Teufelszeug > Theorie
Mehrband-Fahrplan
merin:
Ich finde schon, dass es wichtig ist, auch differenziert zu schauen. Wir schreiben hier auf verschiedenen Niveaus und auch mit verschiedenen Ansprüchen. Wenn jemand seinen Stil noch nicht gefunden hat, wie Lionel, ist es sinnvoll, erstmal auf der Ebene kürzerer Texte daran zu arbeiten. Wenn jemand schon zahlreiche Kurzgeschichten veröffentlicht und einen Verlag für sein Romandebüt hat, wie June, dann ist der Stil schon klar und es erscheint mir auch angemessen, zu schauen, ob ein Mehrbänder eine Option ist. June kann zurückgreifen auf ihre Erfahrungen, sie weiß prinzipiell, wie sie sich organisiert und etwas fertigstellt. Das muss nun angepasst werden auf Mehrbänder, aber es ist ja schon da.
Viskeys Weg ist wieder ein anderer: Sie hat einen Stil und sitzt seit Jahren an zwei Mehrbändern. Die grobe Planung steht, sogar schon ziemlich fein. Das Fertigstellen auf der Textebene scheint die Schwierigkeit.
Und ich? Habe jahrzehntelang Lyrik und KGs gemacht, war damit auch im kleinen Rahmen erfolgreich, und wage mich seit so 15 Jahren an Romane. Auch ich muss erstmal lernen, wie ich mich organisiere, wie meine kreativen Prozesse funktionieren. Ich finde es hilfreich, mich auszutauschen, zu schauen, wie es andere machen. Manches davon probiere ich aus, verwerfe es oder nehme es (für eine Weile oder für länger) an.
Zu euren Beiträgen habe ich noch folgende Gedanken:
Paul:
--- Zitat ---Der Roman erzählt von einem Mann, der von einer toxischen Männlichkeit vergiftet ist und der sich auf mehrere Reisen begibt, um sich von dieser Last zu befreien. Auf diesen Reisen lernt er nach und nach neue Menschen kennen, die zu seinen Freunden und Freundinnen werden. Mit ihrer Hilfe befreit er sich von seinen alten Dämonen und er erfährt einen ungeahnten Reichtum in seinem Leben, bis er am Ende, als es unter seinen Freunden zu einer Katastrophe kommt und jemand dabei stirbt, er wieder mit leeren Händen dasteht.
--- Ende Zitat ---
Das mit den drei Sätzen ist super. Allerdings verstehe ich nicht ganz, warum du die nicht so feilst, dass sie den Text wirklich auf den Punkt bringen. Vorschlag:
--- Zitat ---Einem Mann ist von toxischer Männlichkeit vergiftet und begibt sich auf mehrere Reisen, um sich von dieser Last zu befreien. Er lernt neue Menschen kennen und lieben, mit deren Hilfe er sich von alten Dämonen befreien kann. Doch der ungeahnte Reichtum, den er dadurch erfährt, ist nicht von Dauer: Als es unter seinen Freunden zu einer Katastrophe kommt und jemand stirbt, steht er wieder mit leeren Händen da.
--- Ende Zitat ---
Lionel:
Bei dir verstehe ich nicht, warum die Antworten auf deine Fragen nicht zu drei Sätzen führen, wie bei Paul, sondern zu hunderten Seiten Text. Vielleicht ist es als Orientierung hilfreicher, es mal mit drei Sätzen pro Frage zu versuchen.
Paul:
@Merin
Danke für die Redaktion meiner drei Sätze. Ich habe sie heute Morgen nochmals schnell neu aufgeschrieben, da ich dank meiner "ähem" genialen Organisation die ursprünglichen drei Sätze nicht mehr fand. Zumindest hatte ich sie aber noch im Kopf - und das allein zählt.
Bei einem Mehrbänder finde ich das größte Problem darin, mehrere solcher Spannungsbögen sinnvoll zu gestalten und dabei dann auch noch die Gesamtgeschichte voranzutreiben. Von daher ja: Königsdisziplin
Paul
Viskey:
@ Lionel
Also langsam fühle ich mich von dir einfach nicht ernst genommen. Denkst du, ich hab mich eines Tages hingesetzt und gedacht, "Jetzt ein Mehrbänder, das wär's"?
