22 November 2024, 08:41:17

Autor Thema: Fantasy - Christoph Hardebusch - Sturmwelten  (Gelesen 6755 mal)

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Oflinitrium

  • Schreibteufel
  • ****
  • Beiträge: 341
  • Geschlecht: Männlich
  • Derzeit in Babypause und nur selten aktiv
Fantasy - Christoph Hardebusch - Sturmwelten
« am: 10 April 2017, 23:38:53 »
Die meisten Fantasyromane spielen in phantastischen Welten denen man relativ früh anmerkt, dass sie genau das sind. Direkt am Anfang kommen gerne Orks, Drachen o.ä. vor. Bei Christoph Hardebuschs Sturmwelten verhält es sich etwas anders. Zwar dauert es nicht lang bis man gesagt bekommt, dass Dinge wie Magie existieren und die Welt auch stark beeinflussen, jedoch fühlt die Welt sich über weite Teile real an. Ich hatte beim lesen eher das Gefühl eine Zeitreise ins Hawaii der Imperial-Zeit zu machen, als in eine Traumwelt abzutauchen. (Wobei das nicht an historischen Ereignissen liegt.) Allein das gefällt mir sehr und das wollte ich loswerden bevor ich richtig loslege.
Die Trilogie beginnt mit unserem Protagonisten Jaquento, der nach einer ereignislosen aber anstrengenden Überfahrt in einer Schenke irgendwo in der "Sturmwelt" landet. Mit kaum mehr als seinen Klamotten am Leib kehrt er ein und gönnt sich etwas zu trinken. Es wird dem Leser direkt klargemacht, dass dies kein Ort ist an dem er sich normalerweise aufhält und er betrachtet seine Umgebung äußerst wachsam, aber ein klein wenig von oben herab. Auch wird angedeutet, dass er wohl Hals über Kopf fliehen musste und noch nicht wirklich weiß wohin mit sich selbst. Vom ersten Moment an fällt er auf, da er schlicht nicht zu dieser Art Schenke zu passen scheint. Das Klischee schlägt zu, er wird provoziert und sein überzogenes Ehrgefühl gepaart mit einem starken Selbstvertrauen führen dazu, dass er in ein Duell verwickelt wird. Besser gesagt Jaquento fordert seinen Kontrahenten zum Duell und sieht kurz darauf in die Mündung einer Pistole. Doch der darauf folgende Schuss trifft nicht ihn sondern seinen Gegenüber. Das ist der Auftritt der Führungsriege der 'Todsünde'. Man trinkt zusammen und Jaquento fällt benebelt vom Wein in sein Bett.
Das nächste Kapitel spielt weit entfernt von den Sturmwelten in der Nähe des Kontinents 'Corbane'. Besser gesagt in 'Thaynric'. Und bevor ich fortfahre muss ich die Geografie ein klein wenig beleuchten. Es gibt 4 wichtige Reiche. Einmal Corbane, das vergleichbar mit einer kleineren Version von Europa ist. Nur dass hier ein König alles erobert hat und allein regiert. Dann gibt es 'Thaynric' Eine Inselgruppe in der Nähe von Corbane, Vergleichbar mit einer Mischung aus Groß Britannien und Japan. Dank einer starken Seemacht und einer starken militärischen Hierarchie war  'Thaynric' bisher das einzige Land, das sich erfolgreich gegen Corbane wehren konnte. Dann gibt bzw. gab es noch das Reich der 'Hiscadi' das auf dem Papier zwar noch existiert aber von Corbane besiegt worden ist und im Grunde annektiert wurde. (Jaquento kommt ursprünglich aus 'Hiscadi'). Und dann gibt es die 'Sturmwelt', die wie bereits gesagt mit Hawaii vergleichbar ist. Massig Inseln, weit, weit entfernt von Corbane und Thaynric, mit einem Ozean zwischen sich und dem Kontinent.
In Thaynric nun lernen wir Roxanne kennen. Eine junge Offizierin, die gerade frisch befördert wurde und zum ersten Mal mit diesem Rang an Bord einer namenhaften Fregatte geht. Ziel der Mission: Handelsrouten in der Sturmwelt sichern und die ein oder andere Prise aufbringen.
