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Eine halbe Ewigkeit

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tlt:
Hallo,
nur ein kurzer Dialog ohne nachfolgende Story. Fragen am Schluss.

Eine halbe Ewigkeit
„Und?“ Franzi setzte sich auf die Stufe der kleinen Kapelle und steckte sich eine Kippe an.
„Was und?“
„Na ja, ich mein, was wirst Du jetzt machen?“
„Nichts werd ich machen.“
„Und was würdest Du gerne machen?“ Franzi dehnte die Frage extra lange.
Umuku zog die Nase hoch und zuckte mit den Schultern.
„Es war doch immerhin Dein Zuhause. Also, irgendwie so ein bisschen. Dachte ich.“
„Dachte ich auch. Isses nicht mehr.“
„Die können Dich doch nicht einfach rauswerfen.“
„Hamse ja nicht. Ich hau selber ab.“
„Wann denn?“
„Bin praktisch schon weg.“
Eine Weile saßen beide da und rauchten und schwiegen.
„Das ist unfair“, sagte Franzi und zündete eine neue Zigarette an.
„Keine hat je gesagt, dass das Leben fair ist.“
„Scheiß Spruch.“
„Aber wahr.“
„Ach, fick Dich für wahr.“
„Fick Dich selber.“

Umuku drehte sich weg und schniefte erneut. Unten auf der Straße quälte sich ein alter Mann mit seinem Fahrrad den Hügel hinauf.
„Hör auf, jetzt reden wir schon wie sie“, sagte Umuku ärgerlich und putzte sich die Nase.
„Was ist so schlimm daran, wie sie zu reden?“
„Die Gerechtigkeit ist so schlimm. Gerechtigkeit, die sie sich nehmen, und die nichts ist, als die Macht des Moments.“
„Schon wieder so ein Spruch. Du kannst Dich doch nicht schwarzärgern, oder wie man da sagt.“
„Bei mir eher weiß.“
„Ärger Dich von mir aus bunt.“
„Selbst das würde nichts helfen. Sie verlangen Farben, die es nicht gibt.“
„Kapier ich nicht.“
„Macht nichts. Es ist auch nicht wichtig.“
Franzi wurde zornig. „Lüg nicht! Natürlich ist es wichtig. Ich weiß, dass es Dir wichtig ist.“
„Sie sind wichtig. Ich nicht.“
„Aber da findet sich doch sicher eine Lösung.“
„Nein. Und ich glaub, das will ich gar nicht.“
„Man kann einander entgegengehen. Du weißt genau, was ich meine.“
„Entgegengehen, ich bin ihnen so weit entgegengegangen, dass wir aneinander vorbeigelaufen sind. Natürlich war da eine Tür offen. Aber der Eintritt, der war einfach zu teuer.“
„Und wo willst Du jetzt hin? Du hast doch selbst gesagt, dass es nichts anderes für Dich gibt. Oder doch?“
„Keine Ahnung. Ich glaub nicht.“

Sie schauten auf den Weg hinab und folgten dem alten Radfahrer mit ihren Blicken, bis der endlich hinter den Bäumen verschwunden war. Er will sicher auch zur Kapelle hoch. Aber in dem Tempo würde das noch eine halbe Ewigkeit dauern. 
„Wenn eine Ewigkeit ewig dauert“, sagte Umuku leise, „wie lange dauert dann eine halbe Ewigkeit?“
Franzi sog Luft durch ihre Zahnlücke und drückte die Kippe in den Sand. „So langsam versteh ich, warum sie Dich rausgeschmissen haben.“
„Sie haben mich nicht rausgeschmissen“, wiederholte Umuku.
„Also gut, dann versteh ich`s nicht.“
„Ich versteh`s ja selbst nicht. Ich versteh eh gar nichts mehr. Ich versteh nicht, warum Menschen nicht Menschen sein dürfen. Ich versteh nicht, warum manche alles bestimmen müssen. Ich versteh nicht, warum Du keinen Wein mitgebracht hast.“
„Weil … ich … keine … Kohle … mehr … hab.“

