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merin:
Liebe Teufelz,

ich habe mal wieder was: Eine Kalenderblattgeschichte für den Juni. Auch bei dieser Geschichte bin ich unsicher, ob sie interessant genug ist. Ob genug passiert. Wie bei der anderen auch ist mein Gefühl, es ist zu viel Vorbereitung und zu wenig Mitte und Schluss, aber hier ist die Handlung ja auch eher im innen. Sich trauen. Und ich wüsste auch partout nicht, wie ich den Schluss ausbauen sollte - und vor allem dann den Rest kürzen.  :devroll: Mein Hauptproblem ist die Wortzahlbegrenzung: 1000 Wörter. Die Story hat noch 70 zu viel. Die Frage ist also auch so schon, wo ich kürzen kann.
Ansonsten nehm ich wieder gern alle Erbsen und Hinweise.

Liebe Grüße und Danke
merin

***Bitte erst ab August 2021 ins Höllenfenster***

Bewerbung

June stand auf dem Felsen und sah auf die Piste. Sie war nicht viel mehr als eine Fahrspur, die sich um zerklüftete Felstürme schlängelte. Die formenreichen Felsen waren schön, aber sie waren auf hunderte von Kilometern das Einzige, was es hier zu sehen gab. Irgendwann wurden selbst die malerischsten Felsen langweilig. Felstürme, Sand und Schotter – das bestimmte das, was sie von diesem abgewrackten Planeten kannte.
Sie sah zur Farm hinüber, ein grüner Fleck neben einem hellgrauen Wohncontainer. Es war eine Schnapsidee, einfach anzuklopfen und nach Arbeit zu fragen. Sie würden sie nicht wollen. Aber alle Ideen, die einigermaßen sinnvoll klangen, waren verraucht. Sie hatte in der Fabrik gearbeitet, im Straßenbau und im Bergwerk. Sie hatte sogar einige Wochen in der Sozialstation verbracht. Das Bergwerk war am schlimmsten gewesen, laut, staubig und gefährlich. Sie hatte es nicht einmal einen Monat dort ausgehalten und ihr Körper hatte die Belastung immer noch nicht ganz verwunden und schmerzte an den merkwürdigsten Stellen. Wenn alles, was sinnvoll war, nicht klappte, war es sinnvoll, etwas Unsinniges zu versuchen. Das klang nicht einmal für June sinnvoll.
Das Grün der Farm wirkte wie ein Fremdkörper in all dem Grau und Schwarz. Zwei langgliedrige Agrobots staksten durch die Pflanzenreihen. June konnte nicht sehen, ob sie ernteten oder Pflanzen beschnitten oder was auch immer es war, das Agrobots taten. Sie hatte nicht die geringste Ahnung von Landwirtschaft. Sie war zwar Biologin, Molekularbiologin um genau zu sein, aber die Dinge, mit denen sie sich bislang beschäftigt hatte, brauchte hier niemand. Hier ging es um Praxis, nicht um Grundlagenforschung. Auf einer Farm würde sie eine völlige Anfängerin sein – so wie sie es in der Fabrik gewesen war. Und im Straßenbau. Und im Bergwerk. Trotzdem zog dieser grüne Fleck sie an wie eine Oase Wüstenreisende. Nicht einmal ihr Name passte zu dieser Wüste, in der es keine Jahreszeiten gab. Oder sie war zu unerfahren, um sie zu sehen. Hier war es immer Sommer, das ganze Jahr über, ein endloser heißer Juni, in dem nichts wuchs. Wenn man einmal von den vereinzelten Farmen absah. Woher die wohl ihr Wasser bekamen? Und die Erde? June atmete aus. Wer auch immer dort arbeitete, würde sie nicht einstellen wollen. Sie hatte keine Qualifikation. Keine Ahnung.
Aber das war jetzt egal. Zurück konnte sie nicht. Selbst wenn das Institut noch existiert hätte, konnte sie sich keinen Flug dorthin leisten. Also musste sie sich hier durchschlagen. June ließ sich vom Felsen gleiten, nahm ihren Rucksack auf und marschierte die Sandpiste entlang.

