Hey, Reptilian!
Ich denke, viel Verwirrung entsteht schon mal dadurch, dass du hier etwas als Exposé präsentierst, das kein Exposé ist. In einem Exposé wird nichts verschwiegen, da gibt es keine "Wird XY es schaffen?"-Passagen, sondern da wird klipp und klar gesagt: "XY sitzt in der Scheiße, und so und so und so kommt er da wieder heraus."
Ich als Leser eines Exposés kann die Qualität der vorgestellten Geschichte nicht beurteilen, wenn mir Teile davon vorenthalten werden und ich auf meine eigenen Spekulationen angewiesen bin.
Ich bin jetzt bei einer Schnellsuche im Forum auf keinen Thread gestoßen, wo das Thema behandelt wird, obwohl ich mir sicher bin, dass wir das schon irgendwo haben. Wenn nicht, wird es höchste Zeit, dass wir das mal nachholen.
Ich habe meine Geschichte so angelegt, dass sich möglichst viele Menschen dafür interessieren.
Die Zielgruppe hat erst mal nichts damit zu tun, wieviele Menschen sich dafür interessieren sollen/können, sondern mit den Anforderungen an den Text. Das richtet sich mehr auf die Altersgruppen der Leser, die du erreichen möchtest. Geschichten für Kinder haben andere Anforderungen als Geschichten für Jugendliche und Erwachsene. Das fängt beim Thema an, weil sich Menschen in verschiedenen Entwicklungsstadien für verschiedene Dinge interessieren, geht aber natürlich weit über die Themenwahl hinaus. Sprachliches Niveau, Ausgestaltung von Szenen (mehr oder weniger blutig), Komplexität der Figuren ...
Weil der Weltenbau als "dissonant", oder gar abwertend als "gesponnen" und "überflüssig" bezeichnet wurde, hier ein treffender Weltenbau. Er ist wichtig, damit die Verantwortlichen des Verlags, die diese Bewerbung zu lesen bekommen, die Dynamiken von Berlin besser verstehen:
Der "gesponnene" Weltenbau ist doch nicht abwertend. Wir alle spinnen Fäden verschiedenster Art und verbinden die zu einer Geschichte. Das ist garantiert nicht abwertend gemeint.
Und ich finde diesen Weltenbau durchaus interessant. Wie ich schon geschrieben habe: Ich finde, da steckt viel Potential drin, daraus kann man irrsinnig viel machen.
Das Problem ist: Du machst nichts damit. Es ist wirklich einfach unerheblich, wie die Welt drumherum aussieht, weil deine Geschichte nichts davon widerspiegelt und aufgreift. Jedenfalls nicht, wenn ich nach den Beschreibungen gehe, die du hier gegeben hast.
“Während im Jahr 2080 andere Länder und Staatenbünde große technische Fortschritte machen, haben deutsche Firmen längst den Anschluss verloren. Die deutsche Identität hat sich durch noch größere Masseneinwanderung integrierungsunwilliger Ausländer stark verformt.
Da muss ich dich fragen, wieso in deiner Welt Leute nach Deutschland kommen, wenn das so ein verlottertes Loch geworden ist? Was verspricht sich jemand davon, nach Deutschland auszuwandern, wenn ihn dort Rückständigkeit, die daraus folgende, sehr wahrscheinliche Armut, Perspektivlosigkeit und Unfrieden erwarten?
Müllberge und Essensreste türmen sich in den Straßen, sie sind die ideale Brutstätte für Ratten, welche wiederum andere “Schädlinge“ anziehen, genmanipulierte Reptilien zum Beispiel, welche nach dem großen Sinokrieg aus dem Jahr 2035 nicht mehr gebraucht wurden.“
Und da ist zB ein Punkt, bei dem ich nicht mitkomme, und wieso deine ganze Geschichte für mich ein Rätsel bleibt. Die Sinokriege werden mir nicht erklärt. Das kann alles und nichts sein. Bei "sino" denke ich sofort an China, aber darüber hinaus? Wer hat diese Kriege wann und aus welchem Grund genau angefangen? Wer hat gewonnen? Steht noch einer bevor? Wieso braucht der genmanipulierte Reptilien? Wären Affen nicht besser gewesen? Oder Schweine? Tiere jedenfalls, die schon eine gutes Maß an Intelligenz mitbringen? Wir nennen den Teil des Gehirns, der die grundlegendsten Lebensfunktionen steuert - und sonst nicht viel - nicht umsonst Reptiliengehirn. Weil das zu nicht viel mehr taugt, als einfach zu überleben.
