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VL2: Diskussion zur Harry Potter-Reihe
Mooncat:
Hallo
Es ist unheimlich schwer, Band 1 ohne Blick auf die ganze Reihe zu diskutieren, v.a. wenn einem Dinge auffallen, die eigentlich für das ganze Buch wenn nicht die ganze Reihe auffallen.
Hier ist der Platz, wo Ihr Euch mit diesen Sachen austoben könnt.
Viel Spass!
Mooncat
Mooncat:
Hach, ich hätte gleich mehrere Punkte und weiss gar nicht, wo ich anfangen soll. Beim Klischee? Beim Abklatsch von HdR? Beim Einzigartigen? Bei der Frauenrolle in HP? Oder allem zusammen?
Nun, alles zusammen ist wohl zu chaotisch. Also fange ich mal mit was an, das aktuell grad auch zur Diskussion des Stellenwerts der Idee in einer Geschichte passt.
Denn HP ist in meinen Augen ein wunderbares Beispiel dafür, wie altbekannte Ideen wieder aufgegriffen, angepasst, neu interpretiert und in ein wunderschön eingewickeltes neues Paket transformiert werden.
Seien wir ehrlich, kaum etwas aus HP ist unbedingt neu. Trennung Magie-Menschenwelt - nichts neues. Zauberlehrling/Zauberschule - nichts neues. Kampf der wenigen Gerechten in massiver Unterzahl gegen die Bösen allgemein und den fiesen, unbesiegbaren Oberbösen? So was von nicht neu. Dementoren, Todesesser, schwarze Magier? Nicht neu. Das bestehen von Aufgaben, die such nach verschwundenen Personen/Artefakten, das Buch, das dich in Deine Welt zieht, Misstrauen, Verrat, alle Nahestehenden des Helden, die in Gefahr geraten oder sterben und die daraus resultierende Bürde und Zerknirschtheit und Selbstvorwürfe des Helden - alles schon gehabt. Und, definitiv auch meistens beste Klischeevorlagen.
Und doch ist HP nicht etwa nie publiziert worden weil eben alles bekannt und abgekupfert schein auf den ersten Blick. Im Gegenteil, HP entwickelt sich nicht nur zum Kult, es wird zum Inbegriff des Zauberschülers an dem kein künftiger Autor mehr vorbei kommen wird. Nicht ohne Vergleich oder Referenz, die es zu geben oder zu vermeiden gilt.
Warum? Weil zwar kaum etwas neu ist - aber in einzigartiger Weise zusammengestellt und transformiert und mit so vielen genialen kleinen Details versehen wurde, was die HP-Welt reich und zauberhaft und - eben - doch einzigartig macht. Erstens verfrachtet JKR all die Stoffe in ein Kinderbuch. Dadurch kann sie vielen Kritikern entgehen und den vielen Klischees sogar etwas Legalität verschaffen. Ich bin überzeugt, HP hätte nie diesen wahnsinnigen Durchbruch geschafft, wäre das alles in der Erwachsenenwelt angesiedelt. Die starke Unterteilung der meisten Charaktere in Gut und Böse, die totale Überzeichnung vieler Charaktere, fast schon hin zum Inbegriff des Klischees - hätten wir ihr das verziehen, wenn Harry in den Zwanzigern/Dreissigern gewesen wäre?
Ausserdem kann sie uns so auf fast schon kindliche Weise in die Magiewelt einführen, die - aus den Augen eines einsamen, unglücklichen kleinen Jungens - natürlich umso umwerfender, magischer, zauberhafter und gut erscheint. Was bleibt uns anderes übrig, als uns in diese Welt zu verlieben, bevor uns bewusst wird, welche Gefahren auch in dieser Welt lauern? Bis wir das begreifen ist es viel zu spät und wir sind schon zu verzaubert, um uns da noch von Harrys Geschichte abwenden zu können.
Tja, und dann hat sie das Ganze mit ein paar genialen Ideen gewürzt: zum Beispiel all die Bezeichnungen: oftmals so simpel, aber unglaublich einprägsam: Muggle, Dementoren, die Pflanzenlehrmeisterin die Sprout heisst, der Heuler, the whumping willow, der Verräter, der sich als Ratte tarnt, die Uhr, die den Standort aller Familienmitglieder anzeigt - und, und, und ... Ich denke hier v.a. Dingen liegt das Neue, was HP abhebt und - neu - macht.
