Liebe Röstis,
ich habe eine Kurzgeschichte hier mit fantastischem "Touch" geschrieben. Daher hier eingestellt. Falls lieber unter "Irdisches", dann kann ich das gern ändern.
Bitte schaut doch mal:- Der Prota soll unsympatisch wirken, tut er das?
- Wie wirkt "der Andere" (Kapuzentyp) auf euch vor dem Abschnitt "OBEN"
- Steigt ihr an irgend einer Stelle aus?
- Eure persönliche Meinung sowie Erbsen werden auch gerne genommen.
Der Geist der Weihnacht
Wann kommt der Zug endlich? Am Himmel braute sich etwas zusammen, das war schon mal klar. Mario saugte hastig an seinem Bahnhofs-Cappuccino, bevor er den Blick wieder auf sein Smartphone versenkte. Es hatte etwas Magisches, wie sie vor den dunklen Wolkenmassen auf dem Bahnsteig standen und ihre leuchtenden Metallbarren bearbeiteten, er und der Rest der Wartenden. Rechts, links, hoch und runter. Wutschen und Wedeln im Gleichtakt. Wie in dem Buch von dem Jungen, der zaubern konnte.
Eine dieser kitschigen Geschichten, die Eva so liebte. „Magie, die unseren Alltag durchdringt, die ihn bestimmt und uns wunderbare Momente schenkt“, sagte seine Frau. Oder, mit Seitenblick auf ihn: „Wer mit geöffneten Augen durch die Welt geht, bekommt einen Blick für das Wesentliche.“ Je mehr sie von diesem Wir-sind-alle-nicht-zufällig-hier-Kram schwärmte, umso mehr hasste er sie. Vor allem vor Weihnachten. Pünktlich zum Advent wurde es besonders schlimm mit ihr. Sogar die Kinder hatte sie mit ihren Märchen um den „Geist der Weihnacht“ angesteckt.
Überhaupt, das ständige Getue mit ihnen ging ihm auf die Nerven. Simon war jetzt sechs, Marie dreizehn. In dem Alter kann man ein bisschen Selbstständigkeit erwarten. Aber stattdessen konnten die sich nicht einmal am Wochenende selbst beschäftigen. Unter der Woche lief das doch auch! Den Blick für das Wesentliche? Mario lachte in sich hinein. Den hatte niemand in ihrer, ach so heilen Familie. An Weihnachten zum Beispiel. Wer achtete darauf, dass jedes Jahr pünktlich die Geschenke unter dem Baum lagen? Er! Was taten die anderen? Nichts. Außer selbstgebastelten Flitter herzustellen, kriegten die doch nichts auf die Reihe. Dekokram war ja so wichtig. Goldpapier, das spätestens Ende Dezember seine schmierigen Reste auf den Fensterscheiben hinterließ. Das nennen sie, den Geist der Weihnacht einfangen. Na toll! Sicher hockten sie gerade um den Esszimmertisch und fingerten lausige Sterne zusammen. Seine Meinung zu dieser Zeitverschwendung kannten sie. Juckt aber keinen!
Er schaute auf die Uhr. Höchste Zeit, dass der Zug endlich kommt. Geschenke abliefern. Wie jedes Jahr hatte sie Magdalena, seine Sekretärin ausgesucht. Die konnte das einfach!
Wahrscheinlich waren Eva und die Kinder längst fertig mit der Bastelstunde und dekorierten nun mit den Resten von Kleister und Farbe an den Händen den Weihnachtsbaum. Er konnte sich nicht entscheiden, was schlimmer war: ihre Deko oder die stinkende Tanne in der Wohnung.
Letztes Jahr hatte er es einmal gewagt, einen Baum aus Kunststoff zu kaufen. So einfach könnte man Weihnachtsstimmung auf- und wieder zuklappen, hatte er stolz demonstriert. Die entsetzten Gesichter konnte Mario jetzt noch vor sich sehen. Evas hysterisches Gelächter auch. „Das hat soviel Besinnlichkeit, wie Kunstschnee in der Einkaufspassage!“, hatte sie gesagt.
Dass er nicht lachte. Einen auf besinnlich machen, aber dann unter der Nordmanntanne, die nach zwei Tagen das halbe Wohnzimmer mit harzigen Nadeln voll rieselt, die neue Spielekonsole auspacken. Oder den Küchenmixer. Kein Konsum, keine Bescherung, so einfach ist das!
Er schüttelte den Cappuccino-Becher. Leer. War ja klar, dass die Plörre nicht nur dünn, sondern auch zu wenig war. Automatenkaffee, Automatenstadt.