Über dem Maisfeld lieferten sich ein Rabe und ein Habicht einen Luftkampf. Immer wieder flog der Schwarze auf den Habicht zu. Der Rabe war gewandter in der Luft, konnte kurze Wendungen ziehen und enge Kurven schlagen. Sein scharfer Schnabel stieß nach den Flügeln des Raubvogels, der wieder und wieder ausweichen musste. Zunächst versuchte der Habicht unbeeindruckt seine Kreise zu ziehen, aber schließlich flog er einfach zur Straße runter. Der Rabe hatte das Revier für sich allein, setzte sich auf den obersten Ast des toten Kirschbaums und krächzte lautstark.
„Ich find`s schade.“ Franzi war mit den Antworten nicht zufrieden. „Vielleicht redest Du noch mal mit ihnen …“
„Nö. Mach ich nicht. Kannst Du ja machen.“
„Ich kenn sie ja nicht.“
„Natürlich kennst Du sie nicht. Wer kennt schon einen anderen?“
„Du kennst mich.“
„Ja, das ist aber auch schon alles.“
„Bin ich Dir nicht genug?“ Franzi war eingeschnappt.
„Genug ist nie genug.“
„Du mit Deinen scheiß Sprüchen.“
„Ist nicht von mir, ist von Konstantin Wecker.“
„Noch so ein Wortverdreher.“
„Ein Wortgewaltiger, würde ich eher sagen“, sagte Umuku und zog die Nase wieder hoch.
„Was ist denn mit Deiner Nase?“
„Augen tränen …“
„Gib zu, Du heulst.“
„Wenn schon. Geht Dich gar nichts an.“

Der alte Mann lehnte sein Fahrrad an die Kirchenwand und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Mit wem redest Du denn da?“
„Mit niemand“, sagte Umuku, stand auf und ging weg.


Fragen:
Ist die Sprache zu schnoddrig? Zu Stakkato?
Entsteht für euch ein Bild, was für eine Person da spricht?
Wird klar, wie viele Personen da reden?
Sonstiges und Erbsen willkommen.

merin:
Lieber tlt,

ich hab den Text gern gelesen. Der Einstieg fiel mir leicht. Für mich Gefühl, saßen da zwei Jugendliche und redeten ein bissel am Problem vorbei, aus Angst, es genau zu benennen. Die beiden waren für mich eher rotzige Mädels, müssen aber keine cis-Mädels sein. Zwei Freundinnen, von denen die eine irgendwas verloren hat, was ihr wichtig war (einen Internatsplatz? Wohnheimplatz?). Ich mag die Sprache sehr gern, es ist für mich auch nicht zu sehr stakkato. Aber auf lange Sicht dann etwas zu wenig Innensicht.

Schwieriger wurde es für mich nach dem ersten Absatz (Leerzeile). Ich habe erwartet, dass ich nun langsam erfahre, worum es eigentlich geht und fand es zunehmend unbefriedigend, dass ich keinerlei Info dazu bekomme. Ab der dritten Leerzeile hatte ich dann außerdem ein Problem mit der Verortung: Wer ist wo? Die beiden sitzen auf der Stufe einer Kapelle, ein Mann radelt auf sie zu, aber irgendwie auch nicht, denn plötzlich verschwindet er an der Seite. Und wo ist dann das später benannte Feld mit den Vögeln? Was ich mit dieser Vogelszene anfangen sollte, wusste ich eh nicht. Die erschloss sich mir nicht und las sich für mich sperrig. Beim ersten Mal Lesen war ich total erstaunt, dass der Mann plötzlich da war, kannte mich also auch in der Zeit nicht aus, da vorher gesagt wurde, es dauere noch ewig. Und dass die Person, mit der sie redete, dann plötzlich auch nicht da war, hat mich dann auch irritiert. Das war für meinen Geschmack zu viel Irritation: Wer? Wo? Wann? Beim zweiten Mal lesen achtete ich darauf, ob es eine Person sein kann, die mit sich selbst redet, aber das ergibt keinen Sinn. Es sind zwei. Und beide handeln körperlich und haben Körper. Wie kann dann die eine plötzlich weg sein?

Auf jeden Fall würde ich jetzt gern weiterlesen um das Rätsel zu lösen.

LG
merin

Trallala:
Hallo tlt,

ich mochte die Dialoge, zu stakkato waren sie mir nicht.

Ich habe ein Problem mit der Perspektive. Der alte Mann bewegt sich von den beiden weg, jedenfalls ließt es sich so. Und dann ist er plötzlich da.

