21 November 2024, 18:37:37

Autor Thema: Die Kreation von Momenten  (Gelesen 11098 mal)

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Chibou

  • Gast
Die Kreation von Momenten
« am: 01 September 2014, 12:59:28 »
Den Leser mitnehmen auf eine Reise, ihm die Tiefen der darstellenden Charakter zeigen ... usw.

Welche Mittel verwendet ihr dafür?
Wie geht ihr das an?
Kennt ihr Schwerpunkte, die es besonders zu beachten gibt oder vielleicht im besten Fall sogar Regeln?
Nehmt ihr manchmal für den Aufbau eines Momentes ein paar Worte mehr in Kauf oder versucht ihr eher alles kompakt und prägnant zu halten?

Ich weiß nicht genau, wie es sich mit dem Copyright verhält, aber vllt kann man ja eine kleine Sammlung an guten Beispielen erstellen?
Oder auf in diesem Bereich hervorstechende Werke verweisen, die Beispielhaft vorangehen.

Hab mir zu diesem Thema 'Die Kunst des Erzählens' bestellt (muss morgen eintreffen, danke für den Tipp, Trippel)
Allerdings lohnt es sich sicherlich auch, aus der Erfahrung anderer Teufel hier etwas zu lernen.

Was mich angeht: Hm ... ne, ein konkretes Baugerüst habe ich nicht; nur mein Bauchgefühl. Aber das ist keine Konsistenz, an der ich mich richten kann  :biggrin:

Parzifal

  • Gast
Re: Die Kreation von Momenten
« Antwort #1 am: 01 September 2014, 16:02:11 »
Ich nehme mal an, dass du mit dem Titel die Gestaltung der einzelnen Szenen, bezüglich Klarheit und Atmosphäre meinst.
Die Sprache beeinflusst den Inhalt wesentlich. Und zwar nicht nur damit, dass man Informationen in die Sätze packt. Es kommt auch darauf an, wie man die Sätze entsprechend gestaltet und wieviel nötige (oder unnötige) Worte man verwendet. Wie melodiös und rhythmisch angenehm die Sätze zu lesen sind und den Inhalt auf der emotionalen Ebene unterstützen. Beim Lesen literarischer Text ist bekanntlich auch die bildhafte, eher gefühlsbetonte Seite von uns beteiligt und will bedient werden. Ich z.B. lese einen Text, der sprachlich gut ist, immer noch gerne; auch wenn der Inhalt nicht so das gelbe vom Ei ist. Umgekehrt geht es meist nicht.

Aber mal zum Prozedere:
- Wenn man eine Idee hat und etwas schreibt, wird in der Regel erst mal drauflos geschrieben - das ist okay.
- In der Überarbeitung wird dann das Brauchbare aus den Textzeilen heraus gefiltert, in dem man alles Unnötige streicht - den Text also strafft.
- Jede sprachliche Änderung wirkt sich unmittelbar auf den Inhalt aus. Und zwar nicht so sehr auf die Informationen an sich, sondern in Bezug auf Atmosphäre und Klarheit des Inhalts.
- Ein wesentlicher Unterschied zwischen Amateur und Profitexten ist eben dieser Punkt der Straffung.
- Der schwierigste Punkt beim Prozess der Straffung ist das eigene Sprachgefühl. Was lasse ich stehen? Was muss weg? Genau darin liegt die Kunst (wie beim Film, wenn das Rohmaterial zum eigentlichen Film zusammen geschnitten wird)   

« Letzte Änderung: 01 September 2014, 20:24:43 von Parzifal »

merin

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Re: Die Kreation von Momenten
« Antwort #2 am: 01 September 2014, 19:09:00 »
Das wichtigste dabei finde ich: Den Blick lenken. Wenn ich einen Text geschrieben habe (und es nicht vergesse), dann trete ich dann einen Schritt zurück, lass abhängen und lese nochmal so, als würde ich den Text nicht kennen. Und dabei achte ich darauf, was ich (im Kopfkino) sehe, erlebe, fühle.
Ich röste zunächst immer, ohne andere Röstungen zur Kenntnis zu nehmen. Dabei ist mein Ansatz der, eine qualifizierte Lesermeinung abzugeben, Euch also zu verraten, wie der Text auf mich wirkt und wie es mir beim Lesen geht und was ich gern anders hätte.

