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Lyrik: Übergang

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merin:
Vielen Dank für die Rückmeldungen. Für mich holpert tatsächlich die drittletzte Zeile, was aber inhaltlich auch irgendwie Sinn macht. Dagegen geht "hinterm Horizont" für mich nicht, wohl auch, weil eine Stimme in meinem Kopf dann gleich anfängt, ein anderes Lied zu trällern. :cheer:
Und das reine Gesicht. Tja. Das ist irgendwie was Inuitives und es braucht eben zwei Silben an der Stelle. Aber da denk ich nochmal drüber nach, ob es sich durch ein passenderes Wort ersetzen lässt.

eska:
Hi Merin,

ich weiß nicht, ob dir das, was ich zu deinem Song sagen kann, irgendwie weiterhilft, also schau mal.

Zunächst der Titel: Einen Übergang finde ich von Natur aus spannend, von einem Zustand in den anderen, einer Phase in die nächste: jeweils zwei unterschiedliche Zustände, die sich abwechseln, Anpassung erfordern, Reibung ergeben...
Ich beziehe ihn aber nicht automatisch auf den Text. Erst beim Nachdenken ordne ich ihn am ehesten der dritten Strophe zu, die einen Übergang von einer Generation zur nächsten darstellt. Übergang auch der Aktivität, weg vom Ich zur Tochter.

Die Personen: Die Begriffe Schwester und Bruder und Tochter sprechen alle von Familie, von naturgemäß vorhandener Nähe, von auch schmerzlichen Abhängigkeiten. Ich kann nicht festmachen, warum, aber ich denke bei Schwester und Bruder trotzdem mehr an selbstgewählte Menschen, die dem Ich nahe waren (oder noch sind), vielleicht sogar stellvertretend für alle nahen Menschen. Bei Tochter kann ich das nicht, und das verwirrt mich in meiner Lesart. Ein Kindschaftsverhältnis kann es nur geben, wo einmal ein Machtgefälle war (ich finde kein sanfteres Wort); die Gleichberechtigung der ersten beiden Strophen ist abgelöst durch ein tastendes Entlassen aus der Obhut, das gleichzeitig ein Erstarken der Tochter und ein Schwächen des Ichs (der Mutter) bedeutet. Diese ist unsicher: weiß nicht, kann nur begrenzt mitgehen, entscheidet nicht mehr. Folgerichtig wird sie am Ende zurückgelassen. Die Rolle des Waldes und des Grüns ist mir allerdings schleierhaft. (Beim ersten Lesen war ich - realitätsgeprägt - froh, dass der Wald wächst, alles nachwächst, aber auffressen scheint wirklich bedrohlich gemeint, außerdem bewirkt das Grün die endgültige Trennung. (Wird dann 'nur' die zurückbleibende Mutter gefressen?)

Schwester und Bruder hat das Ich aktiv hinter sich gelassen, trotz der jeweiligen, durchaus bedeutenden Nähe. Die Tochter wird die Mutter hinter sich lassen, das ist in Ordnung so, immerhin kann die Tochter lächeln. Und die Mutter hat ihr alles mitgegeben, was sie kann.

Mit einigen Details kann ich nichts anfangen oder sie verwirren mich:
Die zerschmelzende Sonne wäre für mich ein Endzeit-Bild, auf das nichts mehr folgen könnte.

Der Mond scheint immer wieder zu versinken - worin? Und weshalb? Und was bedeutet das für die Geschwister? Ist er der Grund für des Bruders Tränen?
 
Insgesamt scheint der Bruder eher eine Enttäuschung gewesen zu sein, aber der Mund voll Sehnsuchtsblüte ist viel zu schön und emotional aufgeladen, um ihn so abzutun.

Das reine Gesicht verstehe ich auch nicht. Es suggeriert mir weniger Aufrichtigkeit als Tabula rasa - weggewischtes Leben durch weggewischte Spuren.

Und zum Schluss: Zweimal Weite in den letzten beiden Zeilen, dabei noch einen Artikelwechsel (die Weite, das Weite) finde ich nicht optimal. Außerdem fehlt mir hier der Horizont von oben.

Insgesamt zieht mich der Text durchaus an, ist aber meines Erachtens zu schwer zu verstehen für ein Lied, das ich ja höre, nicht mehrmals nachlesen kann.
Eine Auflösung würde mich durchaus interessieren, wenn du sie liefern magst.  :)

Gute Nacht,  :bett:
eska

merin:
Liebe Eska,

vielen Dank für deine Zeilen, mit denen ich sehr viel anfangen kann. Ich muss zugeben, dass der Text für mich sehr intuitiv ist. Ich kann Lyrik kaum konstruieren, sondern ich muss eine Stimme in mir wecken und der dann schreibend hinterherlaufen. In einem zweiten (dritten usw.) Schritt kann ich dann versuchen, zu verstehen, was ich da geschrieben habe und das dann bearbeiten. Dabei hilft es mir sehr, wenn andere mir zurückmelden, was sie aufnehmen. Und dabei helfen mir deine Zeilen riesig!