Wann kommt der Zug endlich? Die dunklen Wolken nahmen bedrohliche Ausmaße an. Ein Windstoß nach dem anderen fuhr über den Bahnsteig und wirbelte unter die Mäntel der Wartenden. Mario wickelte seinen Schal fester um den Hals. Wird langsam ungemütlich hier. Und warum starrte ihn die Person da drüben an? Blicke können fesseln, kennt man ja aus der Psychologie. Man bemerkt Menschen erst, wenn sie einen länger mustern. Ist das dann Telepathie oder fahren unsere Sinne in solchen Situationen einfach ihr uraltes Neandertaler-Programm hoch? Weglaufen oder angreifen. Flucht oder Rückzug.
Evas Gequatsche vom siebten Sinn ging ihm ebenso auf die Nerven, wie ihre Vorliebe für Selbstgemachtes. Obwohl ... Gestern hatte er die Tricks der Seelenklempner gut gebrauchen können. Bei der Präsentation im Büro. Sein Poster der Frau, die auf den Betrachter zeigt, kam gut an. Vor allem der Spruch „Wenn nicht jetzt, wann dann!“ Suggestiv, beschwörend, hatte sein Chef gelobt. Beschwörend schaute ihn jetzt auch die Gestalt auf dem Bahnsteig an. War sie nicht eben noch weiter weggestanden? Jetzt hob sie den Arm und zeigte ... in seine Richtung? Nicht im Ernst oder? Er schaute sich um. Niemand beachtete ihn.
„KOMM!“
Was zum ... Hatte die seltsame Gestalt im Kapuzenmantel gerade zu ihm gesprochen? Mario blickte in ihre Richtung, doch da war niemand mehr. Verdammt, wo war der Typ jetzt? Ach egal. Wann kommt der Zug endlich, ich muss jetzt zu Eva und den Kindern. Den entspannten Familienclown geben. Unterm klebrig-harzigen Naturbaum. Das eingepackte Zeug loswerden, im Gegenzug mit zusammengezimmertem Gaben beschenkt werden und „Oh, wie schön!“ lügen. Je schneller der Zug kommt, desto eher habe ich es hinter mir. Wo bleibt der?
Er hatte versprochen dieses Mal nicht erst kurz vor der Bescherung aufzutauchen, sondern den Heiligen Abend mit vorzubereiten. Was auch immer daran heilig war ...
„DU!“
Mario zuckte zusammen. Da war er wieder, der Kapuzentyp. Stand jetzt genau vor ihm. So nah, dass er ihm den Blick auf die Anzeigetafel, den Bahnsteig und den gesamten Rest verdeckte. „Äh, Entschuldigung. Könnten Sie bitte etwas Abstand ...“
„DU BIST!““
Gerade wollte Mario diesem Typ oder was auch immer ironisch klarmachen, dass das „Duzen“ bei Personen, die sich nicht kennen, auf keinen Fall angebracht sei, doch aus irgendeinem Grund hielt er inne. Etwas stimmte nicht. Ganz und gar nicht. Heiliger Bimbam!
Mario fühlte, wie eine Schweißperle an seiner Schläfe herunterrollte, den direkten Weg über seine glatt rasierte Wange nahm und auf halber Stelle stoppte. Das war es! Aus der Kapuze war kein Ton gekommen. Die Worte hatten in seinem Kopf gehallt. Und der Kapuzenumhang, das war fast noch seltsamer, hatte sich kein Stück bewegt. Dabei war genug Wind um sie herum, weil nun feuchte Böen den Bahnsteig eroberten. Alles flatterte. Nur die Klamotten dieser Erscheinung, die ihn jetzt sogar mit dem Oberkörper berührte, nicht. „Hallo? Könnten Sie gefälligst mehr Abstand halten? Ich kann mir Schöneres als Ihre Nähe vorstellen. Und für einen kumpelhaften Bodycheck kennen wir uns noch nicht genug.“ Mario versuchte, seine Ansage witzig klingen zu lassen. Funktionierte im Büro immer. Nur bei dem Typ nicht.
Mit hochgezogenen Augenbrauen drehte sich Mario zu einer Gruppe Wartender um, Bestätigung suchend. „Ist doch wahr!“ Die zuckten mit den Schultern. „Gehen Sie lieber etwas zurück. So allein an den Gleisen, das ist gefährlich!“, rief ihm eine Frau zu. Schwarzgrauer Mantelpulk von tauben Blindfischen, er war doch nicht allein!
Mario schüttelte den Kopf und blickte wieder zum Kapuzenheini. Das war verrückt, der stand da immer noch. Was wollte der? Das ergab doch alles keinen Sinn. Wird Zeit, dass der blöde Zug endlich kommt, Jessasmaria!