Trippelschritt

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Re: Die Kreation von Momenten
« Antwort #3 am: 01 September 2014, 19:26:25 »
Ich habe ehrlich gesagt, keine Ahnung, was Du meinst, Chibou,
aber die Dreidimensionalität von Figuren erschaffe ich durch
a. ihre Rede (was sie mit welchen Worten sagen)
b. das, was sie tun.

Und sollte ich das richtig machen, dann bin ich erfolgreich. Es kann aber auch völlig misslingen, weil das gar nicht so einfach ist.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Wer bin ich, wer war ich, wer werde ich sein?

Chibou

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Re: Die Kreation von Momenten
« Antwort #4 am: 01 September 2014, 20:17:33 »
- Der schwierigste Punkt beim Prozess der Strafung ist das eigene Sprachgefühl. Was lasse ich stehen? Was muss weg? Genau darin liegt die Kunst (wie beim Film, wenn das Rohmaterial zum eigentlichen Film zusammen geschnitten wird)
Und genau dafür gibt es vermutlich kein Rezept, oder?  :biggrin:
Entweder ich überstrafe oft, oder es hängt alles eher schlapp.
Gibt es irgendwelche Methoden, dass Gefühl für das Verhältnis zu trainieren? Also aktiv.
(Passiv durch lesen. Aber das schlägt mir irgendwie zu langsam an ... hab seit Beginn dieses Jahres 14 Bücher gelesen. Für mich ist das echt viel ^^)

Das wichtigste dabei finde ich: Den Blick lenken.
Sehe ich auch so ... aber wie ... macht man das richtig?
Ich hoffe nicht, dass ich hier gerade nach dem 'Gral' frage  :biggrin:

b. das, was sie tun.

Und sollte ich das richtig machen, dann bin ich erfolgreich. Es kann aber auch völlig misslingen, weil das gar nicht so einfach ist.
Ich wünschte es gebe ein Beispiel, aus dem man einen Vergleich aus einer gelungenen Situation zum Gegenteil ziehen kann. Beim Zeichnen richte ich mich z.B. nach Proportions- oder Perspektivregeln. Aber gibt es so etwas auch beim Schreiben?

merin

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Re: Die Kreation von Momenten
« Antwort #5 am: 01 September 2014, 20:24:25 »
Naja Schreibratgeber die das behaupten, gibt es. Die kannst Du lesen. Ansonsten ist auch bei den virtuellen Lektüregruppe die Idee da, den Blick zu schulen. Oder den Schreibübungen. ...
Ich röste zunächst immer, ohne andere Röstungen zur Kenntnis zu nehmen. Dabei ist mein Ansatz der, eine qualifizierte Lesermeinung abzugeben, Euch also zu verraten, wie der Text auf mich wirkt und wie es mir beim Lesen geht und was ich gern anders hätte.

Trippelschritt

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Re: Die Kreation von Momenten
« Antwort #6 am: 02 September 2014, 07:05:16 »
In der Tat gehört das Kürzen oder Straffen zu den wichtigsten Punkten eines gekonnten Schreibens.
Glücklicherweise ist es realtiv einfach zu üben. Am besten geht es bei Kurzgeschichten.
Du musst es nur tun.

Schreibe eine Kurzgeschichte - oder viele.
Dann such Dir eine aus, die Dir gefällt.
Und dann kürze sie um 10%
Und beobachte, was sich verändert hat.

Die ersten zehn Prozent schafft man häufig noch durch das Herausschneiden unwichtiger Worte.
Für die zweiten zehn Prozent müssen es bereits ganze Sätze und zum Teil auch Beobachtungen oder sonst etwas sein. Das macht man so ein oder zwei Mal. Und dann weißc man bereits, was wichtig ist und was nicht.

Ich muss aber zugeben, dass ich es bei meinen Romanen nur selten mache.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Wer bin ich, wer war ich, wer werde ich sein?

Parzifal

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Re: Die Kreation von Momenten
« Antwort #7 am: 02 September 2014, 10:47:35 »
Hallo,

sehr zu empfehlen als Lektüre (in diesem Zusammenhang) ist das Buch "Über das Schreiben" von Sol Stein (Kapitel 32 "Überarbeitung in der Belletristik" - ab Seite 391) Ich möchte hier mal die einleitenden Worte als Zitat wiedergeben:

Sol Stein:
Zitat
An seiner Einstellung zur Revision eines Textes (Überarbeitung) kann man den echten Schriftsteller vom Möchtegernautor unterscheiden. Ein guter Autor, ob Amateur oder Profi, empfindet die Überarbeitung seines Textes als willkommene Gelegenheit, Worte, Sätze, Absätze und ganze Kapitel zu streichen, die nicht den gewünschten Effekt haben, und andere, gelungenere noch zu verbessern. So mancher Möchtegernautor hält das Geschriebene wohl für unauslöschlich, solbald er es erst einmal zu Papier gebracht hat.

