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Neuer Bergkrimi - Charakterisierung eines Prota
Oldlady:
Hallo Teufelsvolk,
hier eine neue Textpassage aus meinen Krimi „Tod an der Alpspitze“.
Mein Lektor meinte, ich müsste eine der Hauptpersonen, den Polizeibergführer Sebastian Oberleitner, gleich zu Anfang des Buches besser einführen und charakterisieren.
Das habe ich hiermit versucht.
Was vorher geschah: Sebastian hat an der Alpspitze eine Leiche geborgen und ist nun gerade nach Hause gekommen.
Meine Fragen dazu:
- gibt der Text einen guten Eindruck, was für ein Mensch Sebastian ist?
- riecht er nach Infodump?
- ist das zu breit oder zu kurz?
- Sonstige Anregungen?
Sebastian streifte das dunkelgraue Hemd mit dem Schriftzug „Polizei“ über den Kopf und warf es auf den Boden. Dann ließ er sich auf der Bettkante nieder.
Er wusste, was nun geschehen würde. Es war jedes Mal so nach einer Leichenbergung. In der Wand tat er das Notwendige, professionell, effektiv, gefühllos. Aber sobald er seine Berufskluft abgelegt hatte, kamen die Bilder.
Der blutige Krater im Schädel des Toten. Seine gequälte, verkrümmte Gestalt. Die glasigen Augen.
Sebastian stützte beide Ellbogen auf die Knie und legte den Kopf zwischen seine Hände. Besser jetzt daran denken als schreiend mitten in der Nacht aufwachen, verschwitzt, mit wild klopfendem Herzen.
Was für ein Mensch war der Tote gewesen? Hatte ihn jemand wirklich geliebt, hatte er Freude am Leben gehabt?
All das spielte keine Rolle mehr für ihn. Jetzt lag er tiefgekühlt in einer Schublade der Pathologie, mit bläulicher Haut und kalt wie Eis. Sebastian wusste, wie sich das anfühlen würde, wenn man ihn berührte.
Schon wieder dieses Bild. Ein Arm, der aus einem Lawinenkegel ragte. Schwitzen, graben. Der steinhart gefrorene Körper eines jungen Mädchens, ein von blonden Locken gerahmtes Gesicht.
Sein erster Einsatz als Bergwachtler mit einer Leiche… Damals war er 18 Jahre alt gewesen und hatte gerade sein Abitur gemacht.
Es mochten etwa fünfzig Tote gewesen sein, die er als Retter und später als Polizeibergführer gesehen hatte. Und er steckte es noch immer nicht ohne weiteres weg.
Vielleicht war er zu sensibel. Als kleiner Junge hatte er einmal eine tote Blaumeise auf der Terrasse gefunden. Und er hatte geweint und Schattenrisse von Vögeln an die Fensterscheibe geklebt.
Natürlich waren auch die meisten seiner Kollegen nicht völlig abgebrüht. Es half, sich hinterher im Biergarten zu treffen, vielleicht über das Geschehene zu reden, miteinander zu entspannen.
Er zog sich vollends aus, ging ins Badezimmer, stellte sich unter die Dusche und drehte das Wasser auf, so heiß, dass er es gerade noch aushielt. Der Strahl brannte in seinem verspannten Nacken, seine Haut prickelte. Er griff nach der Shampooflasche. „For Men Stand & Volumen mit Hopfen“, war darauf zu lesen. Sebastian grinste, drückte eine Portion in die Hände. Geschmeidig-glitschig glitten sie über seine kräftige Brust, den Bauch mit der Andeutung eines Sixpacks. Nicht schlecht angesichts seiner Vorliebe für Ferrero Rocher und Gummibärchen. Schade dass er keine Freundin hatte, die das zu schätzen wusste …
Vergiss alles. Genieße jetzt. Was bleibt außer dem Jetzt?
Er reckte sich genießerisch. Das Wasser strömte an ihm herunter und verschwand gluckernd im Abfluß.
Es nahm alles mit.
Alles, was heute geschehen war.
Diese Vorstellung war immer hilfreich, um mit einem harten Tag fertig zu werden. Seine paar Semester Psychologie-Studium waren nicht nutzlos gewesen …
Er atmete ein paar mal tief durch und stellte die Dusche ab.
Das Telefon schrillte. Festnetz. Hoffentlich nicht noch ein Einsatz.
Er eilte ins Wohnzimmer und nahm den Hörer ab. Wasser tropfte auf den Teppichboden. Egal.
„Oberleitner.“
Eine helle Kinderstimme. „Papa! Ich habe eine Drei in Mathe!“
Ein Lächeln spannte seine Lippen. „Das ist großartig! Gut gemacht!“
Offenbar hatten seine Nachhilfestunden etwas genutzt.
