- Bitte nicht ins Höllenfenster - Liebe Federteufel
Ich habe eine neue Geschichte, meine erste "echte" SF-Story. Wie immer freue ich mich über Anmerkungen aller Art. Ein paar speziellere Fragen kommen am Ende der Geschichte. Viel Spaß beim Lesen und Rösten.
Paul
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Geteilt durch nullErstes GesprächHaben Sie schon einmal versucht, eine Zahl durch null zu teilen? Das geht nicht, sagen Sie? Schließlich ergäbe, nur um ein Beispiel zu nennen, fünf geteilt durch null, unendlich. Und unendlich ist keine Zahl, also zumindest keine Zahl, die sich mit natürlichen Ziffern darstellen lässt. Auch läuft eine mögliche Umkehrfunktion regelmäßig ins Leere. So ergibt null mal unendlich nicht fünf, sondern null. Das heißt, man könnte immer nur in eine Richtung rechnen. Vielleicht haben ja deshalb die Mathematiker das Teilen durch null auch verboten? Weil nicht sein darf, was nicht sein soll.
Doch umschreibt die Mathematik die Wirklichkeit immer nur höchst ungenau und so geschehen im Leben immer wieder Dinge, die scheinbar jeder Logik widersprechen. Trotzdem gibt es sie, auch wenn sie uns unmöglich erscheinen, so wie das Teilen durch die Zahl null.
Warum ich ihnen das alles erzähle? Nun, weil ich genau so etwas erlebt habe. Darum merken Sie sich meine Worte, Sie werden sie noch brauchen.
Zweites GesprächDie Alarmsirenen heulten. Noch halb im Schlaf rieb ich mir die Augen. Was war los? War das Schiff etwa in einen Asteroidenschauer geraten? Oder hatte das Frühwarnsystem einen jener dickeren Brocken entdeckt, von denen noch immer viel zu viele unentdeckt durch den Weltraum rasten und einen Kollisionsalarm ausgelöst? Mein Puls stieg, auch wenn die Aufregung vermutlich umsonst war. Der Frachter war alt und die Systeme neigten dazu, schon beim kleinsten Anlass einen Alarm auszulösen. Manchmal reichte dazu schon die Benutzung der Toilette, ein kurzer Spannungsanstieg, mehr brauchte es nicht. Aber da ich nun einmal Bereitschaftsdienst hatte, quälte ich mich aus meiner Koje und schleppte mich in die Kommandozentrale. In einer Stunde wäre ich sowieso aufgestanden.
Als ich auf die Brücke kam, blinkten alle Kontrollleuchten rot auf und buhlten um meine Aufmerksamkeit. Ich sah als Erstes auf den Reaktor. Die Werte waren zum Glück normal. Auch die Fernüberwachung meldete keine Objekte, die sich uns näherten. Also gab es auch von dieser Seite nichts zu befürchten. So sah ich die weiteren Systeme durch, angefangen vom Lebenserhaltungssystem bis hin zur Toilettenanlage. Aber alle Werte bewegten sich im grünen Bereich. Ein Fehlalarm also. Wieder einmal.
Was sollte ich tun? Für den Fall, dass alle Systeme auf einmal versagten, gab es keine Anweisung im Handbuch. In meiner Not schaltete ich die Fernüberwachung ab. Vielleicht hatte ja eine Fehlermeldung in einem System eine Kaskade von weiteren Fehlermeldungen in den anderen Systemen ausgelöst, so dass ich, wenn ich das richtige System fand, die Fehlermeldungen mit einem einfachen Abschalten beseitigen könnte?
Als ich die Fernüberwachung auf „Aus“ stellte, geschah nichts. Aber als ich das System wieder hochfuhr, leuchteten die Lämpchen grün auf und auch alle anderen Lämpchen wechselten auf grün. Ich seufzte. Dafür war ich nun extra eine Stunde früher aufgestanden! Aber dann, als ich gerade wieder die Kommandozentrale verlassen wollte, änderte plötzlich ein Lämpchen nach dem anderen seine Farbe. Auch das nervige Auf- und Ab der Alarmsirene war wieder zu hören. Da begriff ich, dass an diesem Morgen etwas anders war.