Das ist auch interessant (Zitat Sol Stein):
Zitat
Hemingway hat es kurz und bündig auf den Punkt gebracht: "Der erste Entwurf ist immer Mist." Judith Applebaum zufolge sagte Hemingway mal in einem Interview: "Ich habe den Schluß von In einem anderen Land neununddreißig Mal umgeschrieben., bevor ich zufrieden war." Auf die Frage, was sein Problem dabei gewesen sei, antwortete er: "Die Worte richtig zu setzen."

Noch ein Absatz aus diesem Kapitel (Sol Stein):
Zitat
Mir ist nie ein Autor begegnet, der im ersten Anlauf ein perfektes Manuskript zustande gebracht hätte. Vielmehr wimmelt es in den Erstentwürfen der meisten Autoren von sprachlichen Fehlgriffen und stilistischen Peinlichkeiten im Vergleich zu der Version, die schließlich in den Druck geht. Diese Autoren wissen, dass im Umschreiben die wahre Kunst des Schreibens liegt.

Hochinteressant (in dem Zusammenhang), was da noch alles in diesem Kapitel steht.  ;)
« Letzte Änderung: 02 September 2014, 13:43:02 von Parzifal »

merin

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Re: Die Kreation von Momenten
« Antwort #8 am: 02 September 2014, 19:56:25 »
Danke ihr beiden. Spannend, auf wie viele Arten man an ein Thema gehen kann. Was ich immer Kürze beim Überarbeiten....
Ich röste zunächst immer, ohne andere Röstungen zur Kenntnis zu nehmen. Dabei ist mein Ansatz der, eine qualifizierte Lesermeinung abzugeben, Euch also zu verraten, wie der Text auf mich wirkt und wie es mir beim Lesen geht und was ich gern anders hätte.

Chibou

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Re: Die Kreation von Momenten
« Antwort #9 am: 02 September 2014, 20:11:50 »
@ Trippel
Ich habe noch nie eine Kurzgeschichte geschrieben! Jetzt wird's aber mal wirklich Zeit  :biggrin:

@ Parzifal
Davon kann ich ein Lied singen. Hab bestimmt schon mehr als tausend Seiten ... digital verbrannt. Jap. Ich hab in meinem Leben Dinge geschrieben, die ... ja  ::) so 'Dinge' halt. Nennen wir es 'Es' ^^

Und! Die Kunst des Erzählens ist eingetroffen  :cheer:
Und ich bin mir so ziemlich sicher, dass ich das sehr nötig hatte. Bin schon bei der Hälfte, also es wird aufjdenfall etwas sein, dass ich mehrmals lesen muss/ werde.

Ich werde noch eine Liste daraus mit Faktoren erstellen, die für mir sehr wichtig erscheinen beim 'kreieren' und sie hier posten, auch um etwas zu verdeutlichen, worums mir geht ^^  :)

Chibou

  • Gast
Re: Die Kreation von Momenten
« Antwort #10 am: 02 September 2014, 22:27:10 »
Einige meiner Notizen aus 'Die Kunst des Erzählens' von James Wood.

Zitat von ihm:
Zitat
Wenn ich von erlebter Rede spreche, spreche ich eigentlich von Perspektive und bei Perspektive eigentlich über die Wahrnehmung von Details und bei Details eigentlich über Figuren, und spreche ich über Figuren, dann spreche ich eigentlich über die Wirklichkeit, welche meine Erkundungen zugrunde liegt.
Ich finde das sagt wunderbar etwas über die Mittel und deren ineinandergreifen aus.

Im ersten Kapitel 'vom Erzählen' widmet er sich (aus Sicht der dritten Person) sagen wir mal den zwei Blickwinkeln, aus denen man als Autor ein Ereignis schildert.
Zitat
Wirken die Worte der Figur stimmig, oder klingt sie eher nach dem Autor?
Eine gute Frage (die ich mir zumindest noch nie gestellt habe.)

Das wird von der erlebten Rede mitbestimmt; sein Beispiel dazu:
Zitat
Ted verfolgt das Orchesterspiel mit lächerlichen Tränen in den Augen.
Laut seiner These funktioniert der Satz auch ohne 'lächerliche' – doch damit entfällt das charakterisierende an der Figur und nur der Autor ist zu hören. (Er schreibt auch, dass man es kaum merklich einsetzen sollte; also vermutlich sparsam.)