Es war heiß. June zog sich den Hut tiefer ins Gesicht. Guten Tag, ich bin June Delana und ich würde gern bei Ihnen arbeiten. Nein. Das klang, als habe sie einen Stock im Arsch. Hi, ich bin's June, können Sie Hilfe gebrauchen? Auch nicht, zu flapsig. Sie bog um die Kurve und wurde unwillkürlich langsamer. Die Fahrspur endete vor der Farm in einem Wendekreis. Es sah nicht so aus, als würde sie oft genutzt. Wahrscheinlich kam hier ein Mal in der Woche ein Versorgungswagen vorbei und das war's.
Das Haus hinter dem Wendekreis bestand aus zwei Standardmodulen, denen die raue Witterung arg zugesetzt hatte. Der Kunststoff war verblichen, das Firmenlogo darauf kaum noch erkennbar. June bewegte sich im Schneckentempo weiter. Auf der Karte hatte alles so leicht ausgesehen: die Sandpisten, die verstreuten Punkte der Farmen. Aber die erste Farm, die sie angesteuert hatte, war nicht einmal bewohnt gewesen. Ein vollautomatisiertes Gebilde, zum Glück mit einem Geräteschuppen, in dem sie die Nacht hatte verbringen können. Sie war zurückgelaufen und hatte Glück gehabt, dass an der Hauptroute ein Transportwagen sie eingesammelt hatte.
Das hier sah besser aus: Zwei Standardmodule stellte niemand hin, wenn sie nicht als Unterkunft gebraucht wurden. Aber diese Farm war auch viel abgelegener als die letzte. June hatte sich mitten in der Pampa rauswerfen lassen und war zwei Tage lang gelaufen, um hier anzukommen. Wenn die Person, die hier wohnte, June wegschickte, hatte sie schlechte Karten. Eine weitere Nacht in der Wüste würde sie nicht überstehen. So heiß es tagsüber war, so kalt wurde es nachts. Und ihre Vorräte waren alle.
Nein, sie würden sie nicht wegschicken. Das konnten sie nicht. Vielleicht würden sie ihr sagen, dass sie nicht erwünscht sei, aber in den sicheren Tod schickte sie niemand. Sie würde auf den Versorgungswagen warten und einfach wieder zurückfahren. Was dann, daran wagte sie nicht zu denken. Ihre ohnehin geringen Ersparnisse waren so gut wie aufgebraucht.

Als sie vor der Tür stand, schlug Junes Herz hart und ihr Mund war trocken. Zögernd klopfte sie an. Niemand reagierte. June starrte die Tür an. „Forschungsstation Sigma 15“ hatte jemand ungelenk darauf gepinselt. Wenn das hier eine Forschungsstation war, war June eine Profiboxerin. Sie ballte die Fäuste, löste sie wieder und klopfte lauter.
Die Tür wurde aufgerissen. „Ja?“
June starrte in das zerfurchte Gesicht einer hageren Frau mit grauer Kurzhaarfrisur. „Ähm“, machte sie. All ihre zurechtgelegten Sätze waren wie weggeblasen.
„Komm rein.“ Die Frau öffnete die Tür.
Drinnen herrschte ein unbeschreibliches Chaos. Zwischen metallisch schimmernden Apparaten und Schalen mit Pflanzen oder Pflanzenteilen türmten sich stapelweise Bücher. Reste irgendwelcher Substanzen klebten in Reagenzgläsern in glänzenden Gestängen – und in alten Kaffeetassen. Die Frau zapfte Wasser aus einem silbernen Hahn und reichte es June. Die trank gierig. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie durstig sie war.
„Bist spät dran!“, sagte die Frau.
June hielt ihr das Glas hin und sie füllte es erneut.
„Spät?“
Die Frau musterte sie mit zusammengekniffenen Augen. „Siehst nicht aus wie eine Versorgungsfahrerin.“
June erwiderte den Blick. Als Fahrerin hatte sie sich vergeblich beworben. Kein Wunder, sie hatte keinen Führerschein. „Ich suche Arbeit“, sagte sie.
„Wer hat dich geschickt?“
„Niemand. Ich … suche einfach nur Arbeit.“
Die Hagere lachte trocken. „Arbeit gibt es hier mehr als genug. Satt bekomme ich dich auch. Aber wenn du Geld haben willst, muss ich dich enttäuschen.“
„Das reicht erstmal“, versicherte June.
Die Hagere bedachte sie mit einem prüfenden Blick.
„Fein“, sagte sie dann. „Ich bin Dorna.“
„June.“ Sie ergriff die hingestreckte Hand und schüttelte sie.
„Hast du einen Beruf?“
„Molekularbiologin.“
Dorna lachte so heftig, dass sie sich verschluckte.
„Willkommen Kollegin“, sagte sie dann. „Räum dir das zweite Bett frei. Es ist irgendwo da drunter.“ Sie deutete vage in eine Ecke, in der sich Bücher und Gerätschaften stapelten.
June nickte. Sie hatte sich ihren Einstieg anders vorgestellt, aber es war ja nicht so, dass sie sich angekündigt hatte. Sie würde nehmen, was sie bekommen konnte.