„Eine Drei! Das müssen wir feiern, Papa. Gehen wir am Wochenende in den Zoo?“
„Wenn deine Mama einverstanden ist, gerne.“
„Supi. Darf ich dann mit deiner Kamera fotografieren? Meine Handybilder sind nicht sooo toll.“
„Klar. Wenn du sie nicht ins Seehundbecken schmeißt. Warum bist du eigentlich noch nicht im Bett?“
Leas Antwort klang trotzig. „Weil ich nicht will.“
„Ach so.“
Seine Exfrau ließ die Zügel zu lang. Aber es war hoffnungslos, mit ihr über Erziehung zu diskutieren.
„Ich hab dich lieb, Papa. Bis Sonntag.“
Ein Gefühl wie eine warme Welle. Auf einmal war die Welt ein bisschen heller.
Sebastian ging ins Bad, um sich abzutrocknen, und schlüpfte in Jeans und ein frisches Hemd. Dann machte er sich auf den Weg in den Biergarten.
kass:
Hi Oldlady,
es tut mir leid, aber irgendwie wirkt die ganze Szene auf mich ein wenig gewollt oder gestellt, vielleicht auch, weil es ja hier so ganz alleine für sich steht.
Daher war meine spontane Reaktion nach dem Lesen:
--- Zitat ---Mein Lektor meinte, ich müsste eine der Hauptpersonen, den Polizeibergführer Sebastian Oberleitner, gleich zu Anfang des Buches besser einführen und charakterisieren.
--- Ende Zitat ---
Hör nicht auf ihn in diesem Punkt.
Die Szene liest sich nach: Der Prota erzählt hier über sich selbst, Tell statt Show. Und leider ja: auch Infodump.
Das ist leicht dahingesagt, den Prota gleich am Anfang besser einzuführen und zu charakterisieren. Eine Szene, die nur dafür da ist, den Prota vorzustellen, ist vom Ansatz her schon nicht gerade optimal. Vielleicht könntest du stattdessen an der einen oder anderen Stelle im Handlungsverlauf der ersten Kapitel noch ein bisschen was einflechten?
Er kommt von der Bergung der Leiche nach Hause, kann es nicht einfach wegstecken, was ich als Leser zwar über ihn erfahre, aber nicht miterlebe. Wenig später denkt er unter der Dusche darüber nach, dass er den Ansatz eines Sixpacks hat, obwohl er Gummibärchen so mag. Dann ruft der Sohn an, und die Welt ist wieder ein Stückchen in Ordnung.
Das hat für mich auch ein bisschen was Plakatives, wie der Figur einen Stempel aufzudrücken. Vermutlich ist es aber auch meine Vorliebe dafür, die Figur langsam kennenzulernen. Für mich geht ein Stück der Neugier weg, wenn die Figur gleich so klar gezeichnet wird.
Ich bin gespannt, wie die anderen Teufel das sehen, und wünsch dir ganz viel Glück!
Liebe Grüße
Kass
Trippelschritt:
"Besser einführen" sagt nichts, wenn man nicht weiß, wie bisher eingeführt wurde. Vielleicht reicht es ja, die Figur über mehrere Szenen einzuführen. Das in einer einzigen Szene zu versuchen, benötigt entweder den Tupfpinsel oder ein Konzept. Du hast Dich für die ausführliche Variante entscheiden, aber kein Konzept ausgearbeitet.
Wenn Du schrecliche Erinnerungen machen willst und aus denen in den Familienalltag gleiten, brauchst Du eine stringente innere Logik in der Szene. Du fängst mit einem inneren Monolog gespickt mit Bildern an. das ist möglich, wenn dieser sehr gut ist. Aber wenn er sehr gut ist, ist er sehr intensiv. Und dann ist es fast unmöglich den Übergang in den Alltag zu schaffen, weil man solche Dinge nicht einfach beiseite schieben kann. Für mich müsste also eine gespielte Szene mit den Kindern folgen und einen traurigen oder kaputten Beamten zurücklassen.
Vielleicht sind die Bilder mit wenigen Gedanken besser. Wenn kurze Rückblende zur ersten Leiche, dann auch nur Bilder und keine Erklärungen. Das Ganze mit show dont tell. Bilder lassen sich besser beisetie schieben als Gedanken. dafür kommen sie aber wieder. Nach den Bildern dann der Übergang zu den Kindern. Da sollte es vielleicht ruckeln, damit es glaubwürdig ist. Papa muss sich Mühe geben beim Umschalten. Gelingt anfangs nicht, aber dann besser. Und die Kinder merken nichts.
Es gibt bestimmt auch noch andere gute Ideen, aber diese beiden kamen mir spontan in den Sinn, wenn ich bei Deinem Text bleibe. Oder Du machst es ganz anders.
Viel Glück
Trippelschritt
Oflinitrium:
Mein Lektor meinte, ich müsste....
Leider spürt man dieser Szene genau das an. Sie wirkt auf mich chaotisch, obwohl gar nichts passiert. Man merkt dem Text leider stark an, dass du versucht hast ihn zu schreiben. Es fehlt die geistige Freiheit, dein Charakter handelt nicht, sondern du lässt ihn handeln. Ich sehe mehr dich als Autorin vor mir, denn Sebastian den Polizeibergführer.