Meine Interpretation ist, das Umuku ein männlicher Flüchtling ist, der irgendwo rausgeflogen ist. Dazu das Bild mit den zwei Vögeln.

Warum Franzi dann am Ende nicht mehr da ist, hat sich mir nicht erschlossen.

Bin gespannt, was Du mit dem Text machen willst.

T!

Paul:
Lieber Tlt

Ich habe bisher noch keinen Text von dir geröstet, von daher eine kurze Vorrede: nimm dir von meiner Röstung, was du von ihr brauchen kannst, den Rest lass liegen. Und: ich habe die Röstungen der anderen noch nicht gelesen, du bekommst von mir also einen Erstleseeindruck.

Mein Erstleseeindruck

Der Dialog läuft direkt los, mit kleinen Holperern hier und da. Er nimmt mich schnell in Szene hinein. Ich weiß fast immer wer spricht und wer auf was reagiert. Trotzdem bleibt mir der Text in seiner Schnoddrigkeit, die mir gefällt, letztlich eine Spur zu vage. Es ist nicht ganz klar, welcher Konflikt hier eigentlich beharkt wird und warum Umuku wegehen muss (und von wem). Auch die Namen geben Rätsel auf: Franzi auf der einen Seite - klingt normal, jugendlich - Umuku auf der anderen Seite, klingt geheimnisvoll, fremd. Unklar ist auch, ob Franzi am Ende nur eine Phantasie von Umuku ist, so dass er sich letztlich mit sich selbst unterhält. Insgesamt gefällt mir die Unterhaltung, der Ton erinnert mich ein wenig an die Bücher von Sven Regener.  :hehe:

Probleme beim ersten Lesen:

Rausgeflogen bin ich an zwei Stellen, an denen ich den Eindruck hatte, dass die Protagonisten ihre Sprache verlassen und plötzlich jemand anderer für sie spricht (Immer unter der Vorraussetzung, dass es sich um einen, bzw. zwei Jugendliche handeln)

So würde ich diesen Abschnitt komplett streichen:


--- Zitat ---„Hör auf, jetzt reden wir schon wie sie“, sagte Umuku ärgerlich und putzte sich die Nase.
„Was ist so schlimm daran, wie sie zu reden?“
„Die Gerechtigkeit ist so schlimm. Gerechtigkeit, die sie sich nehmen, und die nichts ist, als die Macht des Moments.“
„Schon wieder so ein Spruch. Du kannst Dich doch nicht schwarzärgern, oder wie man da sagt.“
„Bei mir eher weiß.“
„Ärger Dich von mir aus bunt.“
„Selbst das würde nichts helfen. Sie verlangen Farben, die es nicht gibt.“
„Kapier ich nicht.“
„Macht nichts. Es ist auch nicht wichtig.“
Franzi wurde zornig. „Lüg nicht! Natürlich ist es wichtig. Ich weiß, dass es Dir wichtig ist.“
„Sie sind wichtig. Ich nicht.“
„Aber da findet sich doch sicher eine Lösung.“
„Nein. Und ich glaub, das will ich gar nicht.“
„Man kann einander entgegengehen. Du weißt genau, was ich meine.“
„Entgegengehen, ich bin ihnen so weit entgegengegangen, dass wir aneinander vorbeigelaufen sind. Natürlich war da eine Tür offen. Aber der Eintritt, der war einfach zu teuer.“
„Und wo willst Du jetzt hin? Du hast doch selbst gesagt, dass es nichts anderes für Dich gibt. Oder doch?“
„Keine Ahnung. Ich glaub nicht.“
--- Ende Zitat ---

Ich würde den Abschnitt streichen, weil er den Grundkonflikt nur doppelt, ohne neue Infos zu bringen, weil er sich in seinen Wortspielen verliert (die so dicht hintereinander kommen, dass sie sich gegenseitig aufheben (zu viel von einem Gewürz verdirbt das Essen) ) und weil die Sprache zum Teil nicht passt:


--- Zitat ---„Die Gerechtigkeit ist so schlimm. Gerechtigkeit, die sie sich nehmen, und die nichts ist, als die Macht des Moments.“
--- Ende Zitat ---

Das ist Erwachsenensprache.