trillian:
Liebe merin,

ich wollte dir wenigstens eine kurze Rückmeldung geben (evtl. in den nächsten Tagen mehr):

Positiv:
-   Die beiden Frauen kommen sympathisch rüber
-   Das Chaos in der Forschungsstation finde ich sehr plastisch beschrieben. Ich fühle mich gleich mittendrin. Und: „Und Räum dir das zweite Bett frei. Es ist irgendwo da drunter.“ ist witzig
-   Ich liebe diese langgliedrigen Agrobots, die durch die Pflanzreihen staksen. In der letzten Geschichte ist auch so einer beschrieben. Da entsteht bei mir sofort ein Bild  :biggrin:

Mir scheint, dass der Schluss besser ausgearbeitet ist als der Rest des Textes. Vielleicht liegt es aber auch an den Rückblenden. Da fehlt mir die Erfahrung.
Kürzen könntest du wahrscheinlich eher am Anfang der Geschichte.

Die verzweifelte Lage in der June sich letztlich befindet, kommt bei mir nicht so wirklich an. Ich lese darüber, aber ich kann sie noch nicht richtig fühlen.
Was passiert mit ihr, wenn sie zurückmuss? Ihre Ersparnisse sind aufgebraucht, na gut …


--- Zitat ---Wenn die Person, die hier wohnte, June wegschickte, hatte sie schlechte Karten. Eine weitere Nacht in der Wüste würde sie nicht überstehen. So heiß es tagsüber war, so kalt wurde es nachts. Und ihre Vorräte waren alle.
--- Ende Zitat ---

Vielleicht wäre dieser Text weiter oben besser untergebracht. Das macht gleich klar, dass es ums Ganze geht. Andererseits: Würde jemand, der in so einer verzweifelten Lage ist, wirklich lange darüber sinnieren, ob er anfragen soll oder nicht? Und im Grunde nimmst du die Spannung wieder raus, indem du gleich nachschiebst, dass sie sie nicht wegschicken werden.

Ich finde schon, dass die Geschichte Potential hat. Junes Zweifel bzw. Unsicherheit und dann der freundliche Empfang. Aber vielleicht wäre der Text noch spannender, wenn es nicht (nur) Zweifel, sondern eine reale Bedrohung gäbe.

NACHTRAG: Ich glaube es würde auch so funktionieren. Vielleicht, wenn man June als Person und ihre Unsicherheit noch etwas überzeichnet.

Noch eine Frage: Was ist eine Kalenderblattgeschichte?

Liebe Grüße,
trillian

Viskey:

--- Zitat von: merin am 07 March 2021, 18:01:28 ---ich habe mal wieder was: Eine Kalenderblattgeschichte für den Juni. Auch bei dieser Geschichte bin ich unsicher, ob sie interessant genug ist. Ob genug passiert. Wie bei der anderen auch ist mein Gefühl, es ist zu viel Vorbereitung und zu wenig Mitte und Schluss, aber hier ist die Handlung ja auch eher im innen. Sich trauen. Und ich wüsste auch partout nicht, wie ich den Schluss ausbauen sollte - und vor allem dann den Rest kürzen.  :devroll: Mein Hauptproblem ist die Wortzahlbegrenzung: 1000 Wörter. Die Story hat noch 70 zu viel. Die Frage ist also auch so schon, wo ich kürzen kann.
Ansonsten nehm ich wieder gern alle Erbsen und Hinweise.

--- Ende Zitat ---

Also kürzen ... tjaaaaa ... Da ziehe ich auch eher blank. Vielleicht kann man das mit den Bots kürzen. Was die tun ist im Endeffekt nicht wichtig, und die Spekulationen darüber, was sie tun, kannst du den Lesern überlassen. Aber da kriegst du auch keine 70 Wörter weg.

Und es hilft auch nicht mit dem Punkt, dass ich mir am Ende etwas mehr von June wünsche, emotional. Sie ist in einer ziemlich verzweifelten Lage, die sich emotional aber nicht auflöst. Weiß nicht, vielleicht willst du diesen Effekt ja, aber für mich fühlt es sich unfertig an. Es gibt keine Erlösung, erst mal aus dem Gröbsten raus zu sein, aber auch keine weiterhin bestehenden Ängste, dass Dorna sie einfach wieder rauswerfen könnte, oder Träume über die fernere Zukunft, wenn es doch Geld geben soll. Es endet einfach, und es riecht ein bisschen nach "oh, ich bin über die Begrenzung drüber".