Nein. Ich habe mit Kurz- und Kürzestgeschichten angefangen. Ich hab als Teenager Liebesszenen geschrieben für meine Schulfreundinnnen - jeweils mit ihr und ihrem Schwarm in den Hauptrollen. Über eine Seite ging das selten hinaus. Da habe ich meine Sprache trainiert.
Dann kam Fanfiction, da habe ich Charakterisierung, Plotten, diverse Stilmittel trainiert. Aber auch die gingen selten über zwanzig Seiten hinaus (Also als Normseiten so 40 - 50). Und dann kam eines Tages eine Geschichte - eine Fanfiction -, die hatte plötzlich 50 Seiten, 60, 70 ... und war immer noch nicht fertig. Da habe ich vielleicht gestaunt. Aber die Geschichte war halt nicht früher fertig erzählt. Am Ende waren es wohl so ca 200 Normseiten.
Und irgendwann kam mir NaNo vor die Füße. Ich hab mich hingesetzt und hab zum ersten Mal in meinem Leben einen originären Roman geschrieben ... oder halt ein Fragment davon, denn ich weiß bis heute nicht, worauf diese Geschichte eigentlich hinauslaufen könnte.
Dann hatte ich eine Idee, ursprünglich mal wieder für Fanfiction (ja, ich liebe die, auch heute noch und schreib sie auch heute noch). Bis ich dachte, dass es eigentlich schade wäre, diese Idee für Fanfiction zu "verbraten". Das ist die Geschichte, an der ich mit Mooncat zusammen schreibe. Wir haben umgemodelt, haben eine Welt erfunden, Völker, Aliens ... Und das alles, damit die Hauptfigur "König" werden kann. ;)
Ich weiß nicht, wieviel Schreiberfahrung June schon hat, aber bei mir sind es ohne Übertreibung Jahrzehnte. Wenn ich dann von dir so verallgemeinernde Statements lese, man konzentriere sich erst mal nur auf den ersten Band, stößt mir das sauer auf. Weil ich aus wortwörtlich jahrelanger Erfahrung weiß, dass das nicht stimmt. Nicht für mich und auch nicht für Mooncat, die neben diesem Projekt auch noch andere Mehrbänder in Arbeit hat. Sogar bei ihrer Cozy-Crime-Reihe, die genregemäß ziemlisch stark nach dem Prinzip "ein Buch ein Fall" funktioniert, macht sie sich Gedanken darüber, was in späteren Bänden passieren wird, und wie sie das jetzt schon vorbereiten kann bzw. muss.
Wenn du anders arbeitest, ok. Aber behaupte bitte nicht mehr, dass das allgemein so ist, weil es einfach nicht stimmt.
eska:
Mir ist beim Lesen eurer Beiträge noch folgendes eingefallen:
1. Ich glaube, dass eine Kurzgeschichte genauso viel Wissen um das Funktionieren von Geschichten braucht wie ein Roman. Durch die Kürze kommen Fehler sehr deutlich zur Geltung, die man bei einem Roman eher verzeiht.
Viskey schreibt:
--- Zitat ---Jedes Kapitel muss einen Bogen haben, jede Szene muss einen Bogen haben. Und wenn man das um einen oder mehrere weitere Bände erweitert, müssen die auch jeder ihren eigenen Bogen haben.
--- Ende Zitat ---
Genau so!
Und das meint nicht nur Handlung im Sinne von Action, sondern auch Innenleben. Am besten ergänzt sich beides. Auf jeden Fall ist die Dramaturgie der entscheidende Punkt beim Entwickeln von Geschichten, die die Leser packen und bei der Seite halten. Diese zu studieren, lohnt sich auf jeden Fall (auch immer wieder). Gerne an Lieblingsbüchern oder -filmen, die einen eben hinreißen - was ist deren Geheimnis?
Dramaturgie von mehreren Bänden ist mehr und komplexer als die von einem, funktioniert aber nach den gleichen Regeln. Und ich bleibe dabei: Jeder Band muss eine abgeschlossene Geschichte erzählen. Das heißt nicht, dass nicht noch große Teile der Hauptstory offen bleiben dürfen.
