warmen Atem auf seiner Wange spürt.
“Hast du immer noch Schulden?”, fragt sie.
Er nickt. Eine einzelne Träne sucht ihren Weg über seine Wange und tropft schließlich wie in Zeitlupe auf sein Hemd.
Pixie sieht zu Kreidl auf, der kaum wahrnehmbar mit den Schultern zuckt.
“Dann tut es mir leid”, sagt Pixie, als sie sich erhebt und dabei die Axt aufhebt, “aber wir müssen unsere Kinder beschützen.”
Nationalpark Bayerischer Wald, 3 Tage später “Ich kann es immer noch nicht glauben”, flüstert Pixie, ihr Fernglas an den Augen. “Die ersten Wolfsbabys in Bayern.”
Franz rutscht ungeduldig auf dem mit Nadeln übersäten Waldboden hin und her. “Deaf i a amoi schaung?”, fragt er.
“Du hättest nur dein Fernglas mitnehmen müssen”, grinst Kreidl.
“Haha.” Franz schaut Kreidl böse an, dann verändert sich sein Gesichtsausdruck, als er laut zu denken beginnt: “Owa dass de Loba oafoch vaschwundn is. I hoff, dera is nix passiert.”
Pixie zuckt zusammen. “Wer weiß”, sagt sie traurig, “aber ausgehen müssen wir davon.”
“Und dass da Jan a auf oamoi auf Nimmerwiederseng dahi is”, sinniert Franz weiter.
“Wenn’s wahr ist, was die Polizei vermutet und er für die tschechischen Bauern gewildert hat”, brummt Kreidl, “wird er schon abgehauen sein, weil’s ihm hier zu heiß geworden ist.” Er zuckt mit den Schultern.
“Meinst du, unsere Futterrationen reichen für den Vater und die Kleinen?”, lenkt er vom Thema ab, während er sein Fernglas an Franz weiterreicht. Der nickt. “Glab scho, mia miassn eh schaung, dass’ ned z’rund werdn”, feixt er.
Die drei Ranger versinken in Schweigen, während die Sonnenstrahlen langsam schwächer werden und das goldene Abendlicht über den Wald hereinbricht.
“Süß, wie die Kleinen spielen”, freut sich Pixie.
Franz folgt mit dem Fernglas ihrer Blickrichtung, hält dann inne und keift die Augen zusammen. “Sog amoi, mit wos spuin de denn do?”, fragt er argwöhnisch, “des schaugat fost aus wie a Hond.” Er nimmt das Fernglas von seinen Augen weg, kneift die Lider ein paarmal fest aufeinander und hält es sich dann wieder vor das Gesicht.
“Ach was”, lacht Pixie bemüht ungezwungen, doch sie spürt, wie ihr das Blut aus dem Gesicht weicht und ihre Hände einen Schweißfilm bilden.
“Ein Stückchen Holz wird es sein, weißt eh, wie die manchmal krumm wachsen.” Während Kreidl seinem Kollegen sanft den Feldstecher entzieht, fährt er entschieden fort: “Jetzt lässt aber mich auch nochmal schauen.”