Für mich ist das ein Text über menschliche Verluste. Darüber, dass Menschen kommen und gehen, Beziehungen sich ändern. Und du hast völlig richtig herausgelesen, dass es bei Bruder und Schwester nicht um Verwandtschaft geht, sondern um Peers, Freunde, die gehen. Dass ich sie aktiv hinter mir lasse, war dabei von mir nicht angedacht, ich war eher in der Stimmung über die zu trauern, die aus verschiedenen Gründen nicht mit mir gegangen sind.
Die zerschmelzende Sonne und der versinkende Mond sind für mich keine Endzeitbilder, sondern sollen das Vergehen von Zeit symbolisieren: Wenn eine Sonne am Meer untergeht oder im Nebel, dann sieht es manchmal aus, als würde sie schmelzen und wenn der Mond untergeht, sieht es manchmal aus, als würde er versinken. Es sind Bilder für vergehende Tage und Nächte.
Auch der Wald ist für mich einfach nur ein Bild für das Vergehen von Zeit: Wenn man sieht, dass er gewachsen ist, sind Jahre ins Land gegangen. Allerdings ist das auch eine Stelle, mit der ich hadere. Es soll etwas Tröstliches haben: So wie der Wald nachwächst, wachsen auch Beziehungen nach. Aber ich finde, dass es mir nicht ausreichend gelungen ist, das auszudrücken.

Dass der Bruder eher eine Enttäuschung gewesen zu sein scheint, kann ich nicht recht nachvollziehen. Also auf der textlichen Ebene. Auf der Ebene meiner nicht-mehr-Freunde schon, da waren Männer bei mir wirklich oft enttäuschender als Frauen.

Und die zweimal Weite - tja, damit hadere ich auch noch. Dass der Horizont durch die Weite abgelöst wird, ist Absicht, aber ich weiß noch nicht, ob das so gelungen ist.

Vielleicht wäre das eine Variante?

Tochter ich weiß nicht
was ich dir geben soll
aber ich geb es so gut ich's vermag.
Ich halt deine Hand, so lange du willst
so lange ich mitgehen kann.
Und ich weiß, der Wald wächst
und du mit ihm mit
bis du eines Tages gehst,
bis die Weite dich aufnimmt und mich zurücklässt.
Dann gehst du lächelnd ins Weite.

Aber ist die besser?

Liebe Grüße
merin

eska:
Liebe Merin;
es freut mich, dass meine Assoziationen dir helfen. Danke auch für die Auflösung, sie war spannend.  :cheer:

Eine kurze Erklärung meinerseits: Was auf mich enttäuschend wirkt am Bruder, sind folgende Begriffe: leeres Versprechen, Schatten, ein Mund voll Sehnsucht (= keine Erfüllung), sie hat (nur?) seine Tränen geschmeckt, nichts Fruchtbares.

Deine neue Version der dritten Strophe gefällt mir deutlich besser. Warum? Vor allem gibt es keine unverständlichen Stellen mehr. Das reine Gesicht ist abgelöst von 'so gut ich's vermag' - viel klarer und nachvollziehbarer und für mich sehr ehrlich menschlich. Dann der Wald, der das Bedrohliche verloren hat, eine Art Gefährte im Wachstum ist (ich würde allerdings das zweite mit weglassen).

Zur Weite ist mir eine Alternative eingefallen, vielleicht sagt die dir zu: 'bis die Ferne dich aufnimmt' etc. (da klingt die Idee von Horizont wieder an.) Oder sogar 'die Welt' - fände ich noch positiver.

Das wär's.
 :hallo:

eska

merin:
Tochter ich weiß nicht
was ich dir geben soll
aber ich geb es so gut ich's vermag.
Ich halt deine Hand, so lange du willst
so lange ich mitgehen kann.
Und ich weiß, der Wald wächst
und du mit ihm
bis du eines Tages gehst,
bis die Welt dich aufnimmt und mich zurücklässt.
Dann gehst du lächelnd ins Weite.

Mhm. Ohne das zweite Mit ist es sprachlich schöner, aber der Rhythmus haut nicht ganz hin. Und was mir in der Welt fehlt, ist die innere Weite. Die ist auch in der Ferne nicht enthalten.  :gruebel: Da muss ich nochmal nachknobeln und -spüren.

Vielen Dank nochmal!

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