- gibt der Text einen guten Eindruck, was für ein Mensch Sebastian ist?
Jaein. Ich erfahre zu viel und bin nicht mehr neugierig auf ihn. Ich weiß genau was für ein Mensch mich erwartet und er kann kaum etwas tun um noch zu überraschen.
- riecht er nach Infodump?
leider sehr stark.
- ist das zu breit oder zu kurz?
Zu viel Informationen in zu wenig Handlung und verstreichender Zeit. Du musst nicht unbedingt sehr viel mehr Wörter schreiben, aber mir als Leser das Gefühl von Zeit ein wenig besser vermitteln. So liest sich die Szenne ein bisschen, als wenn die Vorspultaste klemmt.
- Sonstige Anregungen?
Ich mag den ersten Part, indem er den vorangegangenen Tag reflektiert. Bis er unter die Dusche geht liest es sich eigentlich ziemlich gut und ich habe den Eindruck deiner Figur zuzusehen. Aber ab dann kommt immer mehr die Autorin durch, die versucht ihrem Lektor einen Text vorzulegen und ich verliere Sebastian. Bis ich schlussendlich von Infodump umgeben bin. "Oh er hat Studiert, ach eine Tochter gibts auch, oh er lebt getrennt, er gibt ihr nachhilfe in Mathe, ahja die Mutter kann sich gegen das Kind nicht durchsetzen, ahm worum gings nochmal am Anfang?" Ungefähr so sahen meine Gedanken in der 2. Hälfte aus.
Wie man das besser kann... Mein persönlicher Kritiker rät mir jedes Mal, wenn ich versuche meinen Figuren Leben einzuflößen sie in eine Situation zu werfen und zu schauen was passiert. Bei dir wirkt es andersherum, als hättest du die Situation um den Charakter herum gesponnen. So wie sie jetzt ist, ist die Szene purer Infodump und macht kein bisschen Neugierig.
Eine mögliche Verbesserung die mir einfällt, wäre den Anruf rauszuwerfen und er geht nach der Dusche ins Bett. Sein letzter Gedanke vor dem Einschlafen gilt seiner Tochter und er stellt sich den nächsten Samstag vor, den er mit ihr verbringen wird. Dann schläft er mit einem Lächeln auf den Lippen ein und kann sich endlich entspannen. Und wirf den Seitenhieb auf sein Studium raus, das kommt total aus dem Blauen heraus.
Tut mir leid, dass ich dieses Mal so hart sein musste, aber ich hoffe sehr ich konnte irgendetwas hilfreiches beisteuern.
Schnappschildkröte:
Hallo!
Ich bemüh mich, nicht wiederholend zu klingen, aber es ist leider sehr viel Infodump. Wobei mich jetzt der Anfang weniger stört (also wo er an die Leiche denkt und dann auch zurück an seine erste...) sondern erst wo er in die Dusche steigt. Da ist auch ein plötzlicher Launenschwung meiner Meinung nach.
Also, er ist zuerst mit den Gedanken bei Toten, wie shclimm das alles für ihn ist und dann plötzlich lächelt er, wie er den Namen des Shampoos liest. Das passt für mich wenig zusammen... Es geht danach auch plötzlich ganz anders weiter, würde ich weglassen.
--- Zitat ---Er atmete ein paar mal tief durch und stellte die Dusche ab.
Das Telefon schrillte. Festnetz. Hoffentlich nicht noch ein Einsatz.
Er eilte ins Wohnzimmer und nahm den Hörer ab. Wasser tropfte auf den Teppichboden. Egal.
--- Ende Zitat ---
Ab da fand ichs eigentlich wieder besser. Es klingt nur bisschen gestelzt, würde ich ein eventuell anders schreiben. Seine Emotionen mehr rauskommen lassen, während des Gesprächs. Vielleicht ist er noch von der Arbeit etwas abgelenkt, oder ist erst so erleichtert, dass er nicht richtig zuhört.
--- Zitat ---Eine helle Kinderstimme. „Papa! Ich habe eine Drei in Mathe!“
Ein Lächeln spannte seine Lippen. „Das ist großartig! Gut gemacht!“
--- Ende Zitat ---
Wenn das Kind sich so freut, wieso hat es dann nicht früher angerufen? Wieso erst, kurz bevor es schlafen geht? Wenn das Kind vorher schon angerufen hat, sollte es dazu auch was sagen. So alla "Endlich hebst du ab!", ich fände es unlogisch, wenn es das nicht getan hätte...
--- Zitat ---Seine Exfrau ließ die Zügel zu lang. Aber es war hoffnungslos, mit ihr über Erziehung zu diskutieren
--- Ende Zitat ---
Hier z.B.: Wenn ihn das ärgert, würd ich ihn auch drüber ärgern lassen, also emotionaler, oder eben auch ergebener (innerlich Seufzen oder sowas).
Das wären zumindest mal meine Gedanken dazu :)
LG
Kröte
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