In einem etwas längeren Beispiel wird der Zoom zu einer Person hin und weg, zurück zum Autor dargestellt. Dabei geht es besonders um das Miterleben von Gefühlen. Wood hebt ein Wort entschieden hervor, das besonders die Empfindungen der Figur wiedergibt; ein Adjektiv. Für mich eine Bestätigung davon, dass der sparsame Gebrauch einen größeren Effekt erzielt.

Was mich an diesem Kapitel am meisten Neugierig gemacht hat, ist die 'deskriptive Pause'.
(Für mich ein weiteres Beispiel zum zoomen.)
Woods Beispiel aus 'Das Geschäft des Lebens' von Soul Bellow
Zitat
Eine lange, ebenmäßige Aschenkuppe bildete sich am Ende der Zigarre, der weiße Geist des Blattes mit all seinen Adern und seinem geschwächten Aroma. Sie wurde in ihrer Schönheit von dem Mann nicht beachtet. Denn sie war schön. Aber er beachtete auch Willhelm nicht.“
Das Tempo wird verlangsamt, um die Aufmerksamkeit des Lesers auf etwas zu richten.
Das wiederum erzeugt eine melodische Sequenz.
Für mich, die Momente eher mit dem Pinsel festhält, als mit Worten, ist diese deskriptive Pause so etwas wie ein Kontrast. Es gibt viele Arten von Kontrasten. Aber dieser hier ist für mich hell-dunkel; einer der wichtigsten.
Ich würde allzu gerne lernen, damit zu arbeiten …
Weil … ich finde neben der Handlung (in der es natürlich viele Momente gibt) muss es eine Hierarchie aus starken und 'normalen' Momenten geben; sonst wird das ein Einheitsbrei. Und diese 'starken' Momente braucht man mMn nach vor allem wenn man z.B. eine neue Figur einbringt; es wirkt dadurch einprägsamer.

Schön und gut in der Theorie … was die Umsetzung betrifft, suche ich noch nach Übungsmethoden oder überlege mir welche.

Ich weiß nicht, ob ihr damit etwas anfangen könnt.  :dontknow:
Hoffe aber, ihr könnt es.  :)

Also, für meine Liste: 'deskriptive Pause' einbauen und (sparsam) passende (starke, aussagekräftige oder auch abschwächende, je wie man es braucht) Adjektive finden.

(in den weiteren Kapiteln kommt modernes Erzählen und was übers flanieren … )
« Letzte Änderung: 02 September 2014, 22:28:50 von Chibou »

Trippelschritt

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Re: Die Kreation von Momenten
« Antwort #11 am: 03 September 2014, 07:25:18 »
Dazu nur zwei kurze Anmerkungen.

Danke, dass Du so viele gute Beispiele hier vorgestellt hast. Ich bin meistens zu faul dazu. Aber jetzt wird vielleicht auch klar, warum Wood kein Schreibratgeber für einen Anfänger ist.

Und das Zweite: Um mit der deskriptiven Pause zu arbeiten - ein Stilmittel, das ich gerne verwende - muss man erst wissen, warum und an welcher stelle man es einsetzt, womit ich wieder bei meinem Hobbythema bin, der Funktion von Szenen und Absätzen.
Wer bin ich, wer war ich, wer werde ich sein?

Chibou

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Re: Die Kreation von Momenten
« Antwort #12 am: 04 September 2014, 11:20:37 »
Aber jetzt wird vielleicht auch klar, warum Wood kein Schreibratgeber für einen Anfänger ist.
Ja ... ich hab auch ziemlich überstürzt Sturmgelesen ... nun gehe ich erst mal zurück und mache es langsam, lasse es sacken und wirken. Sonst wird der Lerneffekt vermutlich gleich Null sein ^^

Zitat
Und das Zweite: Um mit der deskriptiven Pause zu arbeiten - ein Stilmittel, das ich gerne verwende - muss man erst wissen, warum und an welcher stelle man es einsetzt, womit ich wieder bei meinem Hobbythema bin, der Funktion von Szenen und Absätzen.
Ich schätze, um das beurteilen zu können, bracht es Erfahrung. Fingerspitzengefühl. Und Erfahrung ...  :biggrin:

Das passt doch auch zu dem Thema: Funktion von Szenen und Absätzen. Und die Zielgerichtete Anwendung. ^^