Gameplanmethode"Wer sein Ziel kennt, findet den Weg." - Laotse
... oder auch: Gameplan ist das Gegenteil von Bauchschreiben.
Beim Bauchschreiben hat man eine Idee, setzt sich hin und fängt an zu schreiben; sieht zu, wo die Figuren einen hinführen, hangelt sich von einer Idee zur nächsten weiter, sieht zu, wie sich der Plot vor den eigenen Augen entwickelt. Es ist aufregend, so zu schreiben. Man ist Leser und Autor zugleich.
Der Haken an der Sache: Mitunter führt einen diese Art zu schreiben aber nicht zum Ende der Geschichte, sondern in eine Sackgasse. Dann muss man zurückgehen, Text wegschmeißen und einen neuen Weg einschlagen. Das kann funktionieren, aber es ist im besten Fall frustrierend, dauernd für die Katz zu schreiben, im schlimmsten Fall endet man in einem Gewirr von Sackgassen und die Ideen, die Geschichte doch noch zu einem brauchbaren Ende zu führen, versiegen. Das gilt umso mehr, je komplexer eine Geschichte ist. Wenn es von A direkt nach B führt, ist Bauchschreiben ein ziemlich brauchbarer Weg. Wenn es aber von A nach E führt, und dabei über B1, B2, C1, C2, C3, D1, D2 und D3 führt, wenn man also mehrere parallele Erzählstränge am Laufen halten muss, kann man schnell den Überblick verlieren.
Für mich war das immer öfter der Fall, dass ich nicht mehr wusste, wo ich stand (oder in einer Sackgassse stand) und ich machte mich auf die Suche nach einer anderen Methode zu schreiben.
"Dieses Plotten, von dem immer alle reden, vielleicht ist da ja doch was dran."Mein Problem: Die gängigen Methoden (Schneeball, 3-Akt-Modell) haben mir einfach nicht geholfen. Nur weil die 3-Akt-Methode sagt "hier kommt die Geschichte zum Höhepunkt", weiß ich ja nicht, was genau dieser Höhepunkt sein soll.
Die Erleuchtung kam schleichend. Ich kann nicht schreiben, wenn ich nicht weiß, wie es enden wird. Alles, was in meiner Geschichte passiert, dient diesem einen Zweck, dem Ziel, dem Ende.
Wenn ich eine Idee habe, stelle ich mir die Frage: Wie kann es dazu kommen? Was ist nötig, um zu diesem Ergebnis zu gelangen? Was aus dieser Idee entsteht gründet sich weniger auf "welche Möglichkeiten ergeben sich daraus", sondern eher auf das Ursache-Wirkung-Prinzip. Ich arbeite mich beim Plotten von hinten nach vorne durch. Was muss notwendigerweise passiert sein, um zu diesem Ergebnis zu führen?
Dazu einfaches Beispiel:
Die Idee ist, dass da ein toter Mittvierziger in einem Vorgarten liegt, ein blutiges Loch in seiner Brust. Der Mann ist eindeutig erschossen worden.
Es ergibt sich zwingend: Jemand muss ihn erschossen haben. Daraus ergibt sich zwingend: Dieser Jemand muss Zugang zu einer Waffe gehabt haben. Dieser Jemand muss auch einen Grund gehabt haben (und wenn es nur so etwas Dünnes ist wie: "Ich wollte wissen, wie es sich anfühlt, jemanden zu töten.").
An dieser Stelle tun sich natürlich schon wieder Möglichkeiten auf.
- Es könnte der Bruder gewesen sein, um das Erbe nicht teilen zu müssen.
- Der Liebhaber, der fürchtet, seine Homosexualität könnte öffentlich werden.
- Die Frau, die jahrelang seine Misshandlungen ertragen hat, bis es endlich zu viel war, und die nicht wusste, wie sie sonst aus dieser Ehehölle entkommen sollte.