Ein Beispiel: Einer meiner Lieblings-Mehrteiler (Lymond-Saga, historische Romane) hat im Original 6 Bände. Auf deutsch übersetzt gibt es nur drei, Bd. 4 bis 6 wurden nie übersetzt. Wenn es nur um das Erzählen einer Geschichte bis zu ihrem Ende ginge, wäre kein Band auf deutsch verkauft worden, denn das Ende fehlt ja und ist aus dem Vorhandenen auch nicht zu erschließen. Stattdessen sind drei faszinierende Lebensabschnitte des Protagonisten nacheinander erzählt, jeder bis zu einem punktuellen Abschluss (die jeweils akute Bedrohung ist beseitigt), wobei die Saat für später sowohl handlungsmäßig als auch personell oder durch kleine Irritationen, die auf das Geheimnis zielen, schon ausgesät wird. (Das klappt aber eben nur, wenn die Autorin von vorneherein weiß, wo sie hinwill.) Als Leser vermisst man nichts nach Band 1 oder 2, am Ende von Bd.3 allerdings steht ein Hook für weiteres, der leider nicht eingelöst werden konnte. Das ist dann ein frustrierendes Lesegefühl.
Aus der Leserperspektive kann zumindest ich es auch gar nicht leiden, wenn ein sehr guter Band 1 mit durchschnittlichen Folgebänden fortgesetzt wird, weil es so ein Erfolg war. Nur gibt es oft eigentlich eben keine tragende Story dahinter, weil die Idee fertig erzählt war. Oder eine altbekannte ohne besonderen Reiz.
Ein paar Kleckse Senf dazu... :klug:
eska
June:
Hallo @Viskey,
bitte nicht darüber ärgern.
--- Zitat ---Ich weiß nicht, wieviel Schreiberfahrung June schon hat, aber bei mir sind es ohne Übertreibung Jahrzehnte. Wenn ich dann von dir so verallgemeinernde Statements lese, man konzentriere sich erst mal nur auf den ersten Band, stößt mir das sauer auf. Weil ich aus wortwörtlich jahrelanger Erfahrung weiß, dass das nicht stimmt. Nicht für mich und auch nicht für Mooncat, die neben diesem Projekt auch noch andere Mehrbänder in Arbeit hat. Sogar bei ihrer Cozy-Crime-Reihe, die genregemäß ziemlisch stark nach dem Prinzip "ein Buch ein Fall" funktioniert, macht sie sich Gedanken darüber, was in späteren Bänden passieren wird, und wie sie das jetzt schon vorbereiten kann bzw. muss.
--- Ende Zitat ---
Ich denke, ich weiß, wo ich @Lionels Aussagen einordnen kann und wie gesagt, der Teufel auf meiner Schulter sagt das -leider- auch. Aber deswegen ja dieser Faden. Ihr habt mir alle sehr viel Mut gemacht und auch Wege gezeigt, wie es gehen könnte und dafür bin ich sehr dankbar <3
Ich schreibe seit der vierten Klasse und ich habe - auch wenn ich das nie breittrete - mehrere DinA4-Seiten Bibliographie unterschiedlichster Textsorten. (für alle Pseudos) Vor Corona war ich journalistisch tätig, das ist nicht vergleichbar aber auch eine Art "Schreibübung" und ich habe im Englischsprachigen Ausland verlegt - hier allerdings über Autorenfreunde, also nie selbst. Einzige Schwierigkeit für mich war da, den ganzen Kram in korrektes Englisch zu kriegen. Witzig, weil ich u.a. Anglistik studiert hab, aber eben keine Prosa. Ich kann das Pidgin in Jamaica mit dem in Südostasien oder dem Englisch der Schotten, Inder, woauchimmer vergleichen, aber das wars dann auch schon - böse gesprochen.
Seit meinem Debüt kann ich den Aufwand für ein Buch schon in etwa abschätzen. Und ich sehe ja auch bei anderen, dass es geht - weiß nur nicht, wie, von der Planung her. Deswegen der Faden. Ich denke, es gibt viele Autoren, die nicht mal ein Buch schaffen. Oder die davon reden, es zu tun, aber nichts tun. Dann ist das so. Aber wie du schon richtig sagst, muss das nicht für alle gelten. Und ich weiß ziemlich genau, wo ich hin will - das ist von Vorteil :D
Soweit mein Senf, jetzt guck ich mal, was @eska geschrieben hat - im nächsten Post.
Danke <3
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