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Boyle, T.C.: TALK TALK
(1/1)
Fabian:
T.C. Boyle: TALK TALK, Hanser, 2006
Dana Halter arbeitet an der Westküste der USA in der Bay Area als Lehrerin. Die junge gehörlose Frau wird Opfer eines Identitätsdiebstahls und gerät damit in der Folge immer wieder in Situationen, in denen sie zum Objekt eines «Systems» wird, für das nicht das Unrecht, das ihr geschehen ist, die Anomalie ist, sondern sie selbst in ihrer Existenz als Behinderte und als Geschädigte, die auf Genugtuung besteht. Damit stört sie das Gleichgewicht des Systems in doppeltem Sinne. Zumal der Identitätsdieb nichts weiter tut, als die oberflächlichste Variante des amerikanischen Traums zu leben: sich seiner Existenz im immer währenden Konsumrausch zu versichern.
Das führt Dana in kafkaeske Situationen, so z.B., wenn sie – nachdem sich vor Gericht ihre offensichtliche Unschuld nur mit Mühe unter den Verfahrensregeln eines trägen Apparats hat klären lassen – nicht etwa frei kommt, sondern ihr zugemutet wird, sich noch einmal zu unterwerfen, sich noch einmal mit dem Gefangenentransporter ins Bezirksgefängnis zurück bringen zu lassen, um erst von dort aus und nach dem erneuten Durchlaufen der Einlieferungsprozedur in umgekehrter Richtung entlassen zu werden.
Boyle zeichnet die Verhältnisse, in denen die Figuren agieren, mit fast schon karikierender Deutlichkeit, verweigert aber seinen Figuren den Durchblick. Indem die Protagonistin das an ihr begangene Verbrechen und seine Folgen nicht als Versicherungsfall und Kollateralschaden eines Lebens unter den Maximen einer konsumbegründeten Wertschätzung hinnimmt (weil sie sich solche Gedanken gar nicht macht), sondern sich als persönlich getroffenes Opfer sieht, gerät sie von da an immer wieder mit den systemimmanenten Regelungsmechanismen in Konflikt.
Das Streben nach Glück auf Kosten anderer, dem der große böse Betrüger in hemmungslosem Narzissmus als Gegenspieler der unschuldig naiven behinderten Lehrerin anhängt, ist eben kein Kapitalverbrechen, sondern nur eine spezielle Spielart genau dieses Strebens und wird vom System deshalb auch nur lasch verfolgt.
Dana dagegen nimmt das Unrecht, das ihr geschieht, persönlich und die Satisfaktion deshalb in die eigenen Hände.
An der Oberfläche ist T.C. Boyles Roman die Geschichte einer Jagd, gekonnt erzählt und flott vorangetrieben, aber es bliebe eine banale Geschichte, wenn diese Jagd zum von uns erwarteten Ende führen würde.
Dieses banale Ende eines show-downs nebst des dramatischen Sieges einer Heldenfigur gönnt er uns aber nicht. Auch nicht die große Tragödie, in der alles Streben nach Gerechtigkeit zum Schluss doch nur in den Abgrund führt.
Die Figuren können nicht wirklich mit sich und den Verhältnissen ins Reine kommen, sie handeln wie im Kasperletheater, sie können sich nicht abnabeln, sie handeln impulsiv, wie die Kinder, schließlich arrangieren sie sich, ohne dass ihnen das überhaupt problematisch erscheint und das große Ganze kommt wieder in sein labiles Gleichgewicht.
Und das ist die große, zynische Gemeinheit, mit der T.C. Boyle den Leser zum Schluss im Regen stehen lässt und sich meiner Meinung nach als Moralist erweist, wie er im Buche steht. «Versteht ihr denn nicht?», möchte man in die Geschichte hineinrufen. «Da ist es doch! Da ist das Krokodil!»
Keine Helden. Keine Schurken. Alles beim Alten.
«… es ist vorbei. Lass uns Waffenstillstand schließen.»
merin:
Das klingt wirklich spannend. Vielen Dank für die Anregung!
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