24 November 2024, 04:16:28

Autor Thema: Schönheit beschreiben  (Gelesen 10121 mal)

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Windstoß

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Schönheit beschreiben
« am: 06 October 2020, 16:27:42 »
Kann man Schönheit beschreiben?

Ein Testleser schrieb mir neulich eine Bemerkung zur Beschreibung einer Frau, er möchte sie selber (als Leser) attraktiv finden, bevor sie der Prota als attraktiv bezeichnet.
Zurecht, denn so wie ich es geschrieben hatte, war es eine Behauptung des Autors und kein Bild, was beim Leser entsteht.

Nachdem ich dann eine Weile vor dem Problem gesessen hatte, stellte sich mir die Eingangsfrage: Kann ich denn Schönheit überhaupt in wenigen Worten – es handelt sich um eine Nebenfigur, wo eine seitenlange Betrachtung ihres Äußeren sicherlich fehl am Platz ist – beschreiben?

Ich kann natürlich die üblichen Beschreibungen wählen, wie volle Lippen, lange Wimpern, hohe Wangenknochen, schlanker Hals usw. aber wird die Figur dadurch wirklich attraktiv oder gar schön? Einzelne oder sogar alle diese Merkmale können doch in einem Gesicht vorhanden sein und es ist trotzdem nicht hübsch, weil das Gesamtbild eben ein nennen wir es normales Aussehen ergibt.
Als Leser merke ich natürlich, der Autor will mich jetzt mit diesen Begriffen darauf hinweisen, dass es ein hübsches Gesicht sein soll (weil ich das schon oft so gelesen habe), aber letztendlich finde ich das (als Autor) nicht besser, als eine Behauptung hinzustellen.
Also meine Frage: Kann ich Schönheit überhaupt mit wenigen Worten beschreiben? Oder gehts ohne die wertende Behauptung seitens des Autors nicht, um die Figur (in der Vorstellung des Lesers) in eine bestimmte Richtung zu schieben?
„Was immer du tun kannst oder erträumst zu können, beginne es. Kühnheit besitzt Genie, Macht und magische Kraft.
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Goethe

Salamander

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Re: Schönheit beschreiben
« Antwort #1 am: 06 October 2020, 17:16:56 »
Hallo Windstoß,

meinte der Testleser, dass er sich vor der Behauptung des Prota oder des Autors eine eigene Meinung über die Attraktivität einer Person bilden will?
Ich meine, der Prota kann doch durchaus eine Frau schön finden, ohne dass andere die Meinung teilen müssen.

Wahrscheinlich meinte er das alte: Show don't tell.

Aber zur Frage: Möglich wäre eine indirekte Beschreibung durch die Reaktionen der anderen (drehten sich nach ihr um, Gespräche verstummten.
(Ich erinnere mich an einen Schulleiter, der den Gesprächsfaden verloren hat, als die süße Sekretärin vor ihm die Treppe hochging  :devgrin:)
Oder in den Äußerungen anderer Figuren, die über die Schönheit reden.
Mehr fällt mir grad nicht ein.
LG

merin

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Re: Schönheit beschreiben
« Antwort #2 am: 06 October 2020, 22:10:21 »
In einer Ich-Erzählung könnte man auch versuchen, die Kunst hinzubekommen, die Frau so zu beschreiben, dass anhand der Sprache deutlich wird, dass er sie schön findet - und nicht an der Beschreibung. Denn es geht ja nicht um objektive Schönheit (wenn es die denn gibt). Mich interessieren bei so einer Beschreibung gerade nicht die klassisch schönen Dinge, sondern das, was der Prota da so sieht. Dann sagt die Beschreibung mindestens so viel über ihn wie über sie aus.

Ansonsten finde ich show don't tell ja super, aber zu viel show off ist auch blöde. Insofern könntest du auch einfach hinschreiben, dass er sie schön findet und dann, was das mit ihm macht oder für ihn bedeutet.
Ich röste zunächst immer, ohne andere Röstungen zur Kenntnis zu nehmen. Dabei ist mein Ansatz der, eine qualifizierte Lesermeinung abzugeben, Euch also zu verraten, wie der Text auf mich wirkt und wie es mir beim Lesen geht und was ich gern anders hätte.

