Liebe Eule,
na dann mal die Gabel gespitzt. Ich kann schon mal verraten, dass, wenn es nach mir ginge, das nicht die letzte Überarbeitung wäre. Und dass ich mir wünschen würde, dass deine Fragen zum Text etwas konkreter wären. Aber vielleicht hast du keine Idee, wo die Probleme liegen könnten? Dann ist es immer schwer, konkrete Fragen zu formulieren.
Vorwarnen muss ich auch, dass ich keine klassischen Liebesromane lese. Wenn du also genrespezifische Rückmeldungen möchtest, sind meine Hinweise sicher eher nicht hilfreich. Da ich bekennende Kitschallergikerin bin, kann es sein, dass ich da Einiges moniere, was andere mit Genuss goutieren würden.
Ich öffnete das große Fenster und trat hinaus auf die Dachterrasse. Ein leichter kühler Wind strich über meinen Körper und ich zog den Morgenmantel enger zu. Ich atmete tief durch, denn ich liebte dieses Gefühl, hier so hoch oben und die Stadt in der Dämmerung vor mir. Ich hielt mich an der Brüstung fest, stellte mich auf meine Zehenspitzen und sah hinab in das Häusermeer. So mussten sich früher die Herrscher und Könige gefühlt haben, wenn sie von ihren Burgen und Schlössern zu ihren Untertanen hinabblickten. Noch war die Stadt still. Leise und verschlafen lag sie direkt vor meinen Füßen.
Für mich beginnt schon mit dem ersten Bild eine Irritation. Da wird ein Fenster geöffnet, jemand tritt auf eine Dachterrasse und ein Wind streicht über einen Körper. Dann aber - stop - der Wind kann nicht auf dem gesamten Körper spürbar sein, denn der ist in einen Morgenmantel gehüllt. Dann atmet die Person, tief, und damit verbindet sie ein Gefühl, das sie mag. Aber welches? Ich kann es nicht erahnen.
Und plötzlich merke ich: Ich hatte da einen sonnigen Morgen gebastelt, aber es ist viel früher, dämmert noch. Und dann frage ich mich: Wieso auf Zehenspitzen? Ist die Person so klein? Die Brüstung so hoch?
Und die Ablenkung hin zu den Herrschern finde ich unnötig. Mal sehen, ob sie aufgenommen wird.
Was würde ich ändern: Ich würde konkret schreiben, wo die Person den Wind spürt. Ich würde das Gefühl deutlicher machen. Ich würde wenigsten einen Hinweis darauf geben, was für einen Körper ich da vor mir habe, eine erste Charakterisierung. Und ich würde früher ins Bild bringen, dass es noch nicht ganz hell ist.
Bislang weiß ich fast nichts, aber ich bin neugierig geworden. Das ist schonmal gut.
Vorsichtig berührten die ersten Sonnenstrahlen die langsam erwachende Stadt. Ich schloss die Augen und genoss den Moment des Augenblickes. Vielleicht war Glück so etwas, wie diese Sonnenstrahlen, die auf mein Gesicht fielen. Auch diese konnte man nicht festhalten oder einfangen. Aber sie waren da, jeden Tag aufs Neue.
Das ist für meinen Geschmack kitschig und auch schief: "Moment des Augenblicks" ist doppelt gemoppelt - und die Sonnenstrahlen können ja schlecht gleichzeitig auf der Stadt und auf der Person zu sehen sein. Da solltest du über eine klarere "Kameraführung" nachdenken.
Ich sah der aufgehenden Sonne zu, wie sie Meter für Meter den Himmel eroberte und die Nacht zum Tag machte. Ihre Strahlen ließen das Grau weichen und erhellte, was vormals noch im Verborgenen lag.
Erhellten, da fehlt ein N. Und ich wüsste ja gern genauer, was da erhellt wird. So ist es mir zu kitschig.
Die Kommafehler lass ich mal weg.
Ich machte mir keine Sorgen und Gedanken, wie andere Menschen, über Dinge, die wahrscheinlich nie eintreffen würden. Lieber entdeckte ich Schönes, freute mich über Ungewöhnliches und ließ mich gerne überraschen. Ich sammelte Momente, wie diesen, wo nichts, außer der Stille und dem Frieden, der ihm innewohnte, wichtig war.
Mhm, warum so unkonkret? Nach dem, was da jetzt steht, habe ich das Gefühl, da ist eine kitschige, naive und romantische junge Frau, die sich selbst in die Tasche lügt und sich aushalten lässt, sich einredet, dass das ja okay sei, weil ja alle etwas davon hätten. Ein Konflikt ist für mich nicht klar angelegt (sollte er aber, finde ich), aber wenn ich mich bemühe, kann ich mögliche Konfliktlinien erkennen:
-Karl-Heinz verlässt sie und sie ist am Boden zerstört. Der Text geht darum, wie sie damit umgeht (Rache? Ein Liebesfeldzug um ihn zurückzugewinnen?)
- Mona wendet sich gegen sie, es geht um eine Freundinnen-Feindinnen-Geschichte.
Beide Geschichten wären für mich nicht interessant, haben aber gewiss Leserinnenkreise (das wäre klassische Frauenliteratur).
Allgemein kann ich zu deinem Beginn sagen, dass er sich flüssig liest und auch ein interessantes erstes Bild benutzt. Allerdings hat er für mich zwei gravierende Mängel:
1. Er führt die Prota nicht gut ein. Sie bleibt blass.
2. Er gibt keinen ausreichend klaren Hinweis auf den zentralen Konflikt des Textes.
Nachdenken würde ich außerdem über die Sprache. Du hast eine Ich-Perspektive gewählt, die viel Einblick in die Innenwelt der Prota erlaubt. Diese ist aber aktuell sehr gefällig und glatt und damit auch wenig charakteristisch. Romantisch, ja, etwas kitschig, das würde zu einem Liebesroman sicher passen. Aber ich finde, da könnte noch etwas mehr Eigenwilligkeit hinein.
Nun bin ich gespannt, was die Teufel so meinen. Wir haben ja doch einige Liebesromanspezialistinnen hier, vielleicht meldet sich ja auch eine davon ...
Liebe Grüße
merin