--- Zitat ---Wenn alles, was sinnvoll war, nicht klappte, war es sinnvoll, etwas Unsinniges zu versuchen. Das klang nicht einmal für June sinnvoll.

--- Ende Zitat ---
:klatsch:
Was immer du tust, lass das drin. Das hat etwas sehr Conan-Doyle-iges.


--- Zitat ---Das Grün der Farm wirkte wie ein Fremdkörper in all dem Grau und Schwarz. [...] Trotzdem zog dieser grüne Fleck sie an wie eine Oase Wüstenreisende.

--- Ende Zitat ---
Das halte ich für einen sehr seltsamen "Vergleich". Es zieht sie an wie eine Oase? Es ist doch eine Oase. Am Anfang des Satzes schreibst du selbst noch: "in all dem Grau und Schwarz". Und die Beschreibung der Landschaft fängt an mit: "Die formenreichen Felsen waren schön, aber sie waren auf hunderte von Kilometern das Einzige, was es hier zu sehen gab." - Da ist ein grüner Flecken eine Oase.
Und ich hätte "einzige" in dem Fall klein geschrieben, aber seit der Rechtschreibreform kann ich einiges nicht mehr richtig, weil viel zu viel daran einfach nur willkürlich scheint.

Okay, das war's von mir. HOffe, es hilft.

Paul:
Liebe Merin

Eine schöne kleine Geschichte. Anbei zuerst mein Eindruck vom ersten Lesen und danach meine Kürzungsideen.

Leseeindruck:

Ich fand den Einstieg schwer. Wo steht die Protagonistin? Was sieht sie? Ihre Welt blieb für mich erst einmal schwammig. Von daher würde ich hier bei der Beschreibung noch etwas nachlegen.
 Danach läuft die Geschichte wunderschön. Ich konnte allen inneren Fragen deiner Protagonistin folgen und war so im Sog der Geschichte gefangen. Am Ende beim Ankommen wächst die Spannung - um danach beim Happy End in ein leicht flaues Gefühl umzuschlagen. Irgendwie fehlt mir etwas am Schluss. So viel du in der Mitte von der Angst nicht Ankommen zu können erzählst, so viel bräuchte es am Ende an Dankbarkeit über das gelungene Ankommen. D.h. ich würde in der Mitte mehr streichen (auch weil es hier m.E. noch etwas hin und her wabert, so dass man manches straffen könnte), als ich es bei meinen Kürzungsideen vorschlage, um am Ende noch Platz zu bekommen, z.b. für eine warme Suppe, die nach ihrer Kindheit duftet und ihr das Gefühl gibt, zum erstenmal seit Jahren wieder richtig daheim zu sein (oder was auch immer dir dazu einfällt)

Kürzungen (in Grün, mit den Schwerpunkt Dopplungen)


--- Zitat ---Bewerbung

June stand auf dem Felsen und sah auf die Piste. (Frage: dem Felsen: welcher Felsen, die Piste: welche Piste?) Sie war nicht viel mehr als eine Fahrspur, die sich um zerklüftete Felstürme schlängelte. (Auch hier: sie (ist das June oder die Piste? Wie passen Piste und Fahrspur zusammen und wo kommen die Felstürme her? Wie gesagt, ich fand den Einstieg eher schwierig) Die formenreichen Felsen waren schön, aber sie waren auf hunderte von Kilometern das Einzige, was es hier zu sehen gab. Irgendwann wurden selbst die malerischsten Felsen langweilig. Felstürme, Sand und Schotter – das bestimmte das, was sie von diesem abgewrackten Planeten kannte. (Ich würde mir diesen gesamten Abschnitt noch einmal ansehen)

