Ich habe "Hannahs Töchter" von Marianne Fredriksson gelesen. Das fand ich unterhaltsam und anregend, aber stellenweise kitschig. Der Roman schildert das Leben von drei Frauen (Oma, Mutter, Tochter) in Schweden. Was gut gelingt ist, das Alltagsleben und das Funktionieren der Gesellschaft in den verschiedenen Zeiten lebendig werden zu lassen. Was mir zu wenig ist, sind Einblicke darin, wie die Frauen gedacht haben. Die Oma bleibt einem immer irgendwie fremd und das ist schade. Bei der gibt es auch am meisten Kitsch, für mich ist das einerseits sprachlicher Kitsch, vor allem aber Kitsch, der entsteht, wenn nicht genau beschrieben wird, was empfunden wird. Was ich sehr mochte ist, dass es Fredriksson gelingt, die teilweise bedrückende Geschichte mit Leichtigkeit und Spannung zu erzählen. Und sie schaut mit einem freundlichen Blick auf ihre Protagonistinnen.
Spannend an diesem Buch ist für mich auch, wie oft die Autorin eben nicht zeigt, sondern einfach behauptet. Und dass es aber trotzdem gut zu lesen ist. Da stehen dann so Sachen wie "Lovisa war bigott." Oder "Sie wurde rot, hörte aber, daß Scherzhaftigkeit in den Worten lag." Und man kauft das einfach ab. Würde mich mal interessieren, wieso das auch gut funktioniert.
Meine nächste Lektüre war "Der Vorleser" von Bernhard Schlink. Das ist ein ganz anderer Text, schwer, sehr mit inneren Prozessen des Protas beschäftigt, teilweise lyrisch in der Sprache. Inhaltlich geht es um einen Jungen, der in den 1950ern mit 15 zur Geliebten einer Frau wird, der er später wiederbegegnet und die sich als ehemalige KZ-Wärterin erweist. Es geht um die Frage von Schuld, aber auch um Beziehung. Dabei wird für mich die Hauptfrage, nämlich inwiefern sie an ihm schuldig geworden ist, ihn benutzt hat, nie gestellt - zieht sich aber durch das gesamte Buch. Dieses Buch ist wesentlich schwerere Kost als "Hannahs Töchter" eignete sich für mich aber auch gut als Urlaubslektüre. Stellenweise waren es mir zu viele Beschreibungen, aber ich mochte die Art, wie der Erzähler um Wahrheit ringt, sich sich selbst und der Handlung annähert. Das hat viel Tiefe und ist stellenweise sehr dicht. Und es sind viele Kleinigkeiten wahnsinnig gut beobachtet und beschrieben.