- Die 14jährige Tochter der Frau, mit der er ein Verhältnis hatte, und die nur wollte, dass Mama und Papa wieder zusammenkommen und alles so ist wie früher.
Aus dieser Liste kann man nach Willkür auswählen, aber dann ist es nur Bauchschreiben in rückwärts. Es zahlt sich aus, diese Möglichkeiten weiter abzuklopfen.
- Der gierige Bruder ist ziemlich direkt und unverschnörkelt. Insofern aber auch nicht unbedingt die lohnendste Variante.
- Warum will der Homosexuelle nicht entdeckt werden? Welche negativen Folgen könnte er für sein Leben befürchten?
- Wie beim erbwilligen Bruder ziemlich direkt und unverschnörkelt. Könnte sich aber aus psychologischer Sicht durchaus lohnen. Wie lange hat sie durchgehalten, wieso hat sie ihn ursprünglich geheiratet, welche Versuche, sich zu trennen, hat sie unternommen, ohne damit Erfolg zu haben, was war der letzte, auslösende Moment gewesen, um sie diesen Schritt machen zu lassen?
- Wie findet die Tochter heraus, dass ihre Mutter fremdgeht? Was löst das in ihr aus? Wie kommt sie auf diesen irrwitzigen Gedanken, dass den Liebhaber zu töten, alles wieder ins Lot bringen könnte?
Bei allen Möglichkeiten kommt spätestens an dieser Stelle auch das Setting ins Spiel: Was ist in der Welt, die ich beschreibe, möglich? Ist Diskriminierung von Homosexualität ein Thema, welche Möglichkeiten hat eine misshandelte Frau gegen ihren Mann? Welche Möglichkeiten gibt es in dieser Welt, an eine Waffe zu kommen?
Wenn man - wie ich - historische Settings verwendet, kommt an dieser Stelle auch eine ganze Menge an Recherche auf einen zu. Welche historisch verbrieften Personen gab es,die ich vielleicht einbauen möchte, oder die ich einbauen sollte, wenn ich historisch glaubwürdig bleiben will? (zB König XY, der eben zu jener Zeit regierte.) Welche historischen Gegebenheiten muss ich beachten? Wie sah das Alltagsleben vor 500 Jahren aus? Wie die Gesellschaftsstruktur? Was bedeutet Lehenswesen eigentlich wirklich? Welche Macht hatten die Zünfte?
Ich erstelle mir dann einen Zeitplan (üblicherweise in Excel) mit Jahreszahlen und historischen Fakten, um die herum ich meine Geschichte planen muss. Bei Bedarf breche ich das auch auf Monate, Wochen oder Tage herunter. Dabei verwende ich einen ganz einfachen Farbcode: Alles, was schwarz ist, ist historisch und kann ich nicht verschieben oder verändern. Alles, was von mir kommt, ist farbig.
Der Farbcode eignet sich auch gut, um innerhalb der Tabelle mehrere Perspektiven/Erzählstränge zu "verwalten" und aufeinander abzustimmen, vor allem auch chronologisch.
Wenn alle Punkte, die ich in der Geschichte haben will, stehen, geht es an die Kapitelplanung. Vieles davon ist durch die Chronologie vorgegeben, manches kann ich frei wählen, wenn zB bei einer Heldenreise sonst drei Kapitel lang wenig bis nichts passieren würde.
An diese Kapitelplanung halte ich mich dann beim eigentlichen schreiben auch. Ich fange dann auch am Anfang an und schreibe chronologisch bis zum (feststehenden) Ende. Die kleinen Details, die sich neben den großen Punkten natürlich ergeben, können so wesentlich besser weitergeführt werden und erfordern nicht ständig Korrekturen in früheren Kapiteln.
Die einzelnen Kapitel sind wie Kurzgeschichten, die zusammengenommen die Gesamtgeschichte ergeben.
Und hier fehlt ein tolles Schlusswort, aber das war es an und für sich. Was noch aussteht, wenn man mal so weit gekommen ist: Die Überarbeitung.