Im nächsten Kapitel lernt der Leser Majagua kennen. Ein Eingeborener aus der Sturmwelt, der in einem Sklavenlager ankommt. In seinem Dorf war er der Sohn des Häuptlings, hier wird er gezwungen seinen Stolz herunterzuschlucken. Doch das Feuer, das in ihm brennt lässt sich höchstens verbergen, aber nicht auslöschen. Er ist klug genug nicht jedesmal gegen die Wärter anzugehen und weiß wann ein Kampf assichtslos ist. Deshalb versucht er seinen Hitzkpf im Zaum zu halten und stattdessen die anderen Sklaven zu mobilisieren, was sich als nicht gerade einfach herausstellt.
All dies geschah bisher zeitgleich und am selben Tag und im nächsten Kapitel geht es mit Jaquento weiter. Dieser wacht mit einem ordentlichen Kater auf und findet sich auf der 'Todsünde' wieder. Man hatte ihn wahlweise entführt oder zwangsrekrutiert. Je nachdem wen man fragt. Da er allerdings sowieso hoffnungslos gestrandet war und er wusste, dass er wahrscheinlich kaum eine Woche auf der ersten Insel überlebt hätte findet er sich ziemlich schnell mit seiner Situation ab und findet Freunde innerhalb der Crew. Auch der Kapitän zeigt von Beginn an Interesse an ihm. Natürlich entpuppt sich die 'Todsünde' als Piratenschiff und als Jaq(uento) das final bemerkt denkt er sich selbst: "Wenn ich vorher blind war, dann wollte ich es sein."
Währenddessen ist Roxanne auf dem Weg in die Sturmwelt und sie bemerkt ziemlich schnell, dass zwar alle Seemänner an Bord der Fregatte 'Mantikor' tadellos ihre Arbeit erledigen, jedoch sich keine Freundesgruppen bilden und es eine Kluft zwischen Mannschaft, Leutnants und Kapitän gibt, wobei der Kapitän von der Mannschaft verehrt und die Leutnants belächelt oder gar verachtet werden. Eine hochexplosive Stimmung ergibt sich vor allen Dingen dadurch, dass der Kapitän offen vor der Mannschaft seine Leutnants wegen Kleinigkeiten bedroht und zur Schnecke macht. Fähnriche (Offiziersanwärter meist um die 14 Jahre alt) haben es besonders schwer, da diese schon bei kleinsten Vergehen mit Prügelstrafen rechnen müssen. Über die ersten Kapitel hinweg entsteht so eine Stimmung bei der es schwer fällt sich nicht selbst bedrückt zu fühlen, sobald man in Roxannes Sichtweise geworfen wird.
Als nächstes bekommen wir Sinao vorgestellt. Sie arbeitet bei Majagua auf der Sklaveninsel als Küchensklavin. Auf den ersten Blick ist sie nichts besonderes, jedoch gerät sie Dank Majagua in einen Konflikt mit sich selbst. Sie hatte sich bereits mit dem Leben als Sklavin abgefunden, als jedoch Majagua ihr entgegenschmettert, dass sie dann bereits tot ist, gibt ihr das zu denken. Sie wirkt tatkäftig mit und verbirgt unwissentlich das ein oder andere Geheimnis.
Danach schlüpfen wir in die Rolle von Franigo, einen Dichter am Hofe des Königs der durch ein Theaterstück die Gunst des Königs erlangen will. Als Hiscadi ist er bisher ein niemand, kennt das Spiel der Politik jedoch sehr genau und beherrscht es wie kaum ein anderer. Er ist gleichzeitig ein Draufgänger und sehr kühler Rechner. Wann, wie provokant auftreten, Wann mit wem den Disput suchen, auf welche Art mit der Kleidung auffallen ohne dabei zu sehr aus der Rolle zu tanzen... Er kennt die Kniffe mit denen sich Menschen manipulieren und blenden lassen und wendet diese meist auch überaus geschickt an. Nur stolpert er doch hin und wieder über sein eigenes Ego oder seine Vergangenheit ohne dabei lächerlich zu wirken.