„JETZT!“
Äh ja, ist klar! Ich rede mit einem Typ oder nur mit seiner Kapuze, die spricht oder auch nicht, was im Übrigen niemand hier auf dem Bahnhof ungewöhnlich findet. Wenn Eva jetzt hier wäre! Ja, dann hätte sie ihren „Geist der Weihnacht“ gratis. Toller Moment. Richtig abartig! Apropos ... Ausgerechnet jetzt musste er an verknittertes Goldpapier denken. Sterne, von denen daumengroße, feuchte Klebstoffnasen sich wie schleimige Fäden lösten und ihm mitten ins Gesicht tropften. Das war das Letzte, was er vor Augen hatte. Dann wurde es dunkel.
OBEN
„Na, Krampus, da hast du ja einen besonders ramponiertes Exemplar erwischt! Lass mal sehen, gerade noch rechtzeitig erwischt, wie mir scheint.“
Der Angesprochene wischte mit der Hand seine Kapuze nach hinten und beugte sich über den bewusstlosen Mann vor sich. Er drückte auf eine Stelle am Hinterkopf, unter dem Haaransatz. Ein Surren, und das Gesicht klappte wie ein Visier nach oben. „Ja Chef. Der hier war kurz vorm Leerlauf, als ich ihn gefunden habe. Tippe auf den XL/0816 aus den 90ern. Lief schon auf Reserve.“ „Ja, die Serie ist besonders anfällig. Unter uns gesagt, nicht gerade unsere beste Entwicklung.“ Der Andere zeigte auf einen Werkzeugkasten. „Schraubenschlüssel!“
„Franzose oder Engländer?“
„Nee, den Stirnschlüssel!“
Beide lachten.
„Du meine Güte, alles verschleimt. Die ganze rechte Gehirnhälfte! Schau dir diesen Gedanken-Shit an, widerlich.“
„Ho, ho, ho!“
„Machst du mich nach, Krampus?“ Der Andere zwinkerte und fuhr dann mit näselnder Stimme fort: „Tupfer!“
Krampus lachte erneut und reichte ihm einen riesigen Wattebausch.
„Raus mit dem Zeug und trockenlegen. Schätze, wir brauchen unsere Spezialmischung, wenn der wieder einigermaßen rund laufen soll.“
Krampus seufzte und schüttete den Inhalt aus einem Leinensäckchen in den aufgeklappten Kopf. „Flausen – extra stark, extra bunt“, stand darauf. „Wo soll das nur hinführen. Jedes Jahr um diese Zeit mehr Ausfälle. Da hilft nur gezielte Zusatzversorgung. Und hoffen, dass das Fantasiemodul rechtzeitig wieder hochfährt.“
UNTEN
„Mama?“ „Was ist denn, Simon?“
„Papa sitzt unter dem Weihnachtsbaum!“
„So früh? Hab ihn gar nicht, hereinmeckern hören.“ Eva flüchtete in die Küche und presste ihre Lippen zusammen. Nicht vor den Kindern. Zwei Tage. Nur zwei Tage noch, dann sind wir dich und deine Meinung endlich los. Papiere sind schon ausgefüllt. Gleich nach den Feiertagen reiche ich sie ein. Alle Jahre wieder? Das letzte Mal mit uns! „Mama?“
„Ich komme gleich. Fangt schon an!“, rief sie durch die Tür und dann leise für sich: „Umso schneller haben wir es hinter uns.“
Wie schön hätte der Heiligabend, die Krönung der Adventszeit, all die Jahre sein können. 24 bunte Papiersterne am Fenster, mehr ließ sich mit diesem Mann einfach nicht machen. Freu dich Eva, die nächsten Weihnachten feiern wir endlich so wie wir es wollen. Kunterbunt, wild und wunderbar. Mit allem Brim und Borium. Dafür ohne Mario, ohne die lieblosen Geschenke seiner Sekretärin, ohne Stress.
„Mama!!“ Marie kam in die Küche gestürzt. Tränen liefen über das lachende Gesicht des Teenagers. „Komm, das musst du selbst sehen, sonst glaubst du es mir nicht.“
„Was glauben?“
„Dass dies ein ... äh ... ungewöhnliches Fest wird. Papa sitzt unter dem Weihnachtsbaum, hängt Glöckchen auf und bestaunt unsere Sterne. Und die sind diesmal wirklich schrecklich geworden, hast du selbst gesagt. Er sagt, er will mit uns Uno spielen und Zimtsterne essen und Punsch trinken, bis dem ersten von uns schlecht wird. Und seine Last-Minute-Geschenke hat er alle auf dem Bahnhof vergessen. Cool oder?“