Drittes GesprächSie fragen, warum ich nicht die anderen geweckt habe? Warum sollte ich? Die Alarmsirenen waren überall im Schiff zu hören. Außerdem hatte ich genug damit zu tun, die Kontrollen zu überprüfen. Irgendetwas löste einen Wust von Fehlermeldungen aus und ich musste herausfinden, was es war. Ich starrte auf die Anzeigen, in der Hoffnung, etwas Hilfreiches zu entdecken. Aber ich fand nichts. Erst nach einer Weile fiel mir auf, dass die anderen nicht da waren. Normalerweise stände schon längst Tooinma, die Kapitänin, hinter mir und brüllte mich an, warum ich die Alarmsirenen nicht ausgeschaltet hätte. Auch Katinka, die zweite Pilotin, hätte schon längst hier sein müssen. Sie hatte einen leichten Schlaf. Niemals würde sie einen Alarm überhören, geschweige denn zwei. Trotzdem war sie nicht da. Was war hier los? Das Auf und Ab der Sirenen störten mich beim Nachdenken, so schaltete ich den Alarm ab. Zum zweiten Mal an diesem Morgen. Plötzlich war es still. Viel zu still. Keine Schritte waren zu hören. Kein Rufen. Da wurde mir klar, dass mein Problem noch viel größer war, als ich zuvor gedacht hatte.
Viertes GesprächWas ich danach gemacht habe, wollen Sie wissen? Ich bekam Panik! Ich rannte wie ein Verrückter durch das Schiff und suchte nach den anderen. Aber niemand war da. Da drehte ich endgültig durch. Ich zitterte. Dazu wurde mir schlecht. So rannte ich zur Toilette und übergab mich. Danach ging es mir etwas besser. Was war geschehen? Ich konnte mir kein Szenario vorstellen, das ein Verschwinden der Mannschaft erklärte. Was auch immer auf dem Schiff geschehen war, ich hätte etwas davon mitbekommen müssen. Dazu kam: warum hatte mir niemand eine Nachricht hinterlassen? Zumindest Katinka hätte mir geschrieben! Aber da war nichts. Kein Zettel in der Kombüse. Keine Sprachaufzeichnung. Nichts.
Da sickerte es langsam durch meinen Kopf, dass etwas ganz Furchtbares geschehen sein musste. Wieder begann ich zu zittern. Doch hörte das Zittern dieses Mal nicht mehr auf. In meiner Angst rannte ich zu dem Schrank, in dem die Raumanzüge lagerten und zog einen Raumanzug an. Zuerst die Hose, dann das Oberteil. Die fest eingespielten Bewegungsabläufe beruhigten mich und mein Herz hämmerte nicht mehr ganz so wild in meiner Brust. Zum Schluss zog ich mir die Handschuhe über. Den Helm kettete ich an meinen Gurt fest.
So ging ich zur Brücke. Dort leuchteten noch immer alle Lichter rot auf. Das konnte nicht sein. Irgendwo musste ein Fehler stecken. Ich zog die Handschuhe wieder aus, da sie mich nur beim Bedienen der Anzeigen störten. Dann schaltete ich ein System nach dem anderen ab. Zuerst den Reaktor, dann die Fernüberwachung, zum Schluss sogar die Lebenserhaltungssysteme. Einfach alles. Als das Schiff komplett über Notstrom lief, fuhr ich ein System nach dem anderen wieder hoch. Aber das Ergebnis war das Gleiche wie bei meinem ersten Versuch mit der Fernüberwachung. Obwohl die Werte aller Systeme im Normbereich lagen, wechselten die Anzeigen nach kurzer Zeit von grün auf rot. Da setzte ich einen Notruf ab. Ich weiß nicht, warum ich nicht früher auf die Idee gekommen bin. Vermutlich hat die Panik meine Sinne vernebelt. Erst jetzt erinnerte ich mich an das Notfallprotokoll aus meiner Militärzeit: „Sichern, warnen, helfen“. Zum Sichern hatte ich auf meinem Rundgang nichts gefunden. Einen Notruf hatte ich nun abgesetzt. Aber wem sollte ich helfen? Ich brauchte ja selbst Hilfe.
