Der Satz 'der Leser will/erwartet ...' ist grundsätzlich falsch - einfach deshalb, weil es ihn nicht gibt, den 'der Leser'.
Zunächst mal sind etwas 60% 'der Leser' sowieso Leserinnen, und zudem haben ziemlich viele Leute sowas wie eine Individualität: Was der einen gefällt entlockt der anderen bestenfalls ein genervtes Aufstöhnen. Liebesschmalz mit toten Supermännern? Ja: Die Verkaufszahlen sagen, daß viele das richtig gelungen finden! Oder?
Vielleicht ist es ja die simple Sprache, die diese Bücher erfolgreich werden lässt, nicht der 'Inhalt'? oder doch eher die träumerischen Landschaftsbeschreibungen? Oder der idealisierte Blümchensex?
Selbst, wenn man ein Erfolgswerk kennt, kann man daraus kein bisschen Ableiten, was 'der Leser', 'die Leserin' will.
Man kann allerdings etwas anderes tun:
Definieren, was man selber gerne lesen würde - und wovon man glaubt, daß eine gewisse Anzahl Leute das ebenso sieht.
Es ist sicherlich ein Vorurteil (und daher böse), wenn man behauptet, romantisierende Landschaftsbeschreibungen wären ideal für verhärmte Hausfrauen, die sich gerne in ein ... hach, wie schön ... England - Landleben mit dem adligen Junggesellen nebenan hineinträumen würden, dabei eher unkomplizierte Sprache bevorzugen und ein Happy End (Hochzeit, zwei Kinder und acht Pferde) herbeisehen, aber es ist immerhin besser als die Idee, 'der Leser' wolle nie nein nichts anderes als Rosamunde P. konsumieren, und deshalb sein alles, was die genannten Faktoren nicht aufweist, falsch.
Ebenso ein Vorurteil ist es, daß alle, die Rosamunde nicht mögen (oder heftiger) stattdessen irgendwas nüchtern-sachliches oder wenigstens Shakespeare haben müssen. Die Welt ist Bunt!
Und genau dafür hat man mal 'Genres' erfunden.
Nur: Die haben sich überlebt. Weil es heutzutage Liebesschmäh im Weltraum ebenso gibt wie schwule Selbstfindung im Wildwest - das Ettikett 'Fantasy' sagt kaum noch etwas über den Inhalt, und die Einordnung 'Romanze' kann auch nicht mehr verlässiche Daten liefern.
Was bleibt, ist eben nur dies:
Eine Vorstellung davon zu haben, 'für wen man schreibt' - und herauszufinden, das diesen Leuten (der Zielgruppe) gefallen könnte.
'Der Leser' ist eine sehr sehr grobe Verallgemeinerung, ein Totschlagargument und Unsinn - was vermutlich erklärt, warum er so gerne verwendet wird. In 'die Zielgruppe' steckt Arbeit: Gedanken, die man sich gemacht hat, über sich, sein Werk und darüber warum man das so tut.
Und oft ist es erstaunlich, wer dazugehört - und wer nicht.