Windstoß

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Re: Schönheit beschreiben
« Antwort #3 am: 07 October 2020, 14:22:30 »
meinte der Testleser, dass er sich vor der Behauptung des Prota oder des Autors eine eigene Meinung über die Attraktivität einer Person bilden will?
Wahrscheinlich meinte er das alte: Show don't tell.
Ja, ich denke so hat er das gemeint.

Zitat
Ich meine, der Prota kann doch durchaus eine Frau schön finden, ohne dass andere die Meinung teilen müssen.
Das ist ein gutes Argument.  :biggrin:

Meine Frage geht dahin, ob ich als Autor überhaupt ein Bild vom Aussehen eines Menschen vermitteln kann (ohne seitenlange Beschreibung). Mir geht es so, dass ich zwar ein paar grobe Richtungen vermitteln kann, aber ob der Leser dann vor seinem inneren Auge ein z.B. schönes Gesicht hat oder nicht, kann ich durch die Beschreibung meiner Meinung gar nicht erreichen. Also nur durch die Wertung.
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Windstoß

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Re: Schönheit beschreiben
« Antwort #4 am: 07 October 2020, 14:38:27 »
In einer Ich-Erzählung könnte man auch versuchen, die Kunst hinzubekommen, die Frau so zu beschreiben, dass anhand der Sprache deutlich wird, dass er sie schön findet - und nicht an der Beschreibung. Denn es geht ja nicht um objektive Schönheit (wenn es die denn gibt). Mich interessieren bei so einer Beschreibung gerade nicht die klassisch schönen Dinge, sondern das, was der Prota da so sieht. Dann sagt die Beschreibung mindestens so viel über ihn wie über sie aus.
Bei einer wichtigen Figur für den Protagonisten oder bei einer wichtigen Begegnung ist das eine schöne Möglichkeit.
Aber kriegst du das auch bei jeder Nebenfigur hin, die dem Protagonisten begegnet? Es muss ja nicht unbedingt Schönheit sein, aber als kurze Charakterisierung für die Figur, ob sie nun schön oder hässlich, verweichlicht oder von Krankheit gezeichnet erscheint, bekomme ich das halt schnell hin mit einem Urteil des Protas (was ja nicht unbedingt richtig sein muss und andere auch nicht teilen müssen).
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Re: Schönheit beschreiben
« Antwort #5 am: 07 October 2020, 19:44:04 »
Nee, wahrscheinlich krieg ich das nicht mit jeder Nebenfigur hin. Aber ich denke schon, dass es möglich ist, mit wenigen Worten ein Bild zu malen. Ob das, was die Lesenden sich dann drunter vorstellen, identisch ist, ist ja egal. Aber allein sowas zu schreiben, wie "gerade die leichte Asymmetrie ihres Gesichts und die Art, wie sie den Kopf aufrecht hielt, wenn sie ging, machten sie schön" macht doch schon ein Bild. Und bei dieser Beschreibung sähe wohl auch jeder eine schöne Person vor sich.
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Viskey

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Re: Schönheit beschreiben
« Antwort #6 am: 07 October 2020, 20:16:47 »
Hey, Windstoß!

Als erstes frage ich mich, ob dein Testleser nicht etwas zu viel will, wenn er eine Nebenfigur schön "empfinden" will, statt sie einfach als schön vorgestellt zu bekommen. Das kommt aber auf die Größe der Rolle an, Nebenfigur ist ja nicht gleich Nebenfigur.

Die Beschreibung - und da auf volle Lippen etc. zurückzugreifen - ist so eine Sache. Was du an einer Frau attraktiv findest, könnte mich völlig kalt lassen oder sogar abstoßen. Mein Lieblingsbeispiel sind da die Männerbeschreibungen aus den Großschenromanen meiner Jugendzeit. Der ach so attraktive Mann hatte immer eine stark behaarte Brust, und sie liebte es immer, mit ihren Fingern darin herumzuwühlen.  :stupid:  E-kel-haft.

Ich denke, Schönheit lässt sich, wenn überhaupt, nur über das Auge des Betrachters beschreiben. Wenn sein Blick wie magisch von ihren honiggold glänzenden Haaren angezogen wird, wenn sein Herz einen Hüpfer macht, wenn er sie sieht ... etwas billig, aber nicht ganz unberechtigt: Tizian hätte sich ein Bein ausgerissen, um sie malen zu dürfen ... Bei Malern kann man da noch den Typ unterbringen, den die bevorzugt gemalt haben, um eine Vorstellung zu geben, wie die Frau aussieht. Aber das ist dann schon sehr hohes NIveau. Außer dass Rubens gern beleibtere Damen gemalt hat, haben die meisten Leute davon keine Ahnung.


