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Die Erschaffung von Figuren
Uli:
Hmm ...
ich habe da einen gänzlich anderen Ansatz: Die Figur 'finde' ich einfach (und kann nicht sagen, wie das geht), und ich muss sie dann 'kennenlernen'.
Also herausfinden, wer das ist, und warum diese Figur in der Geschichte auftauchen muss.
Offenbar passiert dabei vieles sehr unbewusst: Ich bin immer wieder überrascht, was die Leutchen so offenbaren - kannst du dir nicht ausdenken, sowas.
Rein ablaufmässig: Meistens habe ich eine Stückchen Handlung, in der 'jemand' auf eine Art agiert, die mich neugierig macht. Das sind mikro-Stückchen, die mir zwar sehr schlüssig erscheinen, aber eben die Frage nach dem Warum, nach der Motivation dieser Figur aufwerfen.
Tja ... Forschung statt Konstruktion eben: Der Versuch, herauszufinden, warum jemand eine bestimmte Reaktion zeigt
Trippelschritt:
Ist bei mir ähnlich, Uli,
und das sind die besten Figuren. Leider gelingt mir das nicht bei allen.
Und ganz wichtig finde ich Deinen Hinweis auf die Motivation der Figur.
Wenn der Autor nicht versteht, was die Figur antreibt, wird er sie nicht packen können.
Liebe Grüße
Trippelschritt
Parzifal:
Vielleicht sollte man grundsätzlich mal feststellen:
- eine Figur kann von außen beschrieben werden: Größe, Figur, Kleidung, Gesicht etc.
(das kann u.U. schon eine Menge über dieselbe aussagen)
- eine Figur kann von innen her beschrieben werden: Dialoge und Handlungen.
- der dritte Punkt wäre die Entwicklung derselben innerhalb der Geschichte.
(z.B. ein erfolgloser Prota hat am Ende - nach vielen Versuchen - endlich Erfolg)
Im speziellen:
Bei mir sind die Figuren in der Grundidee schon enthalten. Wenn ich eine Idee habe, fliegen mir auch automatisch (oder so) die entsprechenden Figuren zu (zumindest in einer Grundvorstellung) Handlung und Figuren sind für mich aufs engste miteinander verbunden. Eine Figur erschaffen und ihr dann eine Geschichte auf den Leib schreiben, könnte ich nicht.
Ich überlege mir im weiteren, wo die Figur startet und wo sie enden wird. Damit wird (mehr oder weniger) auch die Gesamt-Dramaturgie der Geschichte festgelegt (Dramaturgie im Sinne von Gesamtablauf) Ich finde, dass gute Figuren immer haargenau zur Geschichte passen. Eine Figur, für sich betrachtet, kann noch so gut sein; sie muss aber nicht zwingend in den Kontext passen. Und dann ist sie eben auch nicht gut.
- Wichtig ist mMn auch die Orchestrierung der Figuren einer Geschichte. Wenn ich einen Underdog habe, sollte der Gegenpart vielleicht ein Erfolgsmensch sein. Eine dritte Figur könnte sich einem esoterischen Leben verschrieben haben etc. Insgesamt sollten sie ein gut abgestimmtes Orchester ergeben, das insgesamt Stimmigkeit aufweist. ;)
Wynn:
Die Hauptfiguren für mein momentanes Projekt habe ich nicht bewusst erschaffen, sie waren einfach da - zumindest in Grundzügen. Ich hatte ein paar Szenen im Kopf, wie sie miteinander umgehen, was sie sagen, wie sie reagieren und hab davon dann einen generellen Eindruck bekommen, wie sie sind.
Ich wollte zunächst auch gerne Dialoge schreiben, habe dann aber recht schnell gemerkt, dass mir mein männlicher Hauptcharakter in der Hinsicht ziemliche Probleme bereitet. Da er vom Anfang zum Ende der Geschichte eine starke Entwicklung durchläuft, konnte ich Anfangsszenen nicht mehr schreiben, wenn ich zu viel über spätere Szenen nachgedacht habe. Er hat dann in den frühen Szenen bereits wie sein reiferes Ich reagiert und ich habe angefangen, mir ein Charakterblatt für ihn anzulegen, um mir bewusst zu machen, warum er sich in welchen Situationen wie verhält. Die fünf Punkte, mit denen ich dabei anfange, sind Fernziel, Nahziel, Träume, Innerer Konflikt und Motivation.