Was klingt nach Jugendroman? Die Ein-Satz-Beschreibung, oder der Klappentext?
Die ganze Grundidee, die genmanipulierten Reptilien und dass das ganze um Ratten herum aufgebaut ist, ist für mich Jugendroman. Das ist für mich als erwachsenen Menschen einfach kein ernstzunehmendes Thema. Und mir fehlt - wenigstens aufgrund deiner Erklärungen - absolut die Tiefe, die ich von einem Buch für Erwachsene erwarte.
Auf die Genreptilien geh ich jetzt mal nicht näher ein, weil ich ehrlich gesagt auch keine Ahnung habe, wie man das ernsthaft präsentieren könnte.
Aber bei den Ratten fehlt mir zB absolut die Darstellung der Auswirkungen der Rattenplage. Das Hauptproblem, das Georg antreibt, ist ja das Gift, mit dem die Ratten getötet werden sollen. Dass die alles zernagen, vollscheißen, Vorräte wegfressen, Kranke annagen ... das ist für ihn irgendwie ... naja ... er scheint das nicht einmal wahrzunehmen. Angeblich ist die Rattenplage ein echtes Problem. Aber der
Konflikt ist das Gift. Das stimmt doch mit keiner Lebensrealität überein, sorry. Wenn mir schon wieder die Ratten mein Brot und mein Müsli weggefressen haben und aus meinen Wollsocken ein Nest gebaut haben, dann ist mir ziemlich scheißpiepegal, wie die Mistviecher vernichtet werden, Hauptsache, ich krieg sie erst mal aus meiner scheiß Wohnung raus. Und gerade Georg, ein ehemaliges Straßenkind, sollte da ganz andere Prioritäten haben. Jeder Fitzel Essen ist wichtig, jedes Stück Stoff, dass du am Leib tragen kannst. Wieviel Schlafsäcke hat er verloren, weil sie ihm von den Ratten unterm schlafenden Arsch weggefressen worden sind? Wieviele Essensvorräte, wieviel seiner spärlichen Habe?
Dein Nachtrag zu "wie sieht Berlin aus" ist dein eigentlicher Weltenbau. DAS ist es, was in deiner Geschichte von Bedeutung ist, nicht Elons Flüge zum Jupiter. Das ist nett, hat aber genau nichts mit deiner Geschichte zu tun, wirklich, einfach nichts.
Die Welt deiner Geschichte besteht hieraus:
- Berlin ist ein Drecksloch geworden.
- Es gibt Gangs und damit Territorien, die miteinander rivalisieren - oder zumindest nicht miteinander kooperieren.
- Jeder schert sich nur um seinen eigenen Kram, nichts wird erledigt ... daher das Drecksloch.
Daraus ergeben sich für mich aber ganz andere Probleme, als ausgerechnet eine Rattenplage. Jeder kümmert sich um seinen eigenen Kram, aber wie Menschen nun mal sind, will jeder auch noch etwas mehr Kram. Die da drüben haben die schöneren Häuser, die haben die besseren Straßen, dort gibt's ... und außerdem und überhaupt. Krieg unter den einzelnen Banden ...
Die Ratten sind dann vielleicht noch eine Draufgabe, aber sie sind nicht das drängendste Problerm dieser Welt. Und auch das deutet für mich auf Jugendroman. Georg scheint das ganze Ausmaß der Scheiße, in der er steckt, gar nicht zu erfassen, und so schießt er sich auf einen Nebenschauplatz ein, wie es auch Jugendliche tun. Sie haben noch nicht genug Weit-, Durch- und Überblick, um komplexe Sachverhalte zu verstehen. (Ja, hier generalisiere ich und tu sicher vielen Jugendlichen unrecht.)
Nicht sicher, ob du damit jetzt etwas anfangen kannst.
LG
Viskey