Das Kapitel "Die Mission" setzt das fort, was in "Zwei Orden" begann. Im Zentrum des Kapitels steht die Beziehung zwischen Knecht und Bruder Jakobus. Mehr noch als im vorherigen Kapitel wird deutlich, wie sehr Jakobus an der Formung des Weltbildes beteiligt ist, das den jetzt nicht mehr jugendlichen Knecht prägt.
Das Kapitel beginnt aber zunächst damit, dass Knecht in die Heimat abberufen wird. Was ihm als Urlaub angekündigt wird, dient jedoch überwiegend anderen Zwecken. Er wird "mit der gesamten Ordensbehörde und mit der Mehrzahl der Magister bekannt" gemacht. Er erfährt, dass es bei seiner Entsendung darum ging, die Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und Kastalien zu vertiefen und schließlich vielleicht zu einer Ständigen Vertretung im Vatikan zu kommen. Hierfür soll Knecht die Unterstützung des Pater Jakobus erringen. Knecht nimmt den Auftrag an, erbittet sich aber eine Zusage, nicht nach Rom gehen zu müssen. Hiermit folgt er dem Rat seines Mentors, der ihn vorwarnte:"ich glaube man will dich einfangen. Wehre dich, du hast das Recht dazu." Somit stellen sowohl Knecht als auch der Musikmeister die in Kastalien vorherrschene These in Frage, dass die Oberen des Ordens besser entscheiden könnten, an welchem Platz jemand eingesetzt wird, als der Betreffende selbst.
Auf den ersten Blick spielt Jakobus die Rolle des Plinio: ein Vertreter der Außenwelt, gegen den Knecht die kastalische Lebensweise verteidigen muss. Und doch ist alles ganz anders. Anstelle öffentlicher Streitgespräche zwischen Schülern mit rein angelesenem Wissen haben wir hier jemanden, den Knecht - mit der Zeit mehr und mehr - bewundert. Hier geht es nicht darum, in einem Streit zu gewinnen, sondern dem Gegenüber die eigenen Überzeugungen und Lebensweisen näherzubringen, um dadurch ein besseres gegenseitiges Verständnis zu erreichen. Oft spricht Jakobus Dinge aus, die auch ich als Leser ähnlich empfunden habe,. z.B. : "ihr messet das Gewicht der Vokale in einem alten Gedicht und setzt seine Formel zu der Planetenbahn in Beziehung. Das ist entzückend, aber es ist ein Spiel" oder "Ihr kennt ihn nicht, den Menschen .. Ihr kennt bloß den Kastalier, ... einen aparten Züchtungsversuch". Widerlegt wird keine dieser Äußerungen. Aber da die wachsende Sympathie Jakobus' für die "kastalische Lebensart" so weit geht, dass er schließlich sogar als Freund des Glasperlenspiels bezeichnet wird, scheint ihn Knecht wohl irgendwie umgestimmt zu haben - wenn nicht mit Argumenten, dann vielleicht durch sein Charisma? Jedenfalls schmälert Jakobus' Begegnung mit Tegularius, der hier als Musterbeispiel jenes überzüchteten Kastaliers auftritt, nicht dessen Wohlwollen für Knecht und Kastalien. Knecht ist aber von Jakobus ähnlich beeindruckt wie umgekehrt. In einem Brief an Ferromonte schreibt er, die Zeit im Kloster habe seinen Horizont erweitert. Dazu trägt sicher auch bei, dass Jakobus eben nicht nur ein Gelehrter, sondern "ein Erlebender und Mitschaffender" ist: "er war am Geschehen seiner Zeit mittätig, mitschuldig und mitverantwortlich".
Wir haben hier nach wie vor eine Erzählweise, die alle Möglichkeiten eines auktorialen Erzählers voll ausschöpft. Mal wendet sich der fiktive Autor direkt an den Leser und reflektiert auf einer Meta-Ebene über das Unterfangen, diese Biografie zu schreiben, dann ist er wieder in Knechts Kopf, um uns seine Gedanken mitzuteilen. Oder er erläutert uns in einem Exkurs die Unterschiede zweier Spielmethoden im Glasperlenspiel.
Beispiele für die kuriosen Wissensgebiete, mit denen man sich in Kastalien zu beschäftigten pflegt, finden sich hier auch wieder. Mir gefiel "die alchemistische Bedeutung der Tierkreiszeichen" besonders, weil es so schön zwei gleichsam "unverzichtbare Wissenschaften" verknüpft.
Erwähnenswert ist vielleicht noch, dass hier ausgerechnet die Katholische Kirche neben den Kastaliern als Hort der Wissenschaften gefeiert wird. Ironie? Ein Hinweis darauf, dass die kastalische Wissenschaftsliebe sich ebenso andern Idealen unterordnen muss, wie dies in der Kirche der Fall ist?
edit: Kaputten Satz repariert