Die zweite Stelle war das Zitat von Konstantin Wecker mit dem Wortspiel "Wortverdreher" und "Wortgewaltiger", auch das passt für mich so nicht zum Rest des Dialogs.

Zu deinen Fragen:

Ist die Sprache zu schnoddrig? Zu Stakkato?

Nö, ich fand sie sehr lebendig und nah an den Personen, mit kleinen Haken und Ösen an der einen oder anderen Stelle.

Entsteht für euch ein Bild, was für eine Person da spricht?

Deine Frage bestärkt die Vermutung, dass nur Umbuku spricht. Wer er ist, bleibt mir aber ein Rätsel. Er ist ein Fan von Konstantin Wecker, spricht bestens Deutsch, zum Teil mit philosophischen und literarischen Höhenflügen, ist zugleich aber zutiefst schnoddrig, fast prolo (auch wenn er nicht so sein will, wie die) und trägt einen Namen, die mich an einen Flüchtling aus Afrika denken lässt. Von daher: ich habe mehr Fragen, als Antworten.

Wird klar, wie viele Personen da reden?

Ein oder zwei, je nachdem, wie ich den Schluss deuten soll.

Sonstiges und Erbsen willkommen.

Sonstiges vgl. weiter oben. Insgesamt war mir der Text für den "Konflikt" (gehen oder nicht gehen) eine Spur zu lang, auch deshalb, weil nicht klar ist, wie sich Umbuku letztlich entscheidet.

Liebe Grüße

Paul

eska:
Hi tlt!

Ich hoffe, es handelt sich bei diesem Text nicht um einen deiner in-letzter-Minute-geschaffenen, denn diese Röstung wartet seit Freitag darauf, endlich gepostet zu werden. Sorry. Jetzt aber:



Ich hab gerade gespannt und fasziniert deinen Text gelesen, zwar nicht alle Anspielungen verstanden, meiner Meinung nach aber schon die Situation - und dann kamen deine Fragen und haben mich rausgebracht.

Was ich gesehen habe, war ein Freundespaar aus w und m (oder zwei Freundinnen?), jedenfalls zwei Jugendliche, die oft gemeinsam abhängen, vor allem aber ihren Frust ehrlich austauschen. Warum Umuku weggehen wird, wohin und von wo, wird mir noch nicht klar, der Plural sie - die Gegner und Mächtigen -  könnte auf ein Team von Erziehern in einer Art Heim hindeuten.
Was der Auslöser war, um welche Gerechtigkeit es geht, weiß ich nicht, aber ich entnehme, dass Umuku (mit dunkler Hautfarbe) sich ändern soll, auf eine Weise, die ihm/ihr unmöglich ist ( = Sie verlangen Farben, die es nicht gibt).

Die Frage des alten Mannes habe ich interpretiert als Ignorieren von Umuku, gerichtet an Franzi. Umuku bezeichnet sich selbst dann als Niemand. Und deswegen geht er (oder doch sie?).
Die Vögel und ihr Kampf um das Revier nehmen die Entscheidung vorweg: einer wird verlieren. Übertragen heißt das, Umuku hat sich verhalten wie der Habicht, hat versucht, auszuweichen und unbeeindruckt seine Runden zu ziehen, ist also der Konfrontation aus dem Weg gegangen und hat sich um seine Angelegenheiten gekümmert, aber das hat nichts gebracht.

Ich finde die Sprache sehr charakteristisch und gut getroffen. Schnodderig ist sie, aber das passt doch. Stakkato nicht, eben mündlich und ein bisschen schroff, ohne große Erklärungen oder Gefühlsdarstellung. Jugendlich und gegen den Strich gebürstet.

Eine Stelle habe ich noch:

--- Zitat ---Sie schauten auf den Weg hinab und folgten dem alten Radfahrer mit ihren Blicken, bis der endlich hinter den Bäumen verschwunden war. Er will sicher auch zur Kapelle hoch. Aber in dem Tempo würde das noch eine halbe Ewigkeit dauern. 

--- Ende Zitat ---
Im Zusammenhang müsste es 'er wollte sicher' heißen.

Ansonsten bin ich nur gespannt auf deine Auflösung oder mehr Text.

Und nun lese ich mal, was die anderen so sagen.
Gruß,

eska

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