Sie sah zur Farm hinüber, ein grüner Fleck neben einem hellgrauen Wohncontainer. Es war eine Schnapsidee, einfach anzuklopfen und nach Arbeit zu fragen. Sie würden sie nicht wollen. Aber alle Ideen, die einigermaßen sinnvoll klangen, waren verraucht. Sie hatte in der Fabrik gearbeitet, im Straßenbau und im Bergwerk. Sie hatte sogar einige Wochen in der Sozialstation verbracht. Das Bergwerk war am schlimmsten gewesen, laut, staubig und gefährlich. Sie hatte es nicht einmal einen Monat dort ausgehalten und ihr Körper hatte die Belastung immer noch nicht ganz verwunden und schmerzte an den merkwürdigsten Stellen. Wenn alles, was sinnvoll war, nicht klappte, war es sinnvoll, etwas Unsinniges zu versuchen. Das klang nicht einmal für June sinnvoll. Das Grün der Farm wirkte wie ein Fremdkörper in all dem Grau und Schwarz. Zwei langgliedrige Agrobots staksten durch die Pflanzenreihen. June konnte nicht sehen, ob sie ernteten oder Pflanzen beschnitten oder was auch immer es war, das Agrobots taten. Sie hatte nicht die geringste Ahnung von Landwirtschaft. Sie war zwar Biologin, Molekularbiologin um genau zu sein, aber die Dinge, mit denen sie sich bislang beschäftigt hatte, brauchte hier niemand. Hier ging es um Praxis, nicht um Grundlagenforschung. Auf einer Farm würde sie eine völlige Anfängerin sein – so wie sie es in der Fabrik gewesen war. Und im Straßenbau. Und im Bergwerk. Trotzdem zog dieser grüne Fleck sie an wie eine Oase Wüstenreisende. Nicht einmal ihr Name passte zu dieser Wüste, in der es keine Jahreszeiten gab. Oder sie war zu unerfahren, um sie zu sehen. Hier war es immer Sommer, das ganze Jahr über, ein endloser heißer Juni, in dem nichts wuchs. Wenn man einmal von den vereinzelten Farmen absah. Woher die wohl ihr Wasser bekamen? Und die Erde? June atmete aus. Wer auch immer dort arbeitete, würde sie nicht einstellen wollen. Sie hatte keine Qualifikation. Keine Ahnung.
Aber das war jetzt egal. Zurück konnte sie nicht. Selbst wenn das Institut noch existiert hätte, konnte sie sich keinen Flug dorthin leisten. Also musste sie sich hier durchschlagen. June ließ sich vom Felsen gleiten, nahm ihren Rucksack auf und marschierte die Sandpiste entlang.

Es war heiß. June zog sich den Hut tiefer ins Gesicht. Guten Tag, ich bin June Delana und ich würde gern bei Ihnen arbeiten. Nein. Das klang, als habe sie einen Stock im Arsch. Hi, ich bin's June, können Sie Hilfe gebrauchen? Auch nicht, zu flapsig. Sie bog um die Kurve und wurde unwillkürlich langsamer. Die Fahrspur endete vor der Farm in einem Wendekreis. Es sah nicht so aus, als würde sie oft genutzt. Wahrscheinlich kam hier ein Mal in der Woche ein Versorgungswagen vorbei und das war's.
Das Haus hinter dem Wendekreis bestand aus zwei Standardmodulen, denen die raue Witterung arg zugesetzt hatte. Der Kunststoff war verblichen, das Firmenlogo darauf kaum noch erkennbar. June bewegte sich im Schneckentempo weiter. Auf der Karte hatte alles so leicht ausgesehen: die Sandpisten, die verstreuten Punkte der Farmen. Aber die erste Farm, die sie angesteuert hatte, war nicht einmal bewohnt gewesen. Ein vollautomatisiertes Gebilde, zum Glück mit einem Geräteschuppen, in dem sie die Nacht hatte verbringen können. Sie war zurückgelaufen und hatte Glück gehabt, dass an der Hauptroute ein Transportwagen sie eingesammelt hatte.
Das hier sah besser aus: Zwei Standardmodule stellte niemand hin, wenn sie nicht als Unterkunft gebraucht wurden. Aber diese Farm war auch viel abgelegener als die letzte. June hatte sich mitten in der Pampa rauswerfen lassen und war zwei Tage lang gelaufen, um hier anzukommen. Wenn die Person, die hier wohnte, June wegschickte, hatte sie schlechte Karten. Eine weitere Nacht in der Wüste würde sie nicht überstehen. So heiß es tagsüber war, so kalt wurde es nachts. Und ihre Vorräte waren alle.
Nein, sie würden sie nicht wegschicken. Das konnten sie nicht. Vielleicht würden sie ihr sagen, dass sie nicht erwünscht sei, aber in den sicheren Tod schickte sie niemand. Sie würde auf den Versorgungswagen warten und einfach wieder zurückfahren. Was dann, daran wagte sie nicht zu denken. Ihre ohnehin geringen Ersparnisse waren so gut wie aufgebraucht.