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Windstoß

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Re: Schönheit beschreiben
« Antwort #7 am: 07 October 2020, 22:53:39 »
... Aber allein sowas zu schreiben, wie "gerade die leichte Asymmetrie ihres Gesichts und die Art, wie sie den Kopf aufrecht hielt, wenn sie ging, machten sie schön" macht doch schon ein Bild. Und bei dieser Beschreibung sähe wohl auch jeder eine schöne Person vor sich.
Ja, weil du es mit "schön" gewertet hast.
Schreibe ich: "gerade die leichte Asymmetrie ihres Gesichts und die Art, wie sie den Kopf aufrecht hielt, wenn sie ging, zeigten mir, dass sie sich ihre Position erkämpft hatte und nicht - wie so viele andere - von dem Schürzenjäger der sich Kanzler nannte auf dem kurzen Dienstweg erhalten hatte" ist sie nicht mehr schön.  :biggrin:

Nicht schön oder hässlich fällt mir aber sowieso immer viel leichter.  :dontknow:
« Letzte Änderung: 07 October 2020, 23:13:08 von Windstoß »
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Re: Schönheit beschreiben
« Antwort #8 am: 07 October 2020, 23:04:28 »
Als erstes frage ich mich, ob dein Testleser nicht etwas zu viel will, wenn er eine Nebenfigur schön "empfinden" will, statt sie einfach als schön vorgestellt zu bekommen.
Ja, ich finde auch dass er hier ein bisschen viel will. Aber trotzdem hat es mich eben zu dieser Frage gebracht, wie ich oder ob ich überhaupt Schönheit mit wenigen Worten beschreiben kann und das auch so beim Leser ankommt, oder ich eine Wertung machen muss - wenn ich sicher gehen will, wenn z.B. die Schönheit oder auch nicht-Schönheit später noch eine Rolle spielt ...

Zitat
... Mein Lieblingsbeispiel sind da die Männerbeschreibungen aus den Großschenromanen meiner Jugendzeit. Der ach so attraktive Mann hatte immer eine stark behaarte Brust, und sie liebte es immer, mit ihren Fingern darin herumzuwühlen.  :stupid:  E-kel-haft.
:cheese:
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Re: Schönheit beschreiben
« Antwort #9 am: 08 October 2020, 09:00:56 »
Wenn die Wertung eine Rolle spielen soll, musst du sie einführen, denke ich. Ich hatte ja vorher schon geschrieben, dass das einer der Fälle ist, wo ich es blöde finde, zu sehr an show don't tell festzuhalten. Bzw. zeigst du ja auch was, wenn du hinschreibst, dass deine Prota sie so schön findet, dass sie ganz geflasht ist.
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June

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Re: Schönheit beschreiben
« Antwort #10 am: 08 October 2020, 13:34:04 »
Hmmmm.

Was passiert in uns, wenn wir Menschen schön finden? Vielleicht eine Herangehensweise - da ist dieser Typ, der immer vorm Jobcenter herumlungert, mit ner Ziggi, ich nehme an, der arbeitet da. :D
So, nun jedesmal wenn ich daran vorbeikomme und den sehe, strahlt er übers ganze Gesicht - untypisch Beamter - und sagt "Hallo" - diese Formulierung ist natürlich nicht zu verwenden, aber wenn ich darüber nachdenke, was es mit mir macht: Erfahrungen mit Beamten kommen hoch - wieso ist der anders, was genau gefällt mir an dem Typen, der nicht mein Typ ist und auch noch raucht ... so Sachen ... glaube, das geht gut in einen Text, der Backstory hat, unterzubringen. Versteht man, was ich meine?

Ansonsten: Coole*r Testleser*in, so eine*n brauche ich auch mal. Der hat den Läusekamm angesetzt :D, wie man so schön sagt, denn den meisten würde das gar nicht auffallen. Behaupte ich mal. :D
"What we call imagination is actually the universal library of what's real. You couldn't imagine it if it weren't real somewhere, sometime." Terence McKenna