Fünftes GesprächDas war der Moment, in dem sich die Welt immer schneller um mich zu drehen begann. Alle möglichen Gedanken rasten durch meinen Kopf. Aber keinen von ihnen konnte ich fassen. Befanden wir uns nicht in einem Krieg mit dieser seltsamen Alienrasse, die vor einigen Jahren im Tau Ceti System aufgetaucht war? Vielleicht hatten die Aliens ja etwas mit meiner Lage zu tun? Aber warum hatte ich dann nichts von einem Angriff mitbekommen? Und wo waren die anderen?
Obwohl ich nicht an einen Angriff glaubte, änderte ich den Kurs. Etwas musste ich ja tun. Ich gab ein paar willkürliche Angaben in die Steuerkonsole ein und warf die Triebwerke an. Im gleichen Moment hörte ich einen dumpfen Schlag. Er kam von der Außenhülle. Irgendetwas war mit dem Schiff kollidiert. Ich bekam Panik und schaltete die Triebwerke auf vollen Schub, auch wenn ich keine Hoffnung hatte, einem Angriff zu entkommen. Schließlich steuerte ich nur einen alten Frachter. Doch nichts geschah. Trotzdem flog ich vier Tage, acht Stunden und drei Minuten im Zickzackkurs durch den Weltraum. Erst dann gab ich auf.
Jeden Morgen, wenn ich die Kommandozentrale betrat, leuchteten die Anzeigen rot auf. Nur der Alarm war nicht mehr zu hören. Den hatte ich abgestellt. Auch hatte ich noch immer keine Spur von der Mannschaft entdeckt. Dabei hatte ich mittlerweile selbst die Frachträume abgesucht, obwohl niemand dort sein konnte. Schließlich gab es in diesen Räumen keine Atmosphäre und die Raumanzüge lagen alle noch in ihren Schränken. Da fiel mir das Beiboot ein! Jetzt, nach vier Tagen! Ich rannte zum Dock. Was sollte ich tun, wenn es nicht mehr da war? Ich verfluchte mich, dass ich vier Tage mit vollem Schub durch den Weltraum geflogen war. Wie sollte ich die Mannschaft jemals wiederfinden? Aber als ich zum Dock kam, stand das Beiboot unberührt im Hangar. Ein Stein fiel mir vom Herzen. Doch gleichzeitig zog sich alles nur noch enger in mir zusammen. Wo waren die anderen? Wo war Tooinma, die Kapitänin, die sich immer um alle sorgte? Wo Sincha und Parda, die beiden Techniker, die ständig im Schiff am Werkeln waren? Und wo war Badabamm, unser Smutje? Am meisten jedoch fehlte mir Katinka. Ständig musste ich an sie denken. Sie war für diesem Flug als zweite Pilotin auf das Schiff gekommen. Ich sollte sie einweisen, hieß es. Es fiel mir leicht. Sie war klug und hatte eine hervorragende Ausbildung genossen. Besser, als meine Ausbildung damals. Über den Austausch von technischen Details kamen wir uns auch menschlich näher. Wenn sie von den unendlichen Weiten des Universums sprach, spürte ich einen Gleichklang, den ich noch nie zuvor mit einem Menschen gespürt hatte. Katinka war etwas Besonders. Wir waren etwas Besonderes. Doch jetzt war sie verschwunden, genauso wie all´ die anderen. Ich schlief auf ihrem Kissen. Ich trug ihre T-Shirts und saugte ihren Geruch ein. Aber es half nichts. Sie blieb verschwunden. Irgendwann kam ich auf die Idee, das Logbuch des Schiffes aufzurufen. Schließlich wurde dort alles aufgezeichnet, was auf dem Schiff geschah, selbst das Öffnen und Schließen der Türen. Aber alle Daten waren gelöscht. Erst seit meinem Aufwachen vor vier Tagen waren wieder Einträge vorhanden. Ich war völlig aufgelöst. Wie konnte das sein? Nicht einmal Tooinma, die Kapitänin, konnte das Logbuch ändern. In meiner Panik stieg ich in das Beiboot. Ich aktivierte die Kontrollen und umkreiste den Frachter von allen Seiten. Aber nirgends waren Schäden zu entdecken. Weder Einschläge von Asteroiden, noch Spuren durch Waffen. Einfach nichts.