Als sie vor der Tür stand, schlug Junes Herz hart und ihr Mund war trocken. Zögernd klopfte sie an. Niemand reagierte. June starrte die Tür an. „Forschungsstation Sigma 15“ hatte jemand ungelenk darauf gepinselt. Wenn das hier eine Forschungsstation war, war June eine Profiboxerin. Sie ballte die Fäuste, löste sie wieder und klopfte lauter.
Die Tür wurde aufgerissen. „Ja?“
June starrte in das zerfurchte Gesicht einer hageren Frau mit grauer Kurzhaarfrisur. „Ähm“, machte sie. All ihre zurechtgelegten Sätze waren wie weggeblasen.
„Komm rein.“ Die Frau öffnete die Tür.
Drinnen herrschte ein unbeschreibliches Chaos. Zwischen metallisch schimmernden Apparaten und Schalen mit Pflanzen oder Pflanzenteilen türmten sich stapelweise Bücher. Reste irgendwelcher Substanzen klebten in Reagenzgläsern in glänzenden Gestängen – und in alten Kaffeetassen. Die Frau zapfte Wasser aus einem silbernen Hahn und reichte es June. Die trank gierig. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie durstig sie war.
„Bist spät dran!“, sagte die Frau.
June hielt ihr das Glas hin und sie füllte es erneut.
„Spät?“
Die Frau musterte sie mit zusammengekniffenen Augen. „Siehst nicht aus wie eine Versorgungsfahrerin.“
June erwiderte den Blick. Als Fahrerin hatte sie sich vergeblich beworben. Kein Wunder, sie hatte keinen Führerschein. „Ich suche Arbeit“, sagte sie.
„Wer hat dich geschickt?“
„Niemand. Ich … suche einfach nur Arbeit.“
Die Hagere lachte trocken. „Arbeit gibt es hier mehr als genug. Satt bekomme ich dich auch. Aber wenn du Geld haben willst, muss ich dich enttäuschen.“
„Das reicht erstmal“, versicherte June.
Die Hagere bedachte sie mit einem prüfenden Blick.
„Fein“, sagte sie dann. „Ich bin Dorna.“
„June.“ Sie ergriff die hingestreckte Hand und schüttelte sie.
„Hast du einen Beruf?“
„Molekularbiologin.“
Dorna lachte so heftig, dass sie sich verschluckte.
„Willkommen Kollegin“, sagte sie dann. „Räum dir das zweite Bett frei. Es ist irgendwo da drunter.“ Sie deutete vage in eine Ecke, in der sich Bücher und Gerätschaften stapelten.
June nickte. Sie hatte sich ihren Einstieg anders vorgestellt, aber es war ja nicht so, dass sie sich angekündigt hatte. Sie würde nehmen, was sie bekommen konnte.

Alternativer Schluss:
„Willkommen Kollegin“, sagte sie und schob ihr einen dampfenden Teller Suppe unter die Nase. Die Suppe war dick und roch nach Kartoffeln und nach Knatt, einem Gewürz, das ihre Großmutter immer verwendet hatte. Vorsichtig schob sich June einen Löffel in den Mund. Die Suppe war heiß. Trotzdem fühlte sie sich daheim, wie schon lange nicht mehr. Sie sah Dorna an. "Danke" murmelte sie. Neugierig darauf, was sie hier erwartete.

Bei dem alternativem Ende könnte man sich das Glas Wasser weiter oben sparen, weil es sich vom Motiv her doppelt.


--- Ende Zitat ---

Ich hoffe, du kannst mit meinen Anmerkungen etwas anfangen - wenn nicht - leg sie zur Seite.

Grüße Paul

merin:
Wow Paul, das gefällt mir sehr gut. Ich seh nun schon eine Weile deine sorgfältigen und ausführlichen Röstungen und bin sehr begeistert von dieser Art der Rückmeldung. Dafür möchte ich dir nochmal danke sagen! Ich musste erstmal lernen, deine Art der Herangehensweise zu verstehen, aber je mehr ich die kenne, desto mehr schätze ich sie.

Auch hier kann ich aus deiner Rückmeldung viel mitnehmen. Die fehlende Verortung am Beginn und das, was am Schluss noch fehlt. Mit den Streichungsvorschlägen bin ich noch nicht so ganz glücklich - das muss ich noch sacken lassen. Aber am Ende dem Ankommen noch eine sinnliche Komponente zu geben - das gefällt mir.

 :daaanke:

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