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VL2: J.K. Rowling; Harry Potter Bd.1 - Kapitel 3
Trippelschritt:
Ich habe so meine Schwierigkeiten mit dem Begriff Slapstick.
Zunächst einmal, weil dieser Begriff in der Literatur eigentlich
nichts zu suchen hat und eine eigenart des Schauspiels ist,
und zum anderen, weil ja alle Figuren unbestritten schon seit
Kapitel 1 überzeichnet sind, Überzeichnungen aber keinen
Slapstick ausmachen.
Für mich ist Vernon in erster Linie furchteinflößend und erst in zweiter Linie
unfreiwillig komisch.
Ich stimme Dir aber gerne zu, wenn Du in Kapitel 3 auch die Komik wiederfindest.
Liebe Grüße
Trippelschritt
Fabian:
--- Zitat von: Trippelschritt am 05 September 2014, 21:26:43 ---Ich habe so meine Schwierigkeiten mit dem Begriff Slapstick. ... Ich stimme Dir aber gerne zu, wenn Du in Kapitel 3 auch die Komik wiederfindest.
--- Ende Zitat ---
Lieber trippel,
ich finde nicht nur „auch“ die Komik wieder in K 3, für mich ist sie in der Tat das wesentliche Element in diesem Kapitel. Und zwar eine bestimmte Art von Komik, für die mir der Begriff „Slapstick“ durchaus passend erscheint. Ich will mich aber um den Begriff nicht streiten, ich hatte ihn eher intuitiv-vergleichend gewählt, nicht, weil er im analytisch-kategorialen Sinne das Kapitel erklärt. Dass er in literaturbezogenen Debatten „eigentlich“ (?) nichts zu suchen hätte bezweifle ich (vgl hier) - aber geschenkt, es wäre ein Streit um Kaisers Bart.
Auch werden in diesem Kapitel die Figuren nicht bloß weiter „überzeichnet“, vielmehr bedient sich JKR hier einer spezifischen Art der Überzeichnung. Wenn wir uns die mal etwas genauer anschauen finden wir im wesentlichen: einen auf 12 von 16 Seiten fast linear durcherzählten Handlungsstrang, in dem zwei Kontrahenten - Onkel Vernon und der unbekannte Absender der Briefe - sich eine absurde Schlacht um die Zustellung eines Briefes liefern. In diesem Kampf sind die Rollen klar verteilt, der unsichtbare Absender entpuppt sich als in jeder Hinsicht überlegen, und provoziert Onkel Vernon zu immer absurderen, verzweifelt ungeschickten Versuchen, die Zustellung zu verhindern. Das inszeniert JKR eben nicht als Psychodrama eines „furchteinflößenden“ Vernon, auch nicht als Tragödie des verzweifelt scheiternden, nein, sie inszeniert diesen Kampf als Komödie, und zwar nicht im Kleid eines geschliffenen Parlandos, vielmehr als deftiges Action-Spektakel. Das Spiel läuft ab wie eine Schlacht zwischen Tom & Jerry oder dem Roadrunner & Will E Coyote, bis in die lautmalerische Typografie hinein (ICH WILL MEINEN BRIEF - RUHE - AAAAAUUUUUH - RAUS - BUMM, BUMM.), d.h. ohne tieferes Psychologisieren, vielmehr körper- und gegenstandsbetont, action-lastig. Es ist die Situationskomik des Slapstick-Kinos, die hier erzählerisch in Szene gesetzt wird.
Eine Stelle gibt es allerdings, in der fügt JKR - für mich - der Figur Onkel Vernons ganz am Rande des Klamauks noch eine Facette hinzu, die man zwar erwarten konnte, die JKR aber so ganz nebenbei und ohne sie eigentlich in Worte zu fassen zeigt: zum autoritären, engstirnigen und despotischen Kleinbürger Vernon gehört auch der Opportunist, der - wenn er sich bedrängt fühlt - nach oben buckelt und nach unten tritt und hier mir nichts dir nichts schnell auch mal eben seinen heissgeliebten Sprössling Dudley verrät (weg ist das 2. Zimmer!).
Trippelschritt:
Dem kann ich mich anschließen.
Liebe Grüße
Trippelschritt
merin:
Ich auch.
Ich liebe dieses Kapitel. Und zwar deshalb, weil, anders als im vorigen Kapitel, deutlich wird, dass JKL den Text nicht ernst nimmt. Hier kommt Humor ins Spiel, der sich für mich an Kleinigkeiten wie dem halben Bart Vernons, festmacht. Sie spitzt auf absurde Weise zu - und plötzlich werden Dudley und Harry Leidensgenossen. Man hat die Ahnung, dass sie sich zusammentun würden, wenn es lange so ginge.
Ich mag es auch, dass die Hilflosigkeit der Dursleys gezeigt wird. Und dass es wirklich spannend ist. Ich will nun endlich wissen, wie Harry zu seinem Brief kommt. Das ist mir viel wichtiger, als die Frage, was drin steht.
Trotzdem fallen mir die Logikfehler auf: Wenn die Briefe nicht per Post kommen und fliegen können - warum fliegen sie dann nicht durch Harrys Fenster, sobald er eins hat? Und wieso nun lehnen die Dursleys die Briefe so ab? Aber ich nehme JKL das nicht übel, weil der Text so vergnüglich ist.
Spannend finde ich die Frage, warum Harry an dieser Stelle ein eigenes Zimmer bekommt. Meine Interpretation ist, dass die Adresse auf dem ersten Brief Vernon deutlich macht, wie schäbig er den Jungen behandelt hat: Obwohl es zwei eigentlich freie Zimmer gibt, hat Harry keines erhalten. Und er will nicht als schäbig dastehen und gibt Harry daher ein "ordentliches" Zimmer. Nur: Wieso macht er das erst jetzt? Ich denke: Er hat Angst, weil er um die Macht der Briefeschreiber weiß. Und weil er weiß, dass sie wissen, was er tut.
PS: Mooncat wie kommst Du auf den Leuchtturm?
Ryek Darkener:
Ich denke, bei solchen Szenen ist nicht mehr unterscheidbar, was sich die Autorin im Detail gedacht hat und wo das Kopfkino angesprungen ist. Die Szene entwickelt ein Eigenleben, abhängig davon wie der Leser gestrickt ist, ohne dabei die Handlung zu verlassen.
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