Der Roman beginnt mit einem kurzen lateinischen (?) Text, der dann ins Deutsche übersetzt wird und der mir zunächst völlig unverständlich erscheint. Ich werde versuchen, ob es mir nach dem Lesen der Einleitung anders geht damit...
Darauf folgt eine Einleitung, die fast wissenschaftlich anmutet und mir Wichtiges nahebringt nämlich
a) den Protagonist
b) das Setting und dessen zentrales Element: Das titelgebende Glasperlenspiel.
Für mich ist dabei der Grundkonflikt der, dass es um ein Kunstwerk (einen Roman) geht, in dessen Zentrum ein Individuum steht und das dieser Roman aber in einer fiktiven Welt entstanden ist, in der es weder Kunstwerke noch Individuen gibt. Es ergibt sich das Paradoxon eines Kunstwerks mit Prota, in einer Welt, in der weder Kunstwerke noch Protas existieren. Und das ist dann noch einmnal gebrochen dadurch, dass unsere reale Welt (also sowohl die, in der Hesse das schrieb, als auch die, in der ich das jetzt lese) sich nicht vorstellen kann, dass es weder Kunstwerke, noch Individuen gibt.
Somit macht die Einleitung mich als Leserin zwar mit Setting und Prota vertraut, sie macht aber vor allem ein philosophisches Feld auf, dessen zentrale Frage für mich als Spannungselement wirkt: Wie kann ich mir eine Welt denken, die Individualität und individuelles Kunstschaffen überwunden hat und in der Kunst (nämlich in Form des Glasperlenspiels) kollektiv erschaffen wird? Und wie geht es den individuellen Menschen in so einer Welt?
Spannend daran finde ich, dass die Spannung auf ganz untypische Art geschaffen wird. In den meisten Büchern passiert das über Identifizierung mit einem Prota. Aber von diesem erfahre ich in diesen 60 Seiten nichts, außer seinem Namen und seiner Funktion. Es gibt keinen Identifizierungsrahmen. Es gibt nur eine philosophisch anmutende Neugier. Ich finde, dass Hesse diese Neugier geschickt immer wieder füttert. So enthält die Einleitung die Information, dass sie in der Zukunft geschrieben worden sei, im Jahr 2400, und zurückblicke auf das, was wir heute Jetzt nennen. Und einige dieser Betrachtungen lassen uns schmunzeln, weil sie das als absurd benennen, was für uns normal ist: das Zeitungswesen z.B., von dem Hesse asl Autor auch ein Teil gewesen sein mag.
Und dann gibt es immer wieder Futter der Neugier, weil das Glasperlenspiel als etwas eingeführt wird, das auch für uns interessant und bereichernd wäre, würden wir es kennen und verstehen:
- es ist universal
- es beinhaltet alle Sprache, alle Theorie, alles Wissen
- es ist spirituell und wissenschaftlich
- es ist eine Geheimwissenschaft (au ja, spannend!)
- es ist Magie
- es hilft, die Musik von heute und die Klassiker zu verstehen
- es gbt einen neuen Blick usw.
Das heißt, uns wird quasi eine Erleuchtung verkauft. Und als Skeptikerin nehme ich das nicht ganz ernst und warte gespannt, wo der Bruch kommt.
Es gibt auch Futter für diese Skepsis: Zum Beispiel scheint das Spiel einen sehr rigiden Rahmen zu haben.
Wie macht Hesse das nun alles?
Sprache
Die Sprache ist dicht, das Lesetempo dadurch gering. Lange Sätze, stellenweise ein hohes Abstraktionsniveau und eine große Entfernung vom Prota wirken wissenschaftlich, distanziert, sezierend.
Perspektive
Tja, schwierig. Es gibt ein Ich, das erzählt. Aber wer ist der Erzähler? Wie kann ein Ich gedacht werden, in einer Welt ohne individuelle Identität? Hesse hat das gut gelöst, weil der Erzähler eine Hülle bleibt und weil er "wir" schreibt, und damit klar macht, dass er nicht als Individuum schreibt, sondern in der Funktion als Biograph, als Wissenschaftler, Historiker. Der Erzähler zieht sich in der Einleitung oft ganz weit hinter den Text zurück, er schaut gottähnlich auf die Geschichte des Glasperlenspiels, als wisse er die Wahrheit als solche. Was zwar absurd ist, uns aber so verkauft wird. Und dann doch wieder nicht: Es wird gebrochen durch allgemeine Überlegungen zur Geschichtsschreibung und den verwendeten Quellen mit deren Ungenauigkeit. Was aber hier nicht zuträfe, das sei alles genau und wahr. Tja, oder auch nicht....
Stil
Der Stil ist wissenschafltich anmutend. Es wird zitiert, aber komischerweise hat keines der Zitate eine eigene Stimme. Alle sind im gleichen Stil, irgendwie luzide, fast ätherisch, unkörperlich. Ich finde, dass die Namen diese Wirkung verstärken, denn es sind keine Namen, sondern Vignetten: Der Prota
Magister Ludi Josef Knecht
hat einen Namen der besteht aus
einem Titel (Magister Ludi = Spielmeister)
einer Namensvignette, einem männlichen biblischen Urnamen (Josef)
und einem Nachnamen, der Untertanentum, Dienen verdeutlicht (Knecht).
Und das ist ein bissel wie "ihre Hoheit die Dienerin": eine Brechung. Der Höchste ist Dienender. Und als solcher identitäts- und namenlos.
So. Und nun versuche ich mich nochmal an dem Zitat vor der Einleitung. Es ist also ein Zitat aus den Schriften des Protas, wie ich nun verstehe. Aber nicht nur das, es ist das Zitat eines Zitats. Knecht hat jemanden übersetzt und der behauptet, dass die Worte des Schriftstellers Magie besitzen. Dass "die Darstellung" gewisser Dinge, "deren Existenz weder beweisbar noch wahrscheinlich ist" diese dadurch wahrscheinlicher werden und vielleicht sogar einmal existieren lässt, dass man sie so behandelt, als würden sie bereits existieren. Und genau das tut Hesse: Er behauptet, dass das Glasperlenspiel existiere, ja zentral sei. Und will uns nun hier am Anfang des Buches offenbar darauf hinweisen, dass wir nicht wissen können, ob es existiert oder existieren wird. Dass also Schreiben, so verstehe ich es, eine Art Glasperlenspiel sei: magisch, erschaffend, kreativ.
Na, wenn das mal nicht eine Steilvorlage für meine Neugier ist.
Edit: ich hab mal meine Fehler rausgemacht. Den einen Satz habe ich zumindest nicht mehr verstanden und musste ihn umschreiben.