Und hier beende ich meine Aufzählung. Denn das reicht um zu erklären was ich an diesen Büchern am meisten Liebe: Die Charaktere und deren Vielfalt. In 3 Büchern schlüpft man in die Rolle von 7 Charakteren, die in jedem anderen Buch die alleinige Hauptperson wären. Dazu bekommt jeder dieser Charaktere Begleiter an die Hand, die richtig gute Nebenfiguren darstellen. Auch gibt es nicht den einen Bösewicht, gegen den alle vorgehen. Jeder verfolgt seine eigenen Ziele und viele haben einen Anthagonisten für sich allein. Erst gegen Ende führen die Wege langsam zusammen auf ein Ziel zu.
Gerade im ersten Teil ist der Plot noch etwas klischebehaftet, aber das legt sich spätestens im Zweiten. Zwar denkt man, dass irgendwann alle Figuren auf einen Punkt zusammen kommen und miteinander interagieren, aber selbst das ist nicht ganz der Fall. Die Welt ist sehr groß und ein Großteil des Lebens spielt sich auf See ab. Daher stoßen unterschiedliche Charakter aufeinander, nur um sich ein paar Tage später wieder voneinander zu entfernen. Manche treffen nie aufeinander, weil beispielsweise ein Charakter vorher stirbt oder ihn die Winde einfach nicht in die Nähe eines anderen Charakters führen.
Die Charaktere sind dabei vielschichtig und bieten unterinander gute und starke Kontrastpunkte. Vom Piraten zur gewissenhaften Marineoffizierin, vom Dichter zum Sklaven, von einer Magierin zum Admiral außer Dienst ist so ziemlich alles vertreten. Der Plot bleibt bis zum Schluss ziemlich vernebelt. Es geht hauptsächlich um die Fracht eines Schiffes, die einige der Charaktere aus ganz unterschiedlichen Gründen jagen. Den Sklaven geht es logischerweise um ihre Befreiung und als diese gelingt darum, dass sie Gerechtigkeit bekommen und tatsächlich in die Gesellschaft integriert werden. Der Dichter ist mit der interessanteste Charakter, weil er in die Dinge mehr hineinstolpert als tatsächlich ein Ziel zu verfolgen. Eben noch eine Art Shakespear am königlichen Hof und im nächsten Moment Staatsfeind Nr.1 wegen einiger unbedachter Verse. Jedoch ist trotzdem eine Struktur erkennbar und Jaquento und Roxanne heben sich von den anderen Charakteren deutlich genug ab um zu erkennen, dass es hauptsächlich ihre Story ist.
In diesem Buch ist tatsächlich der Weg das Ziel, denn das Ziel an sich bleibt die meiste Zeit über ein Mysterium. Jeder Charakter ist ein Puzzleteil eines großen Ganzen, das man erst am Ende wirklich überblickt. Ehre, Liebe, Pflichtgefühl, Pragmatismus und eine gewisse Hilflosigkeit spielen wunderbar Hand in Hand und sehr gerne auch gegeneinander. Der Autor mag es seine Charaktere in Situationen zu bringen, an denen sie sich entscheiden müssen auf welches Gefühl sie hören. Alle Figuren haben ein Gewissen und doch müssen sie des Öfteren dagegen entscheiden. Dadurch entstehen immer wieder spannende und lustige Momente. Aber auch genügend Twists mit denen man nicht rechnet. Bemerkenswerterweise schafft es Hardebusch seine Charaktere vom Anfang bis zum Ende sie selbst sein zu lassen. Ich hatte zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, dass er ihnen etwas aufzwingt oder eine Facette an den Charakter gepappt hat, weil es ihm gerade gefiel. Die Charaktere handeln alle auf eine Art und Weise die ich ihnen individuell abkaufen kann.

Besonderes: Christoph Hardebusch geht stark auf die Seefahrt ein und jongliert dabei gerne mit Fachbegriffen. Auch im Fechtkampf spricht er lieber von einer gelungenen Riposte, anstatt von einem Konter. Er geht ins Detail, sodass ich die Seeluft riechen kann, ohne dabei langweilig zu werden und ich habe nebenbei ein bisschen was über die Seefahrt und den Fechtkampf gelernt.

PS: So ziemlich alles was ich hier Storymäßig lose erwähne geschieht bereits im ersten Buch. Ich finde es recht schwierig auf die Handlung einzugehen, da ich sonst schnell etwas Spoilern könnte, was einem unbedarften Leser einen Twist zu früh offenbart.
« Letzte Änderung: 11 April 2017, 15:07:28 von Oflinitrium »
Die Werke die ich am meisten liebe, sind gleichzeitig die, die ich am meisten kritisiere. Im Grunde ist es so, dass eine ausführliche Kritik meinerseits auch eine Anerkennung und ein Glückwunsch ist, denn wenn es einfach nur schlecht wäre, würde ich mir gar keine Gedanken darüber machen.