Sechstes GesprächErinnern sie sich noch an meine Frage vom Anfang? Jetzt ist es an der Zeit, sie wieder aus Ihrem Gedächtnis zu hervorzuholen. Ich sagte Ihnen doch, dass es unmöglich ist, eine Zahl durch null zu teilen. Und doch gibt es Situationen, in denen das Mögliche alle seine Möglichkeiten ausgeschöpft hat. Wenn aber das Mögliche unmöglich ist, dann muss das Unmögliche möglich sein. Selbst wenn dies hieß, alles über Bord zu werfen, was man bisher zu wissen glaubte.
Was wusste ich nach diesen vier Tagen? Nicht viel. Es loszulassen, fiel mir daher nicht schwer. Irgendeine Gefahr bedrohte mich. Ich konnte sie nicht sehen. Ich konnte sie nicht hören. Ich konnte sie nicht riechen. Trotzdem war sie da und wartete nur darauf, mich zu verschlingen. Wie lange hatte ich noch Zeit? Noch einmal vier Tage? Oder gar eine Woche? Oder würde das Unglück schon in der nächsten Sekunde seine Hand nach mir ausstrecken? Ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass ich mich nicht länger dem Unmöglichen entziehen konnte. Schließlich leuchteten noch immer alle Kontrolllampen rot auf, wenn ich die Kommandobrücke betrat. Und obwohl ich jede Nacht von Katinka träumte, blieb sie verschwunden, genauso wie der Rest der Mannschaft.
Das war der Moment, an dem ich endgültig in Panik geriet. Es war eine Art von kalter Panik. Da war kein Zittern. Auch wurde mir nicht schlecht. Doch war ich zu keinem klaren Gedanken mehr fähig. Die Gedanken umsurrten mich wie Bienen. Ein Gebrumm, das immer mehr zunahm. Und wie Bienen stachen sie mich. So dass jeder Gedanke weh tat.
In meiner Panik warf ich die Fracht ab. Es war mir egal, was die Auftraggeber dazu sagten. Ich wollte nur möglichst schnell vorwärts kommen. Dann berechnete ich mit meiner letzten Kraft den Kurs zum nächsten Stützpunkt. So kam ich hierher. finden.“
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Nun meine Fragen für den Schluss:
Ich habe bei dieser Geschichte ein besonderes Interesse am Spannungsaufbau. Ist er gelungen? Oder ließe er sich noch verbessern? Und wenn ja, wo?
Der zweite Fragenkomplex betrifft die weiteren Figuren, die in der Geschichte vorkommen. Tauchen sie zu spät auf, oder stimmt es so. Und wie ist dies bei Katinka? Müsste sie als Freundin früher auftauchen - oder ist es nachvollziehbar, dass sich der Protagonist in seiner Panik erst einmal um alles möglich andere kümmmert - und auch seinen "Interview-Partnern" nicht alles auf einmal erzählt?
Paul