Gedanken? Meinungen?
Trippelschritt:
Ja,
in fast allen Punkten Deiner Meinung, nur die Klischees sind für mich nicht deutlich zu fnden.
Für mich sind das meiste Archetypen.
Das ist mehr als nur ein marginaler Unterschied, denn ein autor muss mit Klischees ganz anders um gehen als mit Archetypen.
Higt für HdR ebenso wie für HP.
Liebe Grüße
Trippelschritt
Fabian:
Mooncat, vor deiner Eloge sitze ich und bin ganz baff. Hier schrieb ein wahrer Fan und ließ sich von der eigenen Begeisterung mitreißen.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich noch weiß, was mich am ersten Band als Leser gefesselt hat (ich habe ihn nicht mit "Autorenblick" gelesen).
Im nachhinein betrachtet glaube ich, es war das Oberthema Familie, Freundschaft, heile Welt, das in diesem ersten Band im Mittelpunkt stand, nicht das Feuerwerk an Ideen, auf das du anspielst. Ohne die wäre zwar alles ziemlich langweilig gewesen, nicht so bunt und kindgerecht(?) serviert, aber das war meiner Meinung nach nur der Zuckerguss. Hogwarths als heile Welt, in der selbst der in Hausgemeinschaften organisierte Konkurrenzkampf noch edel und ritterlich erscheint - in Kenntnis der ganzen Geschichte sehe ich das jetzt als ebenso naiv wie verführerisch gekonnt ausgemalte Grundidee an, und diesem heimlichen Sog, den JKR mit dieser Idylle inszeniert, habe ich mich damals auch gerne hingegeben, zumal ja in den Fortsetzungen die Entwicklung zu differenzierteren Verhältnissen angelegt schien.
Wenn ich mal ein wenig melodramatisch werden darf: es ist doch anrührend zu lesen, wie JKR ihre Hauptfigur beschützt, wie eine Mutter ihr eigenes Kind: er leidet unter dem Verlust seiner Eltern, er leidet unter den Verhältnissen bei den Dursley, aber dieses Leiden geht bei ihm (und ein wenig auch bei uns) nicht unter die Haut. Sie schreibt ihn als eine Figur, die unter diesem Leiden nicht deformiert wird, die nicht hasserfüllt zurückschnappt, und sie belohnt ihn wie versprochen: er kommt physisch und psychisch heil an in seiner eigentlichen Heimat, in Hogwarths heiler Welt und dort hält sie dann Freunde und all die Aufgaben und Abenteuer für ihn bereit, die ihn nicht überfordern und an denen er wachsen kann - so wie es Kinder sicher überall gerne tun würden.
Das ist nach meinem Empfinden die Grundanlage der Geschichte. Diese Grundidee zumindest ist beruhigend traditionell und konservativ, verspricht Sicherheit und stellt sie nicht in Frage und wird auch sehr konsequent durchgehalten.
Auf dieser Ebene zumindest wollte JKR offensichtlich nicht den sicheren Boden des Guten, Wahren und Schönen verlassen und auf Teufel komm raus innovativ oder gar komplex werden (das rechne ich ihr hoch an), stattdessen schuf sie drum herum ein liebevoll ausstaffiertes Zauberreich aus mehr oder weniger skurrilen Details.
Mooncat:
@Fabian
Na ja, ein wahrer Fan ... Ich mag die Serie, ohne Zweifel. Ein glühender Fan bin ich eher weniger, dafür ist mir insgesamt zu viel 'falsch' gelaufen - für mein Empfinden. Harry selbst ist mir z.B. zwar sympathisch und er hat einige sehr guten Seiten - aber in weiten Stellen geht er mir auch furchtbar auf die Nerven.