Das Fernziel ist für mich etwas sehr Allgemeines wie "Freiheit", auf das der Charakter hinarbeiten, es aber nicht sofort erreichen kann. Es ist das große Ziel, das er in seinem Leben erreichen möchte.
Das Nahziel ist etwas, das ihn einen Schritt näher an sein Fernziel bringt und das er auch gleich konkret angehen kann. In meinem Fall ist das die Erfüllung eines Auftrags.
Träume sind das, was der Charakter eigentlich will und denen er sich nicht unbedingt bewusst ist. Im besten Fall stehen sie mit dem Erreichen des Fern- oder Nahziels in Konflikt, sodass er sich im Laufe der Geschichte zwischen einem von den beiden entscheiden muss.
Diese Hin- und Hergerissenheit konkretisiere ich dann bei dem Punkt "Innnerer Konflikt".
Die Motivation ist für mich das, was meinen Charakter antreibt, sein Nahziel umzusetzen.
Wichtig dabei ist, dass diese Ziele nur am Anfang der Geschichte gelten, wo der Charakter zum ersten Mal auftritt. Im Laufe der Geschichte können sich die Ziele verändern oder aktualisieren (z.B. wenn das erste Nahziel erreicht ist).
Ein ebenfalls interessanter Punkt wäre noch "Geheimnis", wo ich mir überlege, was der Charakter auf keinen Fall preis geben möchte. Denn auch das wird beeinflussen, wie sich die Figur in bestimmten Situationen verhält und da sie das Geheimnis waren möchte, birgt das auch gleich viel Konfliktpotential (was für eine Geschichte ja nie schlecht ist).
Auf eine komplette Biographie habe ich bisher verzichtet und mir stattdessen nur die wichtigsten Ereignisse notiert, die den Charakter geprägt haben und daher sein jetziges Verhalten beeinflussen.
Ansonsten habe ich natürlich noch die bekannten Punkte wie Stärken, Schwächen und Verhalten, wobei ich gerade bei letzterem immer gleich noch versuche, die darin enthaltenen Charaktermerkmale zu begründen.
Meine weibliche Protagonistin habe ich im nächsten Schritt erschaffen und, da ich es für die Geschichte brauche, ihr Fähigkeiten gegeben, die die Schwächen des männlichen ausnutzen können, gleichzeitig aber geschaut, dass die beiden in etwa gleich stark sind.
Antagonisten und Nebencharaktere entstehen auf die selbe Weise, sodass alles, was ich bisher über den Plot weiß, auf den Zielen und Motivationen der einzelnen Figuren beruht. Das wird sehr schnell sehr komplex, aber ich glaube, genau das verleiht den Charakteren dann auch die gewünschte Tiefe und macht sie nicht nur zu Statisten. :)
Liebe Grüße,
Wynn
Viskey:
Mein Erfahrungsbericht: Sie sind da oder nicht.
Ich gehe da, wie Uli, auf Forschungsreise. Mit Factsheets kann ich überhaupt nichts anfangen, die hab ich zwar, aber da stehen Dinge drauf wie: "Hat sich mit 8 mal den Arm gebrochen" - also tatsächlich nur Facts, keine Charakteristika.
Anfangen tue ich mit Figuren, die eine Art "Grundausstattung" haben, also noch sehr grob gezeichnet sind, und deswegen auch noch in gewisser Weise austauschbar. Diese Grundausstattung besteht manchmal nur aus einer unabdingbaren Eigenschaft, die meine Figur haben muss: Ein Soldat zB ist von der Grundausstattung her mal ein mutiger Mensch. Ein Mensch, der aus seiner gewohnten Umgebung gerissen wird und in einer völlig fremden Umgebung ein neues Leben aufbauen kann, muss einigermaßen pragmatisch u/o praktisch veranlagt sein und ein gewisses Durchsetzungsvermögen besitzen.
Das, was meine Figuren dann unverwechselbar und einzigartig macht, kommt erst im Laufe der Geschichte heraus. Ich gehöre deswegen auch zur Fraktion der "Anfänge-immer-wieder-neu-Schreiber". Weil die Leute nicht ganz so agieren und reagieren - und reden - wie ich weiß, dass sie eigentlich sollten, nachdem ich sie etwas genauer kennengelernt habe.
Und dann geht es auch darum, die Figuren richtig einzusetzen. Einmal war die Lösung für eine in jeder Überarbeitung missratene Szene einfach die, das handelnde Personal auszutauschen ... Plötzlich lief's ...
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