Auch, nicht zu vergessen, ich habe den Film zuerst gesehen, ohne das Buch zu kennen, und die Bilder des Films, die bildliche Darstellung der Einführung der Zuschauers in die Welt der Magie und dann Hogwarts, ist das, was mich an HP am meisten fasziniert hat. Erst danach hab ich die Bücher gelesen und auch dort v.a. all die kleinen Details geliebt. Aber ich mag eben gerade diese kleinen Details, es sind oft die, die mich - neben einer guten Story - faszinieren und begeistern und ich kann hier vor JKR in der Tat nur den Hut ziehen.
--- Zitat ---es ist doch anrührend zu lesen, wie JKR ihre Hauptfigur beschützt, wie eine Mutter ihr eigenes Kind: er leidet unter dem Verlust seiner Eltern, er leidet unter den Verhältnissen bei den Dursley, aber dieses Leiden geht bei ihm (und ein wenig auch bei uns) nicht unter die Haut.
--- Ende Zitat ---
Hmm, das finde ich z.B. gar nicht. Denn wenn sie ihn so beschützen würde, würde sie nicht Sirius umbringen. Und Dumbledore. Die beiden sind für ihn fixe und v.a. sehr wichtige Bezugspersonen, gerade unter den Erwachsenen. Mit Sirius findet er endlich eine Familie, jemanden, der ihn lieben wird wie einen Vater, ihm ein richtiges Zuhause geben wird - und dann tötet sie ihn, so sinnlos obendrein? Nachdem er doch sowieso schon das arme Waisenkind ist? Auch Dumbledore, sein Mentor aber, denke ich, auch eine Art schrullige Grossvaterfigur in seinem Leben - nimmt sie ihm weg, und das auch noch auf diese spezielle Art, wo Snape (schon wieder!!!!) als der Böse dargestellt wird, nur um später dann einmal mehr zu erfahren, dass doch alles nur eine Scharade war. Also nicht Dumbledores Tod, aber Snape, der böse sein soll, zum x-ten Male. Warum? Logisch, vieles der Tragik rund um Harry ginge dann verloren und all die Selbstvorwürfe und die bittere Verzweiflung und Resignation aber auch Hass in den folgenden Bänden. Dass einer der beiden stirbt, okay, aber grad beide? Nicht zu vergessen, dass da ja auch noch Colin ist, für dessen Tod er sich schon verantwortlich fühlt und im letzten fallen eh noch etliche Freunde wie die Fliegen.
--- Zitat ---er kommt physisch und psychisch heil an in seiner eigentlichen Heimat, in Hogwarths heiler Welt
--- Ende Zitat ---
Hmm, meinst du jetzt bezogen auf den ersten Band oder die ganze Reihe? Was den ersten Band angeht, ja, stimmt, das ist Teil der Sogkraft des ersten Bandes, denke ich, wie der Leser da reingezogen wird in diese Welt - und diese Reihe. Bezogen auf die Serie - und mit diesem furchtbaren letzten Kapitel macht sie ja leider genau das - ist das einer der Punkte, die die Serie für mich etwas vermiest hat. Ich gönne Harry schon das Happy End. Wir haben in den 7 Bänden weiss Gott genug Rückschläge einstecken müssen. Aber dieses endgültige, ultra-kitschige und obersüsse heile-Welt-Ende, nach all den Qualen und Torturen der letzten sieben Jahre ... Ne. Das ist nicht der Schluss, den ich mir nach dem ersten Band für Harry und Co gewünscht hätte - und schon gar nicht nach den 7 Bänden.
@ Trippelschritt
--- Zitat ---Das ist mehr als nur ein marginaler Unterschied, denn ein autor muss mit Klischees ganz anders um gehen als mit Archetypen.
--- Ende Zitat ---
Interessant. Für mich: Harry als ungeliebter Waisenjunge und gequälter Held wäre der Archetyp - aber die Menge an Leid und Tortur und Schikanie, die ihm wiederfährt, gerade und v.a. Dingen bei den Dursleys, dass ist für mich dann schon der Fall ins Klischee des eben armen, geqüalten Heldens. Was ich im Ganzen gesehen nicht so schlimm finde, etwas Klischee tut vielen Geschichten ganz gut und das ist auch so hier. Was aber nicht heisst, dass es Szenen gibt